Landespolitik

Droht in Kiel eine neue Eiszeit?

Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Ministerpräsident Torsten Albig und Bildungsministerin Waltraud Wende © picture-alliance / dpa / Carsten Rehder
Von Dietrich Mohaupt |
Persönliche Angriffe, scharfer Ton: In Schleswig-Holsteins Landtag ist das Klima zwischen Regierung und Opposition wieder rauer geworden. Mancher fühlt sich an die eisigen Zeiten erinnert, als Barschel- und der Schubladen-Affäre das politische Klima vergifteten. Droht eine neue Eiszeit in Kiel?
Wenn es so etwas gibt wie eine Konstante im Landeshaus, dem schleswig-holsteinischen Landtag an der Kieler Förde, dann ist das sicher der gute, alte Paternoster. Seit 1950 ist dieser "Personen-Umlaufaufzug" in Betrieb – unverdrossen und zuverlässig ziehen die Kabinen, manchmal etwas rumpelnd und leise quietschend, ihre Bahnen. Wie gesagt, eine Konstante, der sogar die Mitte der 1990er-Jahre geplante Stilllegung aller Paternoster in der Bundesrepublik nichts anhaben konnte. Eine vom Bundesrat geplante Änderung der Aufzugsverordnung konnte gerade noch rechtzeitig gekippt werden.
Die Fahrt mit einem der insgesamt zwölf Fahrkörbe über drei Stockwerke des Landtags ist heute nicht nur ein etwas nostalgisches Erlebnis in einem lebendigen Technikmuseum – es ist auch so etwas wie eine Zeitreise durch Jahrzehnte schleswig-holsteinischer Politik. Und so sicher man sein kann, dass alle paar Sekunden wieder eine neue Paternosterkabine vorbeikommt – genauso sicher konnte man in diesen Jahrzehnten auch sein, dass regelmäßig die Wellen auf der politischen Bühne im Landtag irgendwann wieder hochschlagen würden. Da gab es emotional aufgeladene Landtagsdebatten ...
"Herr Ministerpräsident, zu einer... zu einer persönlichen Erklärung."
... politische Skandale ersten Ranges ...
"Meine Damen und Herren, ich gebe ihnen mein Ehrenwort, dass die gegen mich erhobenen Vorwürfe falsch sind."
Man gewinnt den Eindruck, ständig brodele es unter der Oberfläche
... spektakulär gescheiterte Ministerpräsidentenwahlen ...
"Für den Abgeordneten Carstensen haben gestimmt 34. Für die Abgeordnete Simonis haben gestimmt 34. Enthaltungen eine."
... und immer wieder auch persönliche Provokationen ...
"Ja, ich bin ein selbstgerechter Advokat, Herr Dr. Stegner – genauso wie Sie ein selbstgefälliger Naseweis sind."
Es zieht sich durch die Nachkriegsgeschichte des nördlichsten Bundeslandes wie ein roter Faden – man hat eigentlich immer den Eindruck, dass es unter der Oberfläche ständig leicht vor sich hin brodelt und der kleinste Anlass ausreicht, um das sprichwörtliche Fass mal wieder zum Überlaufen zu bringen. Stellt sich die Frage: Gibt es im hohen Norden wirklich eine andere, eine besondere politische Kultur? So ganz ist das wohl nicht von der Hand zu weisen, meint der Journalist und Autor Erich Maletzke. Jahrelang war er Chefkorrespondent in der Landeshauptstadt Kiel für die verschiedenen Ausgaben des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlags. Für ihn steht fest:
"Naja – es gibt vor allen Dingen eine besondere Vergangenheit hier in Schleswig-Holstein. Und die ist mit dem Namen Uwe Barschel verbunden und auch mit Engholm verbunden. Das ist zwar alles schon eine ganze Weile her – aber im Untergrund, wie das Wrack der Titanic, immer noch vorhanden. Das ist ein Trauma, dass wahrscheinlich auch nicht so schnell verschwindet."
