"La damnation de Faust"

Berlioz' Faust als turbulente Revue

Der Tenor Charles Castronovo als Faust und das Ensemble im Schillertheater in Berlin bei "La damnation de Faust".
Der Tenor Charles Castronovo als Faust und das Ensemble im Schillertheater in Berlin bei "La damnation de Faust". © picture alliance / dpa / Soeren Stache
Von Uwe Friedrich |
Der Regisseur Terry Gilliam, bekannt als Mitbegründer der Komikergruppe Monty Python, hat in Berlin Hector Berlioz Werk "La Damnation de Faust" inszeniert. Musikalisch wird das Spektakel von Simon Rattle geleitet.
Der Erste Weltkrieg hat Deutschland verwüstet, die alte Feudalordnung hinweggefegt und das Land in einen Taumel aus Inflation, besinnungslosem Vergnügen und gesellschaftlichem Verfall gestürzt. Die wissenschaftliche Karriere des Privatgelehrten Faust kommt ebenfalls nicht recht voran, und so sehnt er ich in dieser dekadenten Gesellschaft nach einem sinnvollen, aber auch abenteuerlichen und heldenhaften Leben. Deshalb geht Faust dem Fremden nur allzu gerne auf den Leim, der ihm all das verspricht. Der englische Regisseur Terry Gilliam deutet Berlioz’ "La damnation de Faust" als Höllenritt durch die deutsche Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und macht die dramatische Legende, wie der Komponist sein Werk nannte, zu einer turbulenten Revue.

War der Nationalsozialismus nur ein Irrtum

Tatsächlich kann man mit guten Gründen fragen, ob es sich beim Nationalsozialismus bloß um einen Irrtum der deutschen Geschichte handelt oder ob hier nicht doch der deutsche Geist des 19. Jahrhunderts auf schrecklichste Weise zu sich gekommen ist. So deutet Gilliam gemeinsam mit Bühnenbildnerin Hildegard Bechtler die Bücherverbrennung als bewusst antiintellektuellen Impuls zurück zur Natur, wenn Faust seine wissenschaftliche Literatur in einer erhabenen Berglandschaft ins Feuer wirft. Da ist natürlich was dran. Wenn die Geisterbeschwörung zur Wagner-Parodie mit Schwert, Brünne und Flügelhelm wird, hat das Witz und jene ironische Kraft, die man sich vom Monty Python-Texter Terry Gilliam für den ganzen Abend erhofft hätte.
Dass Marguerite aber zu einer jungen Jüdin uminterpretiert wird, die sich Rettung durch Faust erhofft, führt geradewegs ins Verderben der gesamten Inszenierung. Die Novemberpogrome als slapstickhaftes Kasperletheater zu zeigen, passt an dieser Stelle zwar zu Berlioz’ Rummelplatzmusik, nicht aber zum historischen Ereignis. Zum Gesang der wetteifernden Studentengruppen wird auf die Berliner Olympiade 1936 angespielt, aber es reicht eben nicht, einem Opernchor Gymnastikringe und -bänder in die Hand zu drücken, um ein bisschen rumzuhopsen.

Der Mephisto bleibt eigenschaftslos

Vollends geschmacklos wird es, wenn zum ohnehin kitschgefährdeten Finale ein KZ-Leichenberg mit Marguerite zu sehen und dazu der Chor in Konzertaufstellung singt, Seraphim würden zum Trost ihre Tränen trocknen. Wenn Gilliam wenigstens auf die Idee gekommen wäre, damit die selbstmitleidige Verlogenheit der frühen Bundesrepublik zu zeigen, hätte das einen schmerzhaften Gruseleffekt auslösen können. So wird die Nazizeit hingegen einfach bei ihrem zugegebenermaßen hohen Schauwert genommen und der Regisseur tappt in die Realismusfalle. Da haben Regisseure wie Günter Krämer und Peter Konwitschny bereits ganz andere Standards beim Umgang mit der Nazizeit auf der Opernbühne gesetzt. Terry Gilliams Regiekonzept wirkt dagegen halbgar und nicht zu Ende gedacht, weil er die Geschichte Nazideutschlands nur oberflächlich auf "La damnation de Faust" aufsetzt.
Musikalisch ist diese von Simon Rattle geleitete Übernahme von der Londoner English National Opera jedoch ein Fest, das nur vom unpräzisen Staatsopernchor getrübt wird. Die Staatskapelle spielt hingegen unendlich differenziert, lotet das gesamte Klangfarbenspektrum von Berlioz’ bizarrer Orchestrierungskunst aus. Charles Castronovo ist der ideale Faust, stilsicher, technisch brillant, auch schauspielerisch überzeugend. Magdalena Kozena eine eher spröde, aber ungemein sehnsuchtsvolle Marguerite, die "D’amour l’ardente flamme" zum Zentrum des Abends macht. Florian Boeschs Mephisto bleibt im Vergleich recht eigenschaftslos, aber auch das passt zum Regiekonzept, in dem Faust sich nur allzu gerne zum Faschismus überreden lässt. So einfach war und ist es dann doch nicht mit den Wünschen und Sehnsüchten, was auch das Publikum merkte und das Regieteam mit recht deutlichen Buhs abstrafte.
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