Landgang Berlin
1989 wurde aus zwei Flecken wieder ein Fleck, wobei allerdings die westliche Fleckhälfte eine etwas andere Färbung annahm als die östliche. Und gelegentlich hat der Geograph den Eindruck, die Tischdecke sei durchschnitten worden.
Berlin also. Jener Flecken, der auf der geographischen Tischdecke erst gar nicht da war, dann ganz klein begann und dann immer größer wurde und mitunter zur Fleck-Teilung neigte. 1989 wurde aus zwei Flecken wieder ein Fleck, wobei allerdings die westliche Fleckhälfte eine etwas andere Färbung annahm als die östliche. Und gelegentlich hat der Geograph den Eindruck, die Tischdecke sei durchschnitten worden, so beharken sich die Fleckfärbungen einander.
Als wir einen Berliner nach der Wende mit e fragten, da verstand er Wände mit ä und teilte uns kurzerhand mit, er sei nicht der Hausbesitzer. Und: Bei der letzten Wende mit e ging ein Ostberliner Paar nur deshalb durch die offene Mauer, um zu gucken, ob die Hausnummern ihrer Straße im Westen "weiterlaufen". Nun ja …
Mann: "Hat Freund kaputt gemacht, hat kaputt gemacht, kaputt gemacht."
Ja, damit haben die Themen heute irgendwie alle zu tun. Heiße Curry statt Kalter Krieg, Maurerreste noch und nöcher, Notopfer Berlin und und und. Dies also sind die Themen im Landgang Berlin. Und dies die Beiträge.
Uns dreht sich jetzt schon das Wort im Magen um, denn wir ahnen die Schlagzeilen. "Heiße Curry statt Kalter Krieg" zum Beispiel. Oder "Checkpoint Charlie - jeder kriegt seinen Senf ab". Und garantiert auch die Schlagzeile "Ich habe eine Curry in Berlin". Was ist ein Schlagbaum gegen solche Schlagzeilen? Wir jedenfalls werden an dem Tag, da am Checkpoint Charlie das Deutsche Currywurst-Museum seine Schranken öffnet, den Grenzübertritt verweigern.
Deutsches Currywurst Museum, Eröffnungstermin 15. August 2009. Fünf Millionen Euro aus privater Tasche für die Wurst. Auf breiter Fensterfront in rot-braun-orange Design weiße Sprechblasen: "Wat dat macht?! Na, ick hoffe satt". Auf den Museumsgeschmack kam der Initiator j. w. d. und nicht etwa am Berliner Platz. Sagt jedenfalls Birgit Breloh, die Direktorin von det Museum:
Breloh: "Die Idee hatte der Initiator, als er auf Jamaika war und dort eine Ausstellung zur Jamswurzel, was da das Nationalgericht ist, besucht hat."
Die Idee ist also ein wenig weit her geholt. Andererseits ist die Currywurst und ein multimediales Museumsprojekt auf 1100 Quadratmetern um die Ecke vom Checkpoint Charlie wirklich naheliegend. Vielleicht nennt es sich deswegen auch "Hall of Fame für international bekannte Marke deutscher Esskultur".
Zur Erklärung: Die meinen damit ihr Currywurst Museum. Ick mein mal, da hapert’s beim gemeinen Berliner gleich. Na gut, muss er seinen Gören nicht erklären, warum eingefleischte Currystände wie "Konnopke" und "Curry 36" keine Currywurst mit Blattgold anbieten.
Breloh: "Die Currywurst ist ja in sämtlichen Varianten unheimlich beliebt. Und gerade solche ausgefallenen Gerichte finden dann doch auch immer ihre Liebhaber."
Liebhaber für die 24 Arbeitsplätze haben sich schnell gefunden. Die Hälfte davon ist ganz leicht zu erkennen, echt! Weil die den ganzen Tag als verkleidete Plüschcurrywurst rumlaufen muss.
Breloh: "QWoo ist unser Maskottchen, eine verstofflichte große Currywurst. QWoo wird aber auch im und vor dem Museum unterwegs sein."
QWooland in Berlin, super. Und ganz doll wichtig: das interaktive Konzept von det allem, so Meike-Marie Thiele, Leiterin der Ausstellung. Etwa die Currywurst-Weltkarte mit Knopfdruck oder die interaktive Imbissbude, inklusive brutzelnder Fritteuse, per Soundinstallation.
