L.A. Short Cuts

Der Stadtplan für Los Angeles ist ein Drehbuch

Blick auf eine Hauptverkehrsstraße in Los Angeles, Kalifornien
Blick auf eine Hauptverkehrsstraße in Los Angeles, Kalifornien. © dpa / picture alliance / Udo Bernhart
Von Gerhard Falkner |
Los Angeles ist eine fiktionale Stadt, vollkommen unbewohnt. Sie ist vielmehr eine große Bühne voller Darsteller, beobachtet Lyriker Gerhard Falkner im "Originalton". Falkner hat gerade einige Monate in der Stadt der Engel verbracht und präsentiert diese Woche seine Beobachtungen.
Für Los Angeles benötigt man keinen Stadtplan, sondern ein Drehbuch. Der Stadtplan führt unweigerlich in die Irre, denn er steht für eine dem Stadtplan innewohnende veraltete Konstruktion und zeigt nur das, was die Straßen am Ende mit Sicherheit nicht sind. Auf Google Maps kann man diese so weit heranzoomen, dass man am Schluss mit Sicherheit weiß, dass man nicht in L.A. ist.
Los Angeles ist eine fiktionale Stadt mit einer fotoartigen Auflösung in Bildpunkte, neben deren Punktdichte die Farbtiefe entscheidend ist. Die Stadt ist vollkommen unbewohnt. Sie hat keine Einwohner, sondern Darsteller, die da nicht wohnen, sondern mitspielen. Um L.A. zu erfahren, bedarf es einer Dramaturgie, einer technischen Vorlage, die während der Erfahrung als Text erarbeitet wird. Eine Seite Text ergibt eine Minute Film. Für Los Angeles eine gute Synopse gefunden zu haben oder sie gerade zu entwickeln ist die Voraussetzung dafür, in ihr eine Rolle zu spielen.
Retrospektiven der Fernwahrnehmung und der Unsichtbarkeit
Um eine Spritztour auf dem Santa Monika BLVD oder der eleganten Wilshire zu machen, genügt auch eine Log Line von drei Zeilen. Die vom Wilshire Blvd abgehende 3rd Street, heute eine noch vor 15 Jahren in L.A. unvorstellbare Fußgängerzone, vor der man sogar die Metallkappen der Edelstahlsperrpfosten gegen die Autos poliert, kennt der Stadtplan nicht oder nur als unverantwortliche Gerade. Das Drehbuch aber schreibt vor, dass sie als Luxuszone beginnt und nach der Rose Avenue nichts mehr mit sich zu tun hat, oder sich zu einem Drama entwickelt hat. Ab da dient sie als Asphaltbett für die Obdachlosen und Bühne für die Tourettler.
Mit der Kinokarte im Grauman's Egyptian Theatre zu George Clooneys "Männer die auf Ziegen starren" (The Men Who Stare at Goats) erfährt man dann den Plot. Jedenfalls irgendeinen. Die Retrospektiven der Fernwahrnehmung und der Unsichtbarkeit.

Kleine Formen erproben und mit den Möglichkeiten des Radios spielen: "Originalton" heißt eine tägliche Rubrik unserer Sendung "Lesart" - kurze Texte, um die wir Schriftsteller bitten. Die Originaltöne dieser Woche stammen von dem Lyriker Gerhard Falkner. Es sind Schnipsel aus der Werkstatt des Autors, Texte und Gedankensplitter, die Auskunft geben über das, was ihn gerade interessiert. Produktion: Sebastian Schwesinger.

Gerhard Falkner (*1951 Schwabach) lebt als Lyriker, Romancier, Dramatiker, Essayist und Übersetzer in Berlin und Bayern. Er gehört zu den bedeutenden Dichtern der Gegenwart. Nach einem Stipendium am Literarischen Colloquium Berlin legte Falkner mit dem Band "Berlin – Eisenherzbriefe" (1986) einen der zentralen postmodernen Mischtexte vor. 1997 erschien mit "Voice an Void. The poetry of Gerhard Falkner" von Neil Donahue die erste Monographie.
Für die Novelle "Bruno" erhielt Falkner 2008 den Kranichsteiner Literaturpreis und den August Graf von Platen-Preis. 2010 wurde er mit dem Preis der Stadt Nürnberg ausgezeichnet.
In ihrer Begründung für den Peter-Huchel-Preis 2009, den er für seinen Gedichtband "Hölderlin Reparatur" würdigte die Jury Falkners "Möglichkeiten sublimen Sprechens in einer Zeit beschädigter Sprachwelten". Seine "Pergamon-Poems" wurden erst kürzlich im Pergamon Museum in Berlin gezeigt und von Mitgliedern der Schaubühne interpretiert. 2013 war er der erste Fellow für Literatur an der neugegründeten Kulturakademie Tarabya in Istanbul. 2014 verbrachte er mehrere Monate in der Villa Aurora in Los Angeles. Soeben erschien sein neuester Gedichtband: "Ignatien" (mit Bildern des Schweizer Künstlers Yves Netzhammer)

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