"Lage normal, alles im Eimer"
"Snafu" steht für: "Lage normal, alles im Eimer" - dieser scheinbare Widerspruch ist ein sehr direkter Hinweis darauf, dass man Sachverhalte durch geschickte sprachliche Maskierung in ihr Gegenteil verkehren kann. Kein Wunder, dass Künstler in ihren Arbeiten schon bald diesen Widerspruch thematisierten und künstlerisch überhöhten. Eine Schau in der Hamburger Kunsthalle zeigt nun eine Auswahl von Arbeiten zum Phänomen "Snafu".
Der Militärjargon bezeichnet mit der Abkürzung "snafu" ein Prinzip, demzufolge Entscheidungen innerhalb von Kommandostrukturen dazu neigen, ihren Bezug zur Wirklichkeit zu verlieren, es entsteht eine sogenannte "situation normal: all fucked up”. Im Laufe der 1970er Jahre wurde "snafu" zum geflügelten Wort für die Kriegssituation in Vietnam. Robert Anton Wilson und Robert Shea machten in ihrer Erzählung Illuminatus-Trilogie (1975) aus dem Begriff den Baustein für eine esoterische Verschwörungstheorie.
Zusammen mit Themen wie Liberalisierung oder Emanzipation, Drogenerfahrung, Jugendkultur, Rock und Pop oder sexuelle Revolution werden "snafu"-Motive in zahlreichen Videoarbeiten seit den sechziger Jahren aufgenommen. Mit Arbeiten aus der eigenen Sammlung von Francis Alÿs, Kutlug Ataman, Lutz Dammbeck, Korpys & Löffler, Bruce Nauman, Otto Mühl, Andy Warhol zeigt die Kunsthalle Hamburg, wie eine neues Bild- und Tonmedium, das eigentlich zur Überwachung gedacht war, von Künstlern gegen den Strich gebürstet wurde. Nach dieser politischen Phase trugen die Entwicklung zum Massenmedium und das Musikvideo wesentlich zur Verfransung der Videokunst mit den Alltagskulturen bei.
Wird es für den Menschen gefährlich, kommen Videokameras und Computer zum Einsatz. So lautet die scheinbar humane Logik der Militärs. Denn schlägt die von Kameras gesteuerte 'intelligente' Bombe im Ziel ein, muß kein vorgeschobener Beobachter mehr um sein Leben fürchten. Geopfert wird nur noch das künstliche Auge in der Spitze der Lenkwaffe. Die Bedrohung für den zivilen Rest der Menschheit aber wächst - und genau das macht Elmar Hesse mit seiner Videoinstallation "Freedom is not for free" unüberhörbar deutlich:
"Diese latente Bedrohung, hier rechts die Soldaten, die losmarschieren voller Elan- und im Hintergrund immer dieses leise drohende Hämmern der Hubschrauber, die wir alle - ich auch noch in meiner Generation - als Bedrohung begriffen haben."
Zur "Apocalypse now"-Musik der "Doors", mit Anklängen an den Vietnamkrieg, konstruiert und dekonstruiert Hess auf fünf Leinwänden nebeneinander eine Geschichte vom Soldaten, der antritt eine Frau zu erobern. Ganze Kolonnen von GIs rücken vor auf dieses roboterhaft schöne Wesen, das - von Parfümwolken umflort, vor die mit mächtigen Objektivrohren bestückten Kameras eines Werbefotografen tritt. Da vermählen sich, Video macht’s möglich, Propaganda und Publicity:
Elmar Hesse: "Für mich ist es gar nicht so wichtig, ob man ein Bild sieht, ein Video sieht oder eine Skulptur sieht. Mir geht es um Inhalte. Und wenn man inhaltlich sich diese Sache genauer ansieht, wird man merken, dass da die Medien bis zum Anschlag auseinander genommen werden."