Mit Erlebnis-Ausstellung, Eventfläche und – darf bei der Currywurst offenbar auch nicht fehlen – mit Imbiss-Lounge. Und wer die Wampe richtig schön zur Geltung bringen möchte, der shopt in den Museumsshop. Vielleicht kann er dort ein T-Shirt mit einem Aufdruck à la "Mach mich scharf", "Gib mir Puder!" oder "Ich bin ein armes Würstchen" greifen.
Breloh: "Wir haben zum Beispiel auch ein Exponat aufgetrieben wie eine original Wurstpelle vom Schwarzmarkt in den Vierzigerjahren. Ohne Schimmel, ja.""
Nee, wirklich?! Ohne Schimmel gibt’s von werktags und wochenendlich von 10 bis 22 Uhr zu bekieken. Für nur 7 – 11 Euro. Da, wo früher Kalter Krieg war, gibt’s heute heiße Curry. Häppchenweise. Wir haben die Teilung echt aufgearbeitet im Jubiläumsjahr: 20 Jahre Mauerfall und 60 Jahre Currywurst.
Janz schön lang
Die häufigste Berufsbezeichnung in Berlin ist Mauermeester. Nicht Maurer-, sondern Mauermeester. Weil noch nie gab es so viel Mauer wie heute. Ulbricht war nur der Anfang, seine Jünger haben ihn überholt, ohne ihn einzuholen. Sie bauten erst gar keine neue, sondern sie verkaufen sie gleich. Da und dort, überall. Auf Schritt und Tritt Händler, die Mauerstücke anbieten. Ein Groß-Mauer-Besitzer lässt, so wurde uns ins Ohr geraunt, schöne Betonfläche extra noch besprühen, weil bunte Grenze verkauft sich besser als trister Beton.
Verkäufer: "Mauerstück bitteschön."
Mit Verschwörermine hält Ismet zehn cm2 antifaschistischen Schutzwall in der Hand. 50 Stückchen vom angeblich historischen Beton verkauft er täglich an seinem Stand gleich hinter dem Checkpoint Charlie.
Verkäufer: "Ja, das ist original. Ich weiß, das original."
Behauptet der Andenken-Verkäufer.
Verkäufer: "Hat Freund kaputt gemacht, habe von ihm genommen das."
Oder doch der Freund vom Freund? Oder der Freund vom Freund vom Freund des Freundes?
Das Misstrauen ist berechtigt. Denn selbst wenn seit dem Mauerfall die rund 500 offiziell gemeldeten fliegenden Händler und Souvenir-Läden pro Tag jeweils nicht mehr als 50 Mauer-Reliqien verkauften hätten, kommt man auf knapp zwei Milliarden Quadratzentimeter oder 182 500 m² Berliner Mauer . Der historische Schutzwall allerdings belief sich allerdings nur auf eine Fläche von 146.200 Quadratmetern.
Mann: "Wo finden das schon? Mauer ist alle."
Wie wahr! Und das schon seit einer ganzen Weile. Woher aber kommen die bunt bemalten Betonbrocken? Aus welchem Mauerwerk werden sie heimlich herausgebrochen? Und von wem ? Und zu welchen Arbeitsbedingungen?
Man muss also in eine andere Richtung forschen. Worum geht es? Um einen Fall von Produktpiraterie. Und da weist die Spur eindeutig ins Reich der Mitte. Erstens verfügen die Chinesen seit Jahrhunderten über ein eigenes Bauwerk ähnlicher Machart als Anschauungsmaterial, und zweitens: Wenn schon Gucci-Taschen, Rolex-Uhren und Kuckucksuhren "made in China" massenweise zwischen Shanghai und Hongkong vom Fließband gehen, warum dann nicht Berliner Mauer-Stückchen?
Klingt wahrscheinlich - aber wünschenswert? Wohl kaum, denn wo bleibt der Nutzen für die Werktätigen vor Ort, für die täglichen Grenzgänger? Also den Auftrag für den Mauernachschub an die hiesige Industrie vergeben! Mit einem Mal wäre die Baukrise überwunden. Und das nötige Know-how darf man zumindest in der Hauptstadt auch voraussetzten. Dort sammelt man ja ständig neue Erfahrungen mit der Verfertigung deutscher Geschichte als Kopie – wie der Neunachbau des Berliner Stadtschlosses - vermutlich aus DDR-Beton- eindrucksvoll beweist.
Janz viel unterwegs
Die hellen, klaren Obertöne des Berliners haben sich über Millionen Jahre herausgebildet, rein geographisch, genauer geotektonisch gesehen. Damals lag Berlin j. w. d., wie der Eingeborene zu sagen pflegt. Und zwar janz j. w. d., was ja irgendwie nahe liegt: Wanderungsbewegung ist ein Berliner Wesenszug. Und: Die Ansiedlung ist tatsächlich eine Welt-Stadt. Bitte, 656 Millionen Jahre im Schnelldurchlauf. Eine Zeitreise mit Hilfe des Berliner Naturkundemuseums und mit dem Finger auf einer Weltkarte von heute. Wegen der besseren Orientierung.
