Landwirtschaft

Blick ins Bodenlose

Die Landwirte Willem Berlin (l.) und Klaus Borde gehen am Dienstag (12.08.2008) nahe Jemgum bei Leer über eine Wiese, die zu den Überschwemmungsflächen der Ems gehört. Die Wiesen am Emsufer, auf denen ihre Berufskollegen Gras als Tierfutter wachsen lassen, sind mit Gift belastet. Routinekontrollen hatten bereits 2007 den Verdacht ausgelöst, dass im Gras der Überschwemmungsflächen Dioxin und dioxin-ähnliche Polychlorierte Biphenyle (PCB) stecken. Als das Gras dieses Jahr hoch genug gewachsen war, wurden an beiden Seiten der Ems auf Höhe der Orte Nüttermoor und Jemgum neue Proben gezogen und die schlimme Vermutung bestätige sich.
Mit Gift belastete Wiesen am Emsufer nahe Jembum bei Leer. © picture alliance / dpa / Carmen Jaspersen
Von Susanne Harmsen |
Winderosion und Staubwolken wie in der Sahara kosten Autofahrer das Leben, reifender Weizen enthält soviel Cadmium, dass er verbrannt werden muss, Dioxin im Gras macht selbst Biorinder ungenießbar. Das sind keine apokalyptischen Fantasien, sondern aktuelle Schlagzeilen aus Deutschland.
"Luft atmet man, mit Wasser kommt man jeden Tag in Berührung, mit Boden - als Städter, als moderner Mensch - eher nicht. Deshalb ist er im allgemeinen Bewusstsein gar nicht vorhanden."
Günther Bachmann , Generalsekretär des Rats für Nachhaltige Entwicklung
"Der Boden – wir nennen ihn immer die Haut der Erde – hat ne Filter- und Pufferfunktion. Und die bewahrt natürlich auch davor, dass Schadstoffe ins Grundwasser gehen. Und er reichert sie halt an. Wenn er zu stark belastet ist, ja dann nehmen die Pflanzen sie halt auf, und so weiter."
Berndt-Michael Wilke, ehemaliger Leiter des Fachgebiets Abfallbelastung der Landschaft am Institut Ökologie der TU Berlin
"Wir verlieren in Deutschland immer noch Bodenqualität. Hauptsächlich dadurch, dass wir Fläche in Siedlungs- und Verkehrsfläche umwandeln. Wir verlieren aber auch Boden, dadurch dass Erosion stattfindet, durch Wind und Wasser. Und wir verlieren Bodenqualität, dadurch dass wir unsorgfältig mit der landwirtschaftlichen Nutzung umgehen."
Reinhard Kaiser, Leiter der Unterabteilung Bodenschutz im Umweltministerium des Bundes
Das Umweltbundesamt (UBA), Deutschlands Zentrale Umweltbehörde, am Dienstag (20.04.2010) in Dessau-Roßlau.
Das Umweltbundesamt (UBA), Deutschlands Zentrale Umweltbehörde, in Dessau-Roßlau.© picture alliance / ZB / Peter Endig
Was wir in der Vergangenheit der Umwelt zugemutet haben, schlummerte lange im Boden und gelangt jetzt in Wasser und Lebensmittel. Das gilt auch für Blei aus dem Benzin, Uran und Cadmium aus dem Mineraldünger.
Im Umweltbundesamt in Dessau werden Daten über den deutschen Boden gesammelt und ausgewertet. Jens Utermann kennt sie von Grund auf:
"Der Boden ist erst mal eine sehr effektive Senke für Schadstoffe, also alles, was wir in die Luft pusten und was nicht in den Meeren landet, muss irgendwie auf den Böden landen. Und der Boden speichert die meisten Schadstoffe über lange Zeit, sie reichern sich einfach an und erreichen irgendwann einen kritischen Level, der dann, kritisch werden kann für den Transfer in die Pflanzen, also Cadmium in Weizen, beispielsweise oder auch für den Direkttransfer, wenn also Boden von Wiederkäuern aufgenommen wird, wie wir es in einigen Auenböden festgestellt haben für dioxinähnliche polychlorierte Biphenyle oder eben auch Dioxine und Furane."
Fruchtbare Böden werden versiegelt
Zugleich versiegeln wir fruchtbare Böden für immer mit neuen Häusern, Straßen und Gewerbegebieten. So kann es jedoch nicht weitergehen.
In vielen Regionen Deutschlands schrumpft die Bevölkerung. Eigentlich Raum für mehr Landwirtschaft oder Naturschutz. Doch die Kommunen halten nach dem Prinzip Hoffnung lieber an ausgewiesenen Baugebieten fest. Dem will die Bundesregierung mit einem Flächentauschprogramm entgegenwirken. Beteiligte Kommunen können Gutscheine, sogenannte Zertifikate, für Baugrund tauschen. Wer nicht baut, weil ohnehin kein Bedarf besteht, kann sie verkaufen an Gemeinden die sie für nötigen Wohnungsbau oder Gewerbeinteressenten brauchen. Ein Pilotversuch mit 50 Kommunen startet gerade.
Je leerer es auf dem Land wird, desto voller in den Großstädten. Hier fehlen bezahlbare Wohnungen, Platz für Gewerbe und Einkauf. Die Städte sollen aber nicht weiter ins Umland wuchern, sondern lieber alte Industriebrachen neu bebauen, rät die Wissenschaft.
Ein Schornstein ragt am 27.12.2013 in Berlin auf dem Gelände der ehemaligen Eisfabrik an der Köpenicker Straße im Bezirk Mitte in den Himmel.
Auf dem ehemaligen Industriegelände der Eisfabrik in Berlin-Mitte sollen ab 2016 Kunstateliers, Clubs und Wohnungen entstehen.© picture alliance / dpa / Paul Zinken
An der Technischen Universität Berlin forscht dazu Gerd Wessolek:
"Das könnte dadurch entwickelt werden dass man sich konzentriert auf viele Flächen, die zur Zeit brachliegen und belastet sind. Und hier braucht man ein vielleicht neues Denken und neue Konzepte, so dass das Geld, was durch Flächenversiegelung ja in irgendeiner Weise aufgebracht werden muss, dass man das mit einem vernünftigen Sanierungsaufwand und einer vernünftigen Sanierungssituation verbindet. Da bedarf es einer eindeutigen politischen und rechtlichen Regelung. Da können wir als Naturwissenschaftlicher beisteuern, indem wir Planungssicherheit durch Grenzwerte oder Vorsorgewerte genau definieren, das haben wir auch getan. Und jetzt kommt es darauf an, das umzusetzen."
Ernährer, Schadstofffilter und Baugrund
Unser Boden ist vielseitig: Ernährer, Schadstofffilter, Baugrund. Wo wir ihm zuviel aufbürden, gibt er nach, trägt die Last nicht mehr. 2015 ist das internationale Jahr des Bodens, ein Anlass, wenigstens im europäischen Rahmen noch einmal bessere Bodenschutzgesetze in Angriff zu nehmen. Flüsse und Wind tragen Erde über Grenzen hinweg, nationale Gesetze allein genügen deshalb nicht. Und auch in der Praxis müssen wir auf den kostbaren Grund, auf dem unser täglich Brot wächst, mehr Rücksicht nehmen.
Das vollständige Manuskript zur Sendung finden Sie hier als PDF-Dokument oder im barrierefreien Textformat.
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