Land in Sicht?
Von der Insolvenz der Wadan-Werften in Wismar sind rund 2500 Mitarbeiter betroffen. Sie hoffen darauf, dass es mit einem russischen Investor weitergeht. Doch dessen Pläne sind bislang unklar.
Der Blick über das Hafenbecken in Richtung Westen ist trügerisch. Die "Roald Amundsen", ein Rahsegler mit zwei Masten und einem klobigen schwarzen Stahlrumpf liegt vertaut an der Pier. Junge Leute laufen an Deck hin und her. Gleich daneben, der elegante, weiße Rumpf der "Nobile", ein Schoner mit einem sehr hohen Mast, einem Groß- und einem Focksegel. Bereit zum Auslaufen. Dahinter, den Westhafen sozusagen überragend, steht die hohe, fast 400 Meter lange grün-weiße Halle, die ebenso zu Wismars Wahrzeichen gehört wie die beiden großen alten rot-braunen Backstein-Kirchen: die Wadan-Werft. Es könnte ein gutes Bild sein. Die Traditionssegler und einer der modernsten Werftbetriebe Europas.
Ist es aber nicht. Die Geschichte des Hafens und seiner Werft jedenfalls ist beeindruckender als die Gegenwart. Der Hafen ist sehr leer. Die Traditionswerft ist insolvent. Sie ist dicht gemacht.
Der Wenndorfer Weg ist eine lange Kopfstein gepflasterte Straße, die auf den grauen Werftzaun zuführt. Niemand ist zu sehen. Nichts ist zu hören. Die sieben Kräne stehen still. Selbst der Empfang im Verwaltungsgebäude ist nicht besetzt. Ein Bürofenster ist offen. Ein Angestellter starrt hinaus. Unten, am Eingang, hat jemand eine ausgetrunkene Flasche Moscato Frizzante abgestellt. Da, wo der Wenndorfer Weg auf die Werftstraße trifft, ist das Haus der Betriebsfeuerwehr. Die fährt regelmäßig ihre Runden.
Schräg gegenüber, gleich hinter dem Parkplatz, steht ein gelber, eingeschossiger Bau. Kleine Firmen sind da drin, der Zoll auch und die Auffanggesellschaft der Werft. Die ist so etwas wie eine staatlich geförderte Hilfsorganisation für die arbeitslosen Frauen und Männer des Betriebes.
Thomas Rickers ist an diesem Vormittag aus Lübeck gekommen. Rickers ist der IG-Metall-Beauftragte Küste und in der Gewerkschaft zuständig für die ehemalige Wadan-Werft in Wismar, die jetzt Nordic Yards heißt.
In der Kaffeeküche bespricht er mit dem Geschäftsführer der Transfergesellschaft, Oliver Fieber, die größeren und kleineren Baustellen. So richtig rund läuft die ganze Sache nicht. Es gibt von allen Seiten immer noch mehr Fragen als Antworten. Und ist der neue Investor tatsächlich seriös? Oder: Ist Vitali Jussufow auch nur ein vorgeschobenes Windei, wie der letzte, Andrej Burlakov, nur mit besseren Manieren?
Rickers: "Für mich spricht für Seriosität, dass jemand hier 49 Millionen Euro in die Hand nimmt und hier investiert und dieser ersten Verpflichtung offensichtlich auch nachkommt."
Fieber: "Und bezogen auf die Kollegen. Auch die wissen ja nichts Genaues und deswegen entwickeln sich die Gerüchte in die eine und in die andere Richtung sehr schnell und das führt zu Emotion, weil es nämlich keine Planungssicherheit gibt."
Im Moment heißt es für die Werftarbeiter aber eher warten als planen. Ein paar sitzen am Computer und stöbern in Jobbörsen. Andere schreiben unter Anleitung ihren Lebenslauf. Bei vielen steht: 30 Jahre Werft. Die meisten aber stehen auf dem Gang in einer Schlange vor dem Personalbüro. Unterlagen abholen, Zeugnisse, Lohnsteuerkarten, was alles so notwendig ist für die bürokratische Abwicklung eines Arbeitslebens. Viele kommen auch einfach nur, weil sie es so gewohnt sind.
Zier: "Viele kommen auch eigentlich nur dahin, um Infos zu holen, was gibt's denn neues, und wenn sie auch nur zehn Minuten da sind und dann fahren sie wieder nach Hause, das ist dann nicht gleich der tiefe Sturz ins schwarze Loch."
Für alle ist Ronald Zier der Ansprechpartner. Dabei muss er selber täglich gegen den Frust ankämpfen. 31 Jahre Betriebszugehörigkeit am 1. September. Zwölf Jahre freigestellter Betriebsrat, hat auf der Werft Schiffbauer gelernt. Zier ist aus der alten Betriebsratsmannschaft als Personalverantwortlicher in die Transfergesellschaft gewechselt.
Fast alle sind in die Transfergesellschaft gewechselt. Transfergesellschaft – und nicht Auffanggesellschaft, wie dieses arbeitsmarktpolitische Instrument auch oft genannt wird. Transfer bedeutet – fit machen für den ersten Arbeitsmarkt. Bewerbungstraining, Coaching, Qualifizierung. Das Land und die Bundesagentur für Arbeit haben die Gesellschaft für mindestens neun Monate großzügig ausgestattet. Aber, so fragt man sich angesichts der wirtschaftlichen Lage, wo soll denn dieser erste Arbeitsmarkt sein, der die Arbeiter zu gleichen – oder zumindest ähnlich guten Bedingungen aufnimmt.