Die Barschel-Affäre, der Beginn eines Traumas
Dieses Trauma beginnt mit der Barschel-Affäre. Seit 1950 hatte die CDU in Schleswig-Holstein ununterbrochen regiert, hatte regelrecht Besitz vom Land ergriffen in diesen Jahrzehnten. Im Landtagswahlkampf 1987 hatte es eine beispiellose Schmutz- und Bespitzelungskampagne aus dem Umfeld von CDU-Ministerpräsident Uwe Barschel gegen den SPD-Kandidaten Björn Engholm gegeben. Der "Spiegel" deckte die Machenschaften aus der Staatskanzlei gegen Engholm damals kurz vor dem Urnengang auf – und prompt verlor die CDU die Wahl. Vier Tage später wollte Uwe Barschel auf der berühmt gewordenen "Ehrenwort-Pressekonferenz" im Landeshaus alle Vorwürfe entkräften, die ihm eine persönliche Verstrickung in die Vorgänge nachsagten. Dazu präsentierte er unter anderem eidesstattliche Erklärungen von Mitarbeitern der Staatskanzlei – mit falschen Inhalten, wie sich später herausstellen sollte –, die seine Verteidigung untermauern sollten.
"Meine Damen und Herren, über diese Ihnen gleich vorzulegenden eidesstattlichen Versicherungen hinaus gebe ich Ihnen, gebe ich den Bürgerinnen und Bürgern des Landes Schleswig-Holsteins und der gesamten deutschen Öffentlichkeit mein Ehrenwort – ich wiederhole: Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort –, dass die gegen mich erhobenen Vorwürfe haltlos sind."
Engholm räumt Meineid ein
Kurz darauf trat Barschel als Ministerpräsident zurück, am 11. Oktober 1987 wurde er tot in der Badewanne eines Zimmers im Genfer Hotel Beau-Rivage gefunden. Erst 1993 warf die sogenannte Schubladenaffäre ein neues Licht auf Barschel – ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss kam damals zu dem Schluss, dass eine Urheberschaft Barschels an der Affäre von 1987 nicht nachweisbar sei. Außerdem kam heraus, dass die SPD-Landesspitze schon früher als bisher zugegeben Details über die Angriffe auf ihren damaligen Spitzenkandidaten gekannt hatte. Björn Engholm – inzwischen Ministerpräsident in Schleswig-Holstein, SPD-Bundesvorsitzender und Kanzlerkandidat – musste zugeben, 1988 vor einem anderen Untersuchungsausschuss einen Meineid geleistet zu haben. Nur die Verjährungsfrist bewahrte ihn vor einer Strafverfolgung, seine politische Karriere aber war zu Ende.
"Im Bewusstsein der getanen und geleisteten Arbeit und in der Absicht, mein Land und meine Partei davor zu bewahren, mit meinem politischen Fehler identifiziert zu werden, werde ich mein Amt als Ministerpräsident und meine Funktionen in der SPD aufgeben."
Der CDU-Spitzenmann Barschel: unter bis heute ungeklärten Umständen verstorben; der SPD-Hoffnungsträger Engholm: vor den Trümmern seiner politischen Karriere – wie ein Schatten lagen die Auswirkungen dieser Affären in den folgenden Jahren über den beiden großen Volksparteien in Schleswig-Holstein. Einfach so abschütteln konnten das weder CDU noch SPD, im Landtag war das immer zu spüren bestätigt NDR-Redakteur Stefan Böhnke, der viele Jahre als Korrespondent im Landeshaus tätig war.
Die "Mutter der Politikverdrossenheit"
"Also die Barschel-Affäre ist schon einmalig in der politischen Geschichte. Zum einen ist noch nie mit so schmutzigen Methoden im Wahlkampf gearbeitet worden, zum anderen hat es noch nie wieder einen toten Ministerpräsidenten gegeben – das ist ja alles in diesem Komplex damals geschehen. Und insofern ist diese Affäre einmalig, sie ist die, ich nenne sie mal die 'Mutter der Politikverdrossenheit'. Dieses Wort kam danach erst in Mode, und die politische Landschaft war danach in Schleswig-Holstein vergiftet, und die Affäre und die Folgen wirken bis heute nach."
