Viel mehr als nur ein Anzug
Mary Going schneidert Anzüge für Frauen. Die Modelle wirken wie ganz normale Herrenanzüge - nur dass sie auf die Maße eines eher weiblichen Körpers geschnitten sind. Ihre Firma Saint Harridan in Kalifornien ist inzwischen auch bei Hollywoodstars angesagt.
Kurz nach 17 Uhr im kleinen, aber feinen Kleidergeschäft Saint Harridan im Zentrum von Oakland, Kalifornien. Besitzerin Mary Going hat eigens ein paar Kundinnen und Kunden eingeladen, denn sie zeigt zum ersten Mal eine Anzugweste, die sie künftig im Laden und auch online verkaufen will. Solche Westen seien in der Regel sehr körpernah geschnitten, erklärt sie - um so mehr komme es auf den richtigen Sitz an.
Besonders die sogenannte Prinzessinnen-Naht wollte Mary Going auf jeden Fall vermeiden: Sie verläuft bei Anzügen für Damen normalerweise vorn links und recht von von der Taille bis unter die Brust, macht den Rumpf schmaler und hebt damit den Busen zusätzlich hervor. Doch genau das suchten ihre Kundinnen und Kunden nicht, sagt Mary.
"Unsere typischen Kunden sind Frauen, die sich eher maskulin sehen, viele von ihnen sind lesbisch. Außerdem bedienen wir eine deutliche Zahl an Trans-Männern, also Männer, die in einen weiblichen Körper geboren wurden. Und dann noch die Leute, die mit keinem dieser Begriffe bezeichnet werden wollen - egal, ob Frau, Mann oder Trans."
Brooklyn Wright ist 32 und hat einen kräftigen Körperbau, trägt Hosen und ein T-Shirt. Sie sieht sich zwar als Frau, will ihren Kleidungsstil aber nicht den üblichen Gender-Kategorien unterordnen:
"Weil unsere Gesellschaft so sehr in männlich und weiblich eingeteilt ist, gibt es diese Annahme: Wenn ich nicht versuche, feminin zu wirken, dann will ich maskulin sein. Dabei versuche ich eigentlich, irgendwo dazwischen zu sein."
Herrensachen sind zu groß, Frauenkleider passen nicht vom Stil
Und das sei nicht einfach: In der Herrenabteilung versinke sie in den Sachen, erzählt sie, und bei den Damen stimme der Stil nicht. Saint Harridan und ähnliche Firmen wie Tomboy Tailors oder Haute Butch haben sich dagegen auf nichtfeminine Kleidung für einen weiblichen Körper spezialisiert. Und bedienen damit noch einen anderen Kundenkreis:
Toby ist 25 und wurde mit dem Körper einer Frau geboren - seit sieben Jahren lebt er als Mann, hat auch die nötigen Operationen hinter sich. Was er trug, sei für ihn immer sehr wichtig gewesen, erzählt er:
"Ich habe in der High School angefangen, Anzüge zu tragen. Aber später wurde der Anzug eine Notwendigkeit: Du kannst nicht zu einem Vorstellungsgespräch gehen in einem Anzug, der dir nicht passt. Du siehst albern aus, das beschädigt dein Selbstbewusstsein."
Er sagt, vielleicht liege es daran, dass er das Gefühl hatte, in einen "unpassenden" Körper geboren zu sein: Dass wenigstens die Kleidung passt, ist Toby sehr wichtig. Und auch wenn er inzwischen dank einer Operation keine Brüste mehr hat, ist sein Körper in manchen Punkten immer noch so weiblich, dass ein Anzug vom Herrenausstatter keine Option für ihn wäre.
Tobias Gurl: "Die Ärmel sind zu lang, Hemden sind in der Hüfte zu schmal, Hosen auch, die Schultern zu breit, vor allem bei Anzügen. Einen normalen Herrenanzug müsste ich komplett umändern lassen - und selbst dann würde er nicht gut aussehen, weil er nicht für jemanden mit meiner Figur entworfen wurde."
Als sie den perfekten Anzug für die Hochzeit suchte, merkte sie: Den gibt es nicht
Die Modelle hier im Laden wirken dagegen wie ganz normale Herrenanzüge - nur dass sie auf die Maße eines eher weiblichen Körpers geschnitten sind. Besitzerin Mary Going ist Ende vierzig, identifiziert sich als Frau, ist mit einer Frau verheiratet, trägt gern Anzug und sieht mit ihren graumelierten Haaren und der makellos sitzenden Garderobe blendend aus. Auf die Idee für den Laden kam sie, als sie einen Anzug für die eigene Hochzeit suchte - nichts passte, also ließ sie sich einen teuren Maßanzug schneidern.
Sie habe sich großartig darin gefühlt, sagt Mary, und da habe sie sich gefragt, ob das nicht eine Geschäftsidee sein könnte. Über Kickstarter sammelte Geld ein, um die ersten Anzüge zu kaufen - und traf auf eine enorme Nachfrage. Zumal ihre Preise auf dem Niveau hochwertiger amerikanischer Herrenausstatter liegen - 900 Dollar für einen Anzug, 140 Dollar für ein Hemd. Bei einer Art Demo-Tour durch die USA bauten Mary und ihr Geschäftspartner temporäre Läden in 15 Städten auf - und eine Szene, sagt sie, die hätten sie immer wieder erlebt:
"In fast jeder Stadt, in der wir waren, stand jemand in unserem Laden und hat geweint. Denn sie waren nie zuvor die Kunden oder der Kunde, der erwartet wurde. Sie wurden toleriert, vielleicht auch zurückgewiesen. Aber nie erwartet. Wenn ein Laden sagt: Sie sind genau die Kundin oder der Kunde, den wir erwarten - das fühlt sich fantastisch an."