Die SPD war hier immer stark, jetzt krebst sie in Umfragen um die 20 Prozent. Ist Brandenburg noch sozialdemokratisches Kernland? Muss die SPD vielleicht sogar in die Opposition nach der Wahl am 1. September? Vanja Budde hat sich auf die Suche nach der Antwort gemacht.
Rote, Schwarze, Grüne: Alle in Bedrängnis
Drei Landtagswahlen in Ostdeutschland stehen 2019 an. Unsere Korrespondenten blicken auf Brandenburg, Sachsen und Thüringen und beleuchten die jeweilige politische Großwetter-Lage.
An einem nassen, kalten Januarmittag lädt der Generalsekretär der Brandenburger SPD zur Pressekonferenz in die Parteizentrale. Im Regine-Hildebrandt-Haus in Potsdam will Erik Stohn die Strategie der Sozialdemokraten für das Wahljahr vorstellen. Draußen ist es grau und trüb, drinnen blättert der Generalsekretär suchend in seinen Aufzeichnungen.
"Wir haben uns für 2019 viel vorgenommen. Wir wollen weiterhin stärkste Kraft werden, mit Abstand stärkste Kraft, und den Ministerpräsidenten stellen. Das mag angesichts der Umfrage ein Ansporn sein, ist es auch, aber die Lage, die da von uns abgebildet wurde, ist ja auch keine neue."
Immer weiter abwärts
Das stimmt allerdings. Seit Monaten geht es mit der SPD auch in Brandenburg in den Umfragen immer weiter abwärts. Einst galt sie als "Brandenburg"-Partei, hatte auch schon mal die absolute Mehrheit inne, derzeit regiert sie mit der Linken. Mittlerweile ist die SPD bei kläglichen 20 Prozent angelangt. Immer noch besser als im Bund, meint Stohn.
"Dass es Sachen gibt, die nicht laufen, ist uns auch klar. Aber mit manchen Sachen, da kann ich einfach nicht mitgehen, zum Beispiel wenn gesagt wird: Wir müssen mehr mit den Bürgern reden. Wir reden jeden Tag mit den Bürgerinnen und Bürgern! Ich sage jetzt auch mal an der Stelle: Verunsicherung gibt es schon genug. Für Sozialdemokraten muss jetzt gelten: Brust raus und auch mal darüber zu reden, wie wir dieses Land vorangebracht haben und wie wir noch vorhaben, dieses Land weiterhin voranzubringen."
Von voranbringen könne keine Rede sein, meint dagegen der Oppositionsführer. Stillstand allenthalben, nicht nur beim Strukturwandel im Braunkohlerevier der Lausitz: So fällt die Bilanz von CDU-Chef Ingo Senftleben aus.
"Es gibt kein Projekt der SPD unter Dietmar Woidke in diesem Land in den letzten fünf Jahren, was vorzeigbar wäre, was sich bewährt hat. Es gibt nur Reformen, die entweder abgesagt wurden oder gescheitert sind. Und die Brandenburger brauchen neuen Schwung. Und deswegen muss die SPD endlich aus der Staatskanzlei ausziehen."
Senftleben guckt nach links – und nach rechts
Ingo Senftleben will neuer Ministerprädient werden. Dafür würde er auch das erste Bündnis der CDU mit den Linken auf Länderebene schmieden. Und auch mit der AfD will er "Gespräche führen".
Obwohl die AfD mit rechten Hardlinern in den Wahlkampf zieht. Frisch gebackener Spitzenkandidat ist der Landesvorsitzende Andreas Kalbitz, der zum völkisch geprägten Flügel gehört.
"Ich glaube, dass dieser Wahlkampf von Rot-Rot-Grün schmutzig und unfair wird. Da geht's um alles, da geht's komplett um alles für Rot-Rot."
Laut jüngsten Umfragen liegt die AfD Kopf an Kopf mit der Regierungspartei. Nämlich wie die SPD auch bei 20 Prozent.
"Und das, liebe Genossinnen und Genossen, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist unser gemeinsamer Auftrag für dieses Land: Wir dürfen nicht hinnehmen, dass Menschen, die mit Rechtsextremisten in einer Reihe marschieren, die Hass und Extremismus predigen und diese Gesellschaft spalten wollen, jemals wieder in diesem Land etwas zu sagen bekommen."
Dietmar Woidke: SPD-Vorsitzender und Ministerpräsident. Auf einer Regionalkonferenz in Oranienburg will er der Parteibasis Mut machen für den anstehenden Wahlkampf gegen den Hauptgegner von rechts. Die Mitglieder dürfen das Wahlprogramm diesmal mitgestalten, sollen Themen nennen, die den Menschen auf den Nägeln brennen. In Arbeitsgruppen wird die Richtung vorgegeben:
"Was braucht Brandenburg jetzt?"
Frau 1: "Einen starken Zug nach vorne! Was braucht Brandenburg, wo wollen wir hin und womit machen wir dieses Land stark? Es ist ein tolles Land, es ist ein schönes Land, wir leben gerne hier, wir haben Zuzug, wir haben mehr Geburten."
Frau 2: "Und es gibt gute Dinge."
Frau 1: "Und genau in die Richtung arbeiten wir weiter. Und das haben wir hier die letzten Jahre auch geleistet, dass es ein gutes und starkes Land ist. Und daran arbeiten wir jetzt und hier weiter. So. Und jetzt noch mal die Frage: Was braucht Brandenburg jetzt?"