Auch wenn sich seit Barschel und der Schubladenaffäre vieles wieder normalisiert hat im Verhältnis von CDU und SPD zueinander – die alten Gräben sind noch längst nicht völlig zugeschüttet. Und darunter leidet das politische Klima in Schleswig-Holstein latent, meint Erich Maletzke.
"Das verdirbt das Klima immer wieder mal. Es geht eine ganze Zeit ganz friedlich zu, und die Leute – vor allem außerhalb der Landesgrenze – denken: Na ja gut, nun haben sie sich endlich wieder einmal lieb. Und urplötzlich, wie ein Sturm, fängt es dann wieder an."
Ganz ähnliche Erfahrungen machte auch der CDU-Politiker Klaus Schlie, als er 1996 in den Landtag gewählt wurde. Da ging es plötzlich ganz anders zur Sache, als er es aus der Kommunalpolitik bisher kannte.
Der Ton ist wieder schärfer geworden, der Umgang ruppig
"Hier in der Landespolitik herrschte 1996 schon noch ein anderes, ein sehr deutlich distanzierteres Klima. Das waren schon die Auswirkungen noch der Kieler Affäre, die man sehr deutlich auch im persönlichen Miteinander spürte. Es gab Distanzen, es gab persönliche Animositäten, das waren eben noch die Nachläufer. Das hat sich aber im Laufe der Zeit, in der ich dann Abgeordneter war – auch schon in der ersten Legislaturperiode zwischen 1996 und 2000 – doch erheblich auch im persönlichen Umgang miteinander verbessert."
Dieser langfristige Trend scheint derzeit aber wieder in Gefahr. Seit gut zwei Jahren ist Klaus Schlie inzwischen Landtagspräsident. Deutlich war auch für ihn zu verspüren, dass sich in den vergangenen Wochen und Monaten mal wieder einiges getan hat: Der Ton ist schärfer geworden, der Umgang miteinander zeitweise recht ruppig. Eigentlich ja nicht unbedingt ein Problem, meint Klaus Schlie.
"Erst einmal ist politischer Streit in einer Demokratie ja nichts Unanständiges, sondern das Ringen um die besten Sachargumente. Und dass es dabei eben manchmal auch heftig zugeht, dass man auch deutliche Worte findet, dass, glaube ich, ist auch gar nicht verkehrt."
Besonders gerne greift bekanntlich Wolfgang Kubicki zu deutlichen Worten. Der Vorsitzende der FDP-Fraktion im schleswig-holsteinischen Landtag hat sich in den vergangenen Wochen offenbar verbal so richtig auf die Landesregierung – und die sie tragenden Fraktionen – eingeschossen. Vor allem seinem Hauptkontrahenten, dem SPD-Fraktionschef und Landesvorsitzenden Ralf Stegner, wirft er gerne mal Heuchelei, Unverfrorenheit und Unaufrichtigkeit vor. Stegner setze die Ein-Stimmen-Mehrheit der Regierungskoalition mit allen Mitteln durch, dabei verunglimpfe er seine Kontrahenten ständig als unfähig, böse und unmoralisch.
Ein unerträglicher Umgang mit dem Parlament
"Das heißt, man unterstellt der anderen Seite jeweils keine lauteren Motive, sondern unehrenhafte Motive. Beispiel: die Diskussion über das Glückspielgesetz in Schleswig-Holstein, wo der Kollege Hans-Jörn Arp und ich als Person immer in Verbindung gebracht worden sind mit Geldwäsche und Prostitution. Und wir stellen natürlich fest, dass der politische Willensbildungsprozess anders verläuft als in der Vergangenheit – weniger im Parlament, mehr in diesen kleinen Koalitionsgruppen, und dass der Kollege Dr. Ralf Stegner immer wieder auch öffentlich dokumentiert seine herausragende Stellung als politischer Analytiker, als politischer Dompteur."
Die Opposition werde regelmäßig abgebügelt und kaltgestellt. In den vergangenen zwei Jahren unter der Koalition aus SPD, Grünen und dem Südschleswigschen Wählerverband (SSW), der Partei der dänischen und friesischen Minderheit in Schleswig-Holstein, habe sich ein unerträglicher Umgang mit dem Parlament etabliert. So schlimm war es noch nie, beklagt Wolfgang Kubicki.