Es ist kalt, sehr kalt. Berlin. Vor 556 Millionen Jahren. Lage 71° südlicher Breite 95° östlicher Länge - heutige Ost-Antarktis.
Dann, bis vor 488 Millionen Jahren, Wanderung nach Westen. Immer noch Ost-Antarktis.
Vor 473 Millionen Jahren. Berlin taucht in den Antarktischen Ozean ab.
Wandert etwa 50 Millionen Jahre fast geradewegs nach Norden.
Vor 423 Millionen Jahren. Berlin nähert sich im Ostatlantik der afrikanischen Küste.
Vor 331 Millionen Jahren. Berlin kommt in Gabun an. Es folgen 120 Millionen Jahre Wanderung, dann kurze Rast in Tunesien.
Nun eine 70 Millionen Jahre dauernde Meerwanderung. Vor 143 Millionen Jahren landet Berlin an Sardinien an.
Die letzten 130 Millionen Jahre wechseln sich Land- und Wasserlage von Berlin ab. Der Flecken durchwandert die heutigen Positionen von Sardinien durchs Tyrrhenische Meer, die Toskana, den Comer See, München, Frankfurt am Main und von Kassel.
Berlin ist angekommen, wo es nun liegt. Und Berlin wandert weiter.
Die Aussichten: In den nächsten 100 Millionen Jahren wird sich der Flecken über die heutigen Positionen von Prag via Belgrad nach Budapest schieben. Prag wird noch Landlage sein, bei Budapest ist aber leider, leider Land unter angesagt.
658 Millionen Jahre Berlin. Erst 85 Millionen Jahre Wanderung auf und entlang der heutigen Antarktis nach Westen. Dann 473 Millionen Jahre eine Süd-Nord-Bewegung. Die nächsten 100 Millionen Jahre machen Sie sich Daheim auf eine Südost-Reise gefasst.
Die meiste Zeit lag Berlin unter Wasser, die wenigsten Jahre war es landfest. Mal lag es in Strandnähe, mal auf 3.000 Meter Höhe; mal 300 Meter unter Eis, mal in tropischen Breiten; mal am Äquator, mal am Nullmeridian; mal auf dem Superkontinent Pangea, mal im Urozean Panthalassa.
Vor 250 Millionen Jahren lag Grönland gleich um die Ecke von Berlin. Der Berliner hatte freie Sicht nach Grönland. Das war, als Grönland noch in den tropischen Breiten lag und der Spruch "Weg mit dem Packeis. Freiheit für Grönland" noch nicht die Runde gemacht hatte in Berlin.
Notopfer Berlin
Der Berliner ist Briefmarkensammler von Geburt her. Als Realienbesitzer von leck-mich-mal-hinten-Drucken ist ein häufiger Spruch von ihm: "Det is ne Marke." Für seine Marken-Sammlung bringt er so manches Opfer, die Notopfer-Berlin-Marke fehlt nicht in seiner Sammlung. Er weiß um die finanzielle Lage der Stadt. Die ist notleidend. Und wie dunnemals wird – in höchsten Bundesregierungskreisen – wieder an eine Notopfer-Berlin-Marke gedacht. Für alle Bundis. Auch wenn sie nicht zu den Philatelisten gehören. Nur soll sie zeitgemäßer daherkommen. Klingelt’s bei Ihnen daheim am Lautsprecher?
Merkel: "Wenn wir nichts tun, also den sinkenden Wirtschaftsdaten freien Lauf lassen und nicht gegensteuern …"
… dann wird die Krise unsere arme Berliner Bundesregierung noch mehr beuteln, denn die Lage ist ernst, sehr ernst. Der Staat hat kein Geld, die Banken sind pleite und die Wirtschaft geht den Bach runter. Aber die Lage war schon mal ernster.
Reuter: "Ihr Völker der Welt, schaut auf diese Stadt."