Wilcken: "Ich möchte nun keine Betriebsgeheimnisse ausplaudern, aber es gibt eine ganze Reihe von Betrieben, die sich schon gut bedient haben, die interessanten Leute sind schon lange unter Vertrag, also es wäre naiv zu glauben, dass die Betriebe, die Ingenieure gebrauchen können, die Controller gebrauchen können etc., dass die nicht schon vor längerer Zeit ihre Fühler ausgestreckt haben."
Die Antwort vom Geschäftsführer der Unternehmerverbände in Mecklenburg-Vorpommern, Lothar Wilcken, erstaunt fast ein wenig. Hat man doch bei Mecklenburg-Vorpommern immer ein landschaftlich wunderschönes, aber industrielles "Entwicklungsland" vor Augen. Und das trifft auch zu. Der Export ist geringer als in anderen Bundesländern. Mit der Folge, die Wirtschaft ist weniger eingebrochen als anderswo.
Jeden Monat, so Wilcken, hören 10.000 Facharbeiter auf. 120.000 bis 140.000 im Jahr. Demografische Entwicklung. Da soll doch für die Werftarbeiter irgendein Job drin sein. Wenn Sie sich nur "mental" lösen, so wie er es formuliert.
Wilcken: "Sorge macht uns, dass zum Beispiel Auszubildende, die hervorragende Angebote bekommen in der Nähe, um ihre Betriebspraxis im Rahmen der dualen Ausbildung zu vertiefen, dass die abgesagt haben, und lieber in der Beschäftigungsgesellschaft, also in der Übungsfirma fernab von der betrieblichen Praxis bleiben, weil sie sagen, och nö, ich möchte viel lieber auf der Werft, oder was mal daraus wird, bleiben. Da haben wir tatsächlich Probleme zu vermitteln, die Angebote sind da, wir kennen die Firmen, alle Betroffenen reden sich den Mund fusselig, um den jungen Leuten zu sagen, macht doch weiter. Die Betriebe haben zugesichert, dass sie zu den gleichen Konditionen wie bei der Werft die jungen Leute im dritten Lehrjahr aufnehmen, aber die gehen nicht rüber, das macht uns Sorgen."
Die Betriebsräte und die Gewerkschafter haben momentan aber ganz andere Sorgen
Zier: "Was natürlich jetzt nagt bei uns, das ist im Moment die Zeit, die verrinnt, die wenigen Informationen, die wir bekommen, wir haben eigentlich ... vielleicht ist das aus der Situation heraus passiert, dass wir zu schnell dass Pferd reiten wollten. Im Detail wissen wir ja auch nicht, was bei so einem Deal so hinter den Bühnen abläuft, dass wir da den Zeitrahmen für uns zu eng gesteckt haben, aber das deprimiert uns, dass Zeit verstreicht und eigentlich nichts passiert."
Am 31. August war offiziell sein letzter Tag als Betriebsrat. Am 1. September hatte die IG Metall zur einer großen Versammlung geladen. Ein bisschen Aktionismus, um das Warten zu verkürzen. Neue Informationen gibt es nicht. Jussufofw ist zwar in Wismar, aber treffen will er sich nicht. Arbeiterführer Rickers sagt aber auch, die Mitglieder haben ein Recht auf Betreuung - und so ein bisschen Werbung machen schadet nie
Rickers bei der IG-Metall-Versammlung: "So ich begrüße euch erst mal ganz herzlich zu unserer Mitgliederversammlung. Wir haben euch ja alle schriftlich eingeladen, auch die, die nicht in der IG Metall sind, und Kolleginnen und Kollegen ich sach das ganz klar, wir haben zurzeit eine Situation, die man so ein bisschen mit rechtlosem Zustand beschreiben könnte."
Die Betriebskantine ist voll besetzt, das letzte Essen ist hier vor einem Monat rausgegangen. Die Uhr an der Wand ist auf 10 vor 12 stehengeblieben. Zufall? Oder wollte da jemand ein Symbol schaffen, dass es nach der Übernahme durch den neuen russischen Investor wenigstens nicht mehr 5 nach 12 ist. Die Gewerkschaft will ein Mitspracherecht bei Personalentscheidungen.
Rickers: "Meine Vorstellung ist, dass zu der Frage, wer und in welchem Umfang und zu welchem Zeitpunkt jetzt Kollegen, aus der Transfergesellschaft wieder in das Zweitarbeitsverhältnis auf die Werft wechseln können und sollen, dass wir das in einer entsprechenden Kommission miteinander beraten und darauf achten, dass hier nicht einzelne für einzelne Grüppchen Vorteile organisieren oder was auch immer. Ich möchte nicht, dass wir mit einer kleinen Stammbelegschaft hier anfangen und der Rest wird dann möglicherweise sogar von ehemaligen Beschäftigten über Leiharbeit zu Dumpinglöhnen gemacht. Ich hab das im Gläubigerausschuss auch gesagt, dass ich davon ausgehe, dass hier zu tariflichen Bedingungen auf der Werft in Festarbeitsverhältnissen gearbeitet wird und nicht zu Dumpinglöhnen."
Ein Recht darauf gibt es nicht, aber die politische Macht, sagt Rickers. Seine Gewerkschaft hat Zulauf. Er sitzt mit im Gläubigeraussschuss und konnte immerhin eine Zusatzvereinbarung zum Vertrag durchsetzen. In der steht, dass es eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit geben soll und das ...
