#57 Der Feuilleton-Talk: Wo geht's heute um Kultur?
58:22 Minuten
Wie sieht die Zukunft des Feuilletons aus – wenn es denn eine hat? Das fragt die Jubiläumsausgabe des Kulturpodcasts. Mit den Geburtstagsgästen Samira El Ouassil, Jagoda Marinić, Ebru Taşdemir und Paul Bokowski, die einiges verändern würden.
So viel ist schon mal klar: Auch unsere Gäste wollen das Feuilleton nicht abschaffen. Wir diskutieren mit ihnen in der "Lakonisch Elegant"-Geburtstagsausgabe live vor Publikum. Abschaffen oder nicht - sie gehen mit dem Feuilleton, so wie es war und oft noch ist, nicht zimperlich um.
Für Samira El Ouassil, Kolumnistin und Kommunikationswissenschaftlerin, findet gerade eine interessante Entwicklung statt. Ein schwelender Konflikt zwischen dem "angestaubten, etwas blasiert wirkenden Cordjacken tragenden Feuilletonisten" auf der einen Seite - und andererseits ganzen Germanistikseminaren, die auf Twitter stattfänden.
Das Feuilleton - ein einziges Marvel Universum
Das macht es nicht unbedingt leicht für Nutzerinnen und Nutzer: Samira El Ouassil meint, das Feuilleton sei inzwischen "ein bisschen so wie das Marvel-Universum". Und damit man das ganze Bild versteht, müsse man in einer Diskussion - wie der um den Literaturnobelpreis für Peter Handke - eben ziemlich viel und multimedial konsumieren. Von Artikeln über Handke und Saša Stanišić in der Zeitung, über Tweets zum Thema, bis hin zu einer Rede von Stanišić auf Youtube und der Antwort eines Journalisten darauf auf Facebook.
In diesem Universum und beim Konflikt geht es auch um die Deutungshoheit. Die Feuilletonisten, so Samira El Ouassil, "wollen ihre Diskurshoheit nicht weggenommen sehen von Menschen auf Twitter, von diversen Menschen im Internet, die ihre Gatekeeper-Position in Frage stellen".
Der Olymp bröckelt
Mit genau dieser Position hat die Schriftstellerin Jagoda Marinić – als "Betroffene" über die geschrieben wurde – schlechte Erfahrungen gemacht. "Da gab es diese großen Verlagspartys auf Buchmessen, da standen sie da, die Feuilletonisten und waren extrem wichtig." Und immer sei es so gewesen, dass Autorinnen und Autoren "gemacht wurden" von – oft männlichen – Verlagsleitern, Lektoren, Buchhändlern und eben: Feuilletonisten.
"Und du als Autor sitzt da mit deinen zehn Prozent Ertrag vom Buch und denkst: 'Was hab ich eigentlich gemacht?'" Dieses Machtgefälle aber breche gerade auf, was sie wunderbar findet.
"Ein hochspannender Moment, so einen Olymp bröckeln zu sehen – und immer, wenn was bröckelt, entsteht was Neues." Am Ende aber will auch Jagoda Marinić das Feuilleton nicht komplett vermissen oder gar wegwerfen, liest selber morgens viel und gerne darin, schätzt die Tiefenschärfe und das komplexe Denken dort.
Mehr Vielfalt in vielerlei Hinsicht
Ein Bild zieht sich durch die Geburtstagsausgabe von "Lakonisch Elegant": das Bild vom alten weißen Mann, der ziemlich viele Plätze im Feuilleton besetzt. Noch zu viele, wie unsere Gäste meinen. Die Journalistin Ebru Taşdemir, die auch für die "Neuen Deutschen Medienmacher*innen" aktiv ist, wünscht sich noch mehr vielfältige Positionen im Feuilleton, zum Beispiel, was Migrationsgeschichte angeht, aber auch soziale Herkunft.
Es bewege sich gerade zwar einiges, aber das dürfe kein "Feigenblatt" bleiben. Vielfalt müsse auch in leitende Positionen einkehren: "Da muss es hingehen, in die Entscheider-Positionen oder eben auch die unbefristeten Stellen, dass man wirklich mitentscheiden kann, was wird eigentlich an diesem blöden Redaktionstisch und in den Konferenzen."
Samira El Ouassil ergänzt, der Trick sei: erst mal Diversität aufgrund von Diversitätsmarkern zu erzwingen, "um dann eine Selbstverständlichkeit des heterogenen Betrachtens der Realität herzustellen". Wir müssten erst mal Schubladen akzeptieren, um es dann selbstverständlicher hinzukriegen, nicht nur den homogenen Blick auf Kultur zu haben. Eine Vielfalt an Perspektiven sei für sie Qualität, sagt Ebru Taşdemir.
Das Feuilleton braucht Humor - aber braucht Humor das Feuilleton?
Vielleicht braucht das Feuilleton der Zukunft ja auch noch etwas mehr Humor? Dieser Verdacht kommt auf bei dem, was Autor Paul Bokowski uns erzählt. Der Humorliterat ist gerade auf einer Lesereise so elementaren Fragen begegnet wie: Wie viel Fleischsalat ist "eine Sache"? Auch das Feuilleton kann die nicht beantworten.
So oder so sieht er sich als Autor von humorvollen Texten vom Feuilleton sträflich missachtet. "Ich bin quasi das ungeliebte Kind, der Michael Mann, ich nehme meine Geige und bring mich um mit 45. Das blöde Mittelkind bin ich".
Manchmal mutlose Themenauswahl im Feuilleton – die meint auch Samira El Ouassil zu erkennen. Bokowski aber sagt: Es sei auch etwas nachvollziehbar, von Seiten des Feuilletons "Aufmerksamkeit auf Sachen zu lenken, die im kapitalistischen Shizzle sonst keine Chance hätten. Und Humorliteratur funktioniert ja auf dem Markt tatsächlich ganz gut. (…) Das Glück haben Leute, die Hochliteratur schreiben, teilweise ja nicht. Die brauchen das Feuilleton tatsächlich".
Jagoda Marinić ergänzt: "Sobald Du gut verkauft wirst, auch wenn Du keine Witze schreibst, wird es das Feuilleton bald nicht mehr machen." In Deutschland unterscheide man noch sehr zwischen der "hochwertigen unverständlichen Literatur" auf der einen und der Unterhaltung auf der anderen Seite.