Landgang Nordrhein-Westfalen
Ach Jott nee, wat is dat nur für een Land?! Nordrhein-Westfalen also, Landstrich der Simulanten. Im ehemaligen Schwesternwohnheim der Uniklinik Münster tummeln sich nur Simulanten, nennen sich aber Patienten. Weiter: Ein gebürtiger Ostwestfale und nunmehr Wahlkölner-"Immi" will unbedingt "in den Tiefen der rheinischen und westfälischen Seele schürfen".
Nordrhein-Westfalen also. Da, wo die CDU-nahe Schüler-Union NRW ihre bildungspolitische Kampagne mit dem Motto "Jedem das Seine" gerade eingestellt hat. Da, wo der Schokoladen-Jesus zum Knappern kreiert worden ist. Da, wo mehr Eingebürgerte als Geburtsdeutsche eine Fach- und Hochschulreife haben. Da, wo Jahr für Jahr sechs Tage lang nur für die Binnennachfrage geschunkelt wird. Wo die nächste Spaß-Saison schon wieder vorbereitet wird. Wir halten inne. Nun ja …
Der Jecke danach. Oder: Wie lange wirkt Karneval nach?
Von Herbert Hoven
"Sag’ niemals Nein, wenn das Glück dir winkt, / bald das Finale erklingt" – Nun, wir versagen uns die naheliegende Nachfrage, wie denn die Wirklichkeit nach dem Finale so in Köln aussieht? Also die Zeit zwischen Aschermittwoch und Weiberfastnacht. Der Spaß dauert sechs Tage, der Rest der Republik leidet, und die Nach-Spaß-Zeit dauert offenbar 359 Tage. Was Gott in sechs Tagen erschuf, dies wissen wir, was der Rheinländer in sechs Tagen tut, ahnen wir. Weil sonst darf er ja nicht. Und wie lange nun wirkt die kleine Grenzüberschreitung nach? Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen sie einen Kölner.
Gesang: "Am Aschermittwoch ist alles vorbei
die Schwüre von Treue, sie brechen entzwei
von all deinen Küssen, darf ich nichts mehr wissen
wie schön es auch sei, dann ist alles vorbei."
"Am Aschermittwoch ist alles vorbei". Das Lied von Jupp Schmitz aus dem Jahr 1959 ist zum Klassiker geworden. Ob im rheinischen Karneval, bei der Meenzer Fassenacht oder beim Münchner Fasching.
Es wird in den Sälen gegrölt oder bei den Festumzügen als Dicke-Backen-Musik getrötet. Bekannt ist freilich nur der Refrain. Schon bei der ersten Strophe versagen meistens die sangesfrohen Jecken.
Gesang: "Hast du zum Küssen Gelegenheit / ensch, dann geh’ ran mit Verwegenheit."
Dass die Folgen es ausgelebten Frohsinns sich regelmäßig neun Monate nach Karneval zeigen, ist ein Gerücht, das sich hartnäckig hält, aber durch keine Geburtenstatistik zu belegen ist.
Mit den Folgen des überbordenden Frohsinns beschäftigen sich nach Karneval Rechtsanwälte und Richter. Scheidungen werden eingereicht, Testamente geändert, Erbansprüche korrigiert und dergleichen. Es fließen Tränen, Geschirr wird zerdeppert, Türschlösser werden ausgetauscht und der gehörnte Partner zieht aus der gemeinsamen Wohnung aus und bittet bei seiner Familie um Asyl. In den Wochen nach Karneval haben Ehetherapeuten Hochkonjunktur und Familienberatungsstellen bieten Sondertermine an.
Es gehe nicht um die "Beziehung fürs Leben, sondern um Spaß", erklärt Petra, Mitglied einer bekannten Kölner Tanzgruppe und berichtet: " Meine Freundinnen und legen jedes Jahr noch ein Schüppchen drauf." Sie selbst knutsche mit mindestens "einem Typen pro Tag" und mit "eigentlich fast allen" laufe auch noch mehr.
Gesang: "Am Eigelstein is Musik / Am Eigelstein is Tanz / Da packt dat dicke Rita / Den Friedolin am ... / Am Eigelstein is Musik …"
Auch Damen aus der sogenannten Kölner Gesellschaft suchen sich hier zielstrebig ihre Opfer aus. "Die Frauen", ereifert sich ein halbwegs nüchterner Offizier, "greifen dir geradewegs in den Schritt" und er ergänzt: "Einige Kameraden treiben es direkt auf der Toilette".
Wenzel: "Wir hatten mal so einen Fall, wo die Ehefrau zur Telefonzelle ging und rief dann ihren Mann in Norddeutschland an."
Kölner Detektive haben im Karneval rund um die Uhr zu tun. So auch Lothar Wenzel.
Wenzel: "Sie kam gerade vom Hotelzimmer, wo sie mit ihrem Freund war und hat dann extra Leute gebeten, kräftig mit der Tröte einen Karnevalstrubel zu imitieren an der Telefonzelle und hat dann ihrem Mann gesagt, ich bin hier mitten im Zug. Tatsächlich war sie nur mal ein paar Minuten an der Telefonzelle und ist dann wieder hoch gegangen aufs Hotelzimmer."
Sollte dann doch im Herbst ein Karnevalskind geboren werden, dann nennt man es liebevoll "Malörche". Das uneheliche Kind wird von der Nachbarschaft umarmt und verwöhnt, gehätschelt und getätschelt.
