LandGang

Von Jasper Barenberg, Werner Junge, Claus Stephan Rehfeld |
Schleswig-Holstein - jene Gegend also, in der der Landwirt Oskar Puste als Pjot Wanowitsch alias Wolfgang Neuss, vom fernen Sputnischow startend, mit Natascha und Boris Richtung Venus fliegend, dicht hinter dem Strand von Kampen landet, also auf Sylt, welches die Genossen aus dem fernen Russland für die Venus und die Insel für sehr, sehr sozialistisch halten. Nun ja …
Meine täglich Postille – ein Wink unseres Korrespondenten

Kaum hat der Korrespondent des Morgens die Augen aufgeschlagen, er hatte sie in der Nacht kaum zugekriegt, weil er nur an die Arbeit und dessen Geber dachte, also kaum hat er die Augen geöffnet, geht seine Hand nicht zum krähenden Hahn, sondern zur morgendlichen Postille. Der freundliche Briefträger warf sie ihm schwungvoll über den Gartenzaun durchs geöffnete Fenster. Und was stellt unser Mann in Schleswig-Holstein Tag für Tag fest: Beschaulich gestaltet sich die Medienwelt an der Kieler Förde. Skandale und Affären schleudern ihn natürlich sofort aus dem Bett, aber das passiert eher selten. Der Markt ist überschaubar, skandalmäßig und medienmäßig. Wir hören:

Peter Höver: "Ich erlebe mit Peter Harry Carstensen jetzt den fünften Ministerpräsidenten in Schleswig-Holstein, nach Gerhard Stoltenberg, Uwe Barschel, Björn Engholm und Heide Simonis. Woran man vielleicht sehen kann: Politiker kommen und gehen, Journalisten sind, vielleicht auf der landespolitischen Ebene eher als anderswo, ein Stückchen ewig."

Für Peter Höver sind es bis ins Zentrum der politischen Macht nur ein paar Schritte: Das Parlament an der Kieler Förde liegt seinem Büro gegenüber gleich auf der anderen Straßenseite. Einst diente das massige Backsteingebäude als kaiserliche Marineakademie. Heute finden dort die Plenarsitzungen statt: Pflichttermine für den Korrespondenten des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlages sh:z.

"Ich kündige hiermit dem Minister und der Landesregierung an, dass wir den Widerstand gegen den Verkauf des Waldes organisieren werden...!"

"Der Wald in Schleswig-Holstein muss auch künftig gesunder Lebens-, Bildungs- und Erholungsraum für alle Bürgerinnen und Bürger und ein ganz wichtiger Faktor für unsere hohe Lebensqualität sein!"

Peter Höver: "Wir wissen alle: Landespolitik ist nicht der Nabel der Welt. Landespolitik hat möglicherweise auch bei Lesern nicht die riesige Einschaltquote...oder: Leserzuspruch. Ist vielleicht sogar ein Stück weit Minderheitenprogramm. Es geht darum, das Relevante vom Irrelevanten an der Stelle zu trennen."

Soll der Landeswald an einen privaten Investor verkauft werden? Sollen Autos auch in Zukunft auf dem Strand bei St. Peter-Ording parken dürfen? Soll es Fischern erlaubt sein, Kormorane zu schießen? Und der Landesregierung, Studiengebühren zu verlangen? Die Themen wechseln täglich, die Personen nicht: Die Journalisten eilen von der Pressekonferenz der Regierung zum Pressegespräch einer Partei oder eines Verbandes. Dort treffen sie stets auf dieselben Politiker und Funktionäre, auf dieselbe Handvoll Kollegen. Lange Zeit dabei: Rüdiger Ewald von der Deutschen Presseagentur:

"Es ist ein bisschen wie unter der Käseglocke: Man glaubt selber, dass man sich in einem Kosmos bewegt, in dem alles unheimlich wichtig ist. Und man wundert sich manchmal als Journalist, wie wenig von dem, was man selber für wichtig hält, draußen bei den Menschen ankommt."

