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Tonleitern zum Himmel
Wer die Himmelfahrt als Musik denkt, braucht aufstrebende Klänge, Tonleitern, Tonarten: "L'Ascension" von Olivier Messiaen geht als Zyklus von leuchtenden Meditationen, wahlweise für Orchester oder Orgel, noch weit darüber hinaus.
Olivier Messiaen war tiefgläubiger Katholik, theologisch und literarisch umfassend gebildet und zugleich von der Musik außereuropäischer Kulturen fasziniert. So religiös grundiert viele seiner Werke sind, so bunt und einzigartig sind sie auch. Für diese Kunst ist "L’Ascension" ein frühes Beispiel, das zugleich viele Fragen aufwirft.
An vielen Stellen klingt die Musik abgeklärt wie nur wenige Werke aus dieser Zeit, an anderen Stellen scheint sie von Leidenschaften durchglüht oder von tänzerischem Überschwand geprägt zu sein. Die Grundstimmung dabei ist so hingebungs- wie hoffnungsvoll. Messiaens Musik ist ein Kunstwerk des Lichts und der Freude; Düsternis und Leid existieren hier, wenn überhaupt, als dramaturgische Kontraste.
Frühes Meisterwerk
Umso erstaunlicher, dass der Komponist, der dieses umfassende, das Leben oft wie aus einer höheren Warte betrachtende Werk 1932 schrieb, gerade einmal 23 Jahre alt war und noch sechs Jahrzehnte kreativer Tätigkeit vor sich hatte. Vieles für sein Schaffen Typische verbirgt sich in diesen vier Sätzen, die Messiaen selbst als "Meditationen" bezeichnete.
Allerdings war der junge Kirchenmusiker aus Paris mit diesem Wurf noch lange nicht fertig: Die Instrumentation für großes Orchester, das oft nur Stimmgruppenweise eingesetzt wird, beschäftigte ihn noch im Folgejahr. Bis 1934 bearbeitete er die "Ascension" für Orgel, wobei er den relativ konventionellen dritten Satz, ein Orchesterscherzo, durch eine monumentale Orgel-Toccata ersetzte.
Zwischen zwei Gebeten
Die ungewöhnliche Gesamtanlage des rund halbstündigen Werks ist in beiden Fassungen gleich. Zwei langsame, entrückte Sätze rahmen zwei lebhafte Stücke ein; der Bogen öffnet sich vom Gebet über den Gesang zum Tanz hin, um mit einem Gebet wieder zu schließen.
Alles in der für Messiaen charakteristischen Art ergänzt um bildhafte Überschriften und Bibelzitate.
Religiosität und Offenheit
Die Frage einer Interpretation dieser Musik beschäftigt unseren Studiogast, den Dirigenten Sylvain Cambreling, seit vielen Jahren. Messiaen selbst hat diese Frage auf mehreren Ebenen gestellt: Zunächst geht es darum, wie die Himmelfahrt als religiöser Topos gedeutet und musikalisch umgesetzt wird und was das für das Publikum bedeutet.
Zwar steht für Cambreling die Religiosität Messiaens außer Zweifel, doch hebt er die Vielfalt und Offenheit dieses großen Künstlers und Lehrers hervor wie auch die Tatsache, dass diese Musik zwar schwer zu spielen, in ihrer emotionalen Offenheit aber nicht unbedingt schwer zu hören sei.
Sechs Jahrzehnte Orgelbank
Dann hat sich Messiaen im doppelten Sinne selbst interpretiert: erst, indem er sein Orchesterwerk erstaunlicherweise für Orgel bearbeitete (der umgekehrte Fall wäre der gewöhnlichere gewesen), dann, indem er die Orgelfassung selbst in einer Art einspielte, der sich nicht alle Organisten anschlossen.
Unabhängig davon ist Messiaens Aufnahme schon deswegen ein besonderes Dokument, da sie ihn an der Orgel zeigt, an der er nicht weniger als 61 Jahre lang seinen Dienst versah – es ist die große romantische Cavaillé-Coll-Orgel der Pariser Église de la Sainte-Trinité.
Aufführungen nach Messiaen
Schließlich steht jeder, der die "Ascension" in der Orchesterfassung aufführen möchte, vor einer ganzen Reihe von musikalischen Problemen: Wie umgehen mit den extremen, oft sehr langsamen Tempovorstellungen des Komponisten?
Muss man eine Interpretation für das Konzert anders – pragmatischer – anlegen als für eine Studioproduktion? Wie lässt sich das große Orchester transparent darstellen, ohne dass die Musik ihr Geheimnis verliert?
Aus der Erfahrung einer preisgekrönten Gesamteinspielung aller Orchesterwerke Messiaens heraus bespricht Sylvain Cambreling diese und weitere Fragen zur musikalischen Himmelfahrt.