Alles Simulanten. Oder: Richtig gute Schauspieler?
Von Stephan Beuting
Alles Simulanten da in NRW. Und weil man das weiß, haben sie nun gar ein Krankenhaus für Simulanten eingerichtet. Dort können sie sich aussimulieren, im Gesicht gelb anlaufen oder den ich-schmier-gleich-ab-Typen spielen. Aber damit kommen sie in Münster nicht durch. Aber an. Um diesen Schauspielern den Spaß am Leiden nicht ganz zu nehmen, werden sie von Studenten in Arztkitteln beäugt, befragt, behandelt. So haben beide etwas davon - der Simulant und der angehende Mediziner. Ja, ja, arg viele Simulanten da in Münster.
Simulantin: "Fuck, ik brauch irgendwas, was makt, dass ich hier raus kann und spielen."
Studentin: "Okay. das versteh ich, dass das jetzt nicht so angenehm für sie ist, aber ich denke, da ist jetzt wichtiger, erstmal abzuklären, was sie haben."
Klarer Verdacht auf chronische Krankenhausallergie - lange Flure, breite Türen, Kanülen, Spritzen, die Nachttöpfe und Spucknäpfe.
Simulantin: "John Peter, something, aber ik kann meine ganze Medicine und adres s … ”"
Eine perfekte Schauspielerin, diese Simulantin.
Simulantin: " "Ik muss weg hier, ganz schnell …"
Studentin: "Hatten Sie denn irgendwelche Beschwerden, dass sie sich selber auch schlapp gefühlt haben oder Kopfschmerzen hatten?"
Ne, das ist ihr Job, das vortäuschen erkrankter Atemwege mit Tendenz zur Lungenentzündung.
Simulantin: "Ik brauch nur ein bisschen Kortison und my downers und …"
Simulantin: "Kim Moak, eine amerikanische Musicaldarstellerin, die alles nimmt, was sie kriegen kann, Drogen, ja, aber auch alles an Medizin."
Und alles will, nur nicht im Bett liegen bleiben und auf klare Fragen klare Antworten geben.
Simulantin: "Ich habe da wahrscheinlich ne Lungenentzündung."
Und Talent. Wie sie sich im Bett vor Schmerz krümmt und windet! Und dann die spleenige Idee, sie könne mit ihrer Pneumonie sofort raus aus dem Krankenhaus und rauf auf die Bühne. Reden Sie mal mit so einer!
Studentin: "Sobald man im Zimmer ist und den Patientenkontakt aufnimmt, dann ist es eine ganz reale Situation."
Alexandra Streiter, 5. Semester Medizin, trifft auf Patient, äh Simulant. Die Aufgabe: Anamnese, also vor der Diagnose klären, wie es um den eingebildeten Kranken da steht.
Der Simulant simuliert und hinter der verspiegelten Scheibe im Nebenzimmer schauen und hören die Kommilitonen zu.
Schrewe: "Hier haben die Studenten die Möglichkeit zu lernen, wie komme ich an den Patienten heran, wie kann ich mit ihm kommunizieren, wie komme ich an die Symptome, wie komme ich an die Krankheiten?"
Und das ist manchmal gar nicht so leicht.
Studentin: "Am Anfang war sie auch sehr abweisend, aber dadurch, dass man einfach ruhig und freundlich bleibt, finde ich, konnte ich dann auch ganz gut mit ihr ins Gespräch kommen."
Mit diesen Schauspielern, von denen es hier im Krankenhaus für Simulanten arg viele gibt. Und gute. Einer ist ganz gelb im Gesicht, Verdacht auf Theaterschminke.
Aber wer eine amerikanische Musical-Diva zähmt, blickt optimistisch in die Zukunft, weil er dann später bestimmt auch echte Patienten in den Griff bekommt.
Simulantin: "Also die müssen ja eigentlich nur lernen, mit Problemen umzugehen, und damit, dass der Patient nicht ganz klar sagt, was der Arzt hören will. Der Arzt muss das schaffen, die Information aus dem Patienten herauszubekommen, die er braucht."
Ganz genau.
Tutor: "Ein gesundes Herz hat ja zwei Herztöne. Und ein gesundes Herz klingt dann: (Geräusch)"
Andernfalls, sollten sie umgehend ein Simulationskrankenhaus aufsuchen.
Tutor: "Zum Beispiel bei einer Aortenstenose: (Geräusch)"
Die Seele dadorten. Oder: Eine fast unlösbare Aufgabe?
Von Herbert Hoven
Sie weiß zwar im Vorhinein, was sie erwartet, aber sie geht trotzdem hin. Weil, wir zitieren einen Kölner, "viel Essen, noch mehr Trinken, dummes Zeug labern, kleine Schlägerei." Aber hinterher, so unser Teilnehmer, hinterher kann sie sagen, sie sei dabei gewesen. Sie – die rheinische Seele, dabei gewesen beispielsweise bei der Kindtaufe. Ob solcher Auskünfte baten wir verständlicherweise um eine präzise Beschreibung der Seele dadorten. Eine fast unlösbare Aufgabe, wurde uns entgegengeschleudert. Dann folgte ein Zettel, auch Manuscript genannt. Bitte.
