Landgang
"Wir bleiben hier!" Diesen Spruch vernahmen wir zuletzt vor ein paar Tagen. Nicht vor 20 Jahren, da war es das vorletzte mal. Die Zeiten, da Mecklenburg-Vorpommern nur als ein Durchreise-, gar als ein Ausreiseland galt, die Zeiten sind vorbei. Landflucht - vergessen Sie es, das war mal. "Wir bleiben einfach hier." - Ja, ja, "immer mehr Zugvögel bleiben einfach hier". Das haben wir schriftlich!
Wir sind ganz weit oben und schauen ganz tief hinunter. Willkommen zum Landgang Mecklenburg-Vorpommern. Als Reiseleiter vom Dienst begrüßt Sie Claus Stephan Rehfeld.
Mecklenburg-Vorpommern also. Dort, wo sie so Sprüche haben wie "So dumm wie ein Badegast". Wo heftige Gefühlswallung den Siedepunkt erreicht, wenn der so gewallte kund tut "Ick mag di". Wo echte Einheimische etwa so selten geworden sind wie Klappersteine. Nun ja …
Die Themen.
Der Dauersänger. Beim Ex-Weltrekordler im Dauersingen.
Ein eigenartiges Platt. Ein Mecklenburger über den Sachsen.
Greif und Ochs. Die kleine Wappenkunde.
Otto Normalverbraucher. Er logiert in Schwerin.
Und: Extrem redselig. Quasselstrippen an der Küste.
Dies also sind die Themen im Landgang Mecklenburg-Vorpommern. Und dies sind die Beiträge.
Der Dauersänger
Beim Ex-Weltrekordler im Dauersingen
Als Kind sangen wir auch auf der Toilette, die Eltern lächelten. Als Erwachsener singt er auch auf der Toilette, nur lauschen ihm dort Juroren. Der darüber und manch anderes ein Lied singen kann heißt Hartmut Timm, wohnt in Waren, singt mal 54 Stunden und ein paar Minuten durch – ohne große Pausen, ohne Liedwiederholung. Seine Heimatstadt ehrte ihn mit einem Preis, wir ehren ihn mit einem Auftritt. Bitte.
Musik:
"”So leb dein Leben""
Timm singt Halbplayback
"”Mein Freund, einmal da fällt doch auch für dich der letzte Vorhang .."."
Dass für Hartmut Timm, genannt Timmy, bald der letzte Vorhang fällt, davon ist nicht auszugehen. Wenngleich der 44-Jährige den Höhepunkt seiner künstlerischen Karriere schon hinter sich haben dürfte: Er steht zweimal mit dem Rekord im Dauersingen im Guinessbuch der Rekorde.
Timm: "Der erste Rekord war vom 8. bis 10.November 2005 54 Stunden, 41 Minuten."
Dann nahm ein Italiener namens Toni dem Hartmut aus Waren an der Müritz den Rekord weg. Das konnte Herr Timm nicht auf sich sitzen lassen.
Timm: "Und der zweite Rekord 2006: 59 Stunden und 12 Minuten."
"Ich weiß, mein Lebensweg war manchmal krumm und manchmal eben ..."
Aufgewachsen in Waren, Studium der Ökonomie, Promotion, leitende Tätigkeit im Handel – soviel zu den ebenen Strecken in Hartmut Timms Lebenslauf. Nach der Wende, als noch so manch anderer Ost-Lebenslauf Krümmungen passierte, Tätigkeit als Lokaljournalist, Mathe-Nachhilfelehrer und Sänger. Alles freiberuflich. Mit zehn Jahren stand Timmy zum ersten Mal auf der Bühne.
Timm: "Angefangen hatte alles mal mit der Talentebewegung in der DDR, die gabs ja. Das war ganz früher "Herzklopfen kostenlos" und später die "Heitere Premiere". Bloß, damals war man von einem richtigen Orchester begleitet."
Heute ist es Halbplayback, was anderes bezahlt keiner mehr. So weit ist man gekommen als "Sänger mit Berufsausweis" in der Tanzmusikszene an der Basis, in der Bands wie die "Müritz-Dance-Band" oder "Timmys Band" nun auch schon wieder Geschichte sind.
"... Ich hab geliebt, getanzt, es ist nicht viel, was ich bereu’n muss ..."
Nein, auch das ist nichts zum Bereu’n:
Timm: "”Pressefeste, Erntefeste, Stadtfeste, Jubiläen usw. Dieses breite Sek –Sprek – ah – Spektrum ... lacht ...""
Dass sich Herr Timm verspricht kommt ebenso selten vor wie dass er sich versingt – auch darauf hatte die Jury beim 59-stündigen Dauersingen zu achten. In vier Stunden durfte sich kein Titel wiederholen – da muss man schon eine Menge Text im Kopf haben - aber wenn man 30 Jahre auf der Bühne steht, dann hat man das eben.
