LandGang

Von Susanne Mack, Ulli Sondermann-Becker und Claus Stephan Rehfeld |
Thüringen ist jener Freistaat, dessen Landtagssitzungen legendär sind. Zwischenrufe ohne Zahl verzeichnete die Debatte über das Liebesleben heimischer Honigsammler. Keine andere Beratung beflügelte die Abgeordneten derart wie das Gesetz zum Schutz von Belegstellen für Bienen.
Nicht nur Giftzwerge – Der Beitrag für Gartenzwerge

25 Millionen Gartenzwerge haben sich mittlerweile in Deutschland breit gemacht. Von Thüringen aus eroberten sie erst das ganze teutsche Garten-Land, dann die Welt, schließlich den Balkon in der Großstadt. Erst als gemütlicher Gartenzwerg, heute als Stinkefinger-Giftzwerg. 1874 fing die ganze Sache an, in Gräfenroda. Als "Vater aller Gartenzwerge" gilt Philipp Griebel. Er schuf den Gartenzwerg nicht ganz nach seinem Abbild, aber irgendwie doch, also menschenähnlich. Und daher ist die Sache immer noch am Laufen.

Woran erkennt man einen echten Gartenzwerg? An der roten Zipfelmütze? Das reicht nicht. Auch falsche Zwerge haben rote Mützen. Und Giftzwerge sowieso.
Der echte Gartenzwerg … er ist aus Ton gebrannt, handbemalt und trägt auf seinem Hintern die Initialen "P.G.". "P.G." steht für "Philipp Griebel". Sagt sein Urenkel.

Griebel: "Ja, es ist ganz einfach. Von Kind an bin ich in der Werkstatt groß geworden, und da hab’ ich auch damals schon den echten Gräfenrodaer Gartenzwerg gefertigt."

Vor 132 Jahren erblickte der Griebelsche Gartenzwerg das Licht der Gartenzwergwelt. Sie ist groß, sehr groß sogar. Also zog er in die weite Welt hinaus und ließ sich in der Nähe von Menschen nieder. Die stellten ihn in ihre Gärten. So lernte er das Gras, die Tanne und den Goldfischteich kennen.

Griebel: "Vor allem aber, und das ist das Wichtigste, wenn es mal Streit geben sollte zwischen dem Menschen und dem Gartenzwerg, dann geht dieser Streit immer vom Menschen aus, und niemals vom Gartenzwerg!"

Kürzlich musste Meister Griebel einem Gartenzwerg gestehen: Er, der echte, rechte Zwerg, sei vom Aussterben bedroht. Immer mehr stillose Schrebergarten-Heinis brächten sich Plaste–Zwerge mit! Aus Polen. Und eine Armee von Billig-Zwergen aus China sei auch schon im Anmarsch. Ja, schrecklich stehe es um den wahren Gartenzwerg. Doch da sei noch ein Licht am Ende des Tunnels zu sehen – jedenfalls im Internet.

Griebel: "Und wenn man dann vielleicht noch einen Gartenzwerg reinsetzt, vielleicht zwischen die Kakteen, dann tun die Kakteen ganz sicherlich besser blühen als ohne den."

Gartenzwerge zwischen Kakteen. Sie werden Heimweh haben.

Nach Thüringen. Nach Gartenteichen. Nach deutschen Gärten. Nach Kleingarten-Kolonien und prächtigen Villen. Nach deutscher Hymne und deutscher Fahne. Nach Büro und Balkon. Nach Gänseblümchen und Kuckucksuhr.


Wie der Thüringer auf den Euro kam – Eine kleine Gedächtnisstütze

Die Wechsel-Fälle des Lebens. Ja, der Thüringer wechselte mehrfach die Münze, mit der er es anderen auszahlte. Erst bimste er zu DDR-Zeiten drei verschiedene Währungsbezeichnungen, dann hatte er die Nase voll und wollte, was er gelegentlich schon in der Tasche hatte, die harte D-Mark, bekam aber schnell den Euro. Die Wechsel-Fälle des Lebens – der Thüringer kann darüber ein Lied singen, wir hören uns mal den reinen Text an.

DDR-Geld. Der Thüringer kennt sich mit Geld aus.
Erst hatte er die Deutsche Mark der Deutschen Notenbank, kurz DM.
Dann füllte er sich die Taschen mit Mark der Deutschen Notenbank, kurz MDN.
Schließlich griff er zur Mark der Deutschen Demokratischen Republik, kurz M genannt.
Beinahe hätte er auch mal 1980 Militärgeld in der Hand gehalten, aber das kam nie auf den Ladentisch. Dafür aber die West-Mark, jedenfalls als Zahlungsmittel bei Handwerkern sehr beliebt.