Sich bei aller Routine die journalistische Neugier bewahren. Und den Biss, exklusive Geschichten zu recherchieren, obwohl man mit den Kollegen mittags zusammen essen geht. Das ist die Herausforderung: Der Spagat zwischen Kollegialität und Konkurrenz. Und mit Blick auf die Politiker, die alle schon seit Jahren kennen: Die Balance zu wahren zwischen menschlicher Nähe und professioneller Distanz.

Rüdiger Ewald: "Es gibt Kollegen, die neigen zur Kumpanei mit den Politikern: Man duzt sich, man hat teilweise sogar im kleineren Bereich privat miteinander zu tun. Andere Kollegen sind sehr wohl in der Lage und halten eine kritische Distanz. Sie verzichten auf das hier sehr weit verbreitete Geduze und beteiligen sich auch nicht an Geschichten, die mit dem eigentlichen Politikgeschäft nicht mehr so viel zu tun haben."

Von solchen Nickelichkeiten abgesehen ist das journalistische Leben in der Landeshauptstadt ein langer ruhiger Fluss, der nur dann für einen Augenblick Wellen schlägt, wenn ab und zu einer von den Medien die Seite wechselt. Rüdiger Ewald zum Beispiel schreibt nach sechs Jahren inzwischen nicht mehr Meldungen für die Deutsche Presseagentur, sondern Presseerklärungen für die Landesregierung.

Er weiß, wie Politik gemacht wird. Die Perspektive aber hat sich geändert: Nicht mehr kritische Nachfragen sind jetzt sein Geschäft. Sondern die Hoffnung, dass die Kollegen auf der anderen Seite möglichst eins zu eins übernehmen, was er ihnen an Informationen per Email zuschickt.

Rüdiger Ewald: "Die Traumvorstellung ist für uns immer: Steuerung ‚C’, Steuerung ‚V’. Wenn das klappt, haben wir unser Ziel erreicht!"

Die Kunst der Fuge – Backstein in Lübeck

Lang ist es her, da hatten wir Lübeck in der Hand. Das war, als man mit einem 50-Mark-Schein noch eine volle Tankfüllung bekam. Das ist lange her, ebenso der 50-DM-Schein. Denn auf selbigem war mal das Holsten-Tor abgebildet. Und das steht bekanntlich für Lübeck, für Altstadt mit Insellage und Stoff, aus dem Geschichte wird: die Hanse, die Brüder Mann, die Backsteingotik, Hinterhöfe und Durchgänge, Günter Grass. In Lübeck liegt alles dicht beieinander. Der UNESCO gefielen Teile der Altstadt so sehr, dass sie selbige zum Weltkulturerbe erklärte und den Pyramiden zur Seite stellte. Aber genug der Vorrede, nur ein Gang durch die Stadt macht sie fassbar, die Kunst der Fuge.

Detail eines Backsteins im Objektiv der Kamera. Später Nachmittag, Westlicht auf Backstein. Die Farbe der Erde - durch harten Brand – wundersam verwandelt.

Dunst durchwebt die Luft. Schwäne starten Richtung Südost in den Morgen hinein. Rechterhand die Salzspeicher.

Backstein und Wasser – das lübsche Material.

Häuser – sich hochreckend, duckend, überlaufend oder sich bescheidend, breitbeinig und schmal. Das Gehäuse der eigenen Erfahrung. Der Backstein der Erfahrung misst 6,5 mal 12 mal 25 Zentimeter.

800 Jahre Backsteinkultur. Ob Normalformat oder Klosterformat, ob rot oder gelb, mal dunkler, mal heller, mal feiner, mal gröber, ob handgestrichen oder glasiert, ob glatte Fassade und schmuckes Relief, ob Kirche oder Mietshaus – Lübeck hats. Und Radbruch siehts.

Radbruch und Lübeck, Lübeck und Radbruch.

Die Obertrave im Morgenlicht, der Markt bei Nacht, die Siebte Querstraße, St. Annen-Straße mit Domtürmen, Giebel und Eingänge. Ein Gang durch Lübeck verschafft erst Eingang in die Stadt.

