Laird Hunt: Die Zweige der Esche
Roman. Aus dem Englischen von Kathrin Razum.
btb Verlag, München 2017, 288 Seiten, 18 Euro
Der lange Schatten der Gewalt
Eine junge Frau zieht als Mann verkleidet in den Amerikanischen Bürgerkrieg: Laird Hunt zeigt in seinem Roman Nahaufnahmen des Krieges und schildert, wie Angst und Gewalt über Generationen hinweg fortwirken.
So lange es Literatur gibt, haben Menschen vom Krieg erzählt. Ebenso alt ist die Skepsis, ob Dichter und Geschichtsschreiber der Wirklichkeit gerecht werden. "Bei vielen davon kriegt man den Eindruck, es wären nur Captains und Colonels und Generäle gewesen, die einander in einen trefflichen Angriff nach dem anderen führten", heißt es in Laird Hunts Roman. "So, wie es dargestellt wurde, hätte man am liebsten dabei sein wollen (…), sich geradewegs aus der Hose schießen lassen, nur um in die Geschichte einzugehen."
Die Erzählerin des Romans war dabei: Die Farmerin Constance Thompson zieht Männerhosen an und meldet sich freiwillig zur Armee, als Nord- und Südstaaten der USA im Sezessionskrieg liegen. Unter ihrem Tarnnamen Ash wird sie als Kriegsheld besungen. Im Zelt schreibt sie heimlich an ihren Ehemann. Unerkannte Soldatinnen wie sie gab es tatsächlich. Laird Hunt hat ihre Briefe gelesen. Für seinen Roman zog er Studien über das Schicksal der Kämpferinnen heran.
Mit Säbeln und Pistolen gegen moderne Geschütze
"Die Zweige der Esche" handelt nicht von den politischen Hintergründen des Amerikanischen Bürgerkriegs. Selbst der Lage der Sklaven gilt nur ein Blick aus dem Augenwinkel. Im Zentrum steht die Erfahrung einzelner Soldaten an der Front. In verdichteten Miniaturen schildert Hunt das Leben im Feldlager, Kämpfe, in denen Reiter mit Säbeln und Pistolen auf moderne Geschütze treffen, zerschossene Städte, verwüstete Landschaften.
Der Geschlechtertausch sorgt dabei nicht nur für ein Spannungsmoment. Indem der Autor den Krieg aus der Sicht von Ash/Constance beschreibt, nimmt er vertraute Rollenmuster auseinander und setzt sie neu zusammen. "Männlich" und "weiblich" werden so zu Etiketten, auf die kein Verlass ist. Sie können täuschen, wechseln und am komplementären Geschlecht besser haften als an dem, das sie ausweisen.
Eine treffsichere Übersetzung ins Deutsche
All das geschieht ohne jede Spur von akademischem Gender-Jargon. Denn hier erzählt eine Frau, die mit dem Spaten oder der Waffe in der Hand umzugehen weiß. Aber wie sie die eigenen Gefühle zu Papier bringt, muss sie im Briefwechsel mit ihrem Mann erst lernen. Die Übersetzerin Kathrin Razum hat diese ungeschliffene Haltung treffsicher ins Deutsche übertragen. Ash/Constance zieht die Leserinnen und Leser mitten ins Geschehen, lakonisch und beherzt, in einer oft mündlich wirkenden Diktion, hinter der ein versierter Autor sein Handwerk verbirgt.
Mit einem kleinen Ensemble zentraler Charaktere inszeniert Hunt inmitten der Kriegswirren ein Kammerspiel. Wenn er am Ende die Fäden zusammenführt und die Logik eines Rachedramas ihren Tribut fordert, geht der Plot fast ein wenig zu glatt auf. Aber wie der Autor seinen Lesern zuvor den Boden unter den Füßen wegzieht, wie er anhand seiner Figuren vorführt, dass Angst und Gewalt ein Leben grundieren und allen Bemühungen um Menschlichkeit zum Trotz im Klammergriff behalten können, das wird niemanden unberührt lassen.