"Einzug der AfD wird für neue Machtverhältnisse sorgen"
In Thüringen versucht Bodo Ramelow der erste Ministerpräsident der Linkspartei zu werden. Dagegen ist in Brandenburg kein Machtwechsel in Sicht. Der Wahlforscher Thorsten Faas beurteilt die Umfragen und die Chance der AfD, weitere Wahlerfolge zu landen.
Nana Brink: In Thüringen könnte es nächsten Sonntag eine Überraschung geben bei der Landtagswahl – na ja, eigentlich ist es ja nicht wirklich mehr eine Überraschung, denn seit Wochen wird ja darüber spekuliert, dass das seit über zwei Jahrzehnten konservativ regierte Land einen linken Ministerpräsidenten bekommen könnte, den ersten überhaupt: Bodo Ramelow heißt der smarte Politiker, der sich ungemein siegessicher gibt. Und in Brandenburg, da wird ja auch gewählt am Sonntag, gibt es wohl keine Überraschung, na ja, zumindest keine größere: Die auch dort schon immer regierende SPD kann sich dann vielleicht aussuchen, mit wem sie weiterkuscheln will, mit den Linken oder mit der CDU, vielleicht sogar mit den Konservativen, die sind nämlich dort im Aufwind. All dies genau beobachtet Professor Thorsten Faas, er ist Wahlforscher in Mainz. Guten Morgen, Herr Faas!
Thorsten Faas: Hallo, schönen guten Morgen!
Brink: Fangen wir mit Thüringen an, das ist ja das eigentlich Spannende: Welche Konstellationen sind denkbar?
Faas: Ja, das ist gar nicht so einfach zu sagen, weil die Grünen aktuell so an der Fünf-Prozent-Hürde kratzen, aber grundsätzlich geht es darum: Kann Frau Lieberknecht, die jetzige Ministerpräsidentin von der CDU, weiterregieren mit einer Koalition – Juniorpartner SPD –, oder sehen wir einen linken Ministerpräsidenten mit Bodo Ramelow an der Spitze? Entweder Rot-Rot oder vielleicht sogar Rot-Rot-Grün, ich denke, das sind die beiden Optionen, Ramelow oder Lieberknecht, für wen entscheidet sich die SPD? Das sind die Optionen, um die es im Prinzip geht.
Brink: Also das Zünglein an der Waage ist dann die SPD?
Faas: Absolut. Die SPD – von ihrer Entscheidung hängt es fundamental ab, ob sie sich dafür entscheidet, weiter mit der Union, mit Frau Lieberknecht zu regieren, oder ob sie den Schritt wagt, einen linken Ministerpräsidenten erstmals in der bundesdeutschen Geschichte zu unterstützen. Die SPD möchte das in die Hände ihrer Mitglieder legen, und das zeigt auch so ein bisschen, wie schwierig doch diese Entscheidung nicht zuletzt auch für die SPD selber ist.
Brink: Na ja, immerhin haben sie die Wahl. Was hören Sie denn? Sie sind ja unterwegs da im Land und beobachten das alles.
Faas: Sie haben die Wahl, das stimmt, aber sie haben die Wahl natürlich nicht unbedingt aus einer Position der Stärke heraus. Die Partei wird aktuell in Umfragen bei 15, 16, 17 Prozent gesehen. Also man kann jetzt nicht davon sprechen, dass die thüringische SPD vor Kraft strotzend durchs Land läuft. Und das ist auch genau das Problem: Beide Situationen sind eigentlich für die Partei alles andere als optimal. Man möchte raus aus der Juniorpartner-Rolle in einer CDU-geführten Regierung, aber man hat eben doch auch großen Respekt, auch ein bisschen Angst davor, hier als Mehrheitsbeschaffer für einen linken Ministerpräsidenten zu agieren oder so vor allem dargestellt zu werden vonseiten der CDU.
