Lachen am Abgrund
Zehntausende syrische Flüchtlinge leben derzeit im Libanon, nicht in Lagern, sondern verteilt im ganzen Land. Einige von ihnen versuchen im Exil, sich mit Witz und Kreativität für ihre Heimat zu engagieren - immer in der Angst, auch dort vom syrischen Geheimdienst aufgespürt zu werden.
Ein Haus in Trümmern, daneben eine Fassade, von der die Balkone halb herunterhängen, zerstörte Autos und kaputte Schaufensterscheiben im Umkreis. Soldaten bewachen die abgesperrte Straße mit Maschinenpistolen in der Hand, Bauarbeiter räumen die Trümmer weg, ein Autobesitzer telefoniert mit seiner Versicherung.
Das Szenario erinnert an den libanesischen Bürgerkrieg in den 80er-Jahren - aber es ist neu. Vor einem Monat explodierte hier in Beirut eine Autobombe. Ziel des Anschlags war der Geheimdienstchef Wissam Hassan, mehrere Menschen starben.
Keine hundert Meter entfernt liegt der Sassineplatz, das Herz des christlichen Viertels Ashrafieh. Mehrere Cafés laden ein, sich ein wenig vom ständigen Verkehrschaos auszuruhen. Eins davon ist Ahmeds Stammcafé geworden. Der junge Syrer lebt seit über einem Jahr im Libanon – von hier aus unterstützt er die friedliche Opposition in seinem Land:
"Am Anfang ging es darum, den Kontakt zwischen syrischen Medienleuten und Fernsehsendern herzustellen. Danach haben wir versucht, den Jungs dort Ausbildung und Technik zu verschaffen. Dann hatten die meisten genug Erfahrung gesammelt und es gab eine große Nachfrage nach medizinischer Hilfe. Auch da habe ich lange Zeit mitgearbeitet. Wir haben Ausrüstung und Feldlazarette hingeschickt, das war ziemlich langwierig. Außerdem sind viele Flüchtlinge hier. Da gibt es manchmal humanitäre Aktionen, wie Hilfsmittel verteilen. Und die Medienarbeit geht immer weiter. Ich bin bis heute im Planungsbüro der lokalen Koordinierungskomitees, die organisieren ja die zivilen, friedlichen Aktionen."
Gemeinsam mit Gleichgesinnten versucht Ahmed, eine politische Initiative für die Zeit nach dem Sturz des Assad-Regimes aufzubauen. Für eine säkulare Demokratie wollen sie sich einsetzen und damit den stärker werdenden Islamisten etwas entgegenstellen. Bei all diesen Aktivitäten muss sich der 32-Jährige vor dem syrischen Geheimdienst in Acht nehmen – fünfeinhalb Jahre verbrachte er schon in syrischen Gefängnissen. Nur drei Wochen nach seiner Freilassung wurde er wegen seines politischen Engagements erneut von der Polizei gesucht:
"Meine Bekanntschaften haben immer etwas mit meiner Arbeit zu tun. Ich habe keine normalen sozialen Bekanntschaften. Und bei denen, die ich für meine Arbeit kennenlerne, bin ich natürlich vorsichtig. Ich muss mich immer vergewissern, ob sie vertrauenswürdig sind. Aber bisher ist mir noch nichts Gefährliches passiert."
Doch ein paar gute libanesische Freunde, die ihn unterstützen, hat Ahmed schon. Vor allem Intellektuelle und Künstler, sagt er. Die Durchschnittsbevölkerung erscheine ihm dagegen eher ablehnend:
"Ihre Solidarität ist nicht besonders toll: Manche, wie diese Gruppierungen aus Tripoli, unterstützen uns aus extremistischen religiösen Gründen. Das stört uns mehr als es uns hilft. Wir wollen gar nicht, dass die auf unserer Seite stehen. Hier im Viertel zum Beispiel gibt es eine Solidarität, hinter der ein gewisser Rassismus steckt, nach dem Motto: Wir hassen das syrische Regime, es hat uns viel angetan - aber das syrische Volk ist auch nicht gut.