Und die Westdeutschen schauten nicht nur hin, damals in der kargen Nachkriegszeit, sondern sie wurden auch aktiv, um den armen Westberlinern zu helfen und verordneten sich nach der Blockade das "Notopfer Berlin" als Zusatzgebühr für alle Briefsendungen. Zwei Pfennige für das Aushängeschild des freien Westens – fast zehn Jahre lang. Da kam ein hübsches Sümmchen zusammen. Eine Idee, die auch heute wieder funktionieren könnte, diesmal mit der notleidenden Berliner Bundesregierung als Empfänger der Zwangsspende. "Notopfer-BRD" - nicht als Neuauflage der Zusatzbriefmarke, denn wer verschickt heute noch Briefe? Nein, das Notopfer müsste auf zeitgemäßere Kommunikationsmedien erhoben werden.
Klingelton: "Geh jetzt an dein Handy dran, / denn es ist ein Opfer dran, / komm schon, Alter, mach jetzt schon, / da ist ein Opfer am Telefon.""
Und zwar das "Notopfer BRD", zu entrichten auf jede der Millionen täglich mit dem Mobiltelefon versandten SMS-Botschaften.
Klingelton: "Du willst diesen Fett-Sound? Dann hol ihn dir jetzt auf Dein Handy!"
Du willst? Nein! Du musst! Wie damals Briefe, dürften SMS nur mit dem amtlichen Notopfer Klingelton verschickt werden.
Eine Nachricht der Bundesregierung gäb’s gratis dazu:
Klingelton: SMS des Tages
Merkel: "Die ganze Bundesregierung, und auch ich persönlich, werden uns dafür einsetzen, dass dies ein erfolgreiches Jahr sein wird."
Und mit dem Handy-Notopfer wäre das kein Problem mehr.
Klingelton: "Ich tu dich liebhaben."
Ach, Wippchen
Er hat den Krieg auf die Feder genommen und den Nerv der Zeit ins Gesicht getroffen. Wippchen. Kein Kriegstheater war ihm zu fern, als das er es nicht in Tinte goß. In Bernau nahe Berlin nahm Wippchen sein Hauptquartier, um hautnah von den Fronten der Welt zu berichten. Die Redaktion in der Hauptstadt danke es ihm nicht immer, aber der Leser goutierte die Depeschen von Wippchen. Der Schlachtenlärm lenkte seine Feder, die ihm die Welt bedeutete. Und die Welt suchte - wie eh und je – den Frieden auf dem Schlachtfeld. Wippchen, wir erinnern uns, ist vergessen. Die Umstände sind es nicht.
"Ich gedenke, Ihnen täglich eine größere Schlacht zuliefern."
3. Mai 1877. Die Bedingungen in Bernau sind günstig. Bier und Tabak gibt es so reichlich wie Kriege. Und Wippchen ist Spezialist für Scharmützel, denn er hat bereits mehrere Eröffnungen von Bockbierausschanks mitgemacht. Die Leser warten schon schmerzlich auf seine Berichte.
"Das war ein blutiger Tag. Mit dem ersten Hahnenschrei des Sonnengottes verfügte ich mich auf das zu erwartende Feld der Ehre."
Als Kriegsschauplatzer kennt Wippchen seine Oblügenheiten, eilt von Scharmützel zu Gemenge, wo
"der Tod seine Hippe (schwingt), von deren Ufern kein Wanderer wiederkehrt."
Ermattet schließt Wippchen manches Kabel nach Berlin, die Redaktion weicht keine Zeile zurück, fordert
"umgehend einen der blutigsten Zusammenstöße aus Ihrer geschätzte Feder","
ansonsten … so mancher werte Kollege habe sich schon empfohlen. Nun, Wippchen wird die Stellung in Bernau tapfer halten und 30 Jahre lang die Lunte an die Kriegspfeife legen - immer im Kampf mit der Heimatredaktion um einen Vor-Schuss.
""Sie wissen, wie viele Kriege ich … unter der Feder hatte, wie manchen Feind ich aufs Papier warf. Manchen Bogen Papier bedeckte ich mit Leichen, und oft genug habe ich die eisernen Würfel kein Auge schließen lassen."
Eine Mutter hatte Wippchen nie, ein Vater sandte ihn auf den Metaphernberg: Julius Stettenheim. Redakteur der "Berliner Wespen". Und wie das Wochenblatt ein Satiriker von Format. Berlin amüsierte sich wie Bolle ob der herbeigefaselten Kriegsgründe und wahrhaft erlogenen Frontberichte. Amtlichen Heroismus und gespreizte Sprache führte Stettenheim-Wippchen am Nasenring vor.
"Keiner entkam; ich befinde mich unter denselben."
Wippchen ließ Flotten ins Seegras beißen und Generäle ohne Beine nicht schwanken. Stettenheim griff die Kriegslüsternheit bei der Locke und drehte der Dummheit ein Haar.
