Lammert bewertet Entwicklungen in Ägypten positiv
Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) sieht die Entwicklung der Demokratie in Ägypten auf einem guten Weg. Er habe den Eindruck gewonnen, die Parlamentarier vor Ort seien sich ihrer Verantwortung bewusst. Momentan konzentriere man sich zunächst auf die Ausarbeitung einer neuen Verfassung.
Marcus Pindur: Die Freude im Westen über die arabische Rebellion, die ging auch mit vielen Illusionen einher: Demokratie, Menschenrechte, Frieden mit Israel - alles, glaubte man, könne einfacher werden. Jetzt, da sich die krisengeschüttelte Region noch im Zustand einer Art Zwischenrevolution befindet, machen sich die ersten Enttäuschungen breit, denn in Ägypten landeten die islamistischen Parteien einen haushohen Sieg bei den ersten freien Wahlen, die Revolutionsjugend, die die Massenproteste initiiert hat, die ging politisch fast leer aus. Bundestagspräsident Norbert Lammert, CDU, ist derzeit in Ägypten, und ich begrüße ihn jetzt am Telefon in Kairo. Guten Morgen, Herr Lammert!
Norbert Lammert: Guten Morgen, Herr Pindur!
Pindur: Wo steht denn Ihrer Ansicht nach die Arabellion im Moment in Ägypten? Hier in Deutschland hat man ja oft den Eindruck, diese demokratische Revolution sei jetzt schon am Ende angelangt.
Lammert: Das ist sicher ebenso übertrieben wie die frühen voreiligen Hoffnungen, die Sie angesprochen haben. Es finden hier offensichtlich bemerkenswerte Veränderungen statt, aber die Vorstellung, es könne all das, was Sie angesprochen haben, bis hin zu einem verlässlichen Friedensschluss im Nahen Osten nun gewissermaßen über zwei Wochenenden hinweg erreicht werden, verkennt die Schwierigkeiten der Lage.
Ich kann nach anderthalb Tagen allerdings sehr intensiver Gespräche mit vielen Mitgliedern beider Kammern des ägyptischen Parlamentes natürlich auch keine abschließende Beurteilung der Lage vortragen, kann aber immerhin berichten, dass ich keinen Zweifel daran habe, wie groß die Anstrengungen sind, die das erste frei gewählte Parlament unternimmt, und wie sehr sich offenkundig auch die Mitglieder der verschiedenen parlamentarischen Gruppen - auch unter Berücksichtigung der außergewöhnlich eindeutigen Mehrheitsverhältnisse - der Verantwortung bewusst sind, die sie jetzt haben. Und dass sich Ägypten jetzt in einer kritischen Situation befindet im eigentlichen Wortsinn, dass sich jetzt in dieser Zwischenzeit wohl entscheidet, in welche Richtung die weitere Entwicklung geht, das ist allerdings ein sehr starker Eindruck, den ich in den Gesprächen gestern gewonnen habe.
Pindur: Bevor wir gleich noch mal auf die Mehrheitssituation im Parlament zu sprechen kommen, auf die Islamisten, zunächst mal die Frage nach den Schaltstellen der Macht, an denen ja immer noch Vertreter des alten Mubarak-Regimes sitzen. Wie sieht man das im neu gewählten Parlament, bereitet das große Schwierigkeiten?
Lammert: Darüber haben die Kolleginnen und Kollegen nicht unmittelbar gesprochen, weil wir ja auch eine Situation finden, die zu verändern sie die dazu notwendige exekutive Gewalt nicht haben. Das macht ja gerade die Schwierigkeit der Lage aus, dass faktisch sich das alte Regime ohne ihre führenden Repräsentanten weiterhin an der Macht befindet, aber gleichzeitig im Übrigen auch die Verfassung suspendiert ist und durch einen vorläufigen Verfassungstext ersetzt ist und gleichzeitig eben zum ersten Mal ein Parlament gewählt ist, das sich seine Zuständigkeiten sucht und nehmen muss.