Rickers: "... unter Berücksichtigung der Zielsetzung einer ausgewogenen Alterstruktur mindestens drei Viertel der 1200 unter dem Kaufvertrag zugesicherten Arbeitsverhältnissen mit Arbeitnehmern begründen, die in eine der beiden Transfergesellschaften gewechselt sind. Die Käufer sind jedoch frei, an beiden Standorten auch sonstige Arbeitnehmer einzustellen."
Das heißt alles - und nichts.
Rickers: "Wir brauchen aber nicht drum herum reden. Von 2500 nur 1200 oder 1500, das kann man ja alles rechnerisch durchspielen. Das heißt aber in der nächsten Zeit, dann ist das die Frage: Du oder Du, Du oder Du oder wie muss man sich das vorstellen? Das ist die ganz brutale, nüchterne Analyse, die wir dazu zu treffen haben. Es wird in der Kürze der Zeit keine schnelle Lösung für alle geben."
Ines Scheel, die Betriebsratsvorsitzende schaltet sich ein. Gestern hätte sie 30-jähriges Betriebsjubiläum gehabt. Als sie spricht, fällt der zwei Meter hohe Ficus um. Die 47-Jährige wird nicht umsonst die heilige Johanna der Werft-Kräne genannt.
Scheel: "Ja, stürmische Zeiten würde ich sagen ... haha ... Ich möchte noch mal kurz was zur Transfergesellschaft sagen. Das Problem, was wir haben, Herr Jussufow denkt im Moment, die Transfergesellschaft ist nur dazu da, die Leute zusammenzuhalten. So haben wir das anfangs auch immer mit euch besprochen, damit ihr nicht weglauft. Wenn aber in den nächsten zwei bis vier Wochen nichts passiert, und das ist das Problem, dann kann ich mir schon vorstellen, dass insbesondere die Jüngeren oder die Know-How-Träger sich nach anderer Arbeit umsehen, und dann hat er hier 'ne Werft aber keine Leute, mit denen er die Schiffe bauen kann und deswegen bin ich auch so maßlos ärgerlich und enttäuscht, dass er sich bis heute noch nicht entschieden hat."
Am 22.September gibt es nun endlich den Termin mit dem - vielleicht - neuen Chef. Einen ersten. Was daraus wird? Es bleibt beim langen, langen, bangen Warten. Die Pläne für eine Werftbesetzung ist noch lange nicht vom Tisch.
Auf dem Parkplatz stehen die Männer zusammen. "Versager", "Betrüger" zischt einer in Richtung Geschäftsführung und wendet sich ab. Viele sind skeptisch, verhalten hoffnungsvoll, weil auch niemand von ihnen nach rund sieben Wochen Insolvenz glauben will, dass, wie es einer sagt, der Laden hier dicht gemacht wird. Alle klagen, dass sie nicht ausreichend informiert werden. Schimpfen auf den Insolvenzverwalter und auf Wirtschaftsminister Jürgen Seidel. Der sitzt im 30 Kilometer entfernten Schwerin. Bevor der IG-Metall-Mann Thomas Rickers wieder zurück in die Hansestadt an der Trave fährt, spricht er noch einmal mit seinen Kollegen und sagt ihnen, er würde wirklich mal sehr gerne wissen, was dieser Jürgen Seidel dafür tut, dass hier in Wismar alles in geordneten Bahnen weiter läuft.
Der Gewerkschafter Thomas Rickers und der CDU-Politiker Jürgen Seidel kennen sich gut. Es gibt so etwas wie eine gewisse Wertschätzung füreinander.
Seidel: "Ja, das weiß Herr Rickers ganz genau, weil, ich muss mal sagen, dass wir hier in den letzten Monaten mit den Gewerkschaften sehr intensiv und gemeinsam an der Lösung der Probleme arbeiten. Ich will auch sagen, dass die Gewerkschaften hier sich in wirklich anerkennenswerter Weise einbringen in die Lösung der Prozesse. Es ist ja so, dass die Krise ja ganz Europa, eigentlich ja die ganze Welt erschüttert. Aber diese Krise uns vor Aufgaben stellt, wie wir sie bisher so nicht kannten in der Größenordnung nicht, in der Tiefe des Einschnittes nicht. Und da ist es sehr wichtig, dass wir alle Möglichkeiten nutzen, alle Kräfte anspannen, um zu neuen Lösungen zu kommen."
Wirtschaftsminister in Mecklenburg-Vorpommern ist in diesen Zeiten der Werftkrise ein eher nicht erstrebenswertes Amt. Die Industrie ist an ihren Standorten in Stralsund, Wolgast, Warnemünde und Wismar existenziell gefährdet. Und: Es handelt sich um keine Einzelfälle. Es ist eine strukturelle Krise. Das ist das Bedrohliche daran.
Seidel: "Also, das ist es sicherlich. Das ist aber nicht nur eine strukturelle Krise hier in Mecklenburg-Vorpommern, sondern es trifft genauso die anderen Küstenländer in Deutschland. Es trifft, wie man unlängst erfahren musste, die größte Werft in Dänemark, die Odense-Werft von Maersk und so gesehen hängt es eben damit zusammen, dass die Welthandelssituation sich heute völlig anders darstellt als noch vor ungefähr eineinhalb Jahren."
Das ist so. Vor 18 Monaten ging die Boomzeit zu Ende. Zurzeit sind die Frachtraten um 30 bis 40 Prozent eingebrochen. Schiffe wurden und werden still-, und aufgelegt. Noch vor zwei Jahren wurden weltweit Container- und Massengutschiffe wie am Fließband bestellt und gebaut. Der Markt ist völlig zusammengebrochen. Bricht nun auch die Werftindustrie an der Ostsee zusammen?
