Wir brauchen Lärmblitzer

Schluss mit der Lärmbelästigung in den Städten

Ein Motorradfahrer fährt über eine Landstraße oberhalb von Alken an der Mosel.
Lärm im öffentlichen Raum soll stärker geahndet werden, findet der Politikwissenschaftler Adrian Lobe. © picture alliance / dpa / Thomas Frey
Ein Kommentar von Adrian Lobe · 23.06.2022
Mit ihren Autos und Motorrädern sorgen Raser und Poser für gewaltigen Krach in den Städten. Dem will Frankreich mit "Lärmblitzern" und Bußgeldern zu Leibe rücken. Deutschland sollte diesem Vorbild folgen, meint der Politikwissenschaftler Adrian Lobe.
Als im März 2020 die Welt in den Lockdown ging, trauten Städter ihren Augen und Ohren nicht. Da klarte plötzlich das Wasser in den Lagunen von Venedig auf, streiften Wildtiere durch Paris, zwitscherten die Vögel in Manhattan. Der Motorenlärm der Autos verstummte, die Natur eroberte sich ihren Raum zurück.
Der Lockdown war ein Segen für den Artenschutz: Singvögel mussten nicht mehr gegen Presslufthammer von Baustellen anschreien, um mit ihren Artgenossen zu kommunizieren, und auch in den Meeren wurde es leiser: So zeigen wissenschaftliche Studien, dass Buckelwale sanftere Gesänge anstimmten, wo sie nicht mehr durch Schiffe gestört wurden.

Extreme Lärmbelästigung in Kairo und Karachi 

Doch die Stille in der Stadt war nur ein kurzes Intermezzo. Längst herrschen wieder Zustände wie vor dem Lockdown: In den Städten wummern Bässe, hupen Taxis, hämmern Baustellengeräte. Die Lärmbelastung in Metropolen wie Kairo und Karachi beträgt im Durchschnitt 85 Dezibel, phasenweise sogar 100 Dezibel. Das entspricht der Lautstärke eines Presslufthammers.
Zahlreiche Studien belegen: Lärm macht krank. Der Körper schüttet vermehrt das Stresshormon Cortisol aus, in der Folge kommt es zu Bluthochdruck und Herzkreislauferkrankungen. Verkehrslärm stellt ein erhebliches Gesundheitsrisiko für die Anwohner dar. Was also tun?

Lärm macht krank

Frankreich hat der Lärmverschmutzung den Kampf angesagt. In Städten wie Paris, Nizza und Toulouse wurden auf den Straßen akustische Radarstationen installiert. Die Messgeräte, die wegen ihrer Quallenform „Méduses“ genannt werden, sind mit einem System von Kameras, Mikrofonen und Sensoren ausgestattet, das Lärmverursacher lokalisiert und fotografiert.
Wer vor einem dieser Messgeräte mit seinem Motor aufheult und dabei – im Rahmen eines Toleranzbereiches – die Grenze von 72 Dezibel überschreitet, muss mit einem Bußgeld von 135 Euro rechnen. Noch befindet sich das System in der Testphase, doch längst spricht man auch im Ausland darüber.
Denn auch hierzulande ist Lärm ein großes Ärgernis. Laubbläser scheuchen Tiere auf, Motorradfahrer knattern über einsame Landstraßen und durch abgelegene Dörfer und stören Anwohner. In den Städten lassen Auto-Poser mit ihren hochgetunten Brüllmotoren und Auspuffanlagen nicht nur den Asphalt vibrieren. Mitglieder dieser Tuning-Szene nutzen den öffentlichen Raum, als wäre er ihre private Formel-1-Strecke. Die Motoren lärmen nicht nur, sie stinken auch und verpesten mit ihren Abgasen die Umwelt.

Auch in Deutschland brauchen wir Lärmblitzer

Es ist schon seltsam: Da muss die Polizei wegen jeder kleinsten Ruhestörung ausrücken, weil sich Nachbarn über eine Party beschweren, wird man geblitzt, wenn man in der Tempo-30-Zone zehn Stundenkilometer zu schnell fährt. Doch die Raser und Poser auf Motorrädern und in Autos kommen meist ungeschoren davon. Die Behörden sind viel zu lax im Umgang mit echten Verkehrsrowdys. Einzelne Verkehrskontrollen und Hinweisschilder reichen nicht aus. Gegen diesen Missbrauch des öffentlichen Raums braucht es ein schärferes Vorgehen. Das heißt: mehr Kontrollen und höhere Strafen.
Die Lärmblitzer aus Frankreich könnten auch ein Vorbild für Deutschland sein. Damit schlüge man zwei Fliegen mit einer Klappe: Zum einen würde man die Krawallbrüder zur Räson bringen und den Straßenverkehr zivilisieren. Zum anderen würde man eine neue Geldquelle für die klammen öffentlichen Kassen erschließen. Wer auf wummernde Bässe und röhrende Auspuffanlagen steht, kann gerne in die Disco oder auf die Go-Kart-Bahn gehen. Der öffentliche Raum ist dafür der falsche Ort. Denn auch Städter haben ein Recht auf Ruhe.

Adrian Lobe, Jahrgang 1988, hat in Tübingen, Heidelberg und Paris Politik- und Rechtswissenschaft studiert. Seit 2014 arbeitet er als freier Journalist für diverse Medien im deutschsprachigen Raum, u. a. „Die Zeit“, „NZZ“, „Süddeutsche Zeitung“. 2016 wurde er für seine Artikel über Datenschutz und Überwachung mit dem Preis des Forschungsnetzwerks „Surveillance Studies“ ausgezeichnet. Er ist zudem Träger des Georg von Holtzbrinck Preises für Wissenschaftsjournalismus. Im August erscheint bei C.H. Beck sein neues Buch „Mach das Internet aus, ich muss telefonieren“.

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