"In der Vergangenheit hat es – in dem Ausmaß jedenfalls – das nie gegeben, dass beispielsweise Anträge von den Oppositionsfraktionen bereits in der ersten Lesung ohne Überweisung in die Ausschüsse abgelehnt worden sind, dass Tagesordnungen willkürlich verändert worden sind, dass Anhörungen, die gewünscht worden sind zu Gesetzesvorhaben und anderen Dingen, schlicht und ergreifend mit der Mehrheit weggestimmt worden sind. Das ist eben kein normaler parlamentarischer Umgang, und das löst natürlich auch Reaktionen aus."
FDP kündigte "Pairing-Abkommen" mit der SPD teilweise auf
Eine Reaktion ist, dass die FDP das sogenannte Pairing-Abkommen mit der SPD teilweise aufgekündigt hat. Dieses Abkommen gewährleistet normalerweise das reguläre Mehrheitsverhältnis im Parlament, auch wenn zum Beispiel durch Krankheit oder wegen anderer wichtiger Gründe ein Mitglied der Regierungsfraktionen fehlt. In solchen Fällen fehlt dann eigentlich auch freiwillig ein FDP-Abgeordneter. Das werde man künftig so nicht mehr handhaben, betont Wolfgang Kubicki.
"Wir begrenzen das jetzt auf die Fälle, wo wirklich Krankheit vorliegt. Wenn ein Minister aus der Regierung zum Bundesrat muss, ist das seine Sache. Wenn Veranstaltungen außerhalb des Parlaments sind, ist es Sache der Koalitionsfraktionen, ihre Mehrheit herzustellen. Denn wer seine Ein-Stimmen-Mehrheit so nutzt, muss sie im Zweifel auch jedes Mal auf die Waagschale werfen können."
Das heißt im Klartext, dass es in nächster Zeit also auch mal eng werden könnte mit dem knappen Vorsprung von nur einer Stimme für die Regierungskoalition. Deren Verhalten habe in letzter Zeit durchaus eine gewisse "Putin-Qualität", beschwert sich auch CDU-Fraktionschef Johannes Callsen. Parlamentarismus, meint er, funktioniert anders.
"Wir werden bepöbelt"
"Ich finde, zum Parlamentarismus und zu einem vernünftigen Umgang gehört gerade, dass man auf Sachargumente auch der Opposition hört, dass man sie vernünftig abwägt. Immer dann, wenn wir als Opposition von unserem Recht und auch unserer Pflicht Gebrauch machen, Fragen zu stellen, kritisch zu hinterfragen, dann werden diese Kritikpunkte vom Tisch gewischt. Wir werden bepöbelt. Und ich finde, das ist kein parlamentarischer Umgang miteinander."
Überstimmt werden als Opposition, das ist eine Sache, so Johannes Callsen weiter. Im schleswig-holsteinischen Landtag geht es aber seiner Meinung nach derzeit um ganz etwas anderes.
"Ich glaube, die Regierungskoalition ist mit aller Macht daran interessiert, ihre Ideologie durchzusetzen. Nur ein Beispiel dazu: Wenn es darum geht, Personalstellen entsprechend der Koalitionsvorstellung zu besetzen, dann scheuen SPD, Grüne und SSW nicht davor zurück, entsprechende Gesetze zu ändern, nur damit ein Personalergebnis rauskommt, das ihrer Nase dann passt."
Kungelei und Politik nach Gutsherrenart, schimpft die Opposition
Konkret geht es in dem Fall um die "Lex Weichert" – der Datenschutzbeauftragte des Landes, Thilo Weichert, dürfte eigentlich nach zwei Amtszeiten im Herbst nicht mehr wiedergewählt werden. Die Regierungsmehrheit hat aber gerade erst eine Gesetzesänderung durchgesetzt, die dem 58-jährigen Mitglied der Grünen eine weitere Amtszeit ermöglicht. Kungelei, Politik nach Gutsherrenart, schimpft Wolfgang Kubicki, das erinnere ihn doch stark an die 1970er- und '80er-Jahre, warf er seinem Lieblingskontrahenten Ralf Stegner im Landtag vor.