"Solange es Haare gibt, werden sich die Völker in denselben liegen."
Das Publikum hat die Berichte verschlungen, aber nicht verdaut. Es war schon schwerhörig.
"Die Kanonendonner war schrecklich. Bumm! Bumm! Aber viel lauter!"
Auf den Krieg ist Verlass. Und Wippchen hält seine Feder beim Wort.
" »C´est la guerre! Nächstens mehr. »"
Als wir einen Berliner nach der Wende mit e fragten, da verstand er Wände mit ä und teilte uns kurzerhand mit, er sei nicht der Hausbesitzer. Und: Bei der letzten Wende mit e ging ein Ostberliner Paar nur deshalb durch die offene Mauer, um zu gucken, ob die Hausnummern ihrer Straße im Westen "weiterlaufen". Nun ja …
Mann: "Hat Freund kaputt gemacht, hat kaputt gemacht, kaputt gemacht."
Ja, damit haben die Themen heute irgendwie alle zu tun. Heiße Curry statt Kalter Krieg, Maurerreste noch und nöcher, Notopfer Berlin und und und. Dies also sind die Themen im Landgang Berlin. Und dies die Beiträge.
Uns dreht sich jetzt schon das Wort im Magen um, denn wir ahnen die Schlagzeilen. "Heiße Curry statt Kalter Krieg" zum Beispiel. Oder "Checkpoint Charlie - jeder kriegt seinen Senf ab". Und garantiert auch die Schlagzeile "Ich habe eine Curry in Berlin". Was ist ein Schlagbaum gegen solche Schlagzeilen? Wir jedenfalls werden an dem Tag, da am Checkpoint Charlie das Deutsche Currywurst-Museum seine Schranken öffnet, den Grenzübertritt verweigern.
Deutsches Currywurst Museum, Eröffnungstermin 15. August 2009. Fünf Millionen Euro aus privater Tasche für die Wurst. Auf breiter Fensterfront in rot-braun-orange Design weiße Sprechblasen: "Wat dat macht?! Na, ick hoffe satt". Auf den Museumsgeschmack kam der Initiator j. w. d. und nicht etwa am Berliner Platz. Sagt jedenfalls Birgit Breloh, die Direktorin von det Museum:
Breloh: "Die Idee hatte der Initiator, als er auf Jamaika war und dort eine Ausstellung zur Jamswurzel, was da das Nationalgericht ist, besucht hat."
Die Idee ist also ein wenig weit her geholt. Andererseits ist die Currywurst und ein multimediales Museumsprojekt auf 1100 Quadratmetern um die Ecke vom Checkpoint Charlie wirklich naheliegend. Vielleicht nennt es sich deswegen auch "Hall of Fame für international bekannte Marke deutscher Esskultur".
Zur Erklärung: Die meinen damit ihr Currywurst Museum. Ick mein mal, da hapert’s beim gemeinen Berliner gleich. Na gut, muss er seinen Gören nicht erklären, warum eingefleischte Currystände wie "Konnopke" und "Curry 36" keine Currywurst mit Blattgold anbieten.
Breloh: "Die Currywurst ist ja in sämtlichen Varianten unheimlich beliebt. Und gerade solche ausgefallenen Gerichte finden dann doch auch immer ihre Liebhaber."
Liebhaber für die 24 Arbeitsplätze haben sich schnell gefunden. Die Hälfte davon ist ganz leicht zu erkennen, echt! Weil die den ganzen Tag als verkleidete Plüschcurrywurst rumlaufen muss.
Breloh: "QWoo ist unser Maskottchen, eine verstofflichte große Currywurst. QWoo wird aber auch im und vor dem Museum unterwegs sein."
QWooland in Berlin, super. Und ganz doll wichtig: das interaktive Konzept von det allem, so Meike-Marie Thiele, Leiterin der Ausstellung. Etwa die Currywurst-Weltkarte mit Knopfdruck oder die interaktive Imbissbude, inklusive brutzelnder Fritteuse, per Soundinstallation.
Mit Erlebnis-Ausstellung, Eventfläche und – darf bei der Currywurst offenbar auch nicht fehlen – mit Imbiss-Lounge. Und wer die Wampe richtig schön zur Geltung bringen möchte, der shopt in den Museumsshop. Vielleicht kann er dort ein T-Shirt mit einem Aufdruck à la "Mach mich scharf", "Gib mir Puder!" oder "Ich bin ein armes Würstchen" greifen.
Breloh: "Wir haben zum Beispiel auch ein Exponat aufgetrieben wie eine original Wurstpelle vom Schwarzmarkt in den Vierzigerjahren. Ohne Schimmel, ja.""
