Luisa Donnerberg und Ulrich Schreiber (Hrsg.): "Refugees Worldwide"
Wagenbach Verlag, Berlin 2017
224 Seiten, 14,90 Euro
Weltweite Verachtung für Menschen auf der Flucht
Vertreibung, Flucht, Migration: Der Reportageband "Refugees Worldwide" richtet den Blick auf das Elend und die Verzweiflung von Geflüchteten außerhalb von Europa - und zeigt auch, dass es trotz Krisen und Katastrophen Lichtblicke gibt.
"Manchmal ist es besser zu sterben, als zu leben." Der Satz stammt von einem Mann namens Anfi. Seit mehr als zweieinhalb Jahrzehnten lebt er in Dadaab, dem größten Flüchtlingslager der Welt. Lesen kann man den Satz in "Refugees Worldwide". Der Band vereint 14 Reportagen von Autoren und Autorinnen, die – wie etwa Nora Bossong oder Najet el Hachmi – um die Welt gereist sind, um Einblick zu geben in das Leben von Geflüchteten; wenn sie nicht gar, wie etwa die türkische Schriftstellerin Ece Temelkuran, selbst die Heimat verlassen mussten.
600.000 Flüchtlinge an einem Ort
Die Betonung des Bandes liegt dabei auf weltweit: Allzu oft wird vor allem in Europa vergessen, dass Flucht und Migration kein per se europäisches Problem ist. Im Gegenteil: In Nigeria – Schauplatz einer der Reportagen – wurden rund zwei Millionen Menschen vom Feldzug der Boko Haram in die Flucht getrieben. In den USA leben rund elf Millionen illegale Migranten, die meisten von ihnen aus Mexiko. Nur schwer findet Nora Bossong zu ihnen Kontakt. Sie fürchten Probleme mit der Polizei. In Dadaab lebten zeitweise ca. 600.000 Menschen. Nun droht man, das Lager zu schließen. Wohin aber geht man, wenn man nirgendwohin gehen kann, fragt sich nicht nur besagter Anfi.
Auch Ece Temelkuran schreibt mit schneidendem Sarkasmus: "Wer ist Exilant, wenn alle Länder der Welt Zonen der Vulgarität werden? Bald werden wir alle Syrer sein." Die Syrer selbst sind, so Khaled Khalifas düsterer Bericht, verzweifelt und verbittert: Verstehen sie doch nicht, wieso man ihnen weder im Krieg geholfen hat noch nun auf der Flucht Glauben schenkt. In Marokko, schildert Najet el Hachmi, stehen Syrer mit ihren Papieren in den Händen an der Straße – nicht ahnend, dass in dieser Gegend selbst die Einheimischen fast am Hungertuch darben.
Vergessene Konflikte und Krieg
Auch an andere vergessene oder unbekannte Konflikte und Kriege wird erinnert: Wer weiß vom Schicksal der Hazara, einer in Pakistan verfolgten Volksgruppe, die bis nach Indonesien flüchtet? Dass im Südsudan acht Millionen Menschen von einem Tag auf den anderen staatenlos waren? Man möchte lachen, so absurd klingt das – wäre nicht all das Beleg für ein schreckliches globales Scheitern, in politischer wie menschlicher Hinsicht. Denn Diskriminierung und Verachtung, bürokratische und menschliche Hürden warten fast überall auf der Welt auf die Geflüchteten.
Fakten und Zahlen dominieren daher viele der Reportagen – die meisten von ihnen sind in nüchtern-neutralem Ton gehalten, Einzelschicksale wirken wie Augenöffner. Einzig die von Flucht selbst Betroffenen wie Ece Temelkuran oder Khaled Khalifa erlauben sich Ironie und Elegie. Kurios, fast kafkaesk liest sich die Odyssee eines nach Japan geflüchteten Kongolesen. Der wahre Lichtblick im Band ist das Beispiel Brasilien. Dort scheint laut Andréa del Fuego verwirklicht, was bereits Oswald de Andrade in seinem "Manifesto Antropofágico" propagierte: Dass die Identität eines Landes sich entwickelt, indem alle ankommenden Kulturen zu einem großen Ganzen verdaut werden. Europa kann davon lernen – nicht zuletzt mit Hilfe solcher Reportagen.