"Herr Kollege Dr. Stegner – wir hatten in diesem Lande schon einmal eine Zeit, in der politische Entscheidungsträger glaubten, sie seien der Staat. Sie benehmen sich doch genau so, als sei der politische Wille bereits Gesetz – und das ist es eben nicht. Sie müssen akzeptieren, dass Ihr politischer Wille nicht unmittelbar staatliches Handeln auslösen kann."
Der Name Barschel muss gar nicht fallen – Andeutungen reichen, und schon hat die Vergangenheit die Parlamentarier an der Förde wieder eingeholt. Machtmissbrauch im Stile von Barschel und Co. – das ist eine Provokation, die sich die Regierungskoalition natürlich nicht einfach so gefallen lässt. SPD-Fraktionschef Ralf Stegner geht in seiner Antwort gleich wieder in die Offensive.
"Dass ausgerechnet Sie, Herr Kollege Kubicki, sich hier hinstellen und uns vorhalten, die Verhältnisse seien wie vor 1988, das ist unverschämt. Sie wissen das, aber man kann's ja mal machen ... Wir sollten über Inhalte reden, da bleiben Sie die Alternativen immer schuldig. Wir hören nichts ... Wenn Sie Inhalte haben, dann sind die von vorgestern, das ist Ihr Problem, und deswegen greifen Sie auf das alte Mittel zurück, das Sie ja kennen: Mit Schmutz werfen, es wird ja was hängenbleiben."
Lobbyismus-Vorwürfe gegen die Bildungsministerin
Besonders hoch schlugen die Wellen zuletzt in der Diskussion über die Bildungspolitik der Landesregierung. Im Focus stand dabei vor allem Bildungsministerin Waltraud Wende. Die Opposition begnügte sich nicht damit, ihren Gesetzentwurf für die Reform der Lehrerausbildung in Schleswig-Holstein scharf zu kritisieren – sie attackierte die Ministerin auch persönlich, weil sie sich vor ihrem Wechsel vom Amt der Präsidentin der Uni Flensburg in die Landesregierung eine gut dotierte Rückkehroption an die Universität zusichern ließ. Ein rechtlich durchaus umstrittener Schritt, der aus Sicht der Opposition mehr als nur ein Geschmäckle an sich hat, weil die Ministerin mit ihren Plänen für die künftige Lehrerausbildung ausgerechnet die Uni stärken will, die ihr das lukrative Rückkehrrecht eingeräumt hat. Mangelndes politisches Fingerspitzengefühl, Selbstbedienungsmentalität, Lobbyismus in eigener Sache – diese ständigen Attacken auf die Ministerin und die damit verbundenen Rücktrittsforderungen seien mieser, armseliger Stil, so der Vorwurf des SSW-Abgeordneten Lars Harms in Richtung Opposition.
"Sie schmeißen mit Dreck – mal kucken, ob was hängenbleibt an der Ministerin. Und danach machen wir dann eine Entschuldigung und dann ist das Ganze aus der Welt. Aber es wird schon was hängenbleiben, das ist das, wie Sie es betreiben, und ich sage Ihnen ganz ehrlich: Das ist eine Schweinerei, so geht man nicht miteinander um. Ich bin da jedenfalls anders erzogen – so geht man nicht miteinander um. Wir können uns gerne politisch auseinandersetzen, aber nicht auf einer solchen Ebene, das ist diesem Parlament nicht unbedingt würdig."
Eine zutiefst frustrierte Opposition?
Wie dieser Streit am Ende ausgehen wird, ist derzeit ungewiss – feststeht aber, dass die Ministerin Waltraud "Wara" Wende dabei nicht eben eine glückliche Figur macht. Ralf Stegner stellt sich trotzdem weiter schützend vor sie – sie sei nämlich gar nicht das eigentliche Ziel der Opposition, mutmaßt der SPD-Fraktionschef.