Diese ästhetische Analyse - ebenfalls präsent in Bruce Naumans Körperexerzitien vor laufender Kamera - ist der eine, der konventionelle Pol der Hamburger Ausstellung. Spannend aber wird diese in doppelter Hinsicht aufregende, weil ebenso sehenswerte wie auch fragwürdige Geschichte der Videokunst durch eine radikale Verschwörungstheorie, wie sie Lutz Dammbeck vertritt. Er hat die Waldhütte von Ted Kaczynski nachgebaut, der als Una-Bomber Attentate gegen Internetgurus und Propheten der multimedialen Computerzukunft beging:
"Hier haben wir nun einen Herren, der also hochintelligent- IQ 170 - schon Anfang der sechziger Jahre, wo Leute wie Warhol begannen einzusteigen mit dem Buch "Cybernetics" auf dem Nachttisch, ist der ausgestiegen. Und hat schon damals, Anfang der Siebziger formuliert, dass das in eine Sackgasse führt, dass das nicht zum Positiven führt, sondern dass die negativen Anteile dieser Entwicklung überwiegen werden."
Durch ein Loch in der Hüttenwand ist ein früher Drogenversuch des US-Militärs zu sehen: Eine Katze, behandelt mit LSD, nimmt vor der kleinsten Maus Reißaus. Auf den Tierversuch folgten Tests an Menschen - und Kacynski, so Dammbeck, war einer der Probanden - und dann Opfer jener Kollegen, die um dieselbe Zeit die Grundlagen des weltweiten Internet schufen, wiederum im Auftrag des Militärs. Ganz normal also - aber am Ende doch ziemlich daneben: Situation normally, all fucked up - ein Vorzeige-Snafu für Kurator Frank Barth:
"Das ist auch das Interessante, wenn man sich mit Bildern beschäftigt: Was ist Realität, was ist Fiktion, kann man das eine vom anderen überhaupt sauber unterscheiden? Und das sind so die ganzen Geschichten, die für uns mit diesem Begriff zusammenhängen."
Was ist dran an den Bildern, wo bedeuten sie noch Kommunikation und wo beginnt das Missverständnis? An dieser Frage entzweiten sich schon 1964 der Wiener Aktionskünstler Otto Mühl und der Filmer Kurt Kren. Im Stakkato der Cut-Up-Bildschnitte, ganz in der Art späterer Heart-beat-Videoclips, hatte Kren Mühls barocker Orgienschau eine ganz neue Richtung gegeben - die Dammbeck aber ebenfalls als großen Irrtum zurückweist:
"Dieses Utopiepotential ist ja hier links und rechts ganz klar noch zu sehen, mit den Installationen, namentlich mit dieser Warhol-Arbeit und selbst bei den Wiener Aktionisten, wo man der naiven Meinung war, man könnte mit Drogen, man könnte mit Technologie Bewusstseinserweiterung und damit eine bessere Welt kreieren."
Und tatsächlich muss von heute aus gesehen, mit medienarchäologischem Blick, Andy Warhols "Exploding Plastic Inevitable" von 1966 neu bewertet werden, vermutet Kurator Dirck Möhlmann:
"Man kann schon sagen: Was heute als Standardausstattung zu einer Diskothek gehört, Stroboskop, Glitter- oder Discokugel, oder dann auch bewegte Bilder - bewegte Bilder sind ja mittlerweile in jedem drittklassigen Restaurant eingezogen - das hat damals bei Warhol mit Velvet Underground und der Factory zusammen seinen Ursprung genommen."
Selbst bei den heute harmlos anmutenden Vergnügungen der New Yorker Szene um Warhol und Co. vermutet Dammbeck jedoch eine Verschwörung:
"Bewusstseinsüberwachung, Übersteuerung durch Elektronik ist natürlich nicht nur auf dem Feld des Militärs, sondern auch im Feld der Kunst zuerst getestet worden. Selbst die Hippie-Bewegung ist ja auch nichts weiter wie eine Teststrecke für white rats."
Die Reaktionen der white rat, der Laborratte, wird in der Arbeit von Jeanne Faust ad absurdum geführt. Lou Castel, ein Fassbinder-Schauspieler, verweigert ein Interview, rekonstruiert es dann aber nachträglich mit der Regisseurin. Also das Gegenteil des Pawlowschen Prominenten-Reflexes im Angesicht laufender Kameras, erklärt Dirck Möhlmann:
"Lou Castel, ein sehr lebensweiser, sehr eigenwilliger Herr, lässt die junge Regisseurin an vielen Ecken auflaufen und mit einem charmanten Unterton in der Stimme ins Leere laufen. Also etwas, wo die beiden Pole dieser Ausstellung 'snafu', die sich eigentlich mit dem Scheitern in hierarchischen Strukturen beschäftigt, dann auf der künstlerischen Ebene wieder zu einem gelungenen Gespräch, zu einem gelungenen Werk werden kann."