Emons: "Im Grunde befindet sich der Kölner das ganze Jahr über im Karneval, das ist wie so ein Grizzlybär im Winterschlaf, nur ja nicht dran packen, wenn man einmal anfängt, dann explodiert das."
Hermann-Josef Emons, Verleger in Köln, bringt es auf den Punkt.
Er bedient damit zwar ein Klischee, aber der Volksmund weiß auch: in jedem Klischee steckt immer ein Stück Wahrheit. Zweifelsohne feiert der Kölner sehr gerne und findet auch immer Anlässe dies eher zu tun als zu lassen. Das reicht vom gigantischen städtischen Feuerwerk bis zur traditionellen Schiffahrtsprozession auf dem Rhein, mit anschließendem Pfarrfest. Im Sportverein wird gefeiert, bei der Freiwilligen Feuerwehr, im Schützenverein, beim Männergesangsverein und im Seniorenwohnheim. Und wenn der Schrebergartenverein sein 25-jähriges Jubiläum feiert, dann kommt der Bürgermeister mit Tulpenzwiebeln vorbei. Dann wird "jesunge, jedanz un gelaach", wie es in einem Lied der Bläck Fööss heißt. "Wenn sich des Familich triff" ist der Titel des Liedes und zur Familie gehört in Köln sowieso jeder.
Über diese Lieder erschließt sich die Seele des Kölners. – Nicht seine Mentalität, das wäre ein anderes Kapitel.
Gesang: " ”Et jitt zo laache un vill zo sin.”"
Der Kölner kann nicht alleine sein. Dann kriegt er, wie es heißt, "dat ärm Dier", wird depressiv und grantelt. Er braucht Gesellschaft. Da sind sich der Kölsch trinkende Einfaltspinsel und der bayerische Bierdimpfl sehr ähnlich.
Gesang: "De janze Naach, do jeit et trallala lala"
Und wenn die ganze Feierrei auf Erden ihr natürliches Ende nimmt, dann geht die Party im Himmel weiter. Auch hierfür hat der Kölner seine Lieder.
Die Lieder sind Milieuschilderungen und Ausdruck der kölschen Seele.
Wie auch die Anekdoten um Tünnes und Schäl keine Witze sind, sondern eine Skizzen der kölschen Seele. Hier erzählt von Jürgen Becker.
Becker: "Tünnes geht mitten in der Nacht mit einem Gebetbuch in der Hand über die Rheinbrücke. Schäl macht sich Sorgen, wat passiert denn jetzt, der wird sich doch nichts antun?! – "Tünnes, wo gehst du hin?" "Ich geh’ in den Puff!" "Warum hast du denn ein Gebetbuch dabei?" "Vielleicht bleibe ich ja über Sonntag."
Die Seele des Kölners kann man nicht definieren. Man kann sie nur beschreiben, anhand von Geschichten und Ereignissen, von Anekdoten und Legenden.
Am 12. Februar 1995 ereignete sich etwas typisch Kölsches bei der Sonntagsmesse im Kölner Dom. Messdiener trugen das Vortragekreuz des Erzbischofs, das Wochen zuvor aus der Domschatzkammer geraubt worden war, zum Altar. Anschließend forderte Domprobst Bernard Henrichs die Gemeinde auf, für einen gewissen Herrn Schäfer, der ihm das Kreuz in einem Einkaufsbeutel zurückgebracht hatte, zu beten. Der gewisse Herr Schäfer ist bis heute in Köln unter dem Namen "Schäfers Nas" bekannt und war seinerzeit so respektiert wie der Oberbürgermeister. Für den bekanntesten Bordellbesitzer der Stadt war es offensichtlich ein Leichtes, das Vortragekreuz seinem rechtmäßigen Besitzer zurückzugeben. Zwei, drei Tage Recherche im Milieu und schon war die Sache geritzt. Weiter erzählte der Domprobst den Gottesdienstbesuchern, "Herr Schäfer" habe auf die ausgesetzte Belohnung verzichtet und sich dabei auf den Ehrenkodex der Kölner Ganoven berufen: "Den Dom bekläut mer nit".
Kein großes Wappen. Oder: Die kleine Wappenkunde NRW.
Von Claus Stephan Rehfeld
Das bevölkerungsreichste Land der Bundesrepublik führt kein Großes Landeswappen. Die Tagesgeschäfte haben es verdrängt. In den Jahren des Wiederaufbaus gab es den Plan, die Wappen der vormaligen Landesherren in einem Großen Landeswappen aufzuzeigen. Und zehn Jahre später, 1958 war es, erinnerte man sich wieder daran, es kam sogar zu einer Regierungsvorlage im Landtag. Doch Streit drohte, die Vorlage für ein Großes Landeswappen verschwand wieder in der Schublade. Ob für immer?
Die Kleine Wappenkunde. Nordrhein-Westfalen.
Der Schein trügt. Die rote und die grüne Hälfte auf dem gespaltenen Wappenschild sind nicht gleich groß. Das westfälische Roß beansprucht mehr Platz als das rheinische Wellenband. Und: Zwar ist das westfälische Wappen älter als das rheinische, doch die Lippesche Rose hat die längste Historie aufzuweisen.