Der Mannsche Speicher bei Tag und Glandorps Hof am Abend. Was der Lübecker x-mal gesehen, hat Radbruch neu entdeckt. Vielleicht weil ihn als Kind das Wort "Backstein" so irritierte. Vielleicht.

Marienkirchhof, mit Arkaden und überwölbtem Laubengang. Abendlicht, kurz nach einem Regenguss. Diffuses Licht und beschlagenes Objektiv verstärken den Eindruck, auf eine milchblinde Fotoplatte zu blicken. Irgendwie lässt Kafka grüßen. Eine Zeitreise.

Des Friesen wahre Art – Wir wollen es wissen

"Das Werk ist vollbracht", kabelte uns ein Kollege und grüßte "friesisch herb". Den Inhalt seines Beitrages beschreibt er bündig, denn die Frage ist konkret und lautet: Was man über den Friesen als solchen wissen sollte. Sie haben nicht nur eine eigene Sprache, sondern auch einen schier unendlichen Schatz an Legenden, die ihren Ruf als "hohes hartes Friesengewächs" begründeten und das Küstenvölkchen zum Werbeträger erste Güte machte.

Es beginnt kompliziert. Erstmal damit, das Nordfriesen auch Friesisch sprechen. Und:

"E historiie foon e nordfrasche läit önjt junken."

Genau: die Geschichte der Nordfriesen liegt im Dunkeln. Irgendwann um 800 nämlich haben sich Friesen irgendwo aus der Ecke zwischen Zuidersee und Weser auf die Socken gemacht. Sicher ist allein: Sie sind zu weit gegangen.

Hätten sie an der Eider angehalten, wären sie im späteren Dithmarschen gelandet. Und das ist immer größer, immer weiter in die Nordsee gewachsen. Doch sie mussten ja partout nach Norden über die Eider. Dort holte jede Sturmflut sich ein Stück Land zurück. Die Friesen mussten deshalb auf ihren Inseln und Halligen immer enger zusammenrücken. Dadurch entstand einmal das ach so schöne nordfriesische Wattenmeer aber auch eine Art babylonischer Sprachverwirrung.

"Ik snååk mooringer frasch foon e fåste wål."

Karin spricht also Mooringer Festlandsfriesisch. Das bedeutet, es gibt noch andere friesische Dialekte auf dem Festland und logischerweise auch Inselfriesisch. Ohne mit Details zu quälen: Helgoland inbegriffen gibt es allein in Nordfriesland zehn verschiedene Sorten friesisch. Und das tolle, kaum ein Dialekt ist für Mitfriesen verständlich

"Wi san rik foon mångfåldihäid."

Die Vielfalt sei ihr Reichtum, meinen die Friesen. Als sie das Anfang des 19. Jahrhunderts entdeckten, war es eigentlich schon zu spät. Schnell erfanden sie noch ihre eigene Geschichte und ein paar schöne Volksbräuche wie das Biikebrennen neu. Doch es half nichts, die modernen Nationalstaaten entstanden.

Eine unangenehme Sache für eine Sprachminderheit. Besonders dann, wenn man in einer Grenzregion wohnt. Plötzlich gab es den Streit, sind die Friesen Dänen oder Deutsche? Nur locker 150 Jahre brauchten die Friesen, um zu erkennen, die Frage ist blödsinnig. Seitdem sind sie nur einfach Friesen und ganz glücklich. Damit stimmt nach über 1200 Jahren auch nicht mehr die alte Weisheit:

"Das größte Problem der Nordfriesen sind sie selber."

Das größte Problem der Nordfriesen sind sie selber – Nein, das ist vorbei. Wie auch die Zeiten, als das hohe, harte Friesengewächs zum Prototyp des blond blöden Germanen aufstieg. Dafür hat die Werbebranche die Friesen entdeckt. Sie bedeckt die Baugebiete mit Friesengiebeln unter denen sich Friesentee zum Friesenkeks genießen lässt, wenn man nicht auf der Friesenbank hinterm Friesenwall bei friesisch-herben Bier entspannt.