Im Libanon gibt es keine unabhängigen Meinungen, alle richten sich nach einer Konfessionsgruppe oder einer politischen Strömung. Natürlich gibt es Leute, die uns helfen, aber das ist eine kleine Minderheit. Ich glaube, die meisten syrischen Aktivisten fühlen sich nicht wohl im Libanon. Immerhin leben wir hier, es ist nur nicht besonders entspannt. Nach dem Attentat auf Wissam Hassan bekamen viele Angst, manche sind sogar zurück nach Syrien gegangen."
Sagt der Regisseur Jamil. Er trifft sich heute mit zwei Schauspielern zu einer Probe in der Wohnung von Freunden in einer schicken Geschäftsstraße.
Lässig sitzen die drei auf den beiden alten Sofas in dem zusammengestückelt möblierten Wohnzimmer. Die Schauspieler Samir und Hurria haben Fotokopien in der Hand und tragen ihren Dialog vor – Jamil hört aufmerksam zu, unterbricht und ermuntert sie, engagierter zu sprechen und die Dramaturgie der Szene zu steigern.
Jamil, Samir und Hurria – die ihre echten Namen lieber verschweigen - gehören zu den Machern eines Puppentheaters. Unter dem Titel Top Goon veröffentlichen sie im Internet kleine Stücke, die die Lage in Syrien kritisch beleuchten. In einer Ecke des Wohnzimmers steht ein mit schwarzem Stoff bedecktes Lattengerüst bereit. Darauf liegen ihre Handpuppen mit großen Pappmachéköpfen. Jamil führt eine vor:
"Der Körper ist aus Stoff, den sich der Schauspieler über die Hand streift, hier sind die Hände der Puppe und so bewegt sie sich: zum Beispiel so: Hallo!"
In den Stücken von Top Goon wird Präsident Bashar al-Assad, kurz Bishu genannt, bitterböse karikiert. Er lacht albern, lispelt stärker noch als im Original und gesteht seinem Psychiater, dass Morden für ihn so schön sei, wie Essen und ihn der letzte Atemzug eines Menschen in Ekstase versetze.
Eine Folge des Internettheaters spielt an der Grenze, kurz vor einem Fluchtversuch. Dort will Hurria ihren Freund Samir davon überzeugen, dass er besser ins Ausland flieht als sich festnehmen oder umbringen zu lassen.
"Viele Aktivisten in Syrien sind in einer sehr gefährlichen Lage. Ein Freund von mir hat immer darauf bestanden, zu bleiben – jetzt ist er im Gefängnis und wir wissen nichts von ihm. Ich finde, es gibt da eine Grenze. Wenn man sich im eignen Land nicht mehr bewegen kann, kann man doch eine Zeit lang ins Ausland gehen, und dann zurückkehren – oder von dort aus weitermachen. Das Land ist nicht wichtig. Wichtig ist allein, für das gleiche Ziel weiter zu arbeiten."
Das Ziel der Aktivisten ist nicht nur der Sturz des Assad-Regimes, sondern ein neues politisches System, in dem alle ihre Rechte haben – was so manche Denkmuster sprengt, wie der Text zeigt, den Hurria und Samir gerade mit Jamil proben:
"Frau: Was hältst Du davon, wenn ich nach dem Erfolg der Revolution für das Amt der Präsidentin kandidiere?
Mann: Wie bitte? Du?!
Frau: Ja, ich.
Mann: Ein junge Frau, Angehörige einer Minderheit - Präsidentin der Republik? (lacht)
Frau: Mein Lieber, in einem Rechtstaat ist alles möglich."
Grundsätze einer zivilen Verfassung, Gewaltenteilung, Gleichberechtigung: mit einigem Humor werden diese grundlegenden Fragen in der kleinen Szene erörtert.
"Frau: Wieso, ist Merkel besser als ich?
Mann: Wer?
Frau: Mensch, die deutsche Kanzlerin.
Mann: Ja, die kenn ich.
Frau: Na, dann schau doch mal, wo Deutschland steht und wo wir stehen."
