Höllensause neben dem Schweinestall
Schon seit einigen Jahren wird das Prignitz-Örtchen Klein Leppin zum Opernfestspielort. Im ehemaligen Schweinestall konnten Besucher erleben, wie das gesamte Dorf Jacques Offenbachs "Orpheus in der Unterwelt" inszenierte. Ähnliches geschieht sei Jahren in Netzeband im Oderbruch.
Festspielhaus Klein Leppin: Jacques Offenbach/Orpheus in der Unterwelt
In Jacques Offenbachs satirischer Operette will Orpheus nichts mehr als seine Frau Eurydike loswerden, allein: die öffentliche Meinung zwingt ihn, sie zurückhaben zu wollen.
Die Kostüm- und Bühnenbildner vom "Karpatentheater" (Karla Fehlenberg, Ivan Bazack,Aurel Lenfert) haben dafür hinter dem Klein Leppiner "Festspielhaus", das früher ein großer Schweinestall war, eine Arena aufgebaut. Ein großes Rund für 400 Zuschauer, in der Mitte die Bühne, an der Seite erhöht auf einem überdachten Podium sitzt das 28-köpfige Orchester, viele Berufsmusiker aus Berliner Orchestern machen mit – aus Freude an der Sache.
Steffen Tast, im Hauptberuf Geiger beim RSO Berlin, ist einer der Initiatoren von "Dorf macht Oper e.V." - und als Dirigent ein inspirierender Leiter: 48 Sängerinnen und Sänger umfasst der Klein Leppiner Opernchor, 13 Solisten braucht die Handlung.
Allesamt junge Sänger, viele kommen von der Universität der Künste in Berlin, und sie machen ihre Sache auch bei schwierigen akustischen Bedingungen sehr gut: etwa Alexander Fedorov in der Titelrolle, Rebecca Koch als seine Eurydike, Kathleen Brandhofer als Öffentliche Meinung, Daniel Wunderling als Jupiter und Rui dos Santos als Pluto.
Und wunderbar spielfreudig sind sie: Die Inszenierung von Mira Ebert verlangt ihnen viel ab. Sie verlegt die Handlung in die Gegenwart, aus den Göttern des Olymps werden die Damen und Herren der Vorstandsetagen, die den Aufstand wagen gegen ihren Chef. Der anspruchsvollen Vorlage wird die Aufführung beeindruckend gut gerecht. Vor allem deshalb, weil man ständig merkt, dass hier nicht einfach nur städtische Kultur adaptiert, sondern von allen Beteiligten in monatelanger Arbeit etwas Gemeinsames, Neues geschaffen wurde.
Eine Aufführung, die sich mit dem Stück ernsthaft auseinandersetzt, den Feinheiten der Offenbach’schen Ironie folgt - und die während der Probenarbeit auch zu einer "1.Leppiner Weltausstellung" führte: Leppiner Kinder zeigen darin die Ergebnisse ihres Herumexperimentierens mit dem griechischen Mythos...
Und wenn zuletzt das gesamte Ensemble mit dem Publikum in die Unterwelt zieht, nämlich auf eine nahegelegene Festwiese - dann entwickelt sich das Spiel zur wahren Höllensause: mit einem Cancan, der das halbe Dorf auf den Tanzboden bringt, von Sven Seeger glänzend choreographiert. Das Ensemble wird zum Star, Klein Leppin rockt Offenbach. Herrlich.
Theatersommer Netzeband: Dylan Thomas/Unter dem Milchwald (Wiederaufnahme 26.6.)
"Unter dem Milchwald" schrieb Dylan Thomas zunächst als Hörspiel, als Theaterstück wurde es 1958 uraufgeführt. Ein poetisch verdichteter Text, der das Alltagsleben der fiktiven walisischen Küstenstadt Llaregubb mit schillernder Intensität beschreibt, der erzählt von den Sorgen wie den Freuden der Stadtbewohner, Liebe und Ehebruch, Neid, Angst, Missgunst, Sehnsüchte und Eifersüchte; Verstorbene werden lebendig, Wünsche gehen in Erfüllung, Erinnerungen werden wach: ein kleines Welttheater.
Im brandenburgischen Netzeband wird das Stück seit 1996 gegeben: gespielt im ehemaligen "Gutspark" vom Netzebander Synchrontheater. 53 Personen hat das Stück, und also sind es 53 Puppen, Masken, kleine bewegliche Skulpturen: zwei, drei, vier Meter hoch, werden sie von 15 Spielern geführt, allesamt Einwohner von Netzeband. Sie haben die Puppen auch unter Anleitung erfahrener Maskenbildner gebaut, geklebt, bemalt, behängt mit allem Möglichen.
In der Abenddämmerung dargeboten vor einem Wald aus Eschen und Eichen, entwickelt der Text von Dylan Thomas eine enorme Intensität. Von Schauspielern eingesprochen, kommt er vom Band – dringt überall aus dem Wald heraus, ist dabei exzellent zu verstehen, mischt sich mit den Vögeln und dem Baumrauschen – auch im 19. Jahr hat die Aufführung nichts von ihrer großen Wirkung verloren.