Timm: "Ich hatte damals – also 2005 - 30jähriges Bühnenjubiläum. Und da hab’ ich gedacht: Du möchtest irgendwie `nen Akzent setzen. Aber auch einen, der ein bisschen knallt!"
" Und heut schau ich zurück, ob man’s verzeihn kann und vergeben ..."
Und so kam es, dass Hartmut Timm aus Waren antrat, Weltrekordler zu werden: Im Gasthaus Alt Waren, wo die Leute rund um die Uhr nach seiner Musik tanzten, wo Arzt und Apotheker seinen Blutdruck überwachten, Schornsteinfeger mittels Besen Glück brachten, Damen und Teenes Plüschtiere schwenkten, die Edeka-Belegschaft erschien, der Gymnasialdirektor und der Bürgermeister. Sie alle fieberten mit Timmy dem Eintrag ins Guinessbuch der Rekorde entgegen.
"Ich hab so oft umsonst gehofft, ich habs gefühlt und doch verspielt ..."
Inzwischen hat ihm ein Amerikaner den Titel abgerungen: 75 Stunden hat er gesungen.
Timm: "Irgendwie fühle ich mich aber noch als Europameister."
Ein eigenartiges Platt.
Ein Mecklenburger über die Sachsen.
Wir deuteten es schon dezent an: Die Küste weicht langsam den Wassergewalten, die Einheimischen weichen hier und dort und manchmal heftig Zugereisten. Während der Urlaubssaison ist MV das Urlaubsland, die restlichen paar Monate ist es das Zugereistenland. Wohl kaum ein anderer Landstrich der Republik wurde in den vergangenen Jahrzehnten so aufgemischt wie Mecklenburg-Vorpommern, bevölkerungsmäßig. Und so freut sich der Besucher, trifft er endlich mal auf einen typischen Mecklenburger … und den dann auch noch ausfragen kann: über die Mecklenburger, die Familie und über die liebe Bekanntschaft, na Sie wissen schon.
Freiwillig verheiratet, vier Söhne, ein Hund. Und wie viele Sachsen darunter?
"Noch keiner, nee, nich. Der Hund ist uns zugelaufen. Aber ob der nun von Sachsen hoch gelaufen kam? Er sagt ja auch nich so viel. Ist also kein Sachse."
Und?
"Ja und und und. In der Nachbarschaft haben wir, glaube ich, einen, aber der reicht denn auch schon."
Und d e r Sachse?
"Na eigentlich mehr so ein schwieriger Freund."
Und der Sachse so alleine?
"Das ist ein lustiger Freund, also über den kann man lachen."
Und der Sachse so als Masse?
"Das muss man umgehen."
"Weit umgehen."
Wie tritt er so auf?
"Ja, immer ein bisschen laut, und hektisch. Und auch immer gleich so voll, so voll rein, gar nicht so überlegt. Schrill – würde man, glaube ich, hochdeutsch sagen. Schrill."
Und?
"Schrill und laut. Und von … ja, nee, schrill und laut ist gut."
Werden die Mecklenburger von ausländischen Touristen für Sachsen gehalten?
"Hoffentlich nicht. Das wär ja, das wär ja schlimm."
Und woran erkennt man äußerlich so einen Sachsen?
"Ich glaube, die gehen schneller als wir."
Und sprachlich?
"Die reden schneller als wir. Man versteht die auch gar nicht. Die schnacken ein fürchterlichen Platt."
Kann der Sachse plattdeutsch?
"Nee! Nee!"
Will er es nicht lernen?
"Kann er ja nicht! Er kann das ja gar nicht. Allein schon von der Art, ne. Um ordentlich sprechen zu können, muss man die Ruhe in sich haben. Und da können die ja gar nicht. Nee, das kriegen die nicht. Die holpern da rein in das Sächsische, das geht nicht."
Und?
"Gute Menschen sind auch dabei, doch."
Ah ja.
"Bitte, ja."
Wie lange stehen Sie jetzt schon hier und Angeln?
"Na ja, ich hab jetzt vorgestern angefangen. Und nachdem die ersten Würmer schon erfroren sind, muss ich nu langsam aufhören. Aber ich wart noch ein bisschen, vielleicht kommt noch so ein Eisfisch vorbei."
Wie lange würde ein Sachse beim Angeln aushalten?
"Ja fünf Minuten, dann würde er die Angel zurückbringen ins Geschäft und sagen: Das funktioniert nicht, weil da keiner beißt."
Greif und Ochs.
Die kleine Wappenkunde.