"Die Leute fürchten sich sehr vor dem, was nach dem Sturz des Regimes kommt - zumal jetzt, wo das Regime so schwach ist. Wir versuchen, über die Justiz in der Übergangsphase zu reden, über den Rechtsstaat, der die beste Wahl wäre für so ein multiethnisches und multireligiöses Land wie Syrien, einfach über die Dinge, von denen wir als junge Leute träumen. Hoffentlich werden sie Wirklichkeit."
Jamil glaubt an ein baldiges Ende des Assad-Regimes und ist grundsätzlich optimistisch, was die Zukunft seines Landes angeht. Das geht längst nicht allen Syrern im Libanon so.
"Ich persönlich bin pessimistisch. Meine Ironie, mein Lachen kommen vom Schmerz. Andere sind fröhlich und zufrieden. Es gibt zum Beispiel Leute, die fahren nach Aleppo und holen sich ein Auto. Die freuen sich, dass es zurzeit in Aleppo Autos umsonst gibt. Die Menschen sind eben unterschiedlich."
Rafik, der bei der Flüchtlingshilfe arbeitet, sitzt zusammen mit syrischen Freunden bei einem Glas Wein. Sie tauschen Neuigkeiten über die Lage vor Ort aus, diskutieren und spekulieren, was die nächsten Monate und Jahre bringen werden.
"Es wird noch dauern, bis das Regime fällt. Und wenn es gefallen ist, habe ich kein enormes Vertrauen in die Freie Syrische Armee oder darauf, dass es einen Rechtsstaat gibt. Ich sage mir, es wird zehn, 15 Jahre dauern, bis Syrien überhaupt wieder ein Staat wird."
Es wird ein langer Abend, an dem es um den wachsenden Einfluss islamistischer Gruppierungen geht, um Deserteure und Demonstranten, um Waffenpreise und darum, dass es besser wäre, zu sterben als den Folterern des Assad-Regimes in die Fänge zu geraten. Rafik erzählt, immer wieder durch Nachfragen der Gastgeber unterbrochen, von den Flüchtlingen, die er bei seiner Arbeit täglich in den Libanon kommen sieht:
"90 Prozent sind Arme. Die reicheren kommen nicht. Im Unterschied zur Türkei und anderswo ist es hier verboten, Lager aufzubauen. Auch die internationalen Hilfsorganisationen können bei dieser Menge an Menschen nicht viel helfen. Die Mieten sind teuer. Die Unterbringung hier im Libanon ist wirklich das Schwierigste."
Internationalen Schätzungen zufolge sind inzwischen rund 100.000 Syrer im Libanon gelandet - viele davon sind vorübergehend bei Verwandten untergekommen. Wirklich willkommen sind sie im Libanon allerdings nicht, meint der libanesische Politikwissenschaftler Karim el Mufti:
"Das Wort Flüchtling weckt schlechte Erinnerungen, man ist vor allem beunruhigt. Auch wenn Geschichte, Kontext und rechtlicher Status anders sind, stellt sich für die Libanesen wie bei den palästinensischen Flüchtlingen die Frage: Werden diese Flüchtlinge bleiben, werden sie das politische oder demografische Kräfteverhältnis verändern?"
Souad hat in Beirut ein regimekritisches Theaterstück aufgeführt. Doch irgendjemand hat das ihrem Arbeitgeber in Syrien verraten - nun kann sie nicht mehr zurück.
Sie sitzt im Wohnzimmer ihrer improvisierten Wohngemeinschaft in Beirut, eine Art Wintergarten, dessen große Fenster mit Decken zugehängt sind. Souad raucht, hört Flamencomusik, trinkt Matetee und erklärt, wie sie durch Schreiben ihr Exil verarbeiten will:
"Ich stelle in meinem Text Fragen über uns. Wo wir stehen, was wir gemacht haben. Es ist eine Auswertung all dessen, was passiert ist, wo unsere Fehler waren. Meiner Meinung müssen wir ein bisschen innehalten und nachdenken. Auch darüber, wie die Revolution sich bewaffnet hat. Obwohl ich von Anfang an wusste, dass eine friedliche Revolution in Syrien unmöglich ist."
Vielleicht hätte auch sie sich der sogenannten Freien Syrischen Armee angeschlossen, wenn das Regime ihren Bruder oder ihre Mutter getötet hätte, sagt Souad - fern läge ihr das nicht, bei all der militärischen Erziehung, die sie in der Schule erhalten habe.
