#7 Lindenstraße & Otto-Katalog: Tschüss, altes BRD-Gefühl!
43:31 Minuten
Was macht das Lebensgefühl der alten BRD aus, das sich mit dem Aus der "Lindenstraße" und dem letzten Otto-Katalog vollständig zu verabschieden scheint? Wir sprechen mit dem Autor Michel Decar und dem Lindenstraßen-Star Sybille Waury.
Jetzt kommt's also gerade dicke für die Generation Erdnussflips und Samstagabend-Sofa: Nicht nur die "Lindenstraße" meldet ihr baldiges Ende an, auch der letzte Otto-Katalog geht in den Druck - und wie man hört, sollen zu allem Übel auch bedeutsame Wetten-dass-Outfits von Thomas Gottschalk beim Feuer in Kalifornien verbrannt sein. Ein Zeichen für die Generation Golf, bestimmt! Für das Ende einer BRD von früher – nur, was verbinden Leute heute noch damit?
Das 80er-Jahre-BRD-Gefühl als Fetisch
Schließlich haben wir ja 2018 und nicht 1988 – aber wir blicken auf dieses spezielle Lebensgefühl trotzdem und fragen in dieser Episode von "Lakonisch Elegant. Der Kulturpodcast": Was hat das BRD-Feeling denn nun ausgemacht? Wie hat es die (Pop)Kultur geprägt und was wird fehlen?
Dazu haben Johannes Nichelmann und Christine Watty - komplett unterschiedlich sozialisiert - jede Menge zu besprechen und fragen diverse Experten auf dem Gebiet des alten BRD-Lebensgefühls.
Der Augsburger Romanautor Michel Decar, Jahrgang 1987, spricht über die alte BRD wie über untergegangenes Staatssystem: "Mein Gefühl, was die Neunziger betrifft, ist genau das: Es gibt diesen Staat, BRD. Die so komisch ausfadet, rausgedimmt wird."
In seinem Dorf, die Denkmäler der Vergangenheit: Garagentore mit Garfield-Motiven und Wohnmobile. All das verbindet Decar mit dem alten BRD-Gefühl. "Eigentlich ist es nicht ein Gefühl, sondern fast schon ein Fetisch bei mir, ein BRD-Fetisch."
In seinem Roman "Tausend deutsche Diskotheken" hat er die westdeutsche Kultur im Jahr 1988 erkundet, verpackt in eine Krimi-Geschichte. Michel Decar treffen wir übrigens in der Umkleide eines westdeutschen Kaufhauses - für den Bayern ein Tempel der Konsum-Nostalgie.
Die deutscheste TV-Serie ever: Die "Lindenstraße"
Sybille Waury, Jahrgang 1970, ist Kind eben jener Zeit und dazu noch Urgestein der deutschesten TV-Serie, die je geschrieben wurde: der "Lindenstraße". Seit 1985 ist Waury als Tanja Schildknecht in diversen dramatischen Lebenskonstellationen im TV zu sehen. Die Geschichten der "Lindenstraße" zeigen das Lebensgefühl von damals, so Waury:
"Dieses Gefühl von 'So war das schon immer', man trifft sich im Hausflur. Das hängt dieser Serie natürlich noch an, weil wir aus dieser Zeit entstanden sind."
Die Lindenstraße habe auch ein gewisses Gemeinschaftsgefühl für das Publikum hergestellt - denn am nächsten Morgen haben sich alle darüber unterhalten. "Diese Rhythmisierung des Lebens ist verloren gegangen."
Und was bleibt nun bis heute von dem alten BRD-Lebensgefühl übrig? "Die Werte, die in den Achtzigern galten - und die allen auf die Nerven gegangen sind - dieses Trutschige - wogegen man so wunderbar rebellieren kann - das gibt eine Geborgenheit und Verlässlichkeit. Die wünscht sich, glaube ich, jeder, egal wie viel Freiheitsbedürfnis man hat", findet Sybille Waury.
Honeckers Hustenbonbon auf dem Weg nach Bonn
Aber nicht nur in manchen deutschen Wohnzimmern oder im Fernsehen findet man Überreste dieser alten Bundesrepublik und der Stimmung, die sie umgab. In Berlin gibt es fürs nostalgische Schwelgen in der Kohl-Ära das Traditionslokal: Die "Ständige Vertretung", ein quasi-BRD-Museum mit angeschlossener Gastronomie.
Wände voller Schwarz-Weiß-Fotografien gestandener Altkanzler und Künstlern. Sogar ein Bonbon gibt's, das einst der Staatsratsvorsitzender der DDR, Erich Honecker, Bundeskanzler Helmut Schmidt geschenkt haben sollen. Wir waren da. Und haben das Bonbon nicht wirklich mitgenommen. Oder doch?
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