Das Land Mecklenburg-Vorpommern wurde 1990 wiederbegründet. Bereits in der Sowjetischen Besatzungszone gab es, und zwar erstmals, das Bindestrich-Land. Der Bindestrich ist auf Juni 1945 datiert. 1947 dann, die Alliierten lösten Preußen auf, wurde der Bindestrich getilgt und mit ihm Vorpommern aus der Landesbezeichnung. 1990 also die Wiedereinführung des Bindestriches. Und selbiger nun markiert so manche Eigenheit und Gemeinsamkeit. Die Kleine Wappenkunde. Mecklenburg-Vorpommern.
Es waren nicht viele Pommern, die gegen die Bindestrich-Lösung 1990 protestierten. Aber es gab sie. Ein gemeinsames Bundesland mit Mecklenburg? Nein, das gehe nicht. Und öffentlich wiesen sie darauf hin, die Vorpommern hätten doch eher mit Brandenburg gemeinsame Wurzeln. Doch der Bindestrich kam … und Brandenburg kam ins Wappen. In das Große Landeswappen.
Er ist viergeteilt, der Schild im Großen Landeswappen. Im ersten und im zweiten Feld sind der mecklenburgische Stierkopf und der pommersche Greif zu sehen. Darunter, im dritten Feld, der brandenburgische Adler. Neben ihm dann wieder ein mecklenburgischer Stierkopf.
Zwei schwarze Stierköpfe mit roter Zunge und goldener Krone. Ursprünglich führten die mecklenburgischen Fürsten einen Greif im Siegel, doch 1219 wurde er vom Kopf eines Auerochsen verdrängt. Er überdauerte die dynastischen Teilungen, zuletzt die von Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz. Auf diese beiden Teilstaaten weisen die zwei Stierköpfe hin.
Der rote, aufgerichtete Greif im zweiten Schildfeld steht für Vorpommern. Nachgewiesen ist das Wappentier der pommerschen Herzöge seit 1200. Sie nannten sich nach ihrem Wappentier das Greifengeschlecht. Es erlosch im Dreißigjährigen Krieg, aber Schweden und Brandenburg/Preußen als neue Herrscher führten den pommerschen Greifen weiter als Wappentier. Ab 1880 war der Greifenschild das Wappen der preußischen Provinz Pommern.
Die Diskussion riss nach der Wende nicht ab: Was kommt in das dritte Feld? Die Geschichte gab auch hier die Antwort: ein Roter Adler auf silbernem Grund. Der brandenburgische Adler. Von den Greifen hatte Brandenburg Pommern geerbt. Und einige Stadtwappen in Mecklenburg zeigen eine brandenburgische Vergangenheit an.
Doch das bekanntere Wappen ist das Kleine Landeswappen. Es ist gespalten und zeigt den mecklenburgischen Stierkopf auf goldenem Grund und den pommerschen Greif auf silbernem Grund. Sie kommen im Bindestrichland am häufigsten als Symbole vor.
Otto Normalverbraucher.
Er logiert in Schwerin.
Otto Normalverbraucher – jedermann kennt ihn, aber wer gedachte seines Geburtstages? Vor 60 Jahren war es, in einem Kino in Berlin, da erblickte er das Licht der Welt. Und wir waren dieser Tage nicht wenig überrascht, als wir vor seiner Haustür standen - in Schwerin, am Wallgraben. Da steht auf einem Klingelschild: Otto Normalverbraucher. Seit zehn Jahren wohnt er dort, mietfrei. Dank der Haubesitzer, der Familie Helms. Andere dagegen wollen Otto Normalverbraucher zur Kasse bitten, zum Beispiel Kabel Deutschland. Bitte, Band ab.
Hausbesitzer Helms: "Der ist durch die Straße gegangen, hat geklingelt, Klingelschilder abgeschrieben und hat dann, ganz clever natürlich, muss ich sagen, fertige Verträge gehabt, wo dann einfach draufstand: Familie Amsel, Wallstraße 46, dann ein Ort und dann dieses ganze Antragsformular, 45 Seiten DIN A 4 kleingedurckt mit mehreren Durchschlägen. Ja, aber war kein Interesse."
Helms: "Es gibt immer wieder mal Leute, die da auch klingeln und uns dann fragen: Wir haben schon ein paar mal geklingelt, aber da meldet sich keiner. Ist da keiner zu Haus?"
Helms: "Aber es gab auch schon von der GEZ auch schon einen älteren, erbosten, voluminösen Herren, der hier etwas merkwürdig auftrat und wollte also nun unbedingt, dass Otto Normalverbraucher und Familie Amsel auch endlich bei der GEZ ihre Gebühren bezahlen Funk und Fernsehen."
Helms: "Die Kripo war mal da, war auch mal da. Die fühlte sich etwas veralbert. (lacht) Ich weiß nicht, warum."
Helms: "Also Otto Normalverbraucher wohnt natürlich ganz oben, ist ja auch die oberste Klingel bei uns im Haus."
