Wer Einfalt sät, wird keine Vielfalt ernten
Ob der "Butterkohl Goldberg", der Salat "Gold-Forellen" oder das Mairübchen "Schneeball" - alte Sorten finden sich in keinem Supermarkt mehr. Sie werden allenfalls noch auf Biomärkten oder bei Hobbygärtnern gesichtet. Und das vielleicht auch nicht mehr lange.
Im Mai 2013 legte die EU-Kommission ihren Vorschlag für eine neue Saatgut-Verordnung vor. Ziel ist es, das Saatgut-Recht EU-weit zu vereinheitlichen und zu entbürokratisieren. Kritiker sagen: Hinter dem Vorgehen der Kommission sei ein massiver Druck zu erkennen, den großen Agrar- und Saatgutkonzernen den Weg zu ebnen. Denn nach der neuen Regelung werden teure, europaweite Zulassungsverfahren notwendig, die sich kleine und mittlere Saatgut-Betriebe nicht mehr leisten können.
Härlin: "Hier sehen sie Auberginen, Zucchini und Tomaten und Zitronen und Kartoffeln, die nicht der Norm entsprechen. Das ist die Art von Gemüse, die bisher schon auf dem Acker weggeworfen wurde weil sie nicht in die genormten Behälter der Supermärkte, auch der Biosupermärkte gepasst haben."
Riesige Plastik-Maiskolben wiegen sich im Wind, Jungbauern in Karottenkostümen schwenken Transparente. Im Schritttempo bahnen sich Trecker ihren Weg durch die Menschenmenge. Umweltverbände, Bio- und Kleinbauern, Slow-Food-Freunde, Imker und Gärtner ziehen Mitte Januar durchs Berliner Regierungsviertel. 30.000 Menschen demonstrieren unter dem Motto "Wir haben es satt" für eine ökologische und bäuerliche Landwirtschaft.
"Ich bin jetzt das dritte Mal dabei. Und mache Anti-Gentechnik-Widerstand seit 20 Jahren. Und bin vom Verein zur Erhaltung von Nutzpflanzenvielfalt. Die Nutzpflanzenvielfalt ist ja gerade durch die neuen Saatgutgesetze ganz stark bedroht."
Die EU plant eine neue Saatgut-Verordnung. Deshalb steht die Rentnerin heute hier. Breitet die Arme aus so weit sie kann. Doch es reicht nicht. Die selbstbemalte Tischdecke mit der Aufschrift "Vielfalt ernährt die Welt - Saatgut ist Kulturgut " wirft weiter Falten. Zu Hause, in ihrem Garten in der Nähe von Düsseldorf baut sie Tomaten, Chili und Buschbohnen an. Für die Küche. Und für die nächste Gartensaison. Es sind alte Sorten, die sich - anders als modernes Hybridsaatgut - auch weiter vermehren lassen.
Monotonie auf den Äckern
"Unsere Kleinstanbieter, in unserem Verein sind es gewöhnlich Privatpersonen mit Hausgärten, denen das Saatgut dann auch gehört, die haben Angst, dass sie das Saatgut demnächst dann auch nicht mehr verkaufen können, wir können es nicht verschenken, nicht tauschen, es muss auch ein kleiner Betrag reinkommen."
Die Stimmung auf der Demo ist gut. Benedikt Härlin von der "Zukunftsstifung Landwirtschaft" ist zufrieden. Seit mehr als zehn Jahren kämpft er gegen die zunehmende Monotonie auf den Äckern. Ob Bantam-Mais, gentechnikfreie Regionen oder jetzt die europaweite Initiative "Freiheit für die Vielfalt" - es gibt kaum eine Saatgutkampagne, bei der Härlin nicht mitmischt.
Härlin: "Und meine Erfahrung ist, es gibt eine ganz selbstverständliche, fast archaische Affinität der Menschen zu diesem Thema Saatgut. Das hat etwas damit zu tun, dass das im Grunde der Sex der Natur ist, das hat auch etwas damit zu tun, dass ganz viele Menschen sich nach wie vor dieses Wundern bewahrt haben, wie aus diesem kleinen Korn eine riesige Pflanze werden kann. Und deshalb ist es tatsächlich so, dass viele Menschen, wenn man ihnen sagt, wisst ihr eigentlich, dass drei Konzerne schon die Hälfte des gesamten Saatguthandels kontrollieren, wirklich sofort unter die Decke gehen, die wollen gar nichts mehr erklärt haben, die sagen, das darf nicht sein.
Der Streit um die neue EU-Saatgut-Verordnung ist der vorläufige Höhepunkt dieser Auseinandersetzung. Doch worum geht es, jenseits der Emotionen?
Jahrzehntelang war das Saatgut-Recht national geregelt. Es wurde formuliert, um Ernteausfällen vorzubeugen und Erträge zu steigern. Bauern sollten sich darauf verlassen können, dass erworbenes Saatgut zuverlässig keimt, nicht verunreinigt ist und gesunde, ertragreiche Pflanzen heranwachsen. In der EU gab es bisher zwölf Richtlinien für den Umgang mit Saatgut, jedes Mitgliedsland hat sie in nationales Recht umgesetzt. Mal wurden sie eng, mal weit ausgelegt.
