Landgang

Nix genaues weiß man nicht beim Weißwurstäquator. Wo genau verläuft er? Wer hat ihn wann vermessen? Und was meint eigentlich "Weißwurstäquator"? In München und Rest-Bayern wird er oft beschworen als eine Art bayerischer Limes.
Der Weißwurstäquator. Eine geographische Erkundung
Von Arthur Dittlmann

Bayern also. Areal eines recht eigentümlichen Stammes, des sogenannten W-Stammes. Kundschaft, also Auswärtige, lockt er mit W-Artikeln in sein Kernland. Weißbier, Weißwurst, Wolpertinger, Wiesn-Kerle und Wiesn-Festschlüpfer … Wolksmusi.
Seine Grenze, der Weißwurstäquator, ist ihm heilig, der Wahlkampf macht ihm sehr viel Spaß.
Viel W und Ach also da im Bayernland, wo glückliche Kühe milchen und unerschrockene Mannen regieren. Wahnsinn – auch ein urbajuwarischer Ruf. Nun ja …

Nix Gewisses weiß man nicht … vom bayerischen Limes, vom "Weißwurstäquator". Eigenartig, sehr eigenartig. Im Stammesgebiet der Bajuwaren wird gerne auf ihn gezeigt, geht es um die Abgrenzung des recht eigentümlichen Stammeslebens gegenüber denen da aus dem Norden. Und wird gar in den nördlich gelegenen Distrikten ein Bajuware in ein Amt gesetzt, so heißt es bald und besorgt in der Regionalzeitung: "Der Weißwurstäquator ist wieder ein Stück nach Norden gerückt!"
Nur eingezeichnet ist er auf keiner offiziellen Landkarte, der Weißwurst-Äquator, der mysteriöse WWÄ.


Mit den fabelhaften "Wolpertingern" und dem unaussprechlichen "Oachkatzlschwoaf" teilt der "Weißwurstäquator" die Rolle eines bayerischen Klischees: Eine identitätsstiftende Größe sozusagen, auch wenn sie eine gewisse begriffliche Unschärfe nicht verleugnen kann … Weil: Diesen Weißwurstäquator gibt’s gleich mehrfach …

"Für die Altbayern ist der Weißwurstäquator die Donau. Und für die ganzen Bayern ist der Äquator der Main. Und alles, was übern Main ist, ist außerhalb des Weißwurstäquators."

Was der Wiesnwirt Wiggerl Hagn in diese knappe Aussage hineingepackt hat, bedarf genauerer Erläuterung: Der altbayerische Weißwurstäquator ist die Donau – sagt er. Einerseits. Aber dann rechnet er zu "ganz Bayern" die Franken mit dem Main auch noch dazu. Liegt das klassische fränkische Bratwurstgebiet also auch innerhalb des Weißwurstäquators?

"Sogma moi: Es is a Hoibäquator… oder der Äquator is so broad."

Mysteriös, das Ganze. Suchen wir unsere Zuflucht bei der Wissenschaft: In den Räumen der Bayerischen Akademie der Wissenschaft unweit der Residenz in München entsteht seit Jahrzehnten das neue "Bayerische Wörterbuch". Unter der Leitung eines Herrn, der unzweifelhaft jenseits des Weißwurstäquators entstammt: Der Dialektologe Antony Rowley, aus Yorkshire…

"Ja, Weißwurstäquator, Band 1 des Bayerischen Wörterbuchs, Spalte 487, da steht auch nur scherzhaft: Imaginäre Nordgrenze Bayerns. Und dann zitieren wir einen Beleg aus einem bayerisch-englischen Wörterbuch."

Um also Genaueres über den Weißwurstäquator zu erfahren, zückt der Herr Professor Rowley ein anderes Lexikon. Otto Hietsch: "Bavarian into Englisch"… Ganz schöne Umwege.

"Weißwurstäquator … Bavarian defence line."

Martialisch. Der Weißwurstäquator. Eine Verteidigungslinie. Gegen die Feinde im Norden. Entlang des Mains. Oder der Donau. Oder wie auch immer …

"Im Bild vom Äquator steckt eigentlich drin, dass die Welt in zwei Hälften zu teilen ist. Praktisch hier in unsere Hälfte, wo es die Weißwurst gibt, und dann in die andere Hälfte, wo die unkultivierten Völker, sozusagen eurozentrisch gesehen, leben. Im Weißwurstäquator ist ganz taktvoll die Superiorität der Bayern impliziert, ohne das es überhaupt formal zum Ausdruck kommt."