Neugierig auf Mitgliederentscheid der SPD in Thüringen
Ich bin da wirklich gespannt, und wie so ein Mitgliederentscheid ausgeht, das weiß man am Ende nie, denn was wir jetzt offiziell hören, sind natürlich Stellungnahmen der politisch Verantwortlichen, der Funktionäre. Wie die Mitglieder das sehen, ist dann noch mal eine ganz andere Frage. Meine Vermutung wäre aber, dass man dort vor allem raus aus dieser doch engen Bindung an die CDU möchte. Insofern kann man sich sehr gut vorstellen, dass es tatsächlich erstmals einen linken Ministerpräsidenten in Deutschland geben wird.
Brink: Thüringen war ja ein Hort der Bürgerbewegung in der DDR. Ist das nicht auch ein Schlag ins Gesicht 25 Jahre nach der Wende?
Faas: Ja, das ist ja auch ganz aktuell noch mal ein Thema dort, dass man genau diesen Punkt ... Ist es tatsächlich okay, dass man die Nachfolgeorganisation der SED jetzt dort sozusagen wieder in Amt und Würden bringt, dass die SPD sozusagen dort der Steigbügelhalter, wie dann in der Kritik auch formuliert wird, ... als solcher agiert?
Brink: Und, pardon, aber Konstellationen gab es ja schon oft, also sozusagen ein Bündnis zwischen SPD ... ist ja nichts Neues in dem Sinne.
Faas: Absolut. Es geht jetzt wirklich ... So ähnlich wie es eben auch mal um den ersten grünen Ministerpräsidenten ging, geht es halt jetzt auch um den ersten linken Ministerpräsidenten. Es geht gar nicht so sehr um Koalitionen, das sieht man nicht zuletzt auch daran, dass wir für Brandenburg völlig selbstverständlich über eine Fortsetzung der dortigen linken, also rot-roten Regierung sprechen, eben mit einem SPD-Ministerpräsidenten an der Spitze. Also es geht wirklich um dieses Symbol des linken Ministerpräsidenten. Und genau dagegen wird jetzt eben auch vor allem vonseiten der CDU heftig agiert und agitiert, und da kommen eben auch genau diese Argumente von früheren Bürgerrechtlern, um das noch mal emotional aufzuladen. Das zeigt alles, das ist wirklich knapp, es steht Spitz auf Knopf und es kommt auf jede Stimme an, und da wird am Ende eben auch noch mal sehr stark auch emotional zugespitzt. Aber das ist in einem Wahlkampf eigentlich auch okay. Sonst beschweren wir uns ja immer, alles sei viel zu langweilig.
Brink: Nun gucken wir nach Brandenburg, da haben Sie es gesagt, da wird es in dem Sinne nicht die große Überraschung geben, aber auch da können sich die Konstellationen ändern – aber anders.
Entspanntes Wahlwochenende für SPD in Brandenburg
Faas: Auch da ist die SPD sozusagen in einer komfortablen Position, könnte man sagen. Also die SPD kann eigentlich relativ entspannt in dieses Wahlwochenende gehen. Die SPD stellt seit Langem den Ministerpräsidenten, mit Dieter Woidke hat sie jetzt auch sozusagen den Wechsel von Matthias Platzeck eigentlich ganz gut auf den Weg gebracht und realisiert. Und er hat jetzt eben die Chance, sich zu entscheiden, aber aus der Position des Stärkeren heraus. Ob er für die CDU sich entscheidet als kleineren Regierungspartner oder eben für die Linken, die Fortsetzung der jetzigen Regierung, das ist ähnlich spannend, wird aber am Sonntag in der Darstellung sicher im Vergleich zu der spannenden thüringischen Frage eher im Hintergrund nur zu beobachten sein.
Brink: Sieht man das in Brandenburg nicht auch sehr pragmatisch?