Nee, wirklich?! Ohne Schimmel gibt’s von werktags und wochenendlich von 10 bis 22 Uhr zu bekieken. Für nur 7 – 11 Euro. Da, wo früher Kalter Krieg war, gibt’s heute heiße Curry. Häppchenweise. Wir haben die Teilung echt aufgearbeitet im Jubiläumsjahr: 20 Jahre Mauerfall und 60 Jahre Currywurst.
Janz schön lang
Die häufigste Berufsbezeichnung in Berlin ist Mauermeester. Nicht Maurer-, sondern Mauermeester. Weil noch nie gab es so viel Mauer wie heute. Ulbricht war nur der Anfang, seine Jünger haben ihn überholt, ohne ihn einzuholen. Sie bauten erst gar keine neue, sondern sie verkaufen sie gleich. Da und dort, überall. Auf Schritt und Tritt Händler, die Mauerstücke anbieten. Ein Groß-Mauer-Besitzer lässt, so wurde uns ins Ohr geraunt, schöne Betonfläche extra noch besprühen, weil bunte Grenze verkauft sich besser als trister Beton.
Verkäufer: "Mauerstück bitteschön."
Mit Verschwörermine hält Ismet zehn cm2 antifaschistischen Schutzwall in der Hand. 50 Stückchen vom angeblich historischen Beton verkauft er täglich an seinem Stand gleich hinter dem Checkpoint Charlie.
Verkäufer: "Ja, das ist original. Ich weiß, das original."
Behauptet der Andenken-Verkäufer.
Verkäufer: "Hat Freund kaputt gemacht, habe von ihm genommen das."
Oder doch der Freund vom Freund? Oder der Freund vom Freund vom Freund des Freundes?
Das Misstrauen ist berechtigt. Denn selbst wenn seit dem Mauerfall die rund 500 offiziell gemeldeten fliegenden Händler und Souvenir-Läden pro Tag jeweils nicht mehr als 50 Mauer-Reliqien verkauften hätten, kommt man auf knapp zwei Milliarden Quadratzentimeter oder 182 500 m² Berliner Mauer . Der historische Schutzwall allerdings belief sich allerdings nur auf eine Fläche von 146.200 Quadratmetern.
Mann: "Wo finden das schon? Mauer ist alle."
Wie wahr! Und das schon seit einer ganzen Weile. Woher aber kommen die bunt bemalten Betonbrocken? Aus welchem Mauerwerk werden sie heimlich herausgebrochen? Und von wem ? Und zu welchen Arbeitsbedingungen?
Man muss also in eine andere Richtung forschen. Worum geht es? Um einen Fall von Produktpiraterie. Und da weist die Spur eindeutig ins Reich der Mitte. Erstens verfügen die Chinesen seit Jahrhunderten über ein eigenes Bauwerk ähnlicher Machart als Anschauungsmaterial, und zweitens: Wenn schon Gucci-Taschen, Rolex-Uhren und Kuckucksuhren "made in China" massenweise zwischen Shanghai und Hongkong vom Fließband gehen, warum dann nicht Berliner Mauer-Stückchen?
Klingt wahrscheinlich - aber wünschenswert? Wohl kaum, denn wo bleibt der Nutzen für die Werktätigen vor Ort, für die täglichen Grenzgänger? Also den Auftrag für den Mauernachschub an die hiesige Industrie vergeben! Mit einem Mal wäre die Baukrise überwunden. Und das nötige Know-how darf man zumindest in der Hauptstadt auch voraussetzten. Dort sammelt man ja ständig neue Erfahrungen mit der Verfertigung deutscher Geschichte als Kopie – wie der Neunachbau des Berliner Stadtschlosses - vermutlich aus DDR-Beton- eindrucksvoll beweist.
Janz viel unterwegs
Die hellen, klaren Obertöne des Berliners haben sich über Millionen Jahre herausgebildet, rein geographisch, genauer geotektonisch gesehen. Damals lag Berlin j. w. d., wie der Eingeborene zu sagen pflegt. Und zwar janz j. w. d., was ja irgendwie nahe liegt: Wanderungsbewegung ist ein Berliner Wesenszug. Und: Die Ansiedlung ist tatsächlich eine Welt-Stadt. Bitte, 656 Millionen Jahre im Schnelldurchlauf. Eine Zeitreise mit Hilfe des Berliner Naturkundemuseums und mit dem Finger auf einer Weltkarte von heute. Wegen der besseren Orientierung.