Bis heute beschränkt sich die Alevitin auf ziviles Engagement in der Opposition. Mit Bekannten aus anderen Religionsgruppen hatte sie in Syrien eine Hilfsorganisation für Frauen aufgebaut. Deren Mitglieder gingen in Dörfer, boten Stickkurse an, entwarfen neue Modelle und verkauften die fertigen Handarbeiten, um den Frauen ein Einkommen zu verschaffen - und um gleichzeitig für ein Miteinander der verschiedenen Religionsgruppen zu werben. Dabei ging es ihr darum, den Menschen zu sagen, dass die Minderheit der Alawiten nicht mit dem Regime Assad gleichzusetzen sei, auch wenn der syrische Präsident selbst Angehöriger dieser Variante des Islams ist.
"Die Idee war, frühzeitig für den zivilen Frieden zu arbeiten. Zu Leuten zu gehen, die gefoltert wurden und davon überzeugt waren, dass das alawitische Regime sie gefoltert hat. Wir haben ihnen gesagt: Nein, das ist das Assad-Regime, nicht das der Alawiten. Die Alawiten sind – genau so wie ihr - ein Teil der syrischen Gesellschaft. Auch sie waren Diskriminierungen ausgesetzt. Wir haben von unseren Familien erzählt, was uns alles angetan wurde - nicht als Alawiten, sondern als syrische Oppositionelle."
Souad ist auch von Beirut aus im Kontakt mit der Hilfsorganisation. Sie kümmert sich um ausländische Finanzmittel, damit weiterhin Material gekauft werden kann - und damit den Frauen ihre Produkte abgenommen werden. Denn in Syrien selbst ist der Verkauf der Handarbeiten schwierig geworden.
Von den täglichen Nachrichten über Elend und Tod will sich Souad weder abstumpfen noch gefangen nehmen lassen.
"Ich bin mittlerweile ganz gegen Nothilfe. Ist doch nicht normal, die Aufgabe des Regimes zu erfüllen - Moment mal, das ist dessen Verantwortung. Sollen die Leute doch auf die Straße gehen, soll es doch einen Skandal geben. Wenn jeder Nothilfe organisiert, dann denkt keiner mehr nach. Dann überlegt man nur noch, wie Lebensmittel besorgt werden können, wo Milch oder Brot herkommt. Dann denkt keiner daran, was im In- oder Ausland passiert."
Der Journalist Fares sitzt in seiner karg möblierten Wohnung, die ihm auch als Büro dient, und zeigt einen Videoausschnitt auf seinem Laptop: Säcke voller Reis und Mehl sind zu sehen, die an Bedürftige verteilt werden sollen. Dann ein Verkäufer, der drei Kinder wegschickt, weil es keine Milch mehr gibt.
Fares will aus diesen Bildern, die ihm aus der syrischen Stadt Zabadani zugespielt wurden, einen kurzen Film machen und ihn an einen Nachrichtensender verkaufen. Anders als Souad ist ihm gerade das Thema Lebensmittelhilfe wichtig:
"So etwas wie hier sieht man nicht im Satellitenfernsehen. Die Sender wollen nur die militärische Seite zeigen, schießende Soldaten. Alle zehn Tage bringen sie mal was über die humanitäre Situation, damit man sie nicht kritisiert – aber jeden Tag gibt es Tausende humanitäre Notsituationen und darüber berichten sie nicht. Deswegen wollen wir die Berichterstattung ergänzen."
Ständig piepst der Laptop, um anzuzeigen, dass ein Freund online oder eine E-Mail eingetroffen ist. Der Journalist hat sich mit vielen anderen vernetzt, um die syrische Revolution in guten Bildern ins Fernsehen zu bringen – nicht mit verwackelten Handyaufnahmen, sondern mit professionell aufgenommenem Material, das in Beirut mit Regisseuren und Cuttern zu kurzen oder längeren Dokumentarfilmen verarbeitet wird.