Helms: "Und Otto Normalverbraucher sehen wir sehr selten. Der scheint also, ja ich weiß auch nicht, also es ist … Und ist ruhig. Und ich denke, dass es ihm auch gut gefällt. Die Mieter drüber haben sich auch noch nicht beschwert, drunter natürlich, drunter."
Helms: "Ja, Otto Normalverbraucher ist Single."
Helms: "Ja, ob er Gewohnheiten hat? Er kriegt wenig Besuch. Ja, das muß ich sagen, dass ist auffallend."
Helms: " Man kann ja mal was inszenieren, vielleicht passiert was. (lacht) Kann ja mal einen Reisepass beantragen."
Helms: "Wir haben 10 Wohnungen im Haus und haben nur einen Klingelkasten für 12 Klingeln bekommen. Und die 12 Klingeln mussten natürlich mit einem Namen versehen werden. Und so haben wir Otto Normalverbraucher und Familie Amsel."
Extrem redselig.
Quasselstrippen an der Küste.
Das wird ein Stummfilm, murmelte der Herr in den Telefonhörer, legte auf und zog los, um ihn zu finden – den wortkargen Norddeutschen. Ein paar Kilometer weiter traf der Herr Autor dann auf Menschen, von denen er nun keck behauptet, es handle sich um Einheimische.
Und diese hätten seine Vermutung, es werde ein Stummfilm, rücksichtslos zertrümmert. In einer Bauernstube in Tetrow. Wir vernahmen dies und hegen den Verdacht, bei den Stummfilm-Zertrümmerern handelt es sich um Mitglieder eines Dorfensembles, die für Auswärtige mal was gucken lassen wollen.
Erster Mann: "Geht mal ein bisschen zärtlich um mit die Würfel."
"Juhuhhh."
Ja, sie können es, die Mecklenburger!
Zweiter Mann: "Das heißt Meecklenburger."
Es gibt sie also, die geselligen Mecklenburger Quasselstrippen, aber sie verstecken sich hinter den gängigen Vorurteilen, um in aller Ruhe unter sich lustig zu sein.
Frau: "Das ist eben nicht der Typ, der auf einen zugeht."
Mann: "Mhhhh, maulfaul möchte ich sagen."
Frau: "Stur manchmal, stur, doch doch doch, maulfaul."
Wenn sie dies sagen, geht ein breites Lachen über ihre Gesichter. Und wir sehen, dass es ihnen Vergnügen macht, die Vorurteile gewissermaßen zur Abschreckung aufzustellen. In Wirklichkeit ist es doch eine Einladung, an ihrer Geselligkeit teilzuhaben.
Die Wirtin der Bauernstube in Tetrow lädt ein zum Skat- und Würfelspiel und über zwanzig Mecklenburger aus den umliegenden Dörfern kommen, um zu spielen. Der Autor will die Vorurteile über die sturen und maulfaulen Mecklenburger zertrümmern und mischt sich unter die Spieler.
Skatspieler: "Solange du nicht hier warst, waren die Karten besser."
Nun, man muss damit rechnen, dass Vorurteile hartnäckig sind und ich besuch die Würfelrunde im linken Nebenraum.
Erste Frau: "Das ist doch ein ruhiger, gemütlicher Typ. Ja. Vielleicht nicht so gesprächig, aber, man kann mit ihm auskommen."
Zweite Frau: "Der Mecklenburger ist doch nicht stur!"
Dritte Frau: "Doch, doch doch, manchmal schon. Der Mecklenburger kann stur sein. Kann! Aber wenn, dann kann er lustig sein und mitmachen. Und, und, und. Wir gehen doch nicht umsonst hier und treffen uns. Dann sind wir lustig."
Der Autor fühlt sich wohl unter den geselligen Mecklenburgern, doch ein Mann in der Würfelrunde, mit Altlasten aus seiner Kindheit, fällt dem Autor bei der Zertrümmerung der Vorurteile in den Rücken.
Mann: "Ach, mit dem Mecklenburger hab ich nichts im Sinn. Nee, ich bin 47 hierher gekommen."
Erste Frau: "Nun red mal nicht so schlecht von uns."
Zweite Frau: "Aber mit uns spielen hier!"
Sie hatten schlechte Erfahrung 47?
Mann: "Selbstverständlich! Wo wir hier hergekommen sind, da hat man gesagt, nach Mecklenburg musst du kommen, da gibt’s genug zu essen, alles. Ha!"
Frau: "Uns gings doch genau so."
Mann: "Meine Mutter hat gearbeitet, die ganze Woche für sieben Eier und das war der Lohn und da sollst du glücklich sein?"
Alle Spieler: "Zwei, drei, vier fünf, Fünftausendachthundert"
Frau: "Ja, ja, ja, nicht so viel."