Faas: Ja, dafür war Brandenburg ja eigentlich von Anfang an bekannt. Wir haben ja dort auch schon verschiedene Koalitionswechsel erlebt. Es ist ja nicht so, dass wir dort von Anfang an eine rot-rote-Regierung seit der Wiedervereinigung haben, sondern wir hatten auch schon große Koalitionen. Also das hat man dort immer sehr pragmatisch entschieden. Man hat dadurch auch den kleinen Koalitionspartner nie zu stark werden lassen, nie zu sehr in Sicherheit sozusagen gewogen. Und genauso hat man das ja auch fortgesetzt in den jetzigen Wahlkampf hinein. Da darf man gespannt sein. Das wird dann vielleicht auch davon abhängen, welche Verschiebungen sich bei den einzelnen Parteien dann doch ergeben, wer da im Aufwind ist, wer da ein bisschen einen Dämpfer kriegt. Aber das ist alles in allem deutlich weniger spannend, muss man sagen, als die Situation in Thüringen.
Brink: Wir reden jetzt nur von drei Parteien, wir reden überhaupt gar nicht über die AfD, die ja sensationelle Erfolge gefeiert hat, und auch nicht über die Grünen.
Für die Grünen geht es um den Einzug in die Landtage
Faas: Wir reden so ein bisschen implizit über die Grünen, weil ja gerade für Thüringen im Raum steht: Auch wenn die Grünen in den Landtag kommen, was, das muss man auch sagen, in beiden Landtagen, in beiden Ländern keineswegs sicher ist – wir sehen die Grünen in aktuellen Umfragen so bei 5,5, 6 Prozent, und da ist sozusagen der Abstand zur Fünf-Prozent-Hürde, die ja über den Einzug entscheidet oder eben dann auch nicht, wirklich nicht weit, insofern geht es für die Grünen in beiden Ländern tatsächlich auch um den Einzug –, wenn es die Grünen in Thüringen schaffen, dann steht auch immer noch diese Option im Raum, dass man sagt: Nein, dann möchte Bodo Ramelow ein, wie er es nennt, reformorientiertes Bündnis unter Einschluss der Grünen auf den Weg bringen. Insofern geht es für die Grünen gerade in Thüringen durchaus um eine Regierungsbeteiligung.
Was vom Tisch ist, was ja auch für Thüringen lange Zeit diskutiert worden war, ist ein schwarz-grünes Bündnis. Dafür reichen die Mehrheitsverhältnisse aktuell nicht. Und das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass mit der AfD, die auch so zwischen 8 und 10 Prozent in beiden Ländern gesehen wird, ein neuer Akteur im Landtag wohl vertreten sein wird, der dann die Mehrheitsverhältnisse oder die nötigen Mehrheiten so verändert, dass Schwarz-Grün jetzt einfach für Thüringen keine Option mehr ist.
Die AfD – keine Frage, die Europawahl ... Eigentlich ging es schon mit der Bundestagswahl 2013 los, 4,7 Prozent beim ersten Antreten – das ist natürlich ein sehr, sehr gutes Ergebnis für eine neue Partei, dann das gute Abschneiden bei der Europawahl, das gute Abschneiden in Sachsen. Das ist so ein typisches Phänomen, was uns daran erinnert, dass durchaus viele Menschen vielleicht unzufriedener sind, als man das manchmal so angesichts der ja insgesamt guten wirtschaftlichen Lage in Deutschland vermuten würde. Aber es gibt eben viele unzufriedene Menschen, und wenn dann plötzlich – mit den Piraten war das mal so, jetzt ist es mit der AfD so – so ein neuer Akteur als Kristallisationspunkt im Parteiensystem auftritt, dann finden dort eben viele Menschen, viele unzufriedene Wählerinnen und Wähler eine Möglichkeit, diesem Unmut mit den etablierten Parteien durch eben genau das Wählen dieser neuen Partei Luft zu machen. Insofern ist das, was wir gerade erleben, durchaus vergleichbar mit dem Aufstieg der Piraten: neue Partei, Zufluchtspunkt für Unzufriedene. Und man darf gespannt sein, wie nachhaltig das sozusagen sein wird.
Brink: Professor Thorsten Faas, Wahlforscher aus Mainz. Danke für Ihre Einschätzungen!
Faas: Sehr gerne!
Brink: Und am Sonntag wird in Brandenburg und in Thüringen gewählt.
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