Ein gewelltes silbernes Wellenband auf grünem Grund – der Rheinstrom. Er steht für das Rheinland. Aber seine Darstellung als silbernes Band geht auf die Preußen zurück. Sie verliehen 1822 das silberne Band als Wappen dem preußischen Rheinland. Damals zierte auch der preußische Adler das Wappen der Rheinprovinz, und der silberne Niederrhein wellte sich von links unten nach rechts oben. Heute zieht sich das Wellenband von links oben nach rechts unten.
Ein nach rechts gewandtes, springendes silbernes Roß auf rotem Grund – das Westfalenroß. Es steht für Westfalen, das einst zum altsächsischen Stammesgebiet gehörte. Und es geht auf eine Legende zurück, die den altsächsischen Herzögen das Sachsenroß als Wappentier andichtete. Ab dem 16. Jahrhundert dann demonstrieren die Kölner Erzbischöfe mit dem Roß ihre Besitzansprüche. Und wieder sind es die Preußen, die das springende Pferd auf rotem Grund zum Wappen machen – 1817, für die neugebildete preußische Provinz Westfalen. Und anders als das Niedersachsenroß, das ebenfalls auf das Sachsenroß zurückgeht, trägt das Westfalenroß den Schweif immer noch nach oben.
Eine rote Rose mit goldenen Butzen und goldenen Kelchblättern im silbernen Feld – die Lippesche Rose. Sie ziert das untere Wappenfeld auf dem Wappenschild. Spätestens seit 1222 führten die Edlen Herren zur Lippe eine rote Rose mit goldenen Samen im silbernen Schild als ihr Wappen. Und sie führten es über die Jahrhunderte fort. Dann, 1947, wurde Lippe dritter Landesteil von Nordhrein-Westfalen.
Auf dem Wappen des neugegründeten Landes steht die Lippesche Rose im kleinsten Wappenfeld nun um 36 Grad gedreht. Ein Kelchblatt zeigt jetzt nach oben statt wie früher nach unten.
Die Grundfarben des Landeswappens von Nordrhein-Westfalen sind Grün-Weiß-Rot. Sie gehen zurück auf die Farben der preußischen Provinzen Westfalen weiß-rot und Rheinland grün-weiß. In der Literatur wird gelegentlich das Grün mit den Rheinwiesen und das Rot mit der westfälischen Erde assoziiert.
Bitte nicht. Oder: Es geht auch ohne
Von Erwin Grosche
Seit sechs Jahren ist es mit der "karnevalsfreien Zone" Paderborn vorbei. Versuche, den Karnevalszug nach Köln und Düsseldorf retour zu verbannen, scheiterten, bislang. Und so erinnern nur noch Scherben an diese lästigen Tage, welche unser Autor als Hundebesitzer arg genau beäugt, weil Gassi und so. Zum Beispiel den – wie er schreibt - "karg geschmückten Trecker mit schüchtern dekorierten Anhängern". Der Trecker hat sich wieder auf den Acker gemacht, aber unser Paderborner wird so manche Erinnerung partout nicht mehr los. Fast ein ganzes Jahr lang muß er sie nun mit sich herum schleppen. Also geben wir ihm die Gelegenheit, sich zu erleichtern, mal so alles auszusprechen.
Der überspringende Funke, die unbändige Freude, das ausgelassene Feiern, welches tags darauf in unseren beiden Zeitungen beschrieben wird, habe ich noch nie erlebt. Also, dort wo ich stand, war immer tote Hose. Flohen früher viele Karnevalshasser in die Ostwestfalenmetropole und fanden in Paderborn Asyl, so staunen sie heute über die rührenden Versuche der Einheimischen sich durch das Anmalen einer Augenklappe als Pirat zu outen. Ich fror einmal zwei Stunden neben einem Mann, der als Rentner verkleidet war. Auch die überlaute Musik konnte ihm weder den traditionellen Paderborner Aufschrei "Hasi Palau" noch ein Mitklatschen entlocken. So kenne ich meine Heimatstadt. Nur nicht vor Glück die Nerven verlieren. Meinen Nachbarn traf ich, der ging als mein Nachbar. Später sah ich eine Frau in einem Politessenkostüm. Der habe ich gesagt, dass ich ihren Mut bewundern würde dieser unsympathischen Berufsgruppe ihr schönes Gesicht zu leihen und dann war sie echt. Da haben wir doch beide sehr lachen müssen, aber auf die Paderborner Narren ist Verlass. Man kann sich auch nach Innen freuen. Der Paderborner Karnevalist schunkelt nicht, er schminkt sich nicht übertrieben und das Schönste ist, er singt nicht. Hasi Palau! Es ist nur schade, dass wir unbelastet, wie wir waren, uns für die Riten des rheinischen Karnevals entschieden haben. Rein theoretisch hätten wir auch das Temperament und die Verkleidungsvielfalt des brasilianischen Karnevals kopieren können. Samba tanzen, warum nicht. Der Paderborner kann alles. Wir hätten hier den Venezianischen Karneval einführen sollen mit Goldmasken und phantastischen Kostümen. Für mich ist Karneval immer noch die Bäckereifachfrau mit Pipi Langstrumpfperücke und den fünf Berlinern, die es dann für den Preis von vieren gibt. Das hat doch was. Es muss nicht immer und überall was los sein. Gibt es denn etwas Schöneres, als das mal irgendwo nichts los ist? Ich gehe manchmal durch den Haxtergrund, Paderborns grüner Lunge, und denke, wie schön, dass hier kein Karnevalsumzug vorbeikommt. Manchmal sitze ich in der Badewanne und verlasse mich darauf, dass dort kein Karnevalsumzug am Singen ist. Abends liege ich in meinem Bett und freue mich, dass auch hier kein Karnevalsumzug vorüberzieht und mich mit Bonbons bewirft. Wir haben in Paderborn unser wunderschönes Liborifest, das jedes Jahr uns eine Woche lang an Kirche und Kirmes erinnert. Das freut mich. Das rührt auch. Das reicht. Hasi Palau!