Mann: "Jetzt kommt’s !"
Frau: "3150! Ohh Gott, oh Gott, weiter. Das halt ich fest."
Auch der Autor wird von dem Spiel gepackt und es scheint, dass er sogar etwas Glück bringt.
Frau: "Mann, Mann, bleib mal schön hier sitzen."
Mecklenburg-Vorpommern also. Dort, wo sie so Sprüche haben wie "So dumm wie ein Badegast". Wo heftige Gefühlswallung den Siedepunkt erreicht, wenn der so gewallte kund tut "Ick mag di". Wo echte Einheimische etwa so selten geworden sind wie Klappersteine. Nun ja …
Die Themen.
Der Dauersänger. Beim Ex-Weltrekordler im Dauersingen.
Ein eigenartiges Platt. Ein Mecklenburger über den Sachsen.
Greif und Ochs. Die kleine Wappenkunde.
Otto Normalverbraucher. Er logiert in Schwerin.
Und: Extrem redselig. Quasselstrippen an der Küste.
Dies also sind die Themen im Landgang Mecklenburg-Vorpommern. Und dies sind die Beiträge.
Der Dauersänger
Beim Ex-Weltrekordler im Dauersingen
Als Kind sangen wir auch auf der Toilette, die Eltern lächelten. Als Erwachsener singt er auch auf der Toilette, nur lauschen ihm dort Juroren. Der darüber und manch anderes ein Lied singen kann heißt Hartmut Timm, wohnt in Waren, singt mal 54 Stunden und ein paar Minuten durch – ohne große Pausen, ohne Liedwiederholung. Seine Heimatstadt ehrte ihn mit einem Preis, wir ehren ihn mit einem Auftritt. Bitte.
Musik:
"”So leb dein Leben""
Timm singt Halbplayback
"”Mein Freund, einmal da fällt doch auch für dich der letzte Vorhang .."."
Dass für Hartmut Timm, genannt Timmy, bald der letzte Vorhang fällt, davon ist nicht auszugehen. Wenngleich der 44-Jährige den Höhepunkt seiner künstlerischen Karriere schon hinter sich haben dürfte: Er steht zweimal mit dem Rekord im Dauersingen im Guinessbuch der Rekorde.
Timm: "Der erste Rekord war vom 8. bis 10.November 2005 54 Stunden, 41 Minuten."
Dann nahm ein Italiener namens Toni dem Hartmut aus Waren an der Müritz den Rekord weg. Das konnte Herr Timm nicht auf sich sitzen lassen.
Timm: "Und der zweite Rekord 2006: 59 Stunden und 12 Minuten."
"Ich weiß, mein Lebensweg war manchmal krumm und manchmal eben ..."
Aufgewachsen in Waren, Studium der Ökonomie, Promotion, leitende Tätigkeit im Handel – soviel zu den ebenen Strecken in Hartmut Timms Lebenslauf. Nach der Wende, als noch so manch anderer Ost-Lebenslauf Krümmungen passierte, Tätigkeit als Lokaljournalist, Mathe-Nachhilfelehrer und Sänger. Alles freiberuflich. Mit zehn Jahren stand Timmy zum ersten Mal auf der Bühne.
Timm: "Angefangen hatte alles mal mit der Talentebewegung in der DDR, die gabs ja. Das war ganz früher "Herzklopfen kostenlos" und später die "Heitere Premiere". Bloß, damals war man von einem richtigen Orchester begleitet."
Heute ist es Halbplayback, was anderes bezahlt keiner mehr. So weit ist man gekommen als "Sänger mit Berufsausweis" in der Tanzmusikszene an der Basis, in der Bands wie die "Müritz-Dance-Band" oder "Timmys Band" nun auch schon wieder Geschichte sind.
"... Ich hab geliebt, getanzt, es ist nicht viel, was ich bereu’n muss ..."
Nein, auch das ist nichts zum Bereu’n:
Timm: "”Pressefeste, Erntefeste, Stadtfeste, Jubiläen usw. Dieses breite Sek –Sprek – ah – Spektrum ... lacht ...""
Dass sich Herr Timm verspricht kommt ebenso selten vor wie dass er sich versingt – auch darauf hatte die Jury beim 59-stündigen Dauersingen zu achten. In vier Stunden durfte sich kein Titel wiederholen – da muss man schon eine Menge Text im Kopf haben - aber wenn man 30 Jahre auf der Bühne steht, dann hat man das eben.
Timm: "Ich hatte damals – also 2005 - 30jähriges Bühnenjubiläum. Und da hab’ ich gedacht: Du möchtest irgendwie `nen Akzent setzen. Aber auch einen, der ein bisschen knallt!"