Seidel: "Also, wenn wir nicht hoffnungsvoll wären, würden wir ja gar nicht mehr hier sitzen. Das ist ganz klar. Es ist eine schwere Zeit. Der Schiffbau hier in Mecklenburg-Vorpommern hat schon viele schwere Zeiten durchmachen müssen und wir gehen nach wie vor davon aus, wir haben hoch technologisch gerüstete Werften, wir haben hoch motivierte Mitarbeiter in den Unternehmen selbst und wir haben auch Manager, die durchaus in der Lage sind, diese Krise zu managen. Aber ich gebe zu, es ist schwierig."
Es ist mit Sicherheit davon auszugehen, Jürgen Seidel lernt in dieser Krise die Grenzen politischer Einfluss- und Machtmöglichkeiten kennen. Die Sache ist auch noch durch einen anderen Umstand nicht einfacher geworden. Der sozialdemokratische Partner in der Landesregierung stellt den Ministerpräsidenten. Sellering hat, an die staatliche Beteiligung bei VW denkend, einen mittlerweile ziemlich verhängnisvollen Satz gesagt: Die Schiffe seien die Autos für Mecklenburg-Vorpommern. Daraus haben die Gewerkschaften die Forderung abgeleitet: Die Landesregierung soll eine Beteiligungsgesellschaft für die Werften mit staatlichem Anteil gründen.
Der Ministerpräsident rudert unterdessen zurück. Jürgen Seidel hält die Bemerkung ohnehin nicht für klug, da die beiden Industrien, ihre Geschichte und ihre sehr unterschiedliche wirtschaftliche Situation überhaupt nicht zu vergleichen sind. Insofern will er sich mit diesem Thema überhaupt nicht aufhalten lassen, sondern das Wenige, was er tun kann, machen. Er unterstützt die Industrie bei der Suche nach Märkten. Und das ist ein richtig schwieriges Geschäft.
Seidel: "Ja, das ist das Problem, dass eben die gestrigen Märkte heute so nicht mehr zur Verfügung stehen. Insofern bin ich der festen Überzeugung, dass die neue Chance bei den Wadan-Werften, sie wissen, dass wir dort mit russischen Investoren erneut den Versuch machen. Man muss ja sagen, der erste Versuch ist ja tatsächlich gescheitert, wie alle ja mitbekommen haben. Jetzt gibt es über Herrn Jussufow eine neue Chance und diese Chance liegt in russischen Markt. Da ist es in der Tat so, dass über 1000 Schiffe älter als 30 Jahre sind. Die Russen sind sehr bemüht, ihre Off-Shore-Möglichkeiten zu nutzen, insbesondere die Gasvorkommen zu erschließen. Das alles braucht Schiffe, das alles braucht Off-Shore-Gerät. Und hier die Auftragsmöglichkeiten zu erschließen, dass ist die spannende Frage, und da setzen wir jetzt auf Herrn Jussufof."
Die Möglichkeiten der Landesregierung in Schwerin sind sehr begrenzt. Sie bürgt, sie öffnet Türen, sie agiert politisch und unterstützt die hoffentlich nur vorübergehend arbeitslosen Werftangehörigen. Und sie setzt darauf, dass die kürzlich bei den deutsch-russischen Gesprächen in der Nähe von München getroffene Verabredung Wirklichkeit wird. Die Bildung eines gemeinsamen Ostsee-Werftkonzerns.
Seidel: "Also, es ist korrekt. Eine Aussage im Rahmen des Fortführungskonzeptes des neuen Investors ist die, dass es – er nennt es eine strategische Partnerschaft – zwischen Industriezusammenschlüssen, also Kooperationen, auf russischer Seite mit den deutschen Werften hier geben soll. Ich glaube auch, dass eine solche internationale Verflechtung uns eher nur helfen kann. Weil sie den Zugang zu neuen Aufträge überhaupt eigentlich erst nur ermöglicht."
Das hört sich gut an. Nur: Das wird dauern. Und das heißt wiederum, den Gedanken, mit russischen Werften beispielsweise in St. Petersburg und in Vyborg zu kooperieren, hätten Werftmanagement in Wismar und Wirtschaftspolitiker in Schwerin besser bereits vor zwei Jahren gehabt. In den guten Zeiten, um für die schlechten gewappnet zu sein.
Vor zwei Jahren - als die Werft noch Aker hieß und jeden Monat ein Schiff zusammengeschweißt wurde. An der großen blauen Werfthalle steht immer noch der Name des vorletzten Besitzers.
Die Namen wechselten schnell, zu schnell. Kaum Zeit, geschweige denn Geld, um neue Schilder zu kaufen. Von den einst 20.000 Schiffsbauern nach der Wende sind nach drei Privatisierungswellen nur 2400 übrig geblieben. Jetzt gibt es immerhin eine Beschäftigungsgarantie für zwei Jahre für 1200 Arbeiter, je 600 auf beiden Werftenstandorten.
Aber weil der Mecklenburger gemeinhin nicht zu dem Menschenschlag zählt, der sich durch eine besondere, dem Leben zugewandte Heiterkeit auszeichnet, bleibt die Freude über die scheinbar abgewendete Total-Pleite verhalten.
Mann: "Aber erst mal nur zwei Jahre 'ne, und was kommt dann? Und - wo bleibt der Lohn? Der geht dann nach unten!"