Wir halten fest: Bayern ist gleich Kultur und Kultur ist gleich Weißwurst. So haben wir uns das eigentlich immer schon gedacht …

"Na ja, also am besten schmeckt a Weißwurst in Bayern in München, Oberbayern, Schwaben, Niederbayern … die Franken ist schon weiter weg, aber die ham ihr gute Bratwurst … Bayern is halt ein Wurstland."

Sehr vornehm ausgedrückt …


Die Almdudlerparty. Eine musikalische Ernüchterung
Von Claus Stephan Rehfeld

Die Almdudlerparty. Party meint ja ursprünglich ein zwangloses Fest, der Fernsehgebührenzahler übersetzt es anders, wenn diese tollen volksmusihaften Sendungen in sein Wohnzimmer geschüttet werden.
Dass die Musi im Bayerischen Wald getragen, die der Berchtesgadener Alpen eher sprunghaft daherkommt, sozusagen den Watzmann rauf und runter, erfährt er da nicht. Dafür werden Gams und Edelweiß schnell mal in den Bayerischen Wald getextet. Und überhaupt. Hubert Zierl nun weiß den feinen Unterschied zwischen echter Volksmusik und volkstümlich daherkommender zu ziehen. Bitte.


"Zuerst muss man (das Gerät) einschalten. Und dann auf PLAY."

"Das echte Volkslied weiß, wo bestimmte Pflanzen hingehören, wo sie nicht hingehören. Da sitzt also a Vogerl auf der Tannenspitze, man kann auch sagen, es ist eine Fichte. Und das Lied gibt zunächst die Antwort auf die Frage: Was ist das für ein Vogerl? Ja, das wird wohl eine Nachtigall sein, weil der Gesang wohl so wunderschön ist. Aber in der 2. Strophe korrigiert sich das Lied und sagt: Nein, das ist nicht möglich! Im Fichtenwald, im Tannenwald oder im geschlossenen Nadelwald da lebt nicht die Nachtigall, es muss ein Rotkehlchen sein. Und so ist es auch. Das Rotkehlchen gehört in den Fichten- oder Nadelwald. Und die Nachtigall singt am Waldrand der wärmeliebenden Sträucher und Baumarten auf meist – beispielsweise – der Haselnuss."

"Es geht dann über Gräser und Kräuter, die auch Futterpflanzen für das Weidevieh sind, beispielsweise des Frauenmanterl. So etwas kennt das volkstümliche nicht. Es hat auch eine wenig scheinbare Blüte."

"Artenvielfalt ist ja ein Überlebensprinzip unserer Natur. Und da kennt eben das echte Volkslied sehr viel mehr Arten, auch unattraktive Arten. Da wird auch die Laus und wird die Ratz besungen. Es werden wenig bekannte Pflanzen besungen, während das volkstümliche Lied vom Text her ausgesprochen artenarm ist oder ein ausgesprochen geringes Wissen über die Arten, die in der Natur vorkommen, hat.

Man kann davon ausgehen, wenn ein Text bei den Tieren nur den Hirsch, den Gams und den Adler kennt und bei den Pflanzen Edelweiß und Almenrausch und Enzian und von den meteorologischen Erscheinungen, wenn man das so bezeichnen will, vielleicht noch das Alpenglühen, dann ist die Artenkenntnis und die meteorologische Kenntnis, die klimatische Kenntnis des volkstümlichen Liedes damit erschöpft."

"Ich habe bei den Texten, die ich studiert habe, gefunden, dass das Volkslied immerhin 30 Pflanzenarten und 50 Tierarten kennt. (…) Aber immerhin der Vergleich mit den drei Pflanzenarten und den drei Tierarten, auf die sich das volkstümliche beschränkt - das ist schon erstaunlich."

"Diese sogenannten volkstümlichen Lieder mit dieser geringen Artenkenntnis werden auch gerne zusammengefasst unter der Überschrift 'Dort-wo-Lieder'. Also wenn Sie mal ein Lied hören 'Dort, wo die Felsenwand zum Himmel steigt' und 'Dort, wo der Hirsch' und 'Dort, wo der Gams' oder 'Dort wo der Adler' was weiß ich alles tut und 'Dort, wo das Edelweiß blüht' und dort, wo vielleicht auch noch die Sennerin jodelt - also dann dürfen Sie auch in Berlin Verdacht schöpfen, dass das mit echtem bayerischer Volkslied, mit echter bayerischer Volksmusik nichts zu tun hat."