" Und heut schau ich zurück, ob man’s verzeihn kann und vergeben ..."
Und so kam es, dass Hartmut Timm aus Waren antrat, Weltrekordler zu werden: Im Gasthaus Alt Waren, wo die Leute rund um die Uhr nach seiner Musik tanzten, wo Arzt und Apotheker seinen Blutdruck überwachten, Schornsteinfeger mittels Besen Glück brachten, Damen und Teenes Plüschtiere schwenkten, die Edeka-Belegschaft erschien, der Gymnasialdirektor und der Bürgermeister. Sie alle fieberten mit Timmy dem Eintrag ins Guinessbuch der Rekorde entgegen.
"Ich hab so oft umsonst gehofft, ich habs gefühlt und doch verspielt ..."
Inzwischen hat ihm ein Amerikaner den Titel abgerungen: 75 Stunden hat er gesungen.
Timm: "Irgendwie fühle ich mich aber noch als Europameister."
Ein eigenartiges Platt.
Ein Mecklenburger über die Sachsen.
Wir deuteten es schon dezent an: Die Küste weicht langsam den Wassergewalten, die Einheimischen weichen hier und dort und manchmal heftig Zugereisten. Während der Urlaubssaison ist MV das Urlaubsland, die restlichen paar Monate ist es das Zugereistenland. Wohl kaum ein anderer Landstrich der Republik wurde in den vergangenen Jahrzehnten so aufgemischt wie Mecklenburg-Vorpommern, bevölkerungsmäßig. Und so freut sich der Besucher, trifft er endlich mal auf einen typischen Mecklenburger … und den dann auch noch ausfragen kann: über die Mecklenburger, die Familie und über die liebe Bekanntschaft, na Sie wissen schon.
Freiwillig verheiratet, vier Söhne, ein Hund. Und wie viele Sachsen darunter?
"Noch keiner, nee, nich. Der Hund ist uns zugelaufen. Aber ob der nun von Sachsen hoch gelaufen kam? Er sagt ja auch nich so viel. Ist also kein Sachse."
Und?
"Ja und und und. In der Nachbarschaft haben wir, glaube ich, einen, aber der reicht denn auch schon."
Und d e r Sachse?
"Na eigentlich mehr so ein schwieriger Freund."
Und der Sachse so alleine?
"Das ist ein lustiger Freund, also über den kann man lachen."
Und der Sachse so als Masse?
"Das muss man umgehen."
"Weit umgehen."
Wie tritt er so auf?
"Ja, immer ein bisschen laut, und hektisch. Und auch immer gleich so voll, so voll rein, gar nicht so überlegt. Schrill – würde man, glaube ich, hochdeutsch sagen. Schrill."
Und?
"Schrill und laut. Und von … ja, nee, schrill und laut ist gut."
Werden die Mecklenburger von ausländischen Touristen für Sachsen gehalten?
"Hoffentlich nicht. Das wär ja, das wär ja schlimm."
Und woran erkennt man äußerlich so einen Sachsen?
"Ich glaube, die gehen schneller als wir."
Und sprachlich?
"Die reden schneller als wir. Man versteht die auch gar nicht. Die schnacken ein fürchterlichen Platt."
Kann der Sachse plattdeutsch?
"Nee! Nee!"
Will er es nicht lernen?
"Kann er ja nicht! Er kann das ja gar nicht. Allein schon von der Art, ne. Um ordentlich sprechen zu können, muss man die Ruhe in sich haben. Und da können die ja gar nicht. Nee, das kriegen die nicht. Die holpern da rein in das Sächsische, das geht nicht."
Und?
"Gute Menschen sind auch dabei, doch."
Ah ja.
"Bitte, ja."
Wie lange stehen Sie jetzt schon hier und Angeln?
"Na ja, ich hab jetzt vorgestern angefangen. Und nachdem die ersten Würmer schon erfroren sind, muss ich nu langsam aufhören. Aber ich wart noch ein bisschen, vielleicht kommt noch so ein Eisfisch vorbei."
Wie lange würde ein Sachse beim Angeln aushalten?
"Ja fünf Minuten, dann würde er die Angel zurückbringen ins Geschäft und sagen: Das funktioniert nicht, weil da keiner beißt."
Greif und Ochs.
Die kleine Wappenkunde.
Das Land Mecklenburg-Vorpommern wurde 1990 wiederbegründet. Bereits in der Sowjetischen Besatzungszone gab es, und zwar erstmals, das Bindestrich-Land. Der Bindestrich ist auf Juni 1945 datiert. 1947 dann, die Alliierten lösten Preußen auf, wurde der Bindestrich getilgt und mit ihm Vorpommern aus der Landesbezeichnung. 1990 also die Wiedereinführung des Bindestriches. Und selbiger nun markiert so manche Eigenheit und Gemeinsamkeit. Die Kleine Wappenkunde. Mecklenburg-Vorpommern.