In den kommenden Wochen soll in Beirut eine regimekritische CD veröffentlicht werden – noch wollen die Musiker nicht darüber reden. Aber jeder Videoclip des Puppentheaters Top Goon beginnt schon jetzt mit Revolutionsmusik. Nus Tofaha – halber Apfel heißt die Band und sie singt: "Wir wollen Syrien zusammen in Würde, Freiheit und Gerechtigkeit aufbauen." Und an Präsident Bashar al-Assad gerichtet: "Nein zum Tod und nein zur Erniedrigung – tritt ab!"
Das Szenario erinnert an den libanesischen Bürgerkrieg in den 80er-Jahren - aber es ist neu. Vor einem Monat explodierte hier in Beirut eine Autobombe. Ziel des Anschlags war der Geheimdienstchef Wissam Hassan, mehrere Menschen starben.
Keine hundert Meter entfernt liegt der Sassineplatz, das Herz des christlichen Viertels Ashrafieh. Mehrere Cafés laden ein, sich ein wenig vom ständigen Verkehrschaos auszuruhen. Eins davon ist Ahmeds Stammcafé geworden. Der junge Syrer lebt seit über einem Jahr im Libanon – von hier aus unterstützt er die friedliche Opposition in seinem Land:
"Am Anfang ging es darum, den Kontakt zwischen syrischen Medienleuten und Fernsehsendern herzustellen. Danach haben wir versucht, den Jungs dort Ausbildung und Technik zu verschaffen. Dann hatten die meisten genug Erfahrung gesammelt und es gab eine große Nachfrage nach medizinischer Hilfe. Auch da habe ich lange Zeit mitgearbeitet. Wir haben Ausrüstung und Feldlazarette hingeschickt, das war ziemlich langwierig. Außerdem sind viele Flüchtlinge hier. Da gibt es manchmal humanitäre Aktionen, wie Hilfsmittel verteilen. Und die Medienarbeit geht immer weiter. Ich bin bis heute im Planungsbüro der lokalen Koordinierungskomitees, die organisieren ja die zivilen, friedlichen Aktionen."
Gemeinsam mit Gleichgesinnten versucht Ahmed, eine politische Initiative für die Zeit nach dem Sturz des Assad-Regimes aufzubauen. Für eine säkulare Demokratie wollen sie sich einsetzen und damit den stärker werdenden Islamisten etwas entgegenstellen. Bei all diesen Aktivitäten muss sich der 32-Jährige vor dem syrischen Geheimdienst in Acht nehmen – fünfeinhalb Jahre verbrachte er schon in syrischen Gefängnissen. Nur drei Wochen nach seiner Freilassung wurde er wegen seines politischen Engagements erneut von der Polizei gesucht:
"Meine Bekanntschaften haben immer etwas mit meiner Arbeit zu tun. Ich habe keine normalen sozialen Bekanntschaften. Und bei denen, die ich für meine Arbeit kennenlerne, bin ich natürlich vorsichtig. Ich muss mich immer vergewissern, ob sie vertrauenswürdig sind. Aber bisher ist mir noch nichts Gefährliches passiert."
Doch ein paar gute libanesische Freunde, die ihn unterstützen, hat Ahmed schon. Vor allem Intellektuelle und Künstler, sagt er. Die Durchschnittsbevölkerung erscheine ihm dagegen eher ablehnend:
"Ihre Solidarität ist nicht besonders toll: Manche, wie diese Gruppierungen aus Tripoli, unterstützen uns aus extremistischen religiösen Gründen. Das stört uns mehr als es uns hilft. Wir wollen gar nicht, dass die auf unserer Seite stehen. Hier im Viertel zum Beispiel gibt es eine Solidarität, hinter der ein gewisser Rassismus steckt, nach dem Motto: Wir hassen das syrische Regime, es hat uns viel angetan - aber das syrische Volk ist auch nicht gut.
Im Libanon gibt es keine unabhängigen Meinungen, alle richten sich nach einer Konfessionsgruppe oder einer politischen Strömung. Natürlich gibt es Leute, die uns helfen, aber das ist eine kleine Minderheit. Ich glaube, die meisten syrischen Aktivisten fühlen sich nicht wohl im Libanon. Immerhin leben wir hier, es ist nur nicht besonders entspannt. Nach dem Attentat auf Wissam Hassan bekamen viele Angst, manche sind sogar zurück nach Syrien gegangen."