Die Menschen schauen skeptisch. Genau wie der goldene Löwe über der Tür eines Giebelhauses am Alten Markt. Seit 150 Jahren ist er da. Jeder kennt ihn. Früher bewachte er eine Apotheke, die nach ihm benannt war. Und die gibt es nun auch nicht mehr. Da ist zwar nicht direkt die Werftenpleite schuld, aber irgendwie vielleicht doch. Das ist dieses Gefühl - immer zu kurz zu kommen. Denn es ist auch klar, die Gläubiger kriegen so gut wie nichts. Vor allem die kleinen. In Wismar sind seit Juni bereits 300 Stellen bei werftennahen Betrieben verloren gegangen. Die Arbeitslosenquote beträgt jetzt schon 17 Prozent.
Ist es aber nicht. Die Geschichte des Hafens und seiner Werft jedenfalls ist beeindruckender als die Gegenwart. Der Hafen ist sehr leer. Die Traditionswerft ist insolvent. Sie ist dicht gemacht.
Der Wenndorfer Weg ist eine lange Kopfstein gepflasterte Straße, die auf den grauen Werftzaun zuführt. Niemand ist zu sehen. Nichts ist zu hören. Die sieben Kräne stehen still. Selbst der Empfang im Verwaltungsgebäude ist nicht besetzt. Ein Bürofenster ist offen. Ein Angestellter starrt hinaus. Unten, am Eingang, hat jemand eine ausgetrunkene Flasche Moscato Frizzante abgestellt. Da, wo der Wenndorfer Weg auf die Werftstraße trifft, ist das Haus der Betriebsfeuerwehr. Die fährt regelmäßig ihre Runden.
Schräg gegenüber, gleich hinter dem Parkplatz, steht ein gelber, eingeschossiger Bau. Kleine Firmen sind da drin, der Zoll auch und die Auffanggesellschaft der Werft. Die ist so etwas wie eine staatlich geförderte Hilfsorganisation für die arbeitslosen Frauen und Männer des Betriebes.
Thomas Rickers ist an diesem Vormittag aus Lübeck gekommen. Rickers ist der IG-Metall-Beauftragte Küste und in der Gewerkschaft zuständig für die ehemalige Wadan-Werft in Wismar, die jetzt Nordic Yards heißt.
In der Kaffeeküche bespricht er mit dem Geschäftsführer der Transfergesellschaft, Oliver Fieber, die größeren und kleineren Baustellen. So richtig rund läuft die ganze Sache nicht. Es gibt von allen Seiten immer noch mehr Fragen als Antworten. Und ist der neue Investor tatsächlich seriös? Oder: Ist Vitali Jussufow auch nur ein vorgeschobenes Windei, wie der letzte, Andrej Burlakov, nur mit besseren Manieren?
Rickers: "Für mich spricht für Seriosität, dass jemand hier 49 Millionen Euro in die Hand nimmt und hier investiert und dieser ersten Verpflichtung offensichtlich auch nachkommt."
Fieber: "Und bezogen auf die Kollegen. Auch die wissen ja nichts Genaues und deswegen entwickeln sich die Gerüchte in die eine und in die andere Richtung sehr schnell und das führt zu Emotion, weil es nämlich keine Planungssicherheit gibt."
Im Moment heißt es für die Werftarbeiter aber eher warten als planen. Ein paar sitzen am Computer und stöbern in Jobbörsen. Andere schreiben unter Anleitung ihren Lebenslauf. Bei vielen steht: 30 Jahre Werft. Die meisten aber stehen auf dem Gang in einer Schlange vor dem Personalbüro. Unterlagen abholen, Zeugnisse, Lohnsteuerkarten, was alles so notwendig ist für die bürokratische Abwicklung eines Arbeitslebens. Viele kommen auch einfach nur, weil sie es so gewohnt sind.
Zier: "Viele kommen auch eigentlich nur dahin, um Infos zu holen, was gibt's denn neues, und wenn sie auch nur zehn Minuten da sind und dann fahren sie wieder nach Hause, das ist dann nicht gleich der tiefe Sturz ins schwarze Loch."
Für alle ist Ronald Zier der Ansprechpartner. Dabei muss er selber täglich gegen den Frust ankämpfen. 31 Jahre Betriebszugehörigkeit am 1. September. Zwölf Jahre freigestellter Betriebsrat, hat auf der Werft Schiffbauer gelernt. Zier ist aus der alten Betriebsratsmannschaft als Personalverantwortlicher in die Transfergesellschaft gewechselt.
Fast alle sind in die Transfergesellschaft gewechselt. Transfergesellschaft – und nicht Auffanggesellschaft, wie dieses arbeitsmarktpolitische Instrument auch oft genannt wird. Transfer bedeutet – fit machen für den ersten Arbeitsmarkt. Bewerbungstraining, Coaching, Qualifizierung. Das Land und die Bundesagentur für Arbeit haben die Gesellschaft für mindestens neun Monate großzügig ausgestattet. Aber, so fragt man sich angesichts der wirtschaftlichen Lage, wo soll denn dieser erste Arbeitsmarkt sein, der die Arbeiter zu gleichen – oder zumindest ähnlich guten Bedingungen aufnimmt.
Wilcken: "Ich möchte nun keine Betriebsgeheimnisse ausplaudern, aber es gibt eine ganze Reihe von Betrieben, die sich schon gut bedient haben, die interessanten Leute sind schon lange unter Vertrag, also es wäre naiv zu glauben, dass die Betriebe, die Ingenieure gebrauchen können, die Controller gebrauchen können etc., dass die nicht schon vor längerer Zeit ihre Fühler ausgestreckt haben."