Der Wunschgesang. Eine radikale Enttäuschung
Von Arthur Dittlmann

Der jodelnde Preuße ist für den Bayern eine arg lustige Gestalt, die seit Jahrzehnten durch die Gefilde weiß-blauen Humors geistert. Und sonst so? Wie schaut es aus mit dem bayerischen Wunschgesang? Also mit dem Loblied auf sich selbst? Welches Manns- oder Dirndl-Bild malt er sich da aus, der Bayer? Ähnelt es mehr Beckenbauer oder mehr dem kernigen Senner? Oder ist es eine Kreuzung aus beiden? Schaun mer mal.

Ach, wir wären so gern unbeugsam, verwegen, stolz: Aufrechte Bayern, um unser weiß-blaues Fähnlein geschart! Was kümmert uns Berlin! Was schert uns der Rest der Welt?

"Unser Fähnelein ist weiß und blau."

"Mia san mia – und schreima uns uns!" Diese trotzige Behauptung bayerischer Eigenständigkeit, die der Mega-Entertainer Weiß Ferdl kurz nach dem Krieg noch trotzig hinausschmetterte, steht auf recht wackligen Füßen.
Denn mit dem bayerischen Selbstbewusstsein ist es nicht recht weit her: Der Bayer präsentiert sich im Volkslied so, wie er meint, dass es dem Touristen gefällt, sagt der Musikwissenschaftler Josef Focht, der als Kopf der "Sänger- und Musikantenzeitschrift" diese Entwicklung schon geraume Zeit beobachtet.

"In Oberbayern hat der Tourismus einfach eine sehr lange Geschichte seit dem frühen 19.Jahrhundert. Und in dieser Zeit haben die Besucher natürlich irgendwie zu erkennen gegeben, dass es ihnen hier gefällt. Und die Einheimischen haben sich in Reaktion auf dieses Lob ihrer Landschaft, ihrer Kultur und ihrer Naturschönheiten sich Verhaltensweisen angewöhnt, die dann irgendwann automatisch geworden sind."

Schlichte "Konditionierung" also. Die Nachfrage machts. Sie gebiert die ewig gleichen Themen "Bua", "Dirndl", "Bier", "Kammerfensterln" …

"Gebirg, die Alm, Natur, der Jager. Also solche ganz einfachen, schönen, nicht irgendwo provozierenden Stereotypen gibt’s ja wirklich hinreichend viele und die kann man beliebig variieren, immer wieder neu zusammenstellen und schon hat man wieder was Unterhaltsames."

Wer jetzt meint, das seien ja Aufnahmen aus grauer Vorzeit, und heutzutage betrieben die Bayern eine gaaaanz andere Selbstdarstellung – für denjenigen hat der Musikwissenschaftler Josef Focht Ernüchterndes parat.

"Was heute in der Volksmusikpflege propagiert wird, das ist ein weitgehend harmloses, nicht provozierendes, vielfach intellektfreies Textrepertoire, das unterhaltenden Charakter hat, aber keinesfalls irgendwie sozialkritischen Unterton."

Hoffnungslos. Kein Weg führt heraus, aus der "Klischeefalle". Ja dann: "Tschüss, Bayernland"


Die Wappenkunde. Eine sachliche Erläuterung
Von Claus Stephan Rehfeld

Stammesangehörige wissen den Knoten der Dirndl-Schürze treffsicher zu deuten: Trägt die Frau den Knoten links, dann ist sie verlobt, ist der Knoten rechts, dann ist sie schon verheiratet. Zu haben ist die Frau, wenn sie die Dirndl-Schürze in der Mitte zugebunden hat. Das wissen Schürzenjäger gebührend zu würdigen. Halten sie es mit der Tradition, dann tragen sie Lederhose und Janker. Und ganz fesche Wiesn-Kerle tragen heutzutage sogar Wiesn-Festschlüpfer in Lodengrün oder Bayerischblau – mit dem bayerischen Wappen verziert. Nun ja … Die kleine Wappenkunde. Bayern.