Das Aussehen der Scheine wechselte gelegentlich, dass Alu-Geld blieb Alu-Geld.

Frau: "Auf dem 10er war, glaube ich, Clara Zetkin, auf'm 100er der Marx und auf dem 50er der Engels."

Richtig, die Frau auf dem Weimarer Weihnachtsmarkt hat ein gutes Gedächtnis. Und auf dem 5-Mark-Schein war Thomas Müntzer, auf dem 500-Mark-Schein das Staatsratsgebäude zu bestaunen. Konnten aber nur sehr wenige, der 500er kam nie in Umlauf.

Dann wollte der Thüringer die West-Mark haben und bekam es mit Annette von Droste-Hülshoff, Clara Schumann und so zu tun. Er nannte es Wende, und die war es auch: Die West-Münzen waren schwerer und die neuen D-Mark-Scheine waren größer. Und zunächst auch wertvoller. Der Ostthüringer Volker Schemmel erinnert sich noch:

Schemmel: "Man hat ja von der DM nicht nur Preisstabilität erwartet oder Kaufkraft. Die D-Mark war auch ein Symbol."

Kaum hatte er das Symbol in der Hand, gab er es auch gleich wieder aus. Peter Liebers, ein Nachrichtenagentur-Mann, hat es im Kopf notiert:

Liebers: "Dann waren natürlich viele Waren verlockend. CD-Player, moderne Fernsehgeräte alles was es in der DDR nicht gab. Und natürlich ein Auto, und sei es auch noch so alt. Dafür ist viel Geld draufgegangen."

Doch bald musste in der blühenden thüringer Landschaft so mancher wieder kleinere Brötchen backen. Die richtigen Ost-Brötchen verschwanden langsam, die Luft-Brötchen West hielten Einzug im Bäckerladen. Und damit auch ein gehobenes Preisniveau. Katja Wolf aus Eisenach macht die Rechnung auf.

Wolf: "Brötchen habe ich mir in der Schule immer geholt, das Doppelte für 10 Pfennig, zu DDR-Zeiten. Dann zu Westgeldzeiten war dann das doppelte Brötchen anfänglich zu 20 Pfennig, arbeitete sich dann hoch bis zu 50 Pfennigen beim Bäcker meines Vertrauens."

Der Thüringer, er wollte die West-Mark und bekam den Euro. Die Köpfe verschwanden, die Architektur hielt auf dem Geldschein Einzug. Und der Thüringer machte sich so seinen Kopf.

Älterer Herr: "Ich kenne niemanden, außer Bankvorstände, der sich auf den Euro gefreut hatte. Und es ist auch genau so gekommen, wie es sich der praktisch veranlagte Ossi ausgerechnet hat: er kriegt die Hälfte Gehalt und muss denselben Preis zahlen.""

Die Währungsbezeichnung wurde ausgetauscht, das Volk der Thüringer nicht. Und gar erstaunt registrierten die Stammesangehörigen einen wundersamen Wertanstieg heimischer Produkte. Die Thüringer Bratwurst wurde wertvoller denn je. Vor sechs Jahren kostete sie noch bis zu zwei D-Mark, heute ist sie schon zwei Euro wert. Schmeckt aber wie früher.

Wurstverkäufer: "Ja, alles rundrum, Holzkohle etc., alles ist teurer geworden. Und damit auch unsere Bratwurst."

Nun ja. Heiko Genzel, beruflich viel auf Thüringens Autobahnen unterwegs, rechnet immer wieder gern die heute verlangten Toiletten-Benutzungsgebühren in DDR-Mark um, also zurück. Unter Berücksichtigung der realen Umtauschkurse werden da 50 Euro-Cent schnell zu zehn Ostmark.

Gentzel: "Wenn ich dann 50 Cent habe, dann bin ich bei einer Westmark. Und bei einem Kurs von eins zu fünf bis eins bis zu zehn, bin ich dann bei fünf bis zehn Ostmark. Also das ist mir ein bischen fett für einmal Toiletten-Benutzung, muss ich ehrlich sagen."