Die Antwort vom Geschäftsführer der Unternehmerverbände in Mecklenburg-Vorpommern, Lothar Wilcken, erstaunt fast ein wenig. Hat man doch bei Mecklenburg-Vorpommern immer ein landschaftlich wunderschönes, aber industrielles "Entwicklungsland" vor Augen. Und das trifft auch zu. Der Export ist geringer als in anderen Bundesländern. Mit der Folge, die Wirtschaft ist weniger eingebrochen als anderswo.
Jeden Monat, so Wilcken, hören 10.000 Facharbeiter auf. 120.000 bis 140.000 im Jahr. Demografische Entwicklung. Da soll doch für die Werftarbeiter irgendein Job drin sein. Wenn Sie sich nur "mental" lösen, so wie er es formuliert.
Wilcken: "Sorge macht uns, dass zum Beispiel Auszubildende, die hervorragende Angebote bekommen in der Nähe, um ihre Betriebspraxis im Rahmen der dualen Ausbildung zu vertiefen, dass die abgesagt haben, und lieber in der Beschäftigungsgesellschaft, also in der Übungsfirma fernab von der betrieblichen Praxis bleiben, weil sie sagen, och nö, ich möchte viel lieber auf der Werft, oder was mal daraus wird, bleiben. Da haben wir tatsächlich Probleme zu vermitteln, die Angebote sind da, wir kennen die Firmen, alle Betroffenen reden sich den Mund fusselig, um den jungen Leuten zu sagen, macht doch weiter. Die Betriebe haben zugesichert, dass sie zu den gleichen Konditionen wie bei der Werft die jungen Leute im dritten Lehrjahr aufnehmen, aber die gehen nicht rüber, das macht uns Sorgen."
Die Betriebsräte und die Gewerkschafter haben momentan aber ganz andere Sorgen
Zier: "Was natürlich jetzt nagt bei uns, das ist im Moment die Zeit, die verrinnt, die wenigen Informationen, die wir bekommen, wir haben eigentlich ... vielleicht ist das aus der Situation heraus passiert, dass wir zu schnell dass Pferd reiten wollten. Im Detail wissen wir ja auch nicht, was bei so einem Deal so hinter den Bühnen abläuft, dass wir da den Zeitrahmen für uns zu eng gesteckt haben, aber das deprimiert uns, dass Zeit verstreicht und eigentlich nichts passiert."
Am 31. August war offiziell sein letzter Tag als Betriebsrat. Am 1. September hatte die IG Metall zur einer großen Versammlung geladen. Ein bisschen Aktionismus, um das Warten zu verkürzen. Neue Informationen gibt es nicht. Jussufofw ist zwar in Wismar, aber treffen will er sich nicht. Arbeiterführer Rickers sagt aber auch, die Mitglieder haben ein Recht auf Betreuung - und so ein bisschen Werbung machen schadet nie
Rickers bei der IG-Metall-Versammlung: "So ich begrüße euch erst mal ganz herzlich zu unserer Mitgliederversammlung. Wir haben euch ja alle schriftlich eingeladen, auch die, die nicht in der IG Metall sind, und Kolleginnen und Kollegen ich sach das ganz klar, wir haben zurzeit eine Situation, die man so ein bisschen mit rechtlosem Zustand beschreiben könnte."
Die Betriebskantine ist voll besetzt, das letzte Essen ist hier vor einem Monat rausgegangen. Die Uhr an der Wand ist auf 10 vor 12 stehengeblieben. Zufall? Oder wollte da jemand ein Symbol schaffen, dass es nach der Übernahme durch den neuen russischen Investor wenigstens nicht mehr 5 nach 12 ist. Die Gewerkschaft will ein Mitspracherecht bei Personalentscheidungen.
Rickers: "Meine Vorstellung ist, dass zu der Frage, wer und in welchem Umfang und zu welchem Zeitpunkt jetzt Kollegen, aus der Transfergesellschaft wieder in das Zweitarbeitsverhältnis auf die Werft wechseln können und sollen, dass wir das in einer entsprechenden Kommission miteinander beraten und darauf achten, dass hier nicht einzelne für einzelne Grüppchen Vorteile organisieren oder was auch immer. Ich möchte nicht, dass wir mit einer kleinen Stammbelegschaft hier anfangen und der Rest wird dann möglicherweise sogar von ehemaligen Beschäftigten über Leiharbeit zu Dumpinglöhnen gemacht. Ich hab das im Gläubigerausschuss auch gesagt, dass ich davon ausgehe, dass hier zu tariflichen Bedingungen auf der Werft in Festarbeitsverhältnissen gearbeitet wird und nicht zu Dumpinglöhnen."
Ein Recht darauf gibt es nicht, aber die politische Macht, sagt Rickers. Seine Gewerkschaft hat Zulauf. Er sitzt mit im Gläubigeraussschuss und konnte immerhin eine Zusatzvereinbarung zum Vertrag durchsetzen. In der steht, dass es eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit geben soll und das ...
Rickers: "... unter Berücksichtigung der Zielsetzung einer ausgewogenen Alterstruktur mindestens drei Viertel der 1200 unter dem Kaufvertrag zugesicherten Arbeitsverhältnissen mit Arbeitnehmern begründen, die in eine der beiden Transfergesellschaften gewechselt sind. Die Käufer sind jedoch frei, an beiden Standorten auch sonstige Arbeitnehmer einzustellen."
Das heißt alles - und nichts.
Rickers: "Wir brauchen aber nicht drum herum reden. Von 2500 nur 1200 oder 1500, das kann man ja alles rechnerisch durchspielen. Das heißt aber in der nächsten Zeit, dann ist das die Frage: Du oder Du, Du oder Du oder wie muss man sich das vorstellen? Das ist die ganz brutale, nüchterne Analyse, die wir dazu zu treffen haben. Es wird in der Kürze der Zeit keine schnelle Lösung für alle geben."
