Der Garten als Gesamtkunstwerk
Ein englischer Landschaftsgarten vermittelt oft den Eindruck, als ginge man durch ein Stück unberührte Natur und ist doch bis ins Detail geplant. Das Konzept geht maßgeblich auf den Landschaftsgärtner Lancelot "Capability" Brown zurück, der heute vor 300 Jahren getauft wurde.
Ein lauschiger See, ein romantischer Garten, ein gepflegter Rasen, der fast unmerklich in eine saftige Weide übergeht, dahinter die sanften Hügel der Sussex Downs. Glyndebourne, das kleinste, feinste Opernhaus der Welt. In der Picknickpause lassen sich die elegant gekleideten Operngäste auf dem Rasen nieder, nur wenige Meter von den Schafen entfernt. Kein Zaun, keine Mauer zwischen Mensch und Tier. Dafür, dass sie einander ungestört bestaunen können, sorgt ein sogenannter Haha, ein diskreter Graben, so geschickt platziert, dass sich das Anwesen perfekt in die umliegende Landschaft integriert.
Der Haha ist ein Trick, der auch von "Capability" Brown sehr geschätzt wurde, um den Eindruck zu erwecken, ein Garten reiche weit über seine Grenzen hinaus bis zum fernen Horizont, erzählt Andy Jesson, Chefgärtner von Sheffield Park, einem über 300 Jahre alten Landschaftsgarten südlich von London, nicht weit von Glyndebourne entfernt, der von "Capability" Brown umgestaltet wurde.
"Wenn Brown einen neuen Auftrag bekam, verschaffte er sich erst einmal hoch zu Ross einen Überblick über das Gelände und erklärte dann: Diese Landschaft hat 'capabilities', also 'Möglichkeiten, Potenzial'. Dieser Spruch wurde quasi sein Markenzeichen. Deshalb nannten sie ihn schon zu Lebzeiten 'Capability' Brown."
Ein Dorf versetzt, wenn es das Gesamtkunstwerk störte
Weite Wiesengründe, Baumgruppen und Solitäre, Schlängelwege und serpentinenförmige Seen, die Bäume und Himmel widerspiegeln. Wenig Blumen. Das sind die Hauptmerkmale eines englischen Landschaftsgartens. Hinzu kommen Aussichtspunkte. Andy Jesson bleibt am Seeufer stehen und deutet auf das Herrenhaus jenseits des Wassers auf einer kleinen Anhöhe, halb verborgen zwischen riesigen Bäumen.
"Haus und See wurden absichtlich in einem schrägen Winkel zueinander gebaut, sodass möglichst viele Fenster einen Blick auf die Landschaft freigeben. Ein Haus sollte niemals ganz sichtbar sein, sondern immer nur teilweise erspäht werden können."
"Capability" Brown befreite die Gärten von den strengen französischen Formen, die jahrhundertelang dominiert hatten. Er wollte Ideallandschaften schaffen, Gesamtkunstwerke, die völlig natürlich aussahen und doch genauso sorgfältig geplant waren wie ein nach strengen Mustern angelegter Garten.
"Er hat Bäche gestaut, erweitert und umgeleitet, um künstliche Seen zu schaffen. Er scheute auch nicht davor zurück, riesige Erdmassen zu bewegen und ausgewachsene Bäume umzupflanzen. Und einmal ließ er sogar ein ganzes Dorf versetzen, das sein Gesamtkunstwerk störte."
Lancelot Brown wurde in Kirkharle in der nordenglischen Grafschaft Northumberland geboren und am 30. August 1716 getauft. Ansonsten ist wenig über sein persönliches Leben bekannt. Sein Vater war Landwirt. Schon mit 23 Jahren zog er in Richtung Süden. Seine erste Anstellung fand er in Stowe House, wo er einen spektakulären Garten schuf. Bald entwickelte sich Brown zum begehrtesten Landschaftsarchitekten seiner Zeit und wurde schließlich als Hofgärtner König Georgs III. an den Palast von Hampton Court berufen.
Auch der kleinste Garten wird zum Juwel
Sheffield Park beschäftigt fünf Gärtner und Dutzende von Freiwilligen, um das Erbe von Capability Brown zu wahren. Unter dem wachsamen Auge von Andy Jesson.
"Die größte Herausforderung ist der Klimawandel. Die Bäume werfen ihre Blätter später ab und bieten den Herbststürmen eine größere Angriffsfläche. Wir versuchen, kreative Lösungen zu finden. Wenn wir alte Bäume verlieren, pflanzen wir – im Gegensatz zu Capability Brown – ganz junge Setzlinge und halten sie möglichst trocken, damit sie ihre Wurzeln tiefer in die Erde bohren."
Capability Brown hat ausschließlich mit großen Anlagen gearbeitet. Dennoch könnten auch Kleingärtner von ihm lernen.
"Ein Garten sollte möglichst natürlich aussehen. Man sollte mit Spiegeln und Wasserflächen arbeiten, um den Raum optisch zu vergrößern. Mit Licht und Schatten spielen und vor allen Dingen verschiedene Sichtachsen schaffen. So wird auch der kleinste Garten zum Juwel."