Und nach dem Zeitplan soll ja in den nächsten Wochen, also bis zur Sommerpause, sowohl der neue ägyptische Staatspräsident gewählt werden, dafür machen im Augenblick gerade die Parteien ihre Vorschläge, und zum anderen soll möglichst wiederum bis zur Sommerpause, spätestens bis kurz danach, die neue ägyptische Verfassung verabschiedet werden, wobei sich nach den Gesprächen doch deutlich herausstellt, es wird keine völlig neue Verfassung geben, sondern es wird die im Augenblick suspendierte Verfassung von 1971, die offenkundig im Kern von allen politischen Gruppierungen akzeptiert wird, an einer Reihe von Stellen überarbeitet und geändert. Und genau darauf richtet sich im Augenblick ein Großteil der Aufmerksamkeit und auch des Engagements der Parlamentarier.
Pindur: Das ist interessant. Haben Sie auch den Eindruck, dass die Islamisten sich im Rahmen dieser Verfassung bewegen wollen?
Lammert: Ja. Das ist wiederum keine Garantie dafür, dass es genau so kommt, schon gar nicht in dem Spannungsverhältnis zwischen den nach wie vor in den Ämtern befindlichen Militärs, aber es war schon auffällig, dass mit und ohne gezielte Nachfragen auch und gerade die Vertreter der Muslimbrüderschaft keinen Zweifel daran entstehen lassen wollten, dass sie keineswegs die Absicht haben, einen religiösen Staat zu errichten, sondern im Gegenteil, eine säkulare Verfassung beschließen wollen und in unserer Formulierung, die immer wieder eine große Rolle gespielt hat, die Trennung zwischen der Politik und der Religion zu einem ganz zentralen Bestandteil der neuen ägyptischen Zivilgesellschaft machen wollen.
Pindur: Christen sind weltweit derzeit die am meisten verfolgte Gruppe, das ist vielen gar nicht bewusst. In Ägypten betrifft das die Situation der koptischen Christen, haben Sie darüber was erfahren können?
Lammert: Auch hier gibt es unmissverständliche Erklärungen der verantwortlichen ägyptischen Politiker, dass es keine Diskriminierung von Religionen gäbe, dass die Freiheit der religiösen Betätigung durch die Verfassung gesichert sei und durch die neue ohne jeden Zweifel gewährleistet werde. Dass auch hier die Realität komplizierter ist als die Absichtserklärung, lässt sich leider nicht bestreiten. Auch da wird die weitere Entwicklung zeigen, in welchem Umfang es gelingt, die gesellschaftliche Wirklichkeit in die Nähe der politischen Absichtserklärung zu bringen.
Pindur: Zum Schluss noch die Frage nach der Konrad-Adenauer-Stiftung: Die Vertreterin der Stiftung ist ausgewiesen worden, beziehungsweise ist aus Ägypten abgereist. Die Schließung dieses Büros war und ist ein Politikum. Wurde dazu irgendetwas gesagt?
Lammert: Ja, es war ein auffälliger Bestandteil der Gespräche - übrigens nicht nur mit Abgeordneten der beiden Kammern, sondern auch mit dem Präsidenten des Verfassungsgerichts und dem Generaldirektor der Wahlkommission, mit denen ich gesprochen habe. Die Stellung der sogenannten Nichtregierungsorganisationen ist ein besonders sensibler Punkt in der ägyptischen Lage. Dabei finde ich jedenfalls ermutigend, dass gerade in den Gesprächen mit dem Parlamentspräsidenten und hochrangigen Vertretern aller Fraktionen, auch der kleineren Gruppierungen im neugewählten ägyptischen Parlament deutlich gemacht wurde, dass man eine Änderung der gesetzlichen Bestimmungen für Nichtregierungsorganisationen, die es in Ägypten gibt und die wohl die restriktivsten sind, die es überhaupt in der Welt gegenwärtig gibt, dass man eine Änderung dieser gesetzlichen Rahmenbedingungen für völlig unverzichtbar hält.
Ich habe verdeutlicht, welch großen Stellenwert für Deutschland, aber auch für andere Länder, Nichtregierungsorganisationen sowohl innerhalb des eigenen Landes, aber auch und gerade als Instrument der Zusammenarbeit mit anderen Ländern haben, und dass insofern das erklärte Interesse Ägyptens an einer Intensivierung der Zusammenarbeit mit Deutschland ganz wesentlich davon abhängen wird, welchen Spielraum Nichtregierungsorganisationen in Zukunft haben werden. Und ich habe es im Übrigen mit dem Hinweis verbunden, dass die wichtigsten einzelnen Nichtregierungsorganisationen Parlamente sind. Denn auch die gehören eben nicht zur Regierung, sondern sind das Verbindungsglied zwischen der Regierung auf der einen Seite und der Gesellschaft mit ihren vielfältigen Gruppen, Interessen und Orientierungen.