Ines Scheel, die Betriebsratsvorsitzende schaltet sich ein. Gestern hätte sie 30-jähriges Betriebsjubiläum gehabt. Als sie spricht, fällt der zwei Meter hohe Ficus um. Die 47-Jährige wird nicht umsonst die heilige Johanna der Werft-Kräne genannt.
Scheel: "Ja, stürmische Zeiten würde ich sagen ... haha ... Ich möchte noch mal kurz was zur Transfergesellschaft sagen. Das Problem, was wir haben, Herr Jussufow denkt im Moment, die Transfergesellschaft ist nur dazu da, die Leute zusammenzuhalten. So haben wir das anfangs auch immer mit euch besprochen, damit ihr nicht weglauft. Wenn aber in den nächsten zwei bis vier Wochen nichts passiert, und das ist das Problem, dann kann ich mir schon vorstellen, dass insbesondere die Jüngeren oder die Know-How-Träger sich nach anderer Arbeit umsehen, und dann hat er hier 'ne Werft aber keine Leute, mit denen er die Schiffe bauen kann und deswegen bin ich auch so maßlos ärgerlich und enttäuscht, dass er sich bis heute noch nicht entschieden hat."
Am 22.September gibt es nun endlich den Termin mit dem - vielleicht - neuen Chef. Einen ersten. Was daraus wird? Es bleibt beim langen, langen, bangen Warten. Die Pläne für eine Werftbesetzung ist noch lange nicht vom Tisch.
Auf dem Parkplatz stehen die Männer zusammen. "Versager", "Betrüger" zischt einer in Richtung Geschäftsführung und wendet sich ab. Viele sind skeptisch, verhalten hoffnungsvoll, weil auch niemand von ihnen nach rund sieben Wochen Insolvenz glauben will, dass, wie es einer sagt, der Laden hier dicht gemacht wird. Alle klagen, dass sie nicht ausreichend informiert werden. Schimpfen auf den Insolvenzverwalter und auf Wirtschaftsminister Jürgen Seidel. Der sitzt im 30 Kilometer entfernten Schwerin. Bevor der IG-Metall-Mann Thomas Rickers wieder zurück in die Hansestadt an der Trave fährt, spricht er noch einmal mit seinen Kollegen und sagt ihnen, er würde wirklich mal sehr gerne wissen, was dieser Jürgen Seidel dafür tut, dass hier in Wismar alles in geordneten Bahnen weiter läuft.
Der Gewerkschafter Thomas Rickers und der CDU-Politiker Jürgen Seidel kennen sich gut. Es gibt so etwas wie eine gewisse Wertschätzung füreinander.
Seidel: "Ja, das weiß Herr Rickers ganz genau, weil, ich muss mal sagen, dass wir hier in den letzten Monaten mit den Gewerkschaften sehr intensiv und gemeinsam an der Lösung der Probleme arbeiten. Ich will auch sagen, dass die Gewerkschaften hier sich in wirklich anerkennenswerter Weise einbringen in die Lösung der Prozesse. Es ist ja so, dass die Krise ja ganz Europa, eigentlich ja die ganze Welt erschüttert. Aber diese Krise uns vor Aufgaben stellt, wie wir sie bisher so nicht kannten in der Größenordnung nicht, in der Tiefe des Einschnittes nicht. Und da ist es sehr wichtig, dass wir alle Möglichkeiten nutzen, alle Kräfte anspannen, um zu neuen Lösungen zu kommen."
Wirtschaftsminister in Mecklenburg-Vorpommern ist in diesen Zeiten der Werftkrise ein eher nicht erstrebenswertes Amt. Die Industrie ist an ihren Standorten in Stralsund, Wolgast, Warnemünde und Wismar existenziell gefährdet. Und: Es handelt sich um keine Einzelfälle. Es ist eine strukturelle Krise. Das ist das Bedrohliche daran.
Seidel: "Also, das ist es sicherlich. Das ist aber nicht nur eine strukturelle Krise hier in Mecklenburg-Vorpommern, sondern es trifft genauso die anderen Küstenländer in Deutschland. Es trifft, wie man unlängst erfahren musste, die größte Werft in Dänemark, die Odense-Werft von Maersk und so gesehen hängt es eben damit zusammen, dass die Welthandelssituation sich heute völlig anders darstellt als noch vor ungefähr eineinhalb Jahren."
Das ist so. Vor 18 Monaten ging die Boomzeit zu Ende. Zurzeit sind die Frachtraten um 30 bis 40 Prozent eingebrochen. Schiffe wurden und werden still-, und aufgelegt. Noch vor zwei Jahren wurden weltweit Container- und Massengutschiffe wie am Fließband bestellt und gebaut. Der Markt ist völlig zusammengebrochen. Bricht nun auch die Werftindustrie an der Ostsee zusammen?
Seidel: "Also, wenn wir nicht hoffnungsvoll wären, würden wir ja gar nicht mehr hier sitzen. Das ist ganz klar. Es ist eine schwere Zeit. Der Schiffbau hier in Mecklenburg-Vorpommern hat schon viele schwere Zeiten durchmachen müssen und wir gehen nach wie vor davon aus, wir haben hoch technologisch gerüstete Werften, wir haben hoch motivierte Mitarbeiter in den Unternehmen selbst und wir haben auch Manager, die durchaus in der Lage sind, diese Krise zu managen. Aber ich gebe zu, es ist schwierig."