Es waren nicht viele Pommern, die gegen die Bindestrich-Lösung 1990 protestierten. Aber es gab sie. Ein gemeinsames Bundesland mit Mecklenburg? Nein, das gehe nicht. Und öffentlich wiesen sie darauf hin, die Vorpommern hätten doch eher mit Brandenburg gemeinsame Wurzeln. Doch der Bindestrich kam … und Brandenburg kam ins Wappen. In das Große Landeswappen.
Er ist viergeteilt, der Schild im Großen Landeswappen. Im ersten und im zweiten Feld sind der mecklenburgische Stierkopf und der pommersche Greif zu sehen. Darunter, im dritten Feld, der brandenburgische Adler. Neben ihm dann wieder ein mecklenburgischer Stierkopf.
Zwei schwarze Stierköpfe mit roter Zunge und goldener Krone. Ursprünglich führten die mecklenburgischen Fürsten einen Greif im Siegel, doch 1219 wurde er vom Kopf eines Auerochsen verdrängt. Er überdauerte die dynastischen Teilungen, zuletzt die von Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz. Auf diese beiden Teilstaaten weisen die zwei Stierköpfe hin.
Der rote, aufgerichtete Greif im zweiten Schildfeld steht für Vorpommern. Nachgewiesen ist das Wappentier der pommerschen Herzöge seit 1200. Sie nannten sich nach ihrem Wappentier das Greifengeschlecht. Es erlosch im Dreißigjährigen Krieg, aber Schweden und Brandenburg/Preußen als neue Herrscher führten den pommerschen Greifen weiter als Wappentier. Ab 1880 war der Greifenschild das Wappen der preußischen Provinz Pommern.
Die Diskussion riss nach der Wende nicht ab: Was kommt in das dritte Feld? Die Geschichte gab auch hier die Antwort: ein Roter Adler auf silbernem Grund. Der brandenburgische Adler. Von den Greifen hatte Brandenburg Pommern geerbt. Und einige Stadtwappen in Mecklenburg zeigen eine brandenburgische Vergangenheit an.
Doch das bekanntere Wappen ist das Kleine Landeswappen. Es ist gespalten und zeigt den mecklenburgischen Stierkopf auf goldenem Grund und den pommerschen Greif auf silbernem Grund. Sie kommen im Bindestrichland am häufigsten als Symbole vor.
Otto Normalverbraucher.
Er logiert in Schwerin.
Otto Normalverbraucher – jedermann kennt ihn, aber wer gedachte seines Geburtstages? Vor 60 Jahren war es, in einem Kino in Berlin, da erblickte er das Licht der Welt. Und wir waren dieser Tage nicht wenig überrascht, als wir vor seiner Haustür standen - in Schwerin, am Wallgraben. Da steht auf einem Klingelschild: Otto Normalverbraucher. Seit zehn Jahren wohnt er dort, mietfrei. Dank der Haubesitzer, der Familie Helms. Andere dagegen wollen Otto Normalverbraucher zur Kasse bitten, zum Beispiel Kabel Deutschland. Bitte, Band ab.
Hausbesitzer Helms: "Der ist durch die Straße gegangen, hat geklingelt, Klingelschilder abgeschrieben und hat dann, ganz clever natürlich, muss ich sagen, fertige Verträge gehabt, wo dann einfach draufstand: Familie Amsel, Wallstraße 46, dann ein Ort und dann dieses ganze Antragsformular, 45 Seiten DIN A 4 kleingedurckt mit mehreren Durchschlägen. Ja, aber war kein Interesse."
Helms: "Es gibt immer wieder mal Leute, die da auch klingeln und uns dann fragen: Wir haben schon ein paar mal geklingelt, aber da meldet sich keiner. Ist da keiner zu Haus?"
Helms: "Aber es gab auch schon von der GEZ auch schon einen älteren, erbosten, voluminösen Herren, der hier etwas merkwürdig auftrat und wollte also nun unbedingt, dass Otto Normalverbraucher und Familie Amsel auch endlich bei der GEZ ihre Gebühren bezahlen Funk und Fernsehen."
Helms: "Die Kripo war mal da, war auch mal da. Die fühlte sich etwas veralbert. (lacht) Ich weiß nicht, warum."
Helms: "Also Otto Normalverbraucher wohnt natürlich ganz oben, ist ja auch die oberste Klingel bei uns im Haus."
Helms: "Und Otto Normalverbraucher sehen wir sehr selten. Der scheint also, ja ich weiß auch nicht, also es ist … Und ist ruhig. Und ich denke, dass es ihm auch gut gefällt. Die Mieter drüber haben sich auch noch nicht beschwert, drunter natürlich, drunter."