Service:
Die Ausstellung "SNAFU. Medien, Mythen, Mind Control” ist noch bis zum 5. Juni 2006 in der Hamburger Kunsthalle zu sehen.
Zusammen mit Themen wie Liberalisierung oder Emanzipation, Drogenerfahrung, Jugendkultur, Rock und Pop oder sexuelle Revolution werden "snafu"-Motive in zahlreichen Videoarbeiten seit den sechziger Jahren aufgenommen. Mit Arbeiten aus der eigenen Sammlung von Francis Alÿs, Kutlug Ataman, Lutz Dammbeck, Korpys & Löffler, Bruce Nauman, Otto Mühl, Andy Warhol zeigt die Kunsthalle Hamburg, wie eine neues Bild- und Tonmedium, das eigentlich zur Überwachung gedacht war, von Künstlern gegen den Strich gebürstet wurde. Nach dieser politischen Phase trugen die Entwicklung zum Massenmedium und das Musikvideo wesentlich zur Verfransung der Videokunst mit den Alltagskulturen bei.
Wird es für den Menschen gefährlich, kommen Videokameras und Computer zum Einsatz. So lautet die scheinbar humane Logik der Militärs. Denn schlägt die von Kameras gesteuerte 'intelligente' Bombe im Ziel ein, muß kein vorgeschobener Beobachter mehr um sein Leben fürchten. Geopfert wird nur noch das künstliche Auge in der Spitze der Lenkwaffe. Die Bedrohung für den zivilen Rest der Menschheit aber wächst - und genau das macht Elmar Hesse mit seiner Videoinstallation "Freedom is not for free" unüberhörbar deutlich:
"Diese latente Bedrohung, hier rechts die Soldaten, die losmarschieren voller Elan- und im Hintergrund immer dieses leise drohende Hämmern der Hubschrauber, die wir alle - ich auch noch in meiner Generation - als Bedrohung begriffen haben."
Zur "Apocalypse now"-Musik der "Doors", mit Anklängen an den Vietnamkrieg, konstruiert und dekonstruiert Hess auf fünf Leinwänden nebeneinander eine Geschichte vom Soldaten, der antritt eine Frau zu erobern. Ganze Kolonnen von GIs rücken vor auf dieses roboterhaft schöne Wesen, das - von Parfümwolken umflort, vor die mit mächtigen Objektivrohren bestückten Kameras eines Werbefotografen tritt. Da vermählen sich, Video macht’s möglich, Propaganda und Publicity:
Elmar Hesse: "Für mich ist es gar nicht so wichtig, ob man ein Bild sieht, ein Video sieht oder eine Skulptur sieht. Mir geht es um Inhalte. Und wenn man inhaltlich sich diese Sache genauer ansieht, wird man merken, dass da die Medien bis zum Anschlag auseinander genommen werden."
Diese ästhetische Analyse - ebenfalls präsent in Bruce Naumans Körperexerzitien vor laufender Kamera - ist der eine, der konventionelle Pol der Hamburger Ausstellung. Spannend aber wird diese in doppelter Hinsicht aufregende, weil ebenso sehenswerte wie auch fragwürdige Geschichte der Videokunst durch eine radikale Verschwörungstheorie, wie sie Lutz Dammbeck vertritt. Er hat die Waldhütte von Ted Kaczynski nachgebaut, der als Una-Bomber Attentate gegen Internetgurus und Propheten der multimedialen Computerzukunft beging:
"Hier haben wir nun einen Herren, der also hochintelligent- IQ 170 - schon Anfang der sechziger Jahre, wo Leute wie Warhol begannen einzusteigen mit dem Buch "Cybernetics" auf dem Nachttisch, ist der ausgestiegen. Und hat schon damals, Anfang der Siebziger formuliert, dass das in eine Sackgasse führt, dass das nicht zum Positiven führt, sondern dass die negativen Anteile dieser Entwicklung überwiegen werden."
