NS-Raketenproduktion unter Tage
Mehr als 60.000 Menschen mussten zwischen 1943 und 1945 im KZ Mittelbau-Dora Zwangsarbeit für die deutsche Rüstungsindustrie leisten. Jeder dritte von ihnen starb. Nach langen Jahren des Vergessens ist der Stollen heute zugänglich.
Nicole Tödtli öffnet das schwere Stahltor und schließt es wieder hinter uns. Aus einem Ladegerät nimmt sie eine schwere Taschenlampe.
"Ich muss ganz schnell ein Telefonat machen und sagen, dass wir hier drin sind. Das ist sicherheitstechnische Voraussetzung."
Dann greift sie zu einem Telefonhörer, der an der nackten Wand hängt, und meldet sich beim Wachmann an.
"Hallo, hier ist Nicole. Ich wollte nur sagen, dass zwei Leute im Stollen sind."
Der Stollen kündigt sich schon akustisch an, wenn der Wind durch die Spalten unter den Toren durchpfeift. Er reicht fast zwei Kilometer tief in den Berg hinein. Drei parallele Stollen wurden in den Berg getrieben. Zwei davon sind für je zwei Züge nebeneinander befahrbar. Verbunden sind sie durch 46 Querkammern, jede 12 Meter breit und 9 Meter hoch. Ein gigantisches Stollensystem im Kohnstein, einem Berg zwischen dem Harz und der thüringischen Stadt Nordhausen.
"Ich muss ganz schnell ein Telefonat machen und sagen, dass wir hier drin sind. Das ist sicherheitstechnische Voraussetzung."
Dann greift sie zu einem Telefonhörer, der an der nackten Wand hängt, und meldet sich beim Wachmann an.
"Hallo, hier ist Nicole. Ich wollte nur sagen, dass zwei Leute im Stollen sind."
Der Stollen kündigt sich schon akustisch an, wenn der Wind durch die Spalten unter den Toren durchpfeift. Er reicht fast zwei Kilometer tief in den Berg hinein. Drei parallele Stollen wurden in den Berg getrieben. Zwei davon sind für je zwei Züge nebeneinander befahrbar. Verbunden sind sie durch 46 Querkammern, jede 12 Meter breit und 9 Meter hoch. Ein gigantisches Stollensystem im Kohnstein, einem Berg zwischen dem Harz und der thüringischen Stadt Nordhausen.
Vom Steinbruch zur "Hölle von Dora"
Vor 100 Jahren wurde hier Sulfatgestein abgebaut. Vor 80 Jahren legte Deutschland hier ein unterirdisches Treibstofflager an, um für einen Krieg gewappnet zu sein. 1943 wurde die Produktion der V1- und V2-Raketen, mit denen europäische Städte wie Antwerpen und London beschossen wurden, von Peenemünde an der Ostsee in den Kohnstein verlegt. Hitler hatte dies nach der Bombardierung von Peenemünde befohlen, um die Raketenproduktion vor weiteren Angriffen zu schützen. Und es entstand, zunächst als Außenlager des KZs Buchenwald, die Hölle von Dora, erklärt Nicole Tödtli.
"Es waren am Anfang Unterkunftskammern, also da mussten die Häftlinge wohnen - eher hausen. Es gab kein fließend Wasser, keine Toiletten, keine Heizung. Also es war sehr feucht und klamm. Das waren vierstöckige Betten, Holzpritschen mit Strohsäcken, aber da es hier drin ja sehr feucht ist, hat das dann alles sehr schnell geschimmelt. Als Toiletten haben halbierte Fässer gedient."
"Es waren am Anfang Unterkunftskammern, also da mussten die Häftlinge wohnen - eher hausen. Es gab kein fließend Wasser, keine Toiletten, keine Heizung. Also es war sehr feucht und klamm. Das waren vierstöckige Betten, Holzpritschen mit Strohsäcken, aber da es hier drin ja sehr feucht ist, hat das dann alles sehr schnell geschimmelt. Als Toiletten haben halbierte Fässer gedient."
"Vernichtung durch Arbeit" in Reinform
In KZ Mittelbau-Dora fand die "Vernichtung durch Arbeit" in Reinform statt. Bei der Produktion der Raketen, viel schlimmer jedoch beim Stollenausbau. Nach mörderischer Arbeit warteten auf die KZ-Häftlinge "Pausen" in Gesteinsstaub und giftigen Dämpfen, zwischen Ungeziefer und verwesenden Leichen. Die unterernährten und kranken Häftlinge im Stollen überlebten oft nur Wochen. Tausende starben innerhalb weniger Monate.
"Und gleichzeitig wurde in 12-Stunden-Schichten gewechselt. Also, während die Hälfte der Gefangenen hier schlafen mussten, mussten die anderen weiterarbeiten. Das bedeutet, es sind auch vor den Eingängen Züge durchgefahren, es wurde gesprengt, es war sehr laut, es war sehr staubig."
"Und gleichzeitig wurde in 12-Stunden-Schichten gewechselt. Also, während die Hälfte der Gefangenen hier schlafen mussten, mussten die anderen weiterarbeiten. Das bedeutet, es sind auch vor den Eingängen Züge durchgefahren, es wurde gesprengt, es war sehr laut, es war sehr staubig."
Gedenken im Berg
Nur 300 Meter tief dringt der heutige Besucher in den Berg ein. 300 Meter, die ihn schnell zum Schweigen bringen. Man läuft über an die Wand montierte Wege. Darunter liegen tonnenweise Felsbrocken und Teile der hier montierten V1- und V2-Raketen. Teile von Waffen, deren Produktion mehr Menschen getötet hat, als deren Einsatz.