Es ist kalt, sehr kalt. Berlin. Vor 556 Millionen Jahren. Lage 71° südlicher Breite 95° östlicher Länge - heutige Ost-Antarktis.
Dann, bis vor 488 Millionen Jahren, Wanderung nach Westen. Immer noch Ost-Antarktis.
Vor 473 Millionen Jahren. Berlin taucht in den Antarktischen Ozean ab.
Wandert etwa 50 Millionen Jahre fast geradewegs nach Norden.
Vor 423 Millionen Jahren. Berlin nähert sich im Ostatlantik der afrikanischen Küste.
Vor 331 Millionen Jahren. Berlin kommt in Gabun an. Es folgen 120 Millionen Jahre Wanderung, dann kurze Rast in Tunesien.
Nun eine 70 Millionen Jahre dauernde Meerwanderung. Vor 143 Millionen Jahren landet Berlin an Sardinien an.
Die letzten 130 Millionen Jahre wechseln sich Land- und Wasserlage von Berlin ab. Der Flecken durchwandert die heutigen Positionen von Sardinien durchs Tyrrhenische Meer, die Toskana, den Comer See, München, Frankfurt am Main und von Kassel.
Berlin ist angekommen, wo es nun liegt. Und Berlin wandert weiter.
Die Aussichten: In den nächsten 100 Millionen Jahren wird sich der Flecken über die heutigen Positionen von Prag via Belgrad nach Budapest schieben. Prag wird noch Landlage sein, bei Budapest ist aber leider, leider Land unter angesagt.
658 Millionen Jahre Berlin. Erst 85 Millionen Jahre Wanderung auf und entlang der heutigen Antarktis nach Westen. Dann 473 Millionen Jahre eine Süd-Nord-Bewegung. Die nächsten 100 Millionen Jahre machen Sie sich Daheim auf eine Südost-Reise gefasst.
Die meiste Zeit lag Berlin unter Wasser, die wenigsten Jahre war es landfest. Mal lag es in Strandnähe, mal auf 3.000 Meter Höhe; mal 300 Meter unter Eis, mal in tropischen Breiten; mal am Äquator, mal am Nullmeridian; mal auf dem Superkontinent Pangea, mal im Urozean Panthalassa.
Vor 250 Millionen Jahren lag Grönland gleich um die Ecke von Berlin. Der Berliner hatte freie Sicht nach Grönland. Das war, als Grönland noch in den tropischen Breiten lag und der Spruch "Weg mit dem Packeis. Freiheit für Grönland" noch nicht die Runde gemacht hatte in Berlin.
Notopfer Berlin
Der Berliner ist Briefmarkensammler von Geburt her. Als Realienbesitzer von leck-mich-mal-hinten-Drucken ist ein häufiger Spruch von ihm: "Det is ne Marke." Für seine Marken-Sammlung bringt er so manches Opfer, die Notopfer-Berlin-Marke fehlt nicht in seiner Sammlung. Er weiß um die finanzielle Lage der Stadt. Die ist notleidend. Und wie dunnemals wird – in höchsten Bundesregierungskreisen – wieder an eine Notopfer-Berlin-Marke gedacht. Für alle Bundis. Auch wenn sie nicht zu den Philatelisten gehören. Nur soll sie zeitgemäßer daherkommen. Klingelt’s bei Ihnen daheim am Lautsprecher?
Merkel: "Wenn wir nichts tun, also den sinkenden Wirtschaftsdaten freien Lauf lassen und nicht gegensteuern …"
… dann wird die Krise unsere arme Berliner Bundesregierung noch mehr beuteln, denn die Lage ist ernst, sehr ernst. Der Staat hat kein Geld, die Banken sind pleite und die Wirtschaft geht den Bach runter. Aber die Lage war schon mal ernster.
Reuter: "Ihr Völker der Welt, schaut auf diese Stadt."
Und die Westdeutschen schauten nicht nur hin, damals in der kargen Nachkriegszeit, sondern sie wurden auch aktiv, um den armen Westberlinern zu helfen und verordneten sich nach der Blockade das "Notopfer Berlin" als Zusatzgebühr für alle Briefsendungen. Zwei Pfennige für das Aushängeschild des freien Westens – fast zehn Jahre lang. Da kam ein hübsches Sümmchen zusammen. Eine Idee, die auch heute wieder funktionieren könnte, diesmal mit der notleidenden Berliner Bundesregierung als Empfänger der Zwangsspende. "Notopfer-BRD" - nicht als Neuauflage der Zusatzbriefmarke, denn wer verschickt heute noch Briefe? Nein, das Notopfer müsste auf zeitgemäßere Kommunikationsmedien erhoben werden.