Pindur: Herr Lammert, vielen Dank für das Gespräch!
Lammert: Gerne, schönen Tag!
Pindur: Bundestagspräsident Norbert Lammert, er ist derzeit in Ägypten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Norbert Lammert: Guten Morgen, Herr Pindur!
Pindur: Wo steht denn Ihrer Ansicht nach die Arabellion im Moment in Ägypten? Hier in Deutschland hat man ja oft den Eindruck, diese demokratische Revolution sei jetzt schon am Ende angelangt.
Lammert: Das ist sicher ebenso übertrieben wie die frühen voreiligen Hoffnungen, die Sie angesprochen haben. Es finden hier offensichtlich bemerkenswerte Veränderungen statt, aber die Vorstellung, es könne all das, was Sie angesprochen haben, bis hin zu einem verlässlichen Friedensschluss im Nahen Osten nun gewissermaßen über zwei Wochenenden hinweg erreicht werden, verkennt die Schwierigkeiten der Lage.
Ich kann nach anderthalb Tagen allerdings sehr intensiver Gespräche mit vielen Mitgliedern beider Kammern des ägyptischen Parlamentes natürlich auch keine abschließende Beurteilung der Lage vortragen, kann aber immerhin berichten, dass ich keinen Zweifel daran habe, wie groß die Anstrengungen sind, die das erste frei gewählte Parlament unternimmt, und wie sehr sich offenkundig auch die Mitglieder der verschiedenen parlamentarischen Gruppen - auch unter Berücksichtigung der außergewöhnlich eindeutigen Mehrheitsverhältnisse - der Verantwortung bewusst sind, die sie jetzt haben. Und dass sich Ägypten jetzt in einer kritischen Situation befindet im eigentlichen Wortsinn, dass sich jetzt in dieser Zwischenzeit wohl entscheidet, in welche Richtung die weitere Entwicklung geht, das ist allerdings ein sehr starker Eindruck, den ich in den Gesprächen gestern gewonnen habe.
Pindur: Bevor wir gleich noch mal auf die Mehrheitssituation im Parlament zu sprechen kommen, auf die Islamisten, zunächst mal die Frage nach den Schaltstellen der Macht, an denen ja immer noch Vertreter des alten Mubarak-Regimes sitzen. Wie sieht man das im neu gewählten Parlament, bereitet das große Schwierigkeiten?
Lammert: Darüber haben die Kolleginnen und Kollegen nicht unmittelbar gesprochen, weil wir ja auch eine Situation finden, die zu verändern sie die dazu notwendige exekutive Gewalt nicht haben. Das macht ja gerade die Schwierigkeit der Lage aus, dass faktisch sich das alte Regime ohne ihre führenden Repräsentanten weiterhin an der Macht befindet, aber gleichzeitig im Übrigen auch die Verfassung suspendiert ist und durch einen vorläufigen Verfassungstext ersetzt ist und gleichzeitig eben zum ersten Mal ein Parlament gewählt ist, das sich seine Zuständigkeiten sucht und nehmen muss.
Und nach dem Zeitplan soll ja in den nächsten Wochen, also bis zur Sommerpause, sowohl der neue ägyptische Staatspräsident gewählt werden, dafür machen im Augenblick gerade die Parteien ihre Vorschläge, und zum anderen soll möglichst wiederum bis zur Sommerpause, spätestens bis kurz danach, die neue ägyptische Verfassung verabschiedet werden, wobei sich nach den Gesprächen doch deutlich herausstellt, es wird keine völlig neue Verfassung geben, sondern es wird die im Augenblick suspendierte Verfassung von 1971, die offenkundig im Kern von allen politischen Gruppierungen akzeptiert wird, an einer Reihe von Stellen überarbeitet und geändert. Und genau darauf richtet sich im Augenblick ein Großteil der Aufmerksamkeit und auch des Engagements der Parlamentarier.