Durch ein Loch in der Hüttenwand ist ein früher Drogenversuch des US-Militärs zu sehen: Eine Katze, behandelt mit LSD, nimmt vor der kleinsten Maus Reißaus. Auf den Tierversuch folgten Tests an Menschen - und Kacynski, so Dammbeck, war einer der Probanden - und dann Opfer jener Kollegen, die um dieselbe Zeit die Grundlagen des weltweiten Internet schufen, wiederum im Auftrag des Militärs. Ganz normal also - aber am Ende doch ziemlich daneben: Situation normally, all fucked up - ein Vorzeige-Snafu für Kurator Frank Barth:
"Das ist auch das Interessante, wenn man sich mit Bildern beschäftigt: Was ist Realität, was ist Fiktion, kann man das eine vom anderen überhaupt sauber unterscheiden? Und das sind so die ganzen Geschichten, die für uns mit diesem Begriff zusammenhängen."
Was ist dran an den Bildern, wo bedeuten sie noch Kommunikation und wo beginnt das Missverständnis? An dieser Frage entzweiten sich schon 1964 der Wiener Aktionskünstler Otto Mühl und der Filmer Kurt Kren. Im Stakkato der Cut-Up-Bildschnitte, ganz in der Art späterer Heart-beat-Videoclips, hatte Kren Mühls barocker Orgienschau eine ganz neue Richtung gegeben - die Dammbeck aber ebenfalls als großen Irrtum zurückweist:
"Dieses Utopiepotential ist ja hier links und rechts ganz klar noch zu sehen, mit den Installationen, namentlich mit dieser Warhol-Arbeit und selbst bei den Wiener Aktionisten, wo man der naiven Meinung war, man könnte mit Drogen, man könnte mit Technologie Bewusstseinserweiterung und damit eine bessere Welt kreieren."
Und tatsächlich muss von heute aus gesehen, mit medienarchäologischem Blick, Andy Warhols "Exploding Plastic Inevitable" von 1966 neu bewertet werden, vermutet Kurator Dirck Möhlmann:
"Man kann schon sagen: Was heute als Standardausstattung zu einer Diskothek gehört, Stroboskop, Glitter- oder Discokugel, oder dann auch bewegte Bilder - bewegte Bilder sind ja mittlerweile in jedem drittklassigen Restaurant eingezogen - das hat damals bei Warhol mit Velvet Underground und der Factory zusammen seinen Ursprung genommen."
Selbst bei den heute harmlos anmutenden Vergnügungen der New Yorker Szene um Warhol und Co. vermutet Dammbeck jedoch eine Verschwörung:
"Bewusstseinsüberwachung, Übersteuerung durch Elektronik ist natürlich nicht nur auf dem Feld des Militärs, sondern auch im Feld der Kunst zuerst getestet worden. Selbst die Hippie-Bewegung ist ja auch nichts weiter wie eine Teststrecke für white rats."
Die Reaktionen der white rat, der Laborratte, wird in der Arbeit von Jeanne Faust ad absurdum geführt. Lou Castel, ein Fassbinder-Schauspieler, verweigert ein Interview, rekonstruiert es dann aber nachträglich mit der Regisseurin. Also das Gegenteil des Pawlowschen Prominenten-Reflexes im Angesicht laufender Kameras, erklärt Dirck Möhlmann:
"Lou Castel, ein sehr lebensweiser, sehr eigenwilliger Herr, lässt die junge Regisseurin an vielen Ecken auflaufen und mit einem charmanten Unterton in der Stimme ins Leere laufen. Also etwas, wo die beiden Pole dieser Ausstellung 'snafu', die sich eigentlich mit dem Scheitern in hierarchischen Strukturen beschäftigt, dann auf der künstlerischen Ebene wieder zu einem gelungenen Gespräch, zu einem gelungenen Werk werden kann."
Service:
Die Ausstellung "SNAFU. Medien, Mythen, Mind Control” ist noch bis zum 5. Juni 2006 in der Hamburger Kunsthalle zu sehen.