Mann 1: "Beitragsfreie Bildung."
Mann 2: "Ruftaxi, Kleinbus, um zum Arzt zu kommen, gerade für die aus dem ländlichen Bereich heraus ist das wichtig."
Mann 3 : "Nächstes Thema oder war es das?"
Mann 4: "Armutsfester Mindestlohn ist mir wichtig."
Denn jedes fünfte Kind in Brandenburg ist von Armut bedroht, sozialer Wohnungsbau wird erst angeschoben, der Lehrermangel ist dramatisch, in vielen Dörfern abseits des Speckgürtels rund um Berlin fährt kein Linienbus mehr und die letzten in Ehren ergrauten Hausärzte schließen ihre Praxen. Ein Drittel aller Brandenburger hat kein schnelles Internet, dafür klaffen vielerorts noch Mobilfunklöcher. Doch fragt man die etwa 150 hier versammelten Sozialdemokraten, fällt darüber kein Wort. Die Reihen sind fest geschlossen:
"Ich bin natürlich optimistisch, dass wir wieder stärkste Kraft werden, denn wir haben in den letzten Jahren das Land gut entwickelt."
"Der derzeitige Zustand der SPD ist intern besser, als er nach außen wirkt."
"Wenn ich vergleiche vor zehn Jahren: Da waren so viele Leute arbeitslos und unglücklich und so. Und jetzt ist doch fast jeder beschäftigt und die allgemeine Stimmung und die Lebenslage der Leute ist eigentlich ganz gut."
Arbeitslosigkeit auf Rekordtief
Tatsächlich ist die Arbeitslosigkeit auf ein Rekordtief von nur noch 5,8 Prozent gesunken. Daran habe seine Partei kräftig mitgewirkt, betont Linken-Fraktionschef Ralf Christoffers. Den Zustand der SPD möchte er tunlichst nicht kommentieren.
"Ich kann nur sagen, dass die Linke sich in dieser Koalition dafür stark gemacht hat, dass wir unsere wirtschaftlichen und sozialpolitischen Ziele versucht haben umzusetzen. Wir werden als Linkspartei und auch als Fraktion darum ringen, dass wir so stark wie möglich werden. Und ich empfinde auch - angesichts der Umfrageergebnisse anderer demokratischer Parteien - dass wir stabil bei 17 oder 18 Prozent sind, als einen Vertrauensbeweis."
Die SPD dagegen hat dramatisch an Zustimmung verloren: Bei der Landtagswahl 2014 haben die Sozialdemokraten mit Dietmar Woidke an der Spitze noch knapp 32 Prozent der Stimmen geholt. Der große, schlanke 57-Jährige aus der Lausitz ist trotz der schlechten Umfragewerte auch diesmal der Spitzenkandidat. Es gab keinen Gegenkandidaten.
"Ich persönlich bin sehr zuversichtlich, was die Landtagswahl betrifft. Aber es wird eine Wahl sein, die polarisierter laufen wird als vergangene Landtagswahlen, und es wird eine Wahl sein, wo wir ganz klare Kante zeigen werden gegen Rechtsextremismus und gegen Rechtspopulismus und den Menschen immer wieder vor Augen führen werden, wie wichtig Freiheit und Demokratie auch für die weitere Entwicklung unseres Landes sind."
Großer Rundumschlag bei der Abstiegs-Analyse
Wenn man Woidke nach den Gründen für die Götterdämmerung der "Brandenburg-Partei" fragt, kommt ein großer Rundumschlag:
"Es gibt da eine ganze Reihe von Ursachen, glaube ich. Ein Punkt ist, dass die Menschen heute, obwohl es ihnen so gut geht wie nie zuvor hier in Brandenburg, sind die Menschen doch zu großen Teilen verunsichert."
Wegen Trump, Brexit und Flüchtlingskrise, den sozialen Medien und der chaotischen Performance der großen Koalition im Bund. Doch selbstkritische Töne hört man kaum. Eine Ausnahme ist Annemarie Wolff, die jüngst in den Landesvorstand gewählte Vorsitzende der Brandenburger Jusos.
"Wir sind ganz schlecht darin, Visionen zu haben oder auch einfach mal Wünsche zu äußern, ohne 50 mal durchzurechnen: Funktioniert das überhaupt? Da werden Ideen immer gleich kleingeredet oder totgeredet. Und manchmal habe ich auch die Befürchtung, wir wissen selber nicht, wofür wir stehen."
Sollte die SPD sich im Herbst zum ersten Mal in der Geschichte des Bundeslandes Brandenburg in der Opposition wiederfinden, dann sei die Partei darauf vorbereitet, so sagt es Generalsekretär Erik Stohn. Der Weltuntergang wäre das nicht, findet die junge Chefin des Parteinachwuchses.
"Warum können wir denn nicht auch die Brandenburg-Partei in der Opposition sein? Klar ist es für uns immens wichtig, diese Wahlen zu gewinnen. Ich würde lügen, wenn ich es mir nicht wünschen würde. Aber ich würde auch lügen, wenn ich sagen würde: Ich bin mir sicher, dass wir diese Wahlen gewinnen. Und wenn es im Endeffekt damit endet, dass wir in die Opposition gehen, dann gehen wir halt in die Opposition. Aber da können wir genauso Krach machen. Also warum nicht, es kann auch Spaß machen."