Noch im Sommer 1945 hat die Sowjetarmee die Eingänge zu den Stollen gesprengt. Erst seit 1995 gibt es einen neuen Zugang.
Noch im Sommer 1945 hat die Sowjetarmee die Eingänge zu den Stollen gesprengt. Erst seit 1995 gibt es einen neuen Zugang.
Vom eigentlichen Lager Mittelbau-Dora, das Ende 1943 bis Ende 1944 entstand, ist auf den ersten Blick nicht viel zu sehen. Die Fundamente der Küche, eine Feuerwache, das Krematorium, eine Baracke. Und die Bahnhofsrampen, auf die Nicole Tödtli nun zeigt.
"Ja, man sieht ja hier oben drauf auch den Beton, zum Beispiel hier sieht man den ganz gut. Der wurde dann drauf gesetzt, um einfach die originalen Fundamente auch zu schützen. Auf den Fundamenten der Bahnhofsrampen war dann eine Hundesportanlage."
"Ja, man sieht ja hier oben drauf auch den Beton, zum Beispiel hier sieht man den ganz gut. Der wurde dann drauf gesetzt, um einfach die originalen Fundamente auch zu schützen. Auf den Fundamenten der Bahnhofsrampen war dann eine Hundesportanlage."
In der DDR eine Hundesportanlage
Die Bahnhofsrampen, auf die in der DDR Gebäude einer Hundesportanlage aufgesetzt wurden, stehen symbolisch für den Umgang mit ehemaligen KZs nicht nur im Osten: Weiternutzen war angesagt, etwa bei Baracken, die anderswo gebraucht wurden. Und während man in Mittelbau-Dora einen Aufmarschplatz anlegte, mit Fahnenmasten, Rednertribüne und Feuerschalen für "Kampfdemonstrationen", verfiel vieles von dem Wenigen, was noch an das KZ erinnerte. Seit über 20 Jahren wird nun freigelegt, zurückgebaut, sichtbar gemacht: Eben die Stollen, das Gleisbett der Bahn, die Fundamente der Baracken. Dem Direktor der Gedenkstätte, Stefan Hördler, ist es aber auch wichtig, in die Umgebung zu gehen, wo sich 40 Außenlager auf den ganzen Harz verteilten – untergebracht mitunter sogar unter aller Augen in der Dorfkneipe.
"Dieses in den öffentlichen Raum Zurückbringen, dieses Kontextualisieren, Sichtbarmachen, auch im übertragenen Sinne, das Bewusstsein für diesen Ort zu schaffen, einfach: Welche Geschichte haben diese Orte nach ´45 gehabt? Wie sind sie überbaut worden? Das sind Fragen, die wir mitdenken müssen. Im Grunde Fragen nach diesem Lagerkosmos aufzuwerfen."
"Dieses in den öffentlichen Raum Zurückbringen, dieses Kontextualisieren, Sichtbarmachen, auch im übertragenen Sinne, das Bewusstsein für diesen Ort zu schaffen, einfach: Welche Geschichte haben diese Orte nach ´45 gehabt? Wie sind sie überbaut worden? Das sind Fragen, die wir mitdenken müssen. Im Grunde Fragen nach diesem Lagerkosmos aufzuwerfen."
Baracken wieder sichtbar machen
Aber auch auf dem Gelände des ehemaligen Stammlagers gibt es noch viel zu tun. Nicole Tödtli hat im vergangenen Sommer ein internationales Sommercamp mit Jugendlichen aus der ganzen Welt betreut.
"Ein Teil davon ist, dass die Bäume und Sträucher, die es hier gibt, auch entfernt werden, so dass man halt auch einen Blick wieder hat und sich wieder besser vorstellen kann auch die Größe nur schon …"
"Ein Teil davon ist, dass die Bäume und Sträucher, die es hier gibt, auch entfernt werden, so dass man halt auch einen Blick wieder hat und sich wieder besser vorstellen kann auch die Größe nur schon …"
Denn dort, wo einst das Barackenlager stand, erstreckt sich heute Wald. Aufgabe der Jugendlichen war es, die Bodenspuren der längst verschwundenen Baracken mit einem breiten Streifen aus weißem Gipsgestein nachzuzeichnen.
"Also, das konnte ich dieses Jahr miterleben, wie sie die letzten Steine gesetzt haben. Und die Freude war wirklich sehr, sehr groß. Die Jugendlichen haben natürlich Fragen und wollen auch über die Geschichte was lernen. Aber es ist für viele auch wichtig, dass sie hier hin kommen und etwas machen, das bleibt. Ich glaube, das sind jetzt 6 oder 7 Baracken, die jetzt gemacht wurden. Und es gibt über 50 insgesamt. Also, wir haben noch ein paar Jahre."
"Also, das konnte ich dieses Jahr miterleben, wie sie die letzten Steine gesetzt haben. Und die Freude war wirklich sehr, sehr groß. Die Jugendlichen haben natürlich Fragen und wollen auch über die Geschichte was lernen. Aber es ist für viele auch wichtig, dass sie hier hin kommen und etwas machen, das bleibt. Ich glaube, das sind jetzt 6 oder 7 Baracken, die jetzt gemacht wurden. Und es gibt über 50 insgesamt. Also, wir haben noch ein paar Jahre."