Der Jecke danach. Oder: Wie lange wirkt Karneval nach?
Von Herbert Hoven
"Sag’ niemals Nein, wenn das Glück dir winkt, / bald das Finale erklingt" – Nun, wir versagen uns die naheliegende Nachfrage, wie denn die Wirklichkeit nach dem Finale so in Köln aussieht? Also die Zeit zwischen Aschermittwoch und Weiberfastnacht. Der Spaß dauert sechs Tage, der Rest der Republik leidet, und die Nach-Spaß-Zeit dauert offenbar 359 Tage. Was Gott in sechs Tagen erschuf, dies wissen wir, was der Rheinländer in sechs Tagen tut, ahnen wir. Weil sonst darf er ja nicht. Und wie lange nun wirkt die kleine Grenzüberschreitung nach? Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen sie einen Kölner.
Gesang: "Am Aschermittwoch ist alles vorbei
die Schwüre von Treue, sie brechen entzwei
von all deinen Küssen, darf ich nichts mehr wissen
wie schön es auch sei, dann ist alles vorbei."
"Am Aschermittwoch ist alles vorbei". Das Lied von Jupp Schmitz aus dem Jahr 1959 ist zum Klassiker geworden. Ob im rheinischen Karneval, bei der Meenzer Fassenacht oder beim Münchner Fasching.
Es wird in den Sälen gegrölt oder bei den Festumzügen als Dicke-Backen-Musik getrötet. Bekannt ist freilich nur der Refrain. Schon bei der ersten Strophe versagen meistens die sangesfrohen Jecken.
Gesang: "Hast du zum Küssen Gelegenheit / ensch, dann geh’ ran mit Verwegenheit."
Dass die Folgen es ausgelebten Frohsinns sich regelmäßig neun Monate nach Karneval zeigen, ist ein Gerücht, das sich hartnäckig hält, aber durch keine Geburtenstatistik zu belegen ist.
Mit den Folgen des überbordenden Frohsinns beschäftigen sich nach Karneval Rechtsanwälte und Richter. Scheidungen werden eingereicht, Testamente geändert, Erbansprüche korrigiert und dergleichen. Es fließen Tränen, Geschirr wird zerdeppert, Türschlösser werden ausgetauscht und der gehörnte Partner zieht aus der gemeinsamen Wohnung aus und bittet bei seiner Familie um Asyl. In den Wochen nach Karneval haben Ehetherapeuten Hochkonjunktur und Familienberatungsstellen bieten Sondertermine an.
Es gehe nicht um die "Beziehung fürs Leben, sondern um Spaß", erklärt Petra, Mitglied einer bekannten Kölner Tanzgruppe und berichtet: " Meine Freundinnen und legen jedes Jahr noch ein Schüppchen drauf." Sie selbst knutsche mit mindestens "einem Typen pro Tag" und mit "eigentlich fast allen" laufe auch noch mehr.
Gesang: "Am Eigelstein is Musik / Am Eigelstein is Tanz / Da packt dat dicke Rita / Den Friedolin am ... / Am Eigelstein is Musik …"
Auch Damen aus der sogenannten Kölner Gesellschaft suchen sich hier zielstrebig ihre Opfer aus. "Die Frauen", ereifert sich ein halbwegs nüchterner Offizier, "greifen dir geradewegs in den Schritt" und er ergänzt: "Einige Kameraden treiben es direkt auf der Toilette".
Wenzel: "Wir hatten mal so einen Fall, wo die Ehefrau zur Telefonzelle ging und rief dann ihren Mann in Norddeutschland an."
Kölner Detektive haben im Karneval rund um die Uhr zu tun. So auch Lothar Wenzel.
Wenzel: "Sie kam gerade vom Hotelzimmer, wo sie mit ihrem Freund war und hat dann extra Leute gebeten, kräftig mit der Tröte einen Karnevalstrubel zu imitieren an der Telefonzelle und hat dann ihrem Mann gesagt, ich bin hier mitten im Zug. Tatsächlich war sie nur mal ein paar Minuten an der Telefonzelle und ist dann wieder hoch gegangen aufs Hotelzimmer."
Sollte dann doch im Herbst ein Karnevalskind geboren werden, dann nennt man es liebevoll "Malörche". Das uneheliche Kind wird von der Nachbarschaft umarmt und verwöhnt, gehätschelt und getätschelt.
Alles Simulanten. Oder: Richtig gute Schauspieler?
Von Stephan Beuting
Alles Simulanten da in NRW. Und weil man das weiß, haben sie nun gar ein Krankenhaus für Simulanten eingerichtet. Dort können sie sich aussimulieren, im Gesicht gelb anlaufen oder den ich-schmier-gleich-ab-Typen spielen. Aber damit kommen sie in Münster nicht durch. Aber an. Um diesen Schauspielern den Spaß am Leiden nicht ganz zu nehmen, werden sie von Studenten in Arztkitteln beäugt, befragt, behandelt. So haben beide etwas davon - der Simulant und der angehende Mediziner. Ja, ja, arg viele Simulanten da in Münster.