Es war am 22. August 2007 um 12.33 Uhr. Da wunderte sich der Herr Wörle über die Anstecknadel, die er im Bayerischen Landtag erhalten hatte. Es fehlte ausgerechnet die Volkskrone. Anstelle der Volkskrone fand er "nur ein(en) dreizackigen Abschluss am Wappen". Doch die Volkskrone ziert seit 1923 das Kleine und das Große Staatswappen. Denn sie symbolisiert die Volkssouveränität.

Die Geschichte der Volkskrone beginnt 1918 mit einem Paukenschlag. Mit der ersten sozialistischen Republik auf deutschem Boden. Der Ausrufung des "Freistaates Baiern" folgt ein Auftrag an den Heraldiker Otto Hupp. Er soll ein neues Wappen entwerfen. Der gebürtige Düsseldorfer greift auf das Königswappen von 1835 zurück. Der Wappenschild teilt sich in vier Felder auf – Sinnbild für die bayerischen Landteile, Stämme und Herrscher. Auf den Wappenschild setzt der Heraldiker die Volkskrone als Zeichen der neuen Volksherrschaft.

Herbst 1945. Der wiederbegründete Freistaat sucht ein neues Staatswappen. Der Münchner Kunstmaler Eduard Ege wird einem Entwurf beauftragt. Am 11. November 1945 veröffentlicht die "Süddeutsche Zeitung" erstmals den Entwurf.

In den Mittelpunkt stellt der gebürtige Stuttgarter ein Rautenschild – Symbol für Bayern als Gesamtstaat. Die Vierteilung des Wappenschildes steht für die einzelnen Landesteile und ihre Geschichte. Es sind der Pfälzer Löwe, der fränkische Rechen, der altbayerische Panther, der schwäbische Löwe. Der weiß-blaue Herzschild in der Mitte geht vermutlich auf das Wappen des Grafen von Bogen zurück.

Die weiß-blauen Rauten, auch "bayerische Wecken" genannt, gelten heute als das bayerischen Wahrzeichen. Die Volkskrone auf dem geviertelten Schild greift den Gedanken des Wappens von 1919 auf: Volkssouveränität statt Monarchie.

Das Kleine Staatswappen ziert nur ein Rautenschild mit Volkskrone. Die schräg angeordneten weiß-blauen Rauten gelten seit dem Spätmittelalter als Symbol des ganzen Bayern. In der Landesverfassung vom 02. Dezember 1946 wurden die Wittelsbacher Farben Weiß und Blau als die Landesfarben bestätigt.

Vom Entwurf bis zur Annahme des Großen Staatswappens des Freistaates Bayern brauchte es viereinhalb Jahre. Am 05. Juni 1950 verabschiedete der Bayerische Landtag schließlich das Gesetz über das Wappen des Freistaates. Es ist – wie der "Weißwurstclub" schreibt – "tief in der Geschichte Bayerns verwurzelt".


Das Wahlkampf-Wörterbuch. Eine akustische Auslese
Von Barbara Roth

"Tief in der Geschichte Bayerns verwurzelt", wir danken dem "Weißwurstclub" für das schöne Stichwort, war und ist auch der Wahlkampf in Bayern. Er hat was Lustvolles an sich, ist gelegentlich etwas derb – so sind sie halt da in Bayern. Was früher so eine richtig schöne Wirtshausschlägerei war, das ist heutzutage und ersatzweise der Wahlkampf unterhalb des Weißwurstäquators. Ins Wörterbuch des bayerischen Wahlkampfes braucht der Hiesige nicht schauen, er kennt es auswendig. Und auch dem Auswärtigen kommt einiges irgendwie bekannt vor: "Kreuzzug" zum Beispiel.
Wir blättern im akustischen Wörterbuch des bayerischen Wahlkampfes. Bitte.


Huber: "Es fallen Regierungsmehrheiten nicht vom Himmel."
"Ich sage Ihnen, wenn wir nicht einen Regierungsauftrag bekommen, wird Bayern in wenigen Jahren abgestürzt sein."

Beckstein: "Einen anständigen Bayern schüttelt's bei dem Gedanken an eine Koalition und sagt: Nein! So können wir unser schönes, gutes Bayern ned verhunzen."

Maget: "Die tun so, als hätten sie eigenhändig den Chiemsee ausgehoben und damit die Alpen aufgeschüttet. So tun die. Ich darf daran erinnern, das hat der liebe Gott gemacht."

Gysi: "Ich möchte einfach das Gesicht von Huber und Beckstein sehen in dem Moment, wenn im Fernsehen bei uns das erste Mal die Fünf steht. Nur das Gesicht …"