Klingelton: "Geh jetzt an dein Handy dran, / denn es ist ein Opfer dran, / komm schon, Alter, mach jetzt schon, / da ist ein Opfer am Telefon.""
Und zwar das "Notopfer BRD", zu entrichten auf jede der Millionen täglich mit dem Mobiltelefon versandten SMS-Botschaften.
Klingelton: "Du willst diesen Fett-Sound? Dann hol ihn dir jetzt auf Dein Handy!"
Du willst? Nein! Du musst! Wie damals Briefe, dürften SMS nur mit dem amtlichen Notopfer Klingelton verschickt werden.
Eine Nachricht der Bundesregierung gäb’s gratis dazu:
Klingelton: SMS des Tages
Merkel: "Die ganze Bundesregierung, und auch ich persönlich, werden uns dafür einsetzen, dass dies ein erfolgreiches Jahr sein wird."
Und mit dem Handy-Notopfer wäre das kein Problem mehr.
Klingelton: "Ich tu dich liebhaben."
Ach, Wippchen
Er hat den Krieg auf die Feder genommen und den Nerv der Zeit ins Gesicht getroffen. Wippchen. Kein Kriegstheater war ihm zu fern, als das er es nicht in Tinte goß. In Bernau nahe Berlin nahm Wippchen sein Hauptquartier, um hautnah von den Fronten der Welt zu berichten. Die Redaktion in der Hauptstadt danke es ihm nicht immer, aber der Leser goutierte die Depeschen von Wippchen. Der Schlachtenlärm lenkte seine Feder, die ihm die Welt bedeutete. Und die Welt suchte - wie eh und je – den Frieden auf dem Schlachtfeld. Wippchen, wir erinnern uns, ist vergessen. Die Umstände sind es nicht.
"Ich gedenke, Ihnen täglich eine größere Schlacht zuliefern."
3. Mai 1877. Die Bedingungen in Bernau sind günstig. Bier und Tabak gibt es so reichlich wie Kriege. Und Wippchen ist Spezialist für Scharmützel, denn er hat bereits mehrere Eröffnungen von Bockbierausschanks mitgemacht. Die Leser warten schon schmerzlich auf seine Berichte.
"Das war ein blutiger Tag. Mit dem ersten Hahnenschrei des Sonnengottes verfügte ich mich auf das zu erwartende Feld der Ehre."
Als Kriegsschauplatzer kennt Wippchen seine Oblügenheiten, eilt von Scharmützel zu Gemenge, wo
"der Tod seine Hippe (schwingt), von deren Ufern kein Wanderer wiederkehrt."
Ermattet schließt Wippchen manches Kabel nach Berlin, die Redaktion weicht keine Zeile zurück, fordert
"umgehend einen der blutigsten Zusammenstöße aus Ihrer geschätzte Feder","
ansonsten … so mancher werte Kollege habe sich schon empfohlen. Nun, Wippchen wird die Stellung in Bernau tapfer halten und 30 Jahre lang die Lunte an die Kriegspfeife legen - immer im Kampf mit der Heimatredaktion um einen Vor-Schuss.
""Sie wissen, wie viele Kriege ich … unter der Feder hatte, wie manchen Feind ich aufs Papier warf. Manchen Bogen Papier bedeckte ich mit Leichen, und oft genug habe ich die eisernen Würfel kein Auge schließen lassen."
Eine Mutter hatte Wippchen nie, ein Vater sandte ihn auf den Metaphernberg: Julius Stettenheim. Redakteur der "Berliner Wespen". Und wie das Wochenblatt ein Satiriker von Format. Berlin amüsierte sich wie Bolle ob der herbeigefaselten Kriegsgründe und wahrhaft erlogenen Frontberichte. Amtlichen Heroismus und gespreizte Sprache führte Stettenheim-Wippchen am Nasenring vor.
"Keiner entkam; ich befinde mich unter denselben."
Wippchen ließ Flotten ins Seegras beißen und Generäle ohne Beine nicht schwanken. Stettenheim griff die Kriegslüsternheit bei der Locke und drehte der Dummheit ein Haar.
"Solange es Haare gibt, werden sich die Völker in denselben liegen."
Das Publikum hat die Berichte verschlungen, aber nicht verdaut. Es war schon schwerhörig.
"Die Kanonendonner war schrecklich. Bumm! Bumm! Aber viel lauter!"
Auf den Krieg ist Verlass. Und Wippchen hält seine Feder beim Wort.
" »C´est la guerre! Nächstens mehr. »"