Simulantin: "Fuck, ik brauch irgendwas, was makt, dass ich hier raus kann und spielen."
Studentin: "Okay. das versteh ich, dass das jetzt nicht so angenehm für sie ist, aber ich denke, da ist jetzt wichtiger, erstmal abzuklären, was sie haben."
Klarer Verdacht auf chronische Krankenhausallergie - lange Flure, breite Türen, Kanülen, Spritzen, die Nachttöpfe und Spucknäpfe.
Simulantin: "John Peter, something, aber ik kann meine ganze Medicine und adres s … ”"
Eine perfekte Schauspielerin, diese Simulantin.
Simulantin: " "Ik muss weg hier, ganz schnell …"
Studentin: "Hatten Sie denn irgendwelche Beschwerden, dass sie sich selber auch schlapp gefühlt haben oder Kopfschmerzen hatten?"
Ne, das ist ihr Job, das vortäuschen erkrankter Atemwege mit Tendenz zur Lungenentzündung.
Simulantin: "Ik brauch nur ein bisschen Kortison und my downers und …"
Simulantin: "Kim Moak, eine amerikanische Musicaldarstellerin, die alles nimmt, was sie kriegen kann, Drogen, ja, aber auch alles an Medizin."
Und alles will, nur nicht im Bett liegen bleiben und auf klare Fragen klare Antworten geben.
Simulantin: "Ich habe da wahrscheinlich ne Lungenentzündung."
Und Talent. Wie sie sich im Bett vor Schmerz krümmt und windet! Und dann die spleenige Idee, sie könne mit ihrer Pneumonie sofort raus aus dem Krankenhaus und rauf auf die Bühne. Reden Sie mal mit so einer!
Studentin: "Sobald man im Zimmer ist und den Patientenkontakt aufnimmt, dann ist es eine ganz reale Situation."
Alexandra Streiter, 5. Semester Medizin, trifft auf Patient, äh Simulant. Die Aufgabe: Anamnese, also vor der Diagnose klären, wie es um den eingebildeten Kranken da steht.
Der Simulant simuliert und hinter der verspiegelten Scheibe im Nebenzimmer schauen und hören die Kommilitonen zu.
Schrewe: "Hier haben die Studenten die Möglichkeit zu lernen, wie komme ich an den Patienten heran, wie kann ich mit ihm kommunizieren, wie komme ich an die Symptome, wie komme ich an die Krankheiten?"
Und das ist manchmal gar nicht so leicht.
Studentin: "Am Anfang war sie auch sehr abweisend, aber dadurch, dass man einfach ruhig und freundlich bleibt, finde ich, konnte ich dann auch ganz gut mit ihr ins Gespräch kommen."
Mit diesen Schauspielern, von denen es hier im Krankenhaus für Simulanten arg viele gibt. Und gute. Einer ist ganz gelb im Gesicht, Verdacht auf Theaterschminke.
Aber wer eine amerikanische Musical-Diva zähmt, blickt optimistisch in die Zukunft, weil er dann später bestimmt auch echte Patienten in den Griff bekommt.
Simulantin: "Also die müssen ja eigentlich nur lernen, mit Problemen umzugehen, und damit, dass der Patient nicht ganz klar sagt, was der Arzt hören will. Der Arzt muss das schaffen, die Information aus dem Patienten herauszubekommen, die er braucht."
Ganz genau.
Tutor: "Ein gesundes Herz hat ja zwei Herztöne. Und ein gesundes Herz klingt dann: (Geräusch)"
Andernfalls, sollten sie umgehend ein Simulationskrankenhaus aufsuchen.
Tutor: "Zum Beispiel bei einer Aortenstenose: (Geräusch)"
Die Seele dadorten. Oder: Eine fast unlösbare Aufgabe?
Von Herbert Hoven
Sie weiß zwar im Vorhinein, was sie erwartet, aber sie geht trotzdem hin. Weil, wir zitieren einen Kölner, "viel Essen, noch mehr Trinken, dummes Zeug labern, kleine Schlägerei." Aber hinterher, so unser Teilnehmer, hinterher kann sie sagen, sie sei dabei gewesen. Sie – die rheinische Seele, dabei gewesen beispielsweise bei der Kindtaufe. Ob solcher Auskünfte baten wir verständlicherweise um eine präzise Beschreibung der Seele dadorten. Eine fast unlösbare Aufgabe, wurde uns entgegengeschleudert. Dann folgte ein Zettel, auch Manuscript genannt. Bitte.
Emons: "Im Grunde befindet sich der Kölner das ganze Jahr über im Karneval, das ist wie so ein Grizzlybär im Winterschlaf, nur ja nicht dran packen, wenn man einmal anfängt, dann explodiert das."
Hermann-Josef Emons, Verleger in Köln, bringt es auf den Punkt.