Pindur: Das ist interessant. Haben Sie auch den Eindruck, dass die Islamisten sich im Rahmen dieser Verfassung bewegen wollen?
Lammert: Ja. Das ist wiederum keine Garantie dafür, dass es genau so kommt, schon gar nicht in dem Spannungsverhältnis zwischen den nach wie vor in den Ämtern befindlichen Militärs, aber es war schon auffällig, dass mit und ohne gezielte Nachfragen auch und gerade die Vertreter der Muslimbrüderschaft keinen Zweifel daran entstehen lassen wollten, dass sie keineswegs die Absicht haben, einen religiösen Staat zu errichten, sondern im Gegenteil, eine säkulare Verfassung beschließen wollen und in unserer Formulierung, die immer wieder eine große Rolle gespielt hat, die Trennung zwischen der Politik und der Religion zu einem ganz zentralen Bestandteil der neuen ägyptischen Zivilgesellschaft machen wollen.
Pindur: Christen sind weltweit derzeit die am meisten verfolgte Gruppe, das ist vielen gar nicht bewusst. In Ägypten betrifft das die Situation der koptischen Christen, haben Sie darüber was erfahren können?
Lammert: Auch hier gibt es unmissverständliche Erklärungen der verantwortlichen ägyptischen Politiker, dass es keine Diskriminierung von Religionen gäbe, dass die Freiheit der religiösen Betätigung durch die Verfassung gesichert sei und durch die neue ohne jeden Zweifel gewährleistet werde. Dass auch hier die Realität komplizierter ist als die Absichtserklärung, lässt sich leider nicht bestreiten. Auch da wird die weitere Entwicklung zeigen, in welchem Umfang es gelingt, die gesellschaftliche Wirklichkeit in die Nähe der politischen Absichtserklärung zu bringen.
Pindur: Zum Schluss noch die Frage nach der Konrad-Adenauer-Stiftung: Die Vertreterin der Stiftung ist ausgewiesen worden, beziehungsweise ist aus Ägypten abgereist. Die Schließung dieses Büros war und ist ein Politikum. Wurde dazu irgendetwas gesagt?
Lammert: Ja, es war ein auffälliger Bestandteil der Gespräche - übrigens nicht nur mit Abgeordneten der beiden Kammern, sondern auch mit dem Präsidenten des Verfassungsgerichts und dem Generaldirektor der Wahlkommission, mit denen ich gesprochen habe. Die Stellung der sogenannten Nichtregierungsorganisationen ist ein besonders sensibler Punkt in der ägyptischen Lage. Dabei finde ich jedenfalls ermutigend, dass gerade in den Gesprächen mit dem Parlamentspräsidenten und hochrangigen Vertretern aller Fraktionen, auch der kleineren Gruppierungen im neugewählten ägyptischen Parlament deutlich gemacht wurde, dass man eine Änderung der gesetzlichen Bestimmungen für Nichtregierungsorganisationen, die es in Ägypten gibt und die wohl die restriktivsten sind, die es überhaupt in der Welt gegenwärtig gibt, dass man eine Änderung dieser gesetzlichen Rahmenbedingungen für völlig unverzichtbar hält.
Ich habe verdeutlicht, welch großen Stellenwert für Deutschland, aber auch für andere Länder, Nichtregierungsorganisationen sowohl innerhalb des eigenen Landes, aber auch und gerade als Instrument der Zusammenarbeit mit anderen Ländern haben, und dass insofern das erklärte Interesse Ägyptens an einer Intensivierung der Zusammenarbeit mit Deutschland ganz wesentlich davon abhängen wird, welchen Spielraum Nichtregierungsorganisationen in Zukunft haben werden. Und ich habe es im Übrigen mit dem Hinweis verbunden, dass die wichtigsten einzelnen Nichtregierungsorganisationen Parlamente sind. Denn auch die gehören eben nicht zur Regierung, sondern sind das Verbindungsglied zwischen der Regierung auf der einen Seite und der Gesellschaft mit ihren vielfältigen Gruppen, Interessen und Orientierungen.
Pindur: Herr Lammert, vielen Dank für das Gespräch!
Lammert: Gerne, schönen Tag!
Pindur: Bundestagspräsident Norbert Lammert, er ist derzeit in Ägypten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.