Die Friesen ertragen es inzwischen mit Humor, haben sogar selber den Partydrink "fieser Friese" erfunden. Denn weltoffen waren die Friesen immer schon, zumindest ein bisschen. Das belegt auch die friesi-sie-rung der Polizei in Nordfriesland. Zumindest dort darf in Zukunft ein Polizist friesisch korrekt als Gendarm ansprechen.

Die Wikinger waren hier und wir waren dort: In Haithabu

Wir holen weit aus, um gleich beim Thema zu sein. Als im fernen Arabien schon die 5-Tonleiter galt, da spielte man hier noch auf der Knochenflöte. Es verwundert daher wenig, wenn ein Mann von Welt wie Ibrahim ibn Ahmed at-Tartuschi von hündischen Gesängen sprach, die sein geneigtes Ohr hier erreichten.

Das ist knapp 1000 Jahre her. Und die da so drauf los schlugen, hauten, stachen, bissen und, wie berichtet, bellten, waren blonde Kerle eben. Also die bösen Buben aus dem Norden, kurz: Wikinger. Der Diplomat mit den unfreundlichen Worten über die Hiesigen war in Haithabu, also bei Schleswig. Denn dort …


In einer stillen Bucht an der Schlei, Bucht hieß vorzumalen Wike, siedelten Wikinger.

Haithabu. Über die erste Stadt in Nordeuropa ist Gras gewachsen. Ein mächtiger halbkreisförmiger Erdwall umschließt den historischen Schauplatz, verankert ihn am Haddebyer Noor.

Anno 965 - lebhaftes Treiben am Haddebyer Noor. Noor heißt soviel wie Einbuchtung eines Gewässers ins Land mit enger Einfahrt. Haithabu - ein geschützter Ort.

Haithabu, Hedeby - Siedlung auf der Heide, städtische Siedlung. 24 Hektar einer einmaligen Kulturlandschaft. Erstmals erwähnt auf dem Skarfi-Runenstein.

Da, wo heute Schilf wächst, lag einst der Hafen der Wikinger. Einst war im frühen Mittelalter.

Das Haddyber Noor, weit und breit der beste Naturhafen. Direkt erreichbar von der See, zugleich zurückgezogen im Hinterland. Sicheres Ankern, lange Frühwarnzeit. Und: Kurzer Land- und Wasserweg zur Nordsee.

Gelegen an der schmalsten Stelle der schleswiger Landenge, zwischen Ostsee und Nordsee, am Kreuzweg von Handelsstraßen und Heerwegen, zwischen den Kulturen.

Landschaft mit Wegzeichen. Zwischen Eider und Schlei der Danevirke. Virke heißt Wall. Ein gewaltiges Sperrriegel-System der Nordmänner. Strategische Verteidigungslinie zu Land gegen Sachsen und Slawen.

Die Schleswiger Landenge, ein Ladentisch zwischen Ostsee und Nordsee. Der Handel blüht. Haithabu wird Münzprägestätte.

Die Barbaren sind Könner des Filigranen. Die Meister des Schiffbaus und der Navigation entpuppen sich als perfekte Gold- und Silberschmiede, Holzschnitzer und Steinbildhauer.

Vom Hafen kommt alles, zum Hafen geht alles. Die Hafenausgrabungen in Haithabu verändern völlig die landläufigen Vorstellungen über Häfen, Kleidung und Geldverkehr in Nordeuropa.

Haithabu, niedergebrannt, zerstört. Wer in den Halbkreiswall blickt, der schaut auf eine Bühne der Geschichte von Landschaft und Menschen. Wer ins Wikinger-Museum geht, taucht in eine Zeit des Handels und der Kriege ein.

Kein wohlig Klang, aber ein seltener. Die älteste erhaltene Läuteglocke Nordeuropas. Jetzt ziert sie den Eingang zum Wikinger-Museum.

Am Anfang war der Bach. Unter den dichten Kronen der Bäume bahnte sich dazumalen ein kleiner Bach seinen Weg zum Haddebyer Noor. Dann, zwischen 811 und 1020 blühte der Hafen- und Handelsplatz auf. Doch am Anfang war der Bach.