Er bedient damit zwar ein Klischee, aber der Volksmund weiß auch: in jedem Klischee steckt immer ein Stück Wahrheit. Zweifelsohne feiert der Kölner sehr gerne und findet auch immer Anlässe dies eher zu tun als zu lassen. Das reicht vom gigantischen städtischen Feuerwerk bis zur traditionellen Schiffahrtsprozession auf dem Rhein, mit anschließendem Pfarrfest. Im Sportverein wird gefeiert, bei der Freiwilligen Feuerwehr, im Schützenverein, beim Männergesangsverein und im Seniorenwohnheim. Und wenn der Schrebergartenverein sein 25-jähriges Jubiläum feiert, dann kommt der Bürgermeister mit Tulpenzwiebeln vorbei. Dann wird "jesunge, jedanz un gelaach", wie es in einem Lied der Bläck Fööss heißt. "Wenn sich des Familich triff" ist der Titel des Liedes und zur Familie gehört in Köln sowieso jeder.
Über diese Lieder erschließt sich die Seele des Kölners. – Nicht seine Mentalität, das wäre ein anderes Kapitel.
Gesang: " ”Et jitt zo laache un vill zo sin.”"
Der Kölner kann nicht alleine sein. Dann kriegt er, wie es heißt, "dat ärm Dier", wird depressiv und grantelt. Er braucht Gesellschaft. Da sind sich der Kölsch trinkende Einfaltspinsel und der bayerische Bierdimpfl sehr ähnlich.
Gesang: "De janze Naach, do jeit et trallala lala"
Und wenn die ganze Feierrei auf Erden ihr natürliches Ende nimmt, dann geht die Party im Himmel weiter. Auch hierfür hat der Kölner seine Lieder.
Die Lieder sind Milieuschilderungen und Ausdruck der kölschen Seele.
Wie auch die Anekdoten um Tünnes und Schäl keine Witze sind, sondern eine Skizzen der kölschen Seele. Hier erzählt von Jürgen Becker.
Becker: "Tünnes geht mitten in der Nacht mit einem Gebetbuch in der Hand über die Rheinbrücke. Schäl macht sich Sorgen, wat passiert denn jetzt, der wird sich doch nichts antun?! – "Tünnes, wo gehst du hin?" "Ich geh’ in den Puff!" "Warum hast du denn ein Gebetbuch dabei?" "Vielleicht bleibe ich ja über Sonntag."
Die Seele des Kölners kann man nicht definieren. Man kann sie nur beschreiben, anhand von Geschichten und Ereignissen, von Anekdoten und Legenden.
Am 12. Februar 1995 ereignete sich etwas typisch Kölsches bei der Sonntagsmesse im Kölner Dom. Messdiener trugen das Vortragekreuz des Erzbischofs, das Wochen zuvor aus der Domschatzkammer geraubt worden war, zum Altar. Anschließend forderte Domprobst Bernard Henrichs die Gemeinde auf, für einen gewissen Herrn Schäfer, der ihm das Kreuz in einem Einkaufsbeutel zurückgebracht hatte, zu beten. Der gewisse Herr Schäfer ist bis heute in Köln unter dem Namen "Schäfers Nas" bekannt und war seinerzeit so respektiert wie der Oberbürgermeister. Für den bekanntesten Bordellbesitzer der Stadt war es offensichtlich ein Leichtes, das Vortragekreuz seinem rechtmäßigen Besitzer zurückzugeben. Zwei, drei Tage Recherche im Milieu und schon war die Sache geritzt. Weiter erzählte der Domprobst den Gottesdienstbesuchern, "Herr Schäfer" habe auf die ausgesetzte Belohnung verzichtet und sich dabei auf den Ehrenkodex der Kölner Ganoven berufen: "Den Dom bekläut mer nit".
Kein großes Wappen. Oder: Die kleine Wappenkunde NRW.
Von Claus Stephan Rehfeld
Das bevölkerungsreichste Land der Bundesrepublik führt kein Großes Landeswappen. Die Tagesgeschäfte haben es verdrängt. In den Jahren des Wiederaufbaus gab es den Plan, die Wappen der vormaligen Landesherren in einem Großen Landeswappen aufzuzeigen. Und zehn Jahre später, 1958 war es, erinnerte man sich wieder daran, es kam sogar zu einer Regierungsvorlage im Landtag. Doch Streit drohte, die Vorlage für ein Großes Landeswappen verschwand wieder in der Schublade. Ob für immer?
Die Kleine Wappenkunde. Nordrhein-Westfalen.
Der Schein trügt. Die rote und die grüne Hälfte auf dem gespaltenen Wappenschild sind nicht gleich groß. Das westfälische Roß beansprucht mehr Platz als das rheinische Wellenband. Und: Zwar ist das westfälische Wappen älter als das rheinische, doch die Lippesche Rose hat die längste Historie aufzuweisen.
Ein gewelltes silbernes Wellenband auf grünem Grund – der Rheinstrom. Er steht für das Rheinland. Aber seine Darstellung als silbernes Band geht auf die Preußen zurück. Sie verliehen 1822 das silberne Band als Wappen dem preußischen Rheinland. Damals zierte auch der preußische Adler das Wappen der Rheinprovinz, und der silberne Niederrhein wellte sich von links unten nach rechts oben. Heute zieht sich das Wellenband von links oben nach rechts unten.