Sagt der Regisseur Jamil. Er trifft sich heute mit zwei Schauspielern zu einer Probe in der Wohnung von Freunden in einer schicken Geschäftsstraße.
Lässig sitzen die drei auf den beiden alten Sofas in dem zusammengestückelt möblierten Wohnzimmer. Die Schauspieler Samir und Hurria haben Fotokopien in der Hand und tragen ihren Dialog vor – Jamil hört aufmerksam zu, unterbricht und ermuntert sie, engagierter zu sprechen und die Dramaturgie der Szene zu steigern.
Jamil, Samir und Hurria – die ihre echten Namen lieber verschweigen - gehören zu den Machern eines Puppentheaters. Unter dem Titel Top Goon veröffentlichen sie im Internet kleine Stücke, die die Lage in Syrien kritisch beleuchten. In einer Ecke des Wohnzimmers steht ein mit schwarzem Stoff bedecktes Lattengerüst bereit. Darauf liegen ihre Handpuppen mit großen Pappmachéköpfen. Jamil führt eine vor:
"Der Körper ist aus Stoff, den sich der Schauspieler über die Hand streift, hier sind die Hände der Puppe und so bewegt sie sich: zum Beispiel so: Hallo!"
In den Stücken von Top Goon wird Präsident Bashar al-Assad, kurz Bishu genannt, bitterböse karikiert. Er lacht albern, lispelt stärker noch als im Original und gesteht seinem Psychiater, dass Morden für ihn so schön sei, wie Essen und ihn der letzte Atemzug eines Menschen in Ekstase versetze.
Eine Folge des Internettheaters spielt an der Grenze, kurz vor einem Fluchtversuch. Dort will Hurria ihren Freund Samir davon überzeugen, dass er besser ins Ausland flieht als sich festnehmen oder umbringen zu lassen.
"Viele Aktivisten in Syrien sind in einer sehr gefährlichen Lage. Ein Freund von mir hat immer darauf bestanden, zu bleiben – jetzt ist er im Gefängnis und wir wissen nichts von ihm. Ich finde, es gibt da eine Grenze. Wenn man sich im eignen Land nicht mehr bewegen kann, kann man doch eine Zeit lang ins Ausland gehen, und dann zurückkehren – oder von dort aus weitermachen. Das Land ist nicht wichtig. Wichtig ist allein, für das gleiche Ziel weiter zu arbeiten."
Das Ziel der Aktivisten ist nicht nur der Sturz des Assad-Regimes, sondern ein neues politisches System, in dem alle ihre Rechte haben – was so manche Denkmuster sprengt, wie der Text zeigt, den Hurria und Samir gerade mit Jamil proben:
"Frau: Was hältst Du davon, wenn ich nach dem Erfolg der Revolution für das Amt der Präsidentin kandidiere?
Mann: Wie bitte? Du?!
Frau: Ja, ich.
Mann: Ein junge Frau, Angehörige einer Minderheit - Präsidentin der Republik? (lacht)
Frau: Mein Lieber, in einem Rechtstaat ist alles möglich."
Grundsätze einer zivilen Verfassung, Gewaltenteilung, Gleichberechtigung: mit einigem Humor werden diese grundlegenden Fragen in der kleinen Szene erörtert.
"Frau: Wieso, ist Merkel besser als ich?
Mann: Wer?
Frau: Mensch, die deutsche Kanzlerin.
Mann: Ja, die kenn ich.
Frau: Na, dann schau doch mal, wo Deutschland steht und wo wir stehen."
"Die Leute fürchten sich sehr vor dem, was nach dem Sturz des Regimes kommt - zumal jetzt, wo das Regime so schwach ist. Wir versuchen, über die Justiz in der Übergangsphase zu reden, über den Rechtsstaat, der die beste Wahl wäre für so ein multiethnisches und multireligiöses Land wie Syrien, einfach über die Dinge, von denen wir als junge Leute träumen. Hoffentlich werden sie Wirklichkeit."
Jamil glaubt an ein baldiges Ende des Assad-Regimes und ist grundsätzlich optimistisch, was die Zukunft seines Landes angeht. Das geht längst nicht allen Syrern im Libanon so.