Helms: "Ja, Otto Normalverbraucher ist Single."
Helms: "Ja, ob er Gewohnheiten hat? Er kriegt wenig Besuch. Ja, das muß ich sagen, dass ist auffallend."
Helms: " Man kann ja mal was inszenieren, vielleicht passiert was. (lacht) Kann ja mal einen Reisepass beantragen."
Helms: "Wir haben 10 Wohnungen im Haus und haben nur einen Klingelkasten für 12 Klingeln bekommen. Und die 12 Klingeln mussten natürlich mit einem Namen versehen werden. Und so haben wir Otto Normalverbraucher und Familie Amsel."
Extrem redselig.
Quasselstrippen an der Küste.
Das wird ein Stummfilm, murmelte der Herr in den Telefonhörer, legte auf und zog los, um ihn zu finden – den wortkargen Norddeutschen. Ein paar Kilometer weiter traf der Herr Autor dann auf Menschen, von denen er nun keck behauptet, es handle sich um Einheimische.
Und diese hätten seine Vermutung, es werde ein Stummfilm, rücksichtslos zertrümmert. In einer Bauernstube in Tetrow. Wir vernahmen dies und hegen den Verdacht, bei den Stummfilm-Zertrümmerern handelt es sich um Mitglieder eines Dorfensembles, die für Auswärtige mal was gucken lassen wollen.
Erster Mann: "Geht mal ein bisschen zärtlich um mit die Würfel."
"Juhuhhh."
Ja, sie können es, die Mecklenburger!
Zweiter Mann: "Das heißt Meecklenburger."
Es gibt sie also, die geselligen Mecklenburger Quasselstrippen, aber sie verstecken sich hinter den gängigen Vorurteilen, um in aller Ruhe unter sich lustig zu sein.
Frau: "Das ist eben nicht der Typ, der auf einen zugeht."
Mann: "Mhhhh, maulfaul möchte ich sagen."
Frau: "Stur manchmal, stur, doch doch doch, maulfaul."
Wenn sie dies sagen, geht ein breites Lachen über ihre Gesichter. Und wir sehen, dass es ihnen Vergnügen macht, die Vorurteile gewissermaßen zur Abschreckung aufzustellen. In Wirklichkeit ist es doch eine Einladung, an ihrer Geselligkeit teilzuhaben.
Die Wirtin der Bauernstube in Tetrow lädt ein zum Skat- und Würfelspiel und über zwanzig Mecklenburger aus den umliegenden Dörfern kommen, um zu spielen. Der Autor will die Vorurteile über die sturen und maulfaulen Mecklenburger zertrümmern und mischt sich unter die Spieler.
Skatspieler: "Solange du nicht hier warst, waren die Karten besser."
Nun, man muss damit rechnen, dass Vorurteile hartnäckig sind und ich besuch die Würfelrunde im linken Nebenraum.
Erste Frau: "Das ist doch ein ruhiger, gemütlicher Typ. Ja. Vielleicht nicht so gesprächig, aber, man kann mit ihm auskommen."
Zweite Frau: "Der Mecklenburger ist doch nicht stur!"
Dritte Frau: "Doch, doch doch, manchmal schon. Der Mecklenburger kann stur sein. Kann! Aber wenn, dann kann er lustig sein und mitmachen. Und, und, und. Wir gehen doch nicht umsonst hier und treffen uns. Dann sind wir lustig."
Der Autor fühlt sich wohl unter den geselligen Mecklenburgern, doch ein Mann in der Würfelrunde, mit Altlasten aus seiner Kindheit, fällt dem Autor bei der Zertrümmerung der Vorurteile in den Rücken.
Mann: "Ach, mit dem Mecklenburger hab ich nichts im Sinn. Nee, ich bin 47 hierher gekommen."
Erste Frau: "Nun red mal nicht so schlecht von uns."
Zweite Frau: "Aber mit uns spielen hier!"
Sie hatten schlechte Erfahrung 47?
Mann: "Selbstverständlich! Wo wir hier hergekommen sind, da hat man gesagt, nach Mecklenburg musst du kommen, da gibt’s genug zu essen, alles. Ha!"
Frau: "Uns gings doch genau so."
Mann: "Meine Mutter hat gearbeitet, die ganze Woche für sieben Eier und das war der Lohn und da sollst du glücklich sein?"
Alle Spieler: "Zwei, drei, vier fünf, Fünftausendachthundert"
Frau: "Ja, ja, ja, nicht so viel."
Mann: "Jetzt kommt’s !"
Frau: "3150! Ohh Gott, oh Gott, weiter. Das halt ich fest."
Auch der Autor wird von dem Spiel gepackt und es scheint, dass er sogar etwas Glück bringt.
Frau: "Mann, Mann, bleib mal schön hier sitzen."