Es ist mit Sicherheit davon auszugehen, Jürgen Seidel lernt in dieser Krise die Grenzen politischer Einfluss- und Machtmöglichkeiten kennen. Die Sache ist auch noch durch einen anderen Umstand nicht einfacher geworden. Der sozialdemokratische Partner in der Landesregierung stellt den Ministerpräsidenten. Sellering hat, an die staatliche Beteiligung bei VW denkend, einen mittlerweile ziemlich verhängnisvollen Satz gesagt: Die Schiffe seien die Autos für Mecklenburg-Vorpommern. Daraus haben die Gewerkschaften die Forderung abgeleitet: Die Landesregierung soll eine Beteiligungsgesellschaft für die Werften mit staatlichem Anteil gründen.
Der Ministerpräsident rudert unterdessen zurück. Jürgen Seidel hält die Bemerkung ohnehin nicht für klug, da die beiden Industrien, ihre Geschichte und ihre sehr unterschiedliche wirtschaftliche Situation überhaupt nicht zu vergleichen sind. Insofern will er sich mit diesem Thema überhaupt nicht aufhalten lassen, sondern das Wenige, was er tun kann, machen. Er unterstützt die Industrie bei der Suche nach Märkten. Und das ist ein richtig schwieriges Geschäft.
Seidel: "Ja, das ist das Problem, dass eben die gestrigen Märkte heute so nicht mehr zur Verfügung stehen. Insofern bin ich der festen Überzeugung, dass die neue Chance bei den Wadan-Werften, sie wissen, dass wir dort mit russischen Investoren erneut den Versuch machen. Man muss ja sagen, der erste Versuch ist ja tatsächlich gescheitert, wie alle ja mitbekommen haben. Jetzt gibt es über Herrn Jussufow eine neue Chance und diese Chance liegt in russischen Markt. Da ist es in der Tat so, dass über 1000 Schiffe älter als 30 Jahre sind. Die Russen sind sehr bemüht, ihre Off-Shore-Möglichkeiten zu nutzen, insbesondere die Gasvorkommen zu erschließen. Das alles braucht Schiffe, das alles braucht Off-Shore-Gerät. Und hier die Auftragsmöglichkeiten zu erschließen, dass ist die spannende Frage, und da setzen wir jetzt auf Herrn Jussufof."
Die Möglichkeiten der Landesregierung in Schwerin sind sehr begrenzt. Sie bürgt, sie öffnet Türen, sie agiert politisch und unterstützt die hoffentlich nur vorübergehend arbeitslosen Werftangehörigen. Und sie setzt darauf, dass die kürzlich bei den deutsch-russischen Gesprächen in der Nähe von München getroffene Verabredung Wirklichkeit wird. Die Bildung eines gemeinsamen Ostsee-Werftkonzerns.
Seidel: "Also, es ist korrekt. Eine Aussage im Rahmen des Fortführungskonzeptes des neuen Investors ist die, dass es – er nennt es eine strategische Partnerschaft – zwischen Industriezusammenschlüssen, also Kooperationen, auf russischer Seite mit den deutschen Werften hier geben soll. Ich glaube auch, dass eine solche internationale Verflechtung uns eher nur helfen kann. Weil sie den Zugang zu neuen Aufträge überhaupt eigentlich erst nur ermöglicht."
Das hört sich gut an. Nur: Das wird dauern. Und das heißt wiederum, den Gedanken, mit russischen Werften beispielsweise in St. Petersburg und in Vyborg zu kooperieren, hätten Werftmanagement in Wismar und Wirtschaftspolitiker in Schwerin besser bereits vor zwei Jahren gehabt. In den guten Zeiten, um für die schlechten gewappnet zu sein.
Vor zwei Jahren - als die Werft noch Aker hieß und jeden Monat ein Schiff zusammengeschweißt wurde. An der großen blauen Werfthalle steht immer noch der Name des vorletzten Besitzers.
Die Namen wechselten schnell, zu schnell. Kaum Zeit, geschweige denn Geld, um neue Schilder zu kaufen. Von den einst 20.000 Schiffsbauern nach der Wende sind nach drei Privatisierungswellen nur 2400 übrig geblieben. Jetzt gibt es immerhin eine Beschäftigungsgarantie für zwei Jahre für 1200 Arbeiter, je 600 auf beiden Werftenstandorten.
Aber weil der Mecklenburger gemeinhin nicht zu dem Menschenschlag zählt, der sich durch eine besondere, dem Leben zugewandte Heiterkeit auszeichnet, bleibt die Freude über die scheinbar abgewendete Total-Pleite verhalten.
Mann: "Aber erst mal nur zwei Jahre 'ne, und was kommt dann? Und - wo bleibt der Lohn? Der geht dann nach unten!"
Die Menschen schauen skeptisch. Genau wie der goldene Löwe über der Tür eines Giebelhauses am Alten Markt. Seit 150 Jahren ist er da. Jeder kennt ihn. Früher bewachte er eine Apotheke, die nach ihm benannt war. Und die gibt es nun auch nicht mehr. Da ist zwar nicht direkt die Werftenpleite schuld, aber irgendwie vielleicht doch. Das ist dieses Gefühl - immer zu kurz zu kommen. Denn es ist auch klar, die Gläubiger kriegen so gut wie nichts. Vor allem die kleinen. In Wismar sind seit Juni bereits 300 Stellen bei werftennahen Betrieben verloren gegangen. Die Arbeitslosenquote beträgt jetzt schon 17 Prozent.