Der Sängerkrieg – Eine stimmgewaltige Begebenheit

Als Wilhelm Lindenschmidt der Ältere 1840 zum Pinsel griff und das Ereignis gedanklich ausmalte, da lag schon über 600 Jahre zurück, wozu er die Farbpalette brauchte. Der Minnesängerkrieg. Auf der Wartburg, diesem so teutschen Symbol, ging es laut mit der Laute und den Stimmbändern zu. Noch Novalis, E. T. A.Hoffmann und natürlich der Wagner-Richard hatten von ihm gehört. Und sie ließen sich anregen. Wir auch.

Es war einmal …

im Jahre 1206 …

der Sage nach.

Landgraf Hermann von Thüringen gab ein gar prächtiges Fest. Im Palas der Wartburg.

Viel’ Edle und tugendsame Ritter zogen den Burgberg hinan: fahrende Sänger, kundig des Dichtens und des Spiels der Laute.

Sechs von ihnen waren zu einem Wettstreit auserwählt, gar große Namen darunter: Walter von der Vogelweide. Wolfram von Eschenbach. Alle priesen sie mit ihren Liedern den großherzigen Gastgeber: Landgraf Hermann von Thüringen.

Alle - außer einer. Heinrich von Ofterdingen. Der stimmte ein Loblied auf seinen Gönner an: auf den Herzog von Österreich.

Des Landgrafen Hofstaat gefiel das mitnichten. Im Handumdrehen wurde aus dem fröhlichen Wettstreit blutiger Ernst. Die wütende Menge beschloss:

"Dem schlechtesten der Sänger soll der Kopf abgeschlagen werden!"

Heinrich von Ofterdingen stand als Verlierer da.

Er warf sich zu Füßen der Landgräfin und flehte um Gnade.

Landgräfin Sophia breitete ihren Mantel über Ofterdingen und sprach:
"Dieser Mann steht unter meinem Schutz! Er soll von dannen ziehn, den Meister Klingsor herbeizuschaffen. Übers Jahr werden wir uns aufs neue hier versammeln. Dann möge Klingsor ein gerechtes Urteil fällen."

Meister Klingsohr war ein Magier aus dem Ungarnland. Ofterdingen machte sich auf den Weg, den Meister zu suchen. Und tatsächlich, ein Jahr später: Auf einer Wolke, von einem Höllenhund begleitet, kamen Klingsor und Ofterdingen auf der Wartburg an.

Im Palas waren sie alle längst versammelt: Landgraf Hermann und Gräfin Sophia, der Hofstaat, die Sänger.

Der Sängerkrieg entbrannte ein zweites mal: Und Klingsor, der Weise, schlichtete den erneut entflammten Streit und entschied:

Welcher Landesherr auch immer durch ein Lied gepriesen wird - in diesem Wettstreit gibt es keinen, der verdient zu unterliegen. Alle Sänger sind ebenbürtig. Der Siegerkranz gebührt allein - der Kunst.


Der Einflüsterer – Ein Museum ohne Hinweistafeln

Digitalisierter Barock – in Oßmannstedt bei Weimar kann man ihn finden. Dort steht das Gutshaus, in das Christoph Martin Wieland als 63-Jähriger einzog. Das ist lange her, vor ein paar Jahren folgte ihm dann Jan Philipp Reemtsma. Der rührige Mäzen sah das heruntergekommene Anwesen und spendete rund 650.000 Euro. Der "symbolische Ort für die deutsche Spätaufklärung" hat nun als Museum der Extra-Klasse geöffnet. Ein Museum, das ganz ohne Hinweistafeln auskommt. Bitte.

"Ich habe diesem Oßmannstedt doch auch viele selige Stunden zu verdanken."

Christoph Martin Wieland, einer der produktivsten Schriftsteller des 18. Jahrhunderts. Mit ihm begann der Aufstieg des klassischen Weimar zum kulturellen Zentrum Deutschlands.

Im "Osmantinum" wird der Gast mit Musik begrüßt. So wie damals, da griff der Gutsherr selber in die Tasten.

Museum: "Hausmusik und kleine Konzerte zur Unterhaltung der Gäste waren üblich zu jener Zeit."

Der Gast taucht mit dem Kopfhörer in die Zeit ein.

Das Musikzimmer.

Museum: "Mit dem hier ausgestellten Hammerklavier ist ein Beispiel für ein beliebtes Instrument aus der Wieland-Zeit ausgewählt worden."

Der Hausherr war gut für Hausmusik und für große Oper. Das erste Opernlibretto in deutscher Sprache, "Alkeste", stammt aus seiner Feder.