"Ich persönlich bin pessimistisch. Meine Ironie, mein Lachen kommen vom Schmerz. Andere sind fröhlich und zufrieden. Es gibt zum Beispiel Leute, die fahren nach Aleppo und holen sich ein Auto. Die freuen sich, dass es zurzeit in Aleppo Autos umsonst gibt. Die Menschen sind eben unterschiedlich."
Rafik, der bei der Flüchtlingshilfe arbeitet, sitzt zusammen mit syrischen Freunden bei einem Glas Wein. Sie tauschen Neuigkeiten über die Lage vor Ort aus, diskutieren und spekulieren, was die nächsten Monate und Jahre bringen werden.
"Es wird noch dauern, bis das Regime fällt. Und wenn es gefallen ist, habe ich kein enormes Vertrauen in die Freie Syrische Armee oder darauf, dass es einen Rechtsstaat gibt. Ich sage mir, es wird zehn, 15 Jahre dauern, bis Syrien überhaupt wieder ein Staat wird."
Es wird ein langer Abend, an dem es um den wachsenden Einfluss islamistischer Gruppierungen geht, um Deserteure und Demonstranten, um Waffenpreise und darum, dass es besser wäre, zu sterben als den Folterern des Assad-Regimes in die Fänge zu geraten. Rafik erzählt, immer wieder durch Nachfragen der Gastgeber unterbrochen, von den Flüchtlingen, die er bei seiner Arbeit täglich in den Libanon kommen sieht:
"90 Prozent sind Arme. Die reicheren kommen nicht. Im Unterschied zur Türkei und anderswo ist es hier verboten, Lager aufzubauen. Auch die internationalen Hilfsorganisationen können bei dieser Menge an Menschen nicht viel helfen. Die Mieten sind teuer. Die Unterbringung hier im Libanon ist wirklich das Schwierigste."
Internationalen Schätzungen zufolge sind inzwischen rund 100.000 Syrer im Libanon gelandet - viele davon sind vorübergehend bei Verwandten untergekommen. Wirklich willkommen sind sie im Libanon allerdings nicht, meint der libanesische Politikwissenschaftler Karim el Mufti:
"Das Wort Flüchtling weckt schlechte Erinnerungen, man ist vor allem beunruhigt. Auch wenn Geschichte, Kontext und rechtlicher Status anders sind, stellt sich für die Libanesen wie bei den palästinensischen Flüchtlingen die Frage: Werden diese Flüchtlinge bleiben, werden sie das politische oder demografische Kräfteverhältnis verändern?"
Souad hat in Beirut ein regimekritisches Theaterstück aufgeführt. Doch irgendjemand hat das ihrem Arbeitgeber in Syrien verraten - nun kann sie nicht mehr zurück.
Sie sitzt im Wohnzimmer ihrer improvisierten Wohngemeinschaft in Beirut, eine Art Wintergarten, dessen große Fenster mit Decken zugehängt sind. Souad raucht, hört Flamencomusik, trinkt Matetee und erklärt, wie sie durch Schreiben ihr Exil verarbeiten will:
"Ich stelle in meinem Text Fragen über uns. Wo wir stehen, was wir gemacht haben. Es ist eine Auswertung all dessen, was passiert ist, wo unsere Fehler waren. Meiner Meinung müssen wir ein bisschen innehalten und nachdenken. Auch darüber, wie die Revolution sich bewaffnet hat. Obwohl ich von Anfang an wusste, dass eine friedliche Revolution in Syrien unmöglich ist."
Vielleicht hätte auch sie sich der sogenannten Freien Syrischen Armee angeschlossen, wenn das Regime ihren Bruder oder ihre Mutter getötet hätte, sagt Souad - fern läge ihr das nicht, bei all der militärischen Erziehung, die sie in der Schule erhalten habe.
