Lafcadio Hearn: "Chita"

Ein mörderischer Wirbelsturm

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Die Stille der Reisfelder beschreibt Hearn in seinem Roman. © picture alliance / dpa / Alexandra Schuler
Von Peter Urban-Halle |
1886 erinnert sich ein Dichter mit dem sonderbaren Namen Lafcadio Hearn an eine Geschichte seines amerikanischen Kollegen George W. Cable: Aus Cables Erzählung schuf Hearn "Chita. Eine Erinnerung an Last Island", bestürzend dramatisch, prall und farbig: jetzt neu übersetzt.
Am 10. August 1856 verwüstete ein Wirbelsturm die der Stadt New Orleans vorgelagerten Inseln im Golf von Mexiko. Er verschlang buchstäblich das Land, zerriss Inseln und trug, wie es heißt, „einen riesigen fahlen Strom Leichen durch die Nacht für immer davon ..." Unter anderem ertrinken in den entfesselten Fluten 400 Gäste eines eleganten Hotels, die die beunruhigenden Vorzeichen des Sturms ignorieren und ähnlich wie später im Fall der "Titanic" einfach weitertanzen.
Die Sprache, mit der Hearn Meer und Landschaft beschreibt, ist farbig, wuchtig, schwül, die Stille der Reisfelder ist „ungeheuer", der Glanz des Meeres „grandios": Hearn ist kein Mann der leisen Töne. Seine Sprache kennt keine Bedenken, entspricht aber anscheinend nicht nur ihm selbst, sondern auch der beschriebenen Gegend; zum Beispiel erkennen wir die sich windenden Wasserwege in den sich windenden Sätzen.
Die Schilderung einer monumentalen, übermenschlichen Natur erinnert an die heroischen Gemälde von Cole, Church oder Eakins, die im 19. Jahrhundert den amerikanischen Mythos begründen. Da jedoch seine Sprache authentisch wirkt, haben wir nie den Eindruck, sie sei trivial oder kitschig. Wir sind ein wenig benommen, das schon, und werden es immer mehr mit jeder Seite, die wir verschlingen wie dieser Sturm damals die Küste. „Wo der Schund die Schönheit küsst", schrieb der Kritiker Rolf Vollmann, „lullt die Skepsis in Schlaf wie mit zehntausend Harfen." Damit meinte er Victor Hugo.
Sprachlich ein Meisterwerk
Und an Victor Hugo muss hier jeder denken, besonders an dessen Roman „Der Mann mit dem Lachen". Hearn schreibt ebenso dramatisch wie Hugo, sein Sturm erreicht locker das Niveau desjenigen, den Hugo beschreibt, ja, der Keim dieser schmalen Novelle von Lafcadio Hearn entspricht dem des riesigen Hugo-Romans: Ein kleines Mädchen (bei Hearn ist es vier Jahre alt) wird im Unwetter neben seiner toten Mutter geborgen und von Zieheltern aufgezogen. Und der Vater dieser kleinen Chita, ist er auch tot?
Lafcadio Hearns Geschichte ist so abenteuerlich wie sein Leben. Er wurde 1850 auf einer griechischen Insel geboren, der Vater war Brite, die Mutter Griechin, ein echtes Familienleben kam nie zustande, die Eltern trennten sich, der kleine Sohn sah beide praktisch nie wieder und wuchs bei einer Tante auf. Er durchstreifte die Welt, kam nach Amerika und später nach Japan, wo er 1904 starb.
Alexander Pechmann hat uns ein informatives Nachwort geliefert. Als Übersetzer kennt er leider nicht die Regel, dass Appositionen mit dem Kasus des übergeordneten Nomens übereinstimmen müssen, aber das ist Mäkelei, denn seine deutsche Version ist furios. Die Konstruktion dieses kleinen Romans hat Schwächen, es ist, als hätte der Text seine endgültige Form noch nicht ganz gefunden. Die Exposition ist zu lang, die Novelle bricht etwas unbefriedigend ab. Aber sprachlich ist sie ein Meisterwerk. Etwas salopp formuliert: ganz großes Kino!

Lafcadio Hearn: "Chita. Eine Erinnerung an Last Island"
Aus dem Englischen und mit einem Nachwort von Alexander Pechmann
Jung und Jung, Salzburg 2015
135 Seiten. 17,90 Euro

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