Museum: "Mit dieser Oper schuf Wieland im Rückgriff auf einen antiken Stoff eine deutsche Oper, die dank ihrer kleinen Besetzung von zwei Sängern und zwei Sängerinnen auch für kleinere Bühnen spielbar war. Hören Sie die Arie der Alkeste: Weine nicht, Du meines Herzens Abgott."

Zum Abschluss - der Salon. In einem gastfreundlichen Haus.

Museum: "Dieser Raum war Wielands Arbeitszimmer. Hier befanden sich sein Schreibtisch und seine Bibliothek. Die Oßmannstedter Bibliothek schätzte sein Sekretät Lüdgemüller auf 6.000 Bände."

"Eine kleine Republik von guten und glücklichen Menschen"

… nannte Wieland sein Oßmannstedt.

Ob er Kleist zu ihren Bürgern zählte? Kleist war kein glücklicher Mensch. Aber vielleicht war er es ja in Oßmannstedt. Wer konnte dort unglücklich sein?


Landstreit – Wir waren am Mittelpunkt … Deutschlands

Thüringen, dies können wir ohne Vermessenheit sagen, ist sehr gut vermessen worden. Wir sagen nur Verlag Justus Perthes Gotha. Seine Atlanten prägten im 19. Jahrhundert das Bild von der Erde, vermittelten Erkenntnisse und Vorstellungen einem breiten Publikum. Dies wollen wir natürlich auch, also begaben wir uns zu einem Örtchen namens Landstreit. Klitzklein ist es, aber in historischer Sichtweise gelegen, jedenfalls zur Wartburg. Und wir sind gespannt, welche Erkenntnisse und Vorstellungen uns Landstreit vom 20. und 21. Jahrhundert vermitteln wird.

Wir nähern uns dem Örtchen mit dem schönen Namen Landstreit - dem südlichsten Ziel unserer Reise zum Mittelpunkt Deutschlands. Unsere Recherche im nur wenige Kilometer entfernten Eisenach, wo denn nun der Ort genau liege, verlief – sagen wir mal – etwas ergebnisarm.

Das hängt möglicherweise mit der Berechnungsmethode des Erfurter Akademikers Dr. Happ zusammen, der zwar den Rechner mit 90.000 Daten fütterte, aber nicht alle deutschen Inseln mit in sein Kalkül einbezog. Usedom und Rügen akzeptierte er noch, Helgoland indes hatte keine Chance mehr.

10° 20` östlicher Länge und 51° nördlicher Breite also, das entspricht der Ortslage von Landstreit, zirka 10 km Luftlinie von der Wartburg entfernt. Die steht markant in der Landschaft, aber den Mittelpunkt hätten wir beinahe überfahren.

Vier Häuser, fünf Familien, 497 Schafe – Landstreit.

Kalkschotter wird auf den Feldweg geschippt, der in eine Ansiedlung führt, in der die meisten Künzel heißen - aber Mittelpunkt Deutschlands?

"Das ist doch dummes Zeug, was die da erzählen. Da sind schon zig Leute gekommen. Nichts ist das, gar nichts ist das."

Alfred Künzel, 72, schleppt gerade 50 Kilo schwere Holzstämme in die Scheune.
"Vollkommener Quatsch ist das, was man da sagt. Schon ein paar Jahre her, da haben sie Luftaufnahmen gemacht, alles totaler Quatsch."

Ein alter Farmel Diesel. 6 kmh steht drauf, fährt aber schneller, sagt Künzel, aber mit dem 6 kmh-Schild braucht der nicht zugelassen werden. Und außerdem: Alles sei sinnlos, nach der Wende habe man den Leuten Rotz um die Backen geschmiert, jetzt sei sein Sohn pleite. Habe ja nicht auf ihn gehört, aber sich Selbständig gemacht. Und überhaupt ...

"Was meinen sie, was die hier schon gesponnen haben. Wollten hier ein großes Hotel bauen. Kamen oben aus Freiberg, ist das in Sachsen? Da hinter Dings … "

Diese und andere Geschichten bekommen wir am Mittelpunkt Deutschlands zu hören, Geschichten aus der Provinz.

Landstreit. Wer auf den Schafberg steigt, der kann – wie jetzt in der Dunkelheit – die erleuchtete Wartburg sehen. Also stiefelt Alfred Künzel mit uns hoch, lässt den Blick in die Ferne schweifen.

"Nach Mallorca oder was? Ich habe hier auch Mallorca, wenn ich hier gucke – die Landschaft. Da brauche ich nicht in Urlaub fahren. Das sind Ansichtssachen."