Bis heute beschränkt sich die Alevitin auf ziviles Engagement in der Opposition. Mit Bekannten aus anderen Religionsgruppen hatte sie in Syrien eine Hilfsorganisation für Frauen aufgebaut. Deren Mitglieder gingen in Dörfer, boten Stickkurse an, entwarfen neue Modelle und verkauften die fertigen Handarbeiten, um den Frauen ein Einkommen zu verschaffen - und um gleichzeitig für ein Miteinander der verschiedenen Religionsgruppen zu werben. Dabei ging es ihr darum, den Menschen zu sagen, dass die Minderheit der Alawiten nicht mit dem Regime Assad gleichzusetzen sei, auch wenn der syrische Präsident selbst Angehöriger dieser Variante des Islams ist.
"Die Idee war, frühzeitig für den zivilen Frieden zu arbeiten. Zu Leuten zu gehen, die gefoltert wurden und davon überzeugt waren, dass das alawitische Regime sie gefoltert hat. Wir haben ihnen gesagt: Nein, das ist das Assad-Regime, nicht das der Alawiten. Die Alawiten sind – genau so wie ihr - ein Teil der syrischen Gesellschaft. Auch sie waren Diskriminierungen ausgesetzt. Wir haben von unseren Familien erzählt, was uns alles angetan wurde - nicht als Alawiten, sondern als syrische Oppositionelle."
Souad ist auch von Beirut aus im Kontakt mit der Hilfsorganisation. Sie kümmert sich um ausländische Finanzmittel, damit weiterhin Material gekauft werden kann - und damit den Frauen ihre Produkte abgenommen werden. Denn in Syrien selbst ist der Verkauf der Handarbeiten schwierig geworden.
Von den täglichen Nachrichten über Elend und Tod will sich Souad weder abstumpfen noch gefangen nehmen lassen.
"Ich bin mittlerweile ganz gegen Nothilfe. Ist doch nicht normal, die Aufgabe des Regimes zu erfüllen - Moment mal, das ist dessen Verantwortung. Sollen die Leute doch auf die Straße gehen, soll es doch einen Skandal geben. Wenn jeder Nothilfe organisiert, dann denkt keiner mehr nach. Dann überlegt man nur noch, wie Lebensmittel besorgt werden können, wo Milch oder Brot herkommt. Dann denkt keiner daran, was im In- oder Ausland passiert."
Der Journalist Fares sitzt in seiner karg möblierten Wohnung, die ihm auch als Büro dient, und zeigt einen Videoausschnitt auf seinem Laptop: Säcke voller Reis und Mehl sind zu sehen, die an Bedürftige verteilt werden sollen. Dann ein Verkäufer, der drei Kinder wegschickt, weil es keine Milch mehr gibt.
Fares will aus diesen Bildern, die ihm aus der syrischen Stadt Zabadani zugespielt wurden, einen kurzen Film machen und ihn an einen Nachrichtensender verkaufen. Anders als Souad ist ihm gerade das Thema Lebensmittelhilfe wichtig:
"So etwas wie hier sieht man nicht im Satellitenfernsehen. Die Sender wollen nur die militärische Seite zeigen, schießende Soldaten. Alle zehn Tage bringen sie mal was über die humanitäre Situation, damit man sie nicht kritisiert – aber jeden Tag gibt es Tausende humanitäre Notsituationen und darüber berichten sie nicht. Deswegen wollen wir die Berichterstattung ergänzen."
Ständig piepst der Laptop, um anzuzeigen, dass ein Freund online oder eine E-Mail eingetroffen ist. Der Journalist hat sich mit vielen anderen vernetzt, um die syrische Revolution in guten Bildern ins Fernsehen zu bringen – nicht mit verwackelten Handyaufnahmen, sondern mit professionell aufgenommenem Material, das in Beirut mit Regisseuren und Cuttern zu kurzen oder längeren Dokumentarfilmen verarbeitet wird.
In den kommenden Wochen soll in Beirut eine regimekritische CD veröffentlicht werden – noch wollen die Musiker nicht darüber reden. Aber jeder Videoclip des Puppentheaters Top Goon beginnt schon jetzt mit Revolutionsmusik. Nus Tofaha – halber Apfel heißt die Band und sie singt: "Wir wollen Syrien zusammen in Würde, Freiheit und Gerechtigkeit aufbauen." Und an Präsident Bashar al-Assad gerichtet: "Nein zum Tod und nein zur Erniedrigung – tritt ab!"