"Wara Wende ist kein Politikprofi, sie kommt aus der Wissenschaft, und diese doch eher rauen Umgangsformen – die sind schon befremdlich. Und die tun das ja übrigens gar nicht wegen Wara Wende, sondern die tun das, weil sei annehmen, sie könnten damit die Regierung schwächen. Das spricht immer eher gegen denjenigen, der das unternimmt."
Für Ralf Stegner steht fest: Man hat es derzeit mit einer zutiefst frustrierten Opposition zu tun, die in den vergangenen zwei Jahren ganz einfach so gut wie nichts zuwege gebracht hat. Nach nicht einmal der Hälfte der Legislaturperiode könne dagegen die Regierung einiges vorweisen.
"Wir haben soziale Kürzungen zurückgenommen, wir haben die Minderheitenpolitik verbessert, wir haben deutliche Veränderungen in der Schulpolitik vorgenommen und viele andere Weichenstellungen – und die Opposition war gar nicht auf dem Platz. Das war die Lage in den ersten zwei Jahren, darüber herrschte große Unzufriedenheit, und jetzt hat man den Konflikt um die Frage, Wie machen wir das mit der Lehrerbildung?, genutzt, um zu sagen: Mensch, jetzt müssen wir aber mal sehen, dass wir als Opposition auch mal wieder vorkommen."
Die Lust an der politischen Rauferei
Es ist unbestreitbar: Das Klima in der schleswig-holsteinischen Landespolitik wird gerade etwas rauer, der Umgang zwischen Koalition und Opposition ist ruppiger geworden, der Ton zuweilen schärfer. Aber alle Beteiligten betonen: Es gibt keine neue Eiszeit im Kieler Landtag. Dass trotzdem manchmal dieser Eindruck entsteht, das hat auch eine ganze Menge mit Personen zu tun, namentlich mit den Herren Kubicki und Stegner. Beide sind eben alles andere als pflegeleicht, beide prägen mit ihrem Verhalten das Bild von der schleswig-holsteinischen Landespolitik in der Öffentlichkeit. Und, auch das ist unbestritten, beide genießen durchaus die öffentliche Aufmerksamkeit, die ihnen für ihre regelmäßigen Wortgefechte zuteil wird. Für Wolfgang Kubicki steckt darin sogar eine Art "Lustgewinn".
"Was das Verhältnis von Ralf Stegner und mir im Parlament angeht, ist es jedenfalls bei den Debatten von einer nicht zu übersehenden Lust auf Rauferei –so kann man das formulieren – oder auf Auseinandersetzung geprägt, was den persönlichen Umgang außerhalb des Plenarsaals manchmal beeinträchtig, aber nicht dauerhaft."
Ein "intellektueller Wettbewerb"
Und auch Ralf Stegner neigt eher dazu, das Ganze sportlich zu sehen.
"Ich bemühe mich sehr darum – und ich glaube, dass mir das meistens auch gelingt – hart in der Sache und durchaus sportlich im Ton über politische Unterschiede zu streiten. So verstehe ich das, wenn Herr Kubicki und ich uns da auseinandersetzen – da sitzt nicht jedes Wort immer, aber es ist dann doch ein intellektueller Wettbewerb um die Sache."
Dieser Wettbewerb darf eben nur nicht aus dem Ruder laufen. Das Parlament als Bühne der Landespolitik dürfe nicht zu einer reinen Show der Selbstdarsteller werden, mahnt Landtagspräsident Klaus Schlie. Damit werde der Politikbetrieb den Problemen des Landes nicht gerecht. Bei aller Lust am Streit und der Auseinandersetzung müsse Politik auch in der Lage sein, im Konsens aller Beteiligten Lösungen zu liefern.
"Hier muss, finde ich, über die Parteigrenzen hinweg endlich einmal gehandelt werden. Das erwarten die Bürgerinnen und Bürger von uns. Ich befürchte allerdings, dass das so schnell nicht geschehen wird, weil dieses politische Lagerdenken – hier Regierung und da Opposition – und da nehme ich niemanden aus in der politischen Farbenlehre, offensichtlich wichtiger ist als die Problemlösungen für dieses Land."
Mehr zum Thema