Mordfall Emmett Till

US-Bürgerrechtsgeschichte als Theaterfilm

12:26 Minuten
Porträt des schwarzen Jugendlichen Emmett Till im Alter von 14 Jahren, zusammen mit seiner Mutter
Emmett Till, 1955 zusammen mit seiner Mutter in Chicago © picture alliance / TNS via ZUMA Wire / Tribune File
Lara-Sophie Milagro im Gespräch mit Ramona Westhof |
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Der Mord an dem schwarzen Jugendlichen Emmett Till 1955 in den USA wurde zum Anstoß für die schwarze Bürgerrechtsbewegung. Ein Theaterfilm der Gruppe "Label Noir" fragt nach der Aktualität des Falls - auch mit Blick auf die Gegenwart in Deutschland.
Im US-Bundesstaat Mississippi wollte der 14-jährige Emmett Till eigentlich nur Verwandte besuchen. Doch nachdem er beschuldigt worden war, eine weiße Frau belästigt und ihr hinterhergepfiffen zu haben, wurde er aus dem Haus seines Onkels entführt, gefoltert und schließlich getötet. Die Beschuldigten, zwei weiße Männer, wurden von einer Jury, der ausschließlich Weiße angehörten, freigesprochen.

Fotos des Gefolterten gingen um die Welt

Die Bilder des ermordeten Jugendlichen gingen um die Welt. Zu Emmett Tills Beerdigung hatte seine Mutter den Sarg mit einer Glasplatte abdecken lassen. Alle konnten die Spuren schwerer Misshandlungen an seinem Leichnam sehen.
Auch Pressefotos seien aufgenommen worden, erklärt die Schauspielerin Lara-Sophie Milagro vom Theaterkollektiv "Label Noir". Das Entsetzen, das sie auslösten, gelte als eine "Geburtsstunde der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA".
In den Vereinigten Staaten ist Emmett Till bis heute sehr bekannt. Seine Geschichte wurde in Songs, Romanen und Werken der bildenden Kunst aufgegriffen. In der Science-Fiction-Serie "Star Trek" ist ein Raumschiff nach Till benannt.
Die Gruppe "Label Noir" wollte die Geschichte nun in Berlin auf die Bühne bringen. Doch durch die Pandemie bedingt wurde ihre Inszenierung des Stücks "Emmett - Tief in meinem Herzen" der US-amerikanischen Autorin Clare Coss als Theaterfilm realisiert.

Brücke in die deutsche Gegenwart

Bei ihrer Inszenierung sei es der Gruppe besonders darauf angekommen, eine Brücke ins Hier und Jetzt zu schlagen, sagt Milagro, die in dem Theaterfilm nicht nur als Darstellerin zu sehen ist, sondern auch die Regie übernahm. Was 1955 in den USA geschehen sei, passiere ja "bis in die heutige Zeit hinein immer noch weltweit und tagtäglich, auch in Europa und in Deutschland".
Milagro ruft den Tod des angolanischen Vertragsarbeiters Amadeu Antonio in Erinnerung, der 1990 in Eberswalde bei einem brutalen Angriff rechtsextremer Schläger sein Leben verlor. Insbesondere verweist sie auch auf den Fall des Asylbewerbers Oury Jalloh, der 2005 in der Zelle eines Polizeireviers in Dessau verbrannte. Bis heute seien diejenigen, die für Jallohs Tod verantwortlich seien, nicht verurteilt worden, so Milagro.
Der Drehort des Theaterfilms, eine alte Fabrikhalle in Berlin-Marzahn, sei der Intention des Stücks sehr entgegengekommen, sagt die Schauspielerin und Regisseurin: "Wir wollten zeigen, dass diese Geschichte von Emmett Till überall statttfindenn kann." Allzu konkrete Verweise auf den historischen Schauplatz des Verbrechens habe "Label Noir" daher bewusst vermieden.

Ein schwarzer Blick auf das Weißsein

Alle Rollen des Stücks, auch diejenigen, die weiße Personen darstellen, wurden von Schauspielerinnen und Schauspielern of Color verkörpert. Auch Milagro selbst spielte eine weiße Frau. Es sei spannend gewesen, diese Herausforderung anzunehmen, sagt sie. Die Perspektive des Stücks stelle "einen schwarzen Blick auf das Weißsein" dar. Das habe sie als Chance zu einer besonders intensiven Auseinandersetzung mit vorgefertigten Auffassungen erlebt.

"Wie spielt man weiß, wie spielt man schwarz, wenn man sich nicht schwarz oder weiß anmalen will? Da kommt man, glaube ich, zum Kern dessen, was das eigentlich bedeutet und was für ein ganzes System an Privilegien und Rechten damit verbunden ist."

Lara-Sophie Milagro, Schauspielerin und Regisseurin

Beim Blick auf das reale Verbrechen sei es der Gruppe nicht um eine direkte Rekonstruktion des Vorfalls gegangen, betont Milagro. "Wir haben uns dazu entschieden, keine explizite Gewalt und keine geschundenen schwarzen Körper zu zeigen. Denn um die Brutalität dieser Tat klar zu machen, braucht man nicht das Bild."
Vielmehr sei es darum gegangen, Fragen nach gesellschaftlicher und persönlicher Verantwortung zu stellen, die Emmett Tills Ermordung heute noch aufwerfe:
"Was habe ich damit zu tun, dass so etwas passieren kann – und nicht nur in den USA, sondern auch heute in Deutschland passiert –, was mit jemandem wie Oury Jalloh passiert ist? Was habe ich, die ich im Theater, im Kino sitze damit zu tun, dass so etwas in diesem Land möglich ist?"

Das HAU 1 in Berlin zeigt "Emmett - Tief in meinem Herzen" am 24. Januar 2022 um 19 Uhr als Vorabpremiere. Am 25. Januar ist der Theaterfilm um 19 Uhr auf dem digitalen Kanal HAU 4 zu sehen.

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