Ein nach rechts gewandtes, springendes silbernes Roß auf rotem Grund – das Westfalenroß. Es steht für Westfalen, das einst zum altsächsischen Stammesgebiet gehörte. Und es geht auf eine Legende zurück, die den altsächsischen Herzögen das Sachsenroß als Wappentier andichtete. Ab dem 16. Jahrhundert dann demonstrieren die Kölner Erzbischöfe mit dem Roß ihre Besitzansprüche. Und wieder sind es die Preußen, die das springende Pferd auf rotem Grund zum Wappen machen – 1817, für die neugebildete preußische Provinz Westfalen. Und anders als das Niedersachsenroß, das ebenfalls auf das Sachsenroß zurückgeht, trägt das Westfalenroß den Schweif immer noch nach oben.
Eine rote Rose mit goldenen Butzen und goldenen Kelchblättern im silbernen Feld – die Lippesche Rose. Sie ziert das untere Wappenfeld auf dem Wappenschild. Spätestens seit 1222 führten die Edlen Herren zur Lippe eine rote Rose mit goldenen Samen im silbernen Schild als ihr Wappen. Und sie führten es über die Jahrhunderte fort. Dann, 1947, wurde Lippe dritter Landesteil von Nordhrein-Westfalen.
Auf dem Wappen des neugegründeten Landes steht die Lippesche Rose im kleinsten Wappenfeld nun um 36 Grad gedreht. Ein Kelchblatt zeigt jetzt nach oben statt wie früher nach unten.
Die Grundfarben des Landeswappens von Nordrhein-Westfalen sind Grün-Weiß-Rot. Sie gehen zurück auf die Farben der preußischen Provinzen Westfalen weiß-rot und Rheinland grün-weiß. In der Literatur wird gelegentlich das Grün mit den Rheinwiesen und das Rot mit der westfälischen Erde assoziiert.
Bitte nicht. Oder: Es geht auch ohne
Von Erwin Grosche
Seit sechs Jahren ist es mit der "karnevalsfreien Zone" Paderborn vorbei. Versuche, den Karnevalszug nach Köln und Düsseldorf retour zu verbannen, scheiterten, bislang. Und so erinnern nur noch Scherben an diese lästigen Tage, welche unser Autor als Hundebesitzer arg genau beäugt, weil Gassi und so. Zum Beispiel den – wie er schreibt - "karg geschmückten Trecker mit schüchtern dekorierten Anhängern". Der Trecker hat sich wieder auf den Acker gemacht, aber unser Paderborner wird so manche Erinnerung partout nicht mehr los. Fast ein ganzes Jahr lang muß er sie nun mit sich herum schleppen. Also geben wir ihm die Gelegenheit, sich zu erleichtern, mal so alles auszusprechen.
Der überspringende Funke, die unbändige Freude, das ausgelassene Feiern, welches tags darauf in unseren beiden Zeitungen beschrieben wird, habe ich noch nie erlebt. Also, dort wo ich stand, war immer tote Hose. Flohen früher viele Karnevalshasser in die Ostwestfalenmetropole und fanden in Paderborn Asyl, so staunen sie heute über die rührenden Versuche der Einheimischen sich durch das Anmalen einer Augenklappe als Pirat zu outen. Ich fror einmal zwei Stunden neben einem Mann, der als Rentner verkleidet war. Auch die überlaute Musik konnte ihm weder den traditionellen Paderborner Aufschrei "Hasi Palau" noch ein Mitklatschen entlocken. So kenne ich meine Heimatstadt. Nur nicht vor Glück die Nerven verlieren. Meinen Nachbarn traf ich, der ging als mein Nachbar. Später sah ich eine Frau in einem Politessenkostüm. Der habe ich gesagt, dass ich ihren Mut bewundern würde dieser unsympathischen Berufsgruppe ihr schönes Gesicht zu leihen und dann war sie echt. Da haben wir doch beide sehr lachen müssen, aber auf die Paderborner Narren ist Verlass. Man kann sich auch nach Innen freuen. Der Paderborner Karnevalist schunkelt nicht, er schminkt sich nicht übertrieben und das Schönste ist, er singt nicht. Hasi Palau! Es ist nur schade, dass wir unbelastet, wie wir waren, uns für die Riten des rheinischen Karnevals entschieden haben. Rein theoretisch hätten wir auch das Temperament und die Verkleidungsvielfalt des brasilianischen Karnevals kopieren können. Samba tanzen, warum nicht. Der Paderborner kann alles. Wir hätten hier den Venezianischen Karneval einführen sollen mit Goldmasken und phantastischen Kostümen. Für mich ist Karneval immer noch die Bäckereifachfrau mit Pipi Langstrumpfperücke und den fünf Berlinern, die es dann für den Preis von vieren gibt. Das hat doch was. Es muss nicht immer und überall was los sein. Gibt es denn etwas Schöneres, als das mal irgendwo nichts los ist? Ich gehe manchmal durch den Haxtergrund, Paderborns grüner Lunge, und denke, wie schön, dass hier kein Karnevalsumzug vorbeikommt. Manchmal sitze ich in der Badewanne und verlasse mich darauf, dass dort kein Karnevalsumzug am Singen ist. Abends liege ich in meinem Bett und freue mich, dass auch hier kein Karnevalsumzug vorüberzieht und mich mit Bonbons bewirft. Wir haben in Paderborn unser wunderschönes Liborifest, das jedes Jahr uns eine Woche lang an Kirche und Kirmes erinnert. Das freut mich. Das rührt auch. Das reicht. Hasi Palau!