"Jedem das Seine"
Ein roter Schriftzug, "Jedem das Seine", eingearbeitet in ein weißes Gittertor - so sah der Eingang des Konzentrationslagers Buchenwald aus. Die Inschrift sollte die Gefangenen demütigen und die NS-Rassenideologie verdeutlichen. Nun wurde das Lagertor erneuert - erstmals seit 70 Jahren.
"Langsam fahren und hochziehen! Ja, die Kante! Hoch, hoch, hoch! Gut, nach vorne!"
Auf dem Appellplatz der KZ-Gedenkstätte Buchenwald hebt ein Gabelstapler ein weißes Stahltor in die Senkrechte. Drei Männer halten es fest, dann fährt der Stapler von der anderen Seite heran und faßt das Tor wieder. Alles sehr behutsam.
Das etwa drei Mal drei Meter große schmiedeeiserne Gittertor ist der rechte Flügel des Lagertors, das in den letzten Monaten restauriert wurde. Einer der Männer ist Professor Bernhard Mai, ein Metall-Spezialist. "Restaurator" steht mit breiter Schrift auf seiner Jacke. Im Januar hat er das KZ-Tor ausgebaut und war gespannt, was er über dessen Geschichte erfahren würde.
Bernhard Mai: "Ich hab' gesagt, das muss gemacht werden, hab mich aber immer ein bisschen gedrückt. Barocke Tore wirken schwierig, sind einfach, und das Tor wirkt einfach und ist schwierig! Und da habe ich auch keine einsame Entscheidung treffen wollen, sondern das Glück gehabt, dass ich im Masterstudiengang acht Studentinnen hatte, die sich dem Metall widmen wollten.
Da habe ich gesagt, 'Ihr macht euch jetzt mal ran und macht die ganzen klassischen Voruntersuchungen!': Maße, Gewicht, und dann eben auch die Farbigkeiten untersucht. Es wird heute eine Probe genommen, und im Querschliff unterm Mikroskop kann man genau die Farbschichtungen sehen und kann aber auch die Schmutzhorizonte sehen. Das heißt, man weiß, in welchen Abständen immer neu gestrichen worden ist."
Keiner wusste vom Schriftzug in leuchtendem Rot
Die Überraschung war groß: Das Tor mit dem markanten Schriftzug "Jedem das Seine" war ursprünglich nicht schwarz oder grün gestrichen, wie in den letzten Jahrzehnten. Und es war auch nicht einfarbig, wie man lange selbstverständlich annahm.
Bernhard Mai: "Es war weiß-rot! Was wir nicht gesehen haben - und das haben wir erst bei der Bearbeitung des Tores festgestellt -, dass die rote Schrift nur von der Lagerseite acht Mal rot gestrichen worden ist und von außen nur einmal."
"Jedem das Seine", der Schriftzug in leuchtendem Rot, eingearbeitet in ein weißes Gittertor. Und keiner wusste mehr davon!
Bernhard Mai: "Das sollte man wahrscheinlich sehen, immer wieder gepflegt, dass man das Rot wahrscheinlich vom Appellplatz entgegen strahlen sollte. Das Weiß hat man nur während der Lagerzeit einmal wiederholt, den Anstrich."
Der rechte Torflügel schwebt langsam Richtung Torgebäude. Zum ersten Mal seit 1938 ist das Tor restauriert worden, es war verzogen und verrostet. Nun ist es konserviert, wieder weiß, neu gestrichen. Die kleine Mittel-Tür mit dem roten Schriftzug "Jedem das Seine" steht noch daneben.
Das Rot der Schrift ist die freigelegte alte Farbe. Die gleiche, die 250.000 Menschen, die das KZ Buchenwald durchlaufen haben oder hier starben, beim täglichen Appell sahen. Der Sprecher der Gedenkstätte, Philipp Neumann-Thein, schaut den Arbeiten zu. Die Bedeutung dieses Tores, meint er, könne gar nicht überschätzt werden. Denn in Buchenwald war - anders als in allen anderen KZs mit zynischen Tor-Inschriften - die Schrift nach Innen gerichtet.
Neumann-Thein: "Und dann bekommen auch die Schilderungen von Häftlingen, die sagen, sie standen auf diesem Appellplatz und hatten diesen Schriftzug vor Augen, natürlich noch mal eine ganz andere Prägnanz, weil man sich vorstellen kann, dass dieser Kontrast - rot auf weißem Hintergrund - natürlich viel besser auf Fernsicht funktioniert hat."
"Jedem das Seine" ist Teil eines römischen Rechtsgrundsatzes: "Ehrenhaft leben, niemanden verletzen, jedem das Seine gewähren." Die Nazis verkehrten den positiven Grundsatz ins Negative.
Neumann-Thein: "'Jedem das Seine' - uns, den SS-Leuten, die Welt, und den Gemeinschaftsfremden, den sogenannten 'Asozialen', politischen Häftlingen, rassistisch Verfolgten, das Lager."
"Jetzt auch für die Besucher erlebbar"
Einen Sieg jedoch haben die Häftlinge davon getragen: Die Schrift, die der Häftling Franz Ehrlich gestalten musste, ist in Buchstaben gesetzt, die Ehrlich bei seinen Lehrern am Weimarer Bauhaus kennengelernt hatte.
Neumann-Thein: "Wir interpretieren das als Akt des Widerstands von Franz Ehrlich, der entgegen der Intention der SS diesen Satz eben in Bauhaus-Typen setzt und dadurch gewissermaßen den ursprünglichen Sinn, 'jedem das Seine gewähren', hinüberträgt entgegen dem Willen der SS. Also, wenn das bekannt geworden wäre - das Bauhaus war verfemt durch die Nationalsozialisten -, wäre das für Franz Ehrlich möglicherweise das Todesurteil gewesen."
Mit Holzkeilen muss die richtige Höhe für das Tor gefunden werden. Über Nacht werden sie dann noch die Rollen anpassen, die ursprünglich das Tor getragen, in den letzten Jahrzehnten aber gefehlt haben.
Der Restaurator Bernhard Mai löst vorsichtig die Folie von dem inzwischen eingebauten Tor. Es erscheint der bittere Schriftzug in der originalen Farbe von 1938. Ein Rot, dunkel und stumpf wie getrocknetes Blut.
Bernhard Mai: "Und hier sehen sie auch haptisch - fühlen sie das!? Diese acht Farbschichten, die hier drauf sind ... Und wenn sie auf die Rückseite gehen, sehen sie genau, bis wohin der Pinsel gekommen ist. Die haben hier abgestrichen. Und hier war eine Farbschicht nur noch drauf. Also, mehr war nicht! Das ist jetzt auch für die Besucher erlebbar!"