EU setzt auf zweifelhalte Beratung
Nun liegt eine 156 Seiten starke Verordnung als Entwurf auf dem Tisch, die alles für alle regeln soll. "Smart rules for safer food" - "Schlaue Regeln für sichere Nahrung" - so preist EU-Verbraucherschutzkommissar Tonio Borg unermüdlich seinen Entwurf. Doch schon die Entstehung des Entwurfs sorgte bei kritischen Beobachtern für Misstrauen: Eine ehemalige Angestellte eines französischen Saatgutkonzerns wurde an die Kommission als Fachfrau ausgeliehen, die Consultingfirma "Arcadia International", die auch für Gentechnik-Unternehmen arbeitet, beriet die Kommission.
Härlin: "Und wir haben vor allem gesehen, dass die Europäische Kommission auf die vielen Vorschläge der Züchter, der Biozüchter, der Erhaltungszüchter, ja, der eine ist immer drauf eingegangen und dann im nächsten Entwurf stand wieder das gleiche wie vorher. Und darüber waren wir dann doch ziemlich empört und haben dann ab April / Mai 2013 in der Öffentlichkeit auch ziemlich mobilisiert."
500.000 Unterschriften sammelten Organisationen wie "Save our seeds", "Slow food" oder "Campact" in ganz Europa gegen den geplanten Entwurf. Die Befürchtung: Die neue Verordnung schafft Erleichterungen für die internationale Agrar-Industrie. Kompliziert und verteuert aber die Arbeit mit nicht-kommerziellem Saatgut wie etwa alten Sorten.
Geschützte Sorten
Beim Bundessortenamt in Hannover schiebt Hermann Freudenstein die Tür eines Gewächshauses auf. Gibt den Blick frei auf niedrige Tische, auf denen in langen Reihen Töpfe mit Hortensien stehen. Die Pflanzen hier durchlaufen die Sortenschutz-Prüfung. Wenn sie sie bestehen, ist ihr Züchter 25 Jahre lang gegen Nachahmer geschützt.
Freudenstein: "Wir sehen hier verschiedene Sorten, die ganz unterschiedliche sind im Typ, mehr gestrecktes Wachstum, mehr gestauchtes Wachstum. Oder auf der anderen Seite habe ich gesehen, sind Sorten mit dunkelgrünen Blättern und Sorten mit hellgrünen Blättern. All das sind Merkmale, die in einer Sortenbeschreibung festgehalten werden und die sollten dann innerhalb einer Sorte auch immer gleich sein."
Blattgrößen und Stängellängen vermessen, Blütenstände beschreiben - das alles ist Teil der Sortenzulassung, erklärt der Referatsleiter. Für Zierpflanzen ist die Zulassung freiwillig, für Getreide, Kartoffeln, Rüben, Gemüsesorten, Obst oder Reben vorgeschrieben. Nur Saatgut, das die Prüfung besteht, darf gehandelt werden. Bei landwirtschaftlich bedeutenden Pflanzenarten wird zusätzlich der "landeskulturelle Wert" geprüft. Das bedeutet: Eine neue Sorte muss bessere Eigenschaften aufweisen als bereits zugelassene, im Hinblick auf Anbau, Ertrag, Resistenz oder Qualität. Etwa eine neue Kartoffel, die sich besser zu Pommes oder Chips verarbeiten lässt. Freudenstein deutet auf eine Hortensie mit deutlich hell-grünen Blättern.
Freudenstein: "Innerhalb einer Sorte sollte so einer nicht vorkommen. Das ist ein Off-Typ, ein Abweichler, der hier ganz deutlich auffällt durch eine andere Art Farbe."
Jedes Jahr gehen beim Bundessortenamt rund 1000 Anträge auf Zulassung ein, doch nur etwa 15 Prozent werden in die Sortenlisten eingetragen. Für alte Sorten gilt seit 2009 eine Ausnahme, die Erhaltungssortenverordnung. Doch gerade mal drei Dutzend sind in Deutschland registriert.
Teures Zulassungsverfahren
Freudenstein: "Für die alten Sorten, wenn sie in Verkehr gebracht werden sollen, genügt eine Beschreibung der Sorte durch den Antragssteller. 30 Euro kostet das in Deutschland. Wenn sie sich vorstellen, dass eine Weizensorte durch eine dreijährige Wertprüfung muss, die alleine schon 2900 Euro kostet, dann noch eine zwei- bis dreijährige Registerprüfung, also wo die Sorte beschrieben wird, dann kommen da schnell 12.000 Euro zusammen."
Hermann Freudenstein eilt zurück ins moderne Dienstgebäude. Dass sich nun plötzlich Kleingärtner und Hobby-Züchter für das Saatgut-Recht interessieren, dass es im Internet zu wahren Proteststürmen kommt, kann Referatsleiter Freudenstein nur schwer verstehen. Er hat dafür nur eine Erklärung: Eine Unmenge von Fehlinformationen seien durch die Medien gegeistert. Dabei werde für die Saatgut-Produzenten einiges einfacher, argumentiert er: Schließlich sehe der Entwurf vor, dass man die Zulassung nicht über die nationale Behörde, sondern gleich beim Europäischen Sortenamt beantragen kann.
Freudenstein: "Dass Pflanzenarten, für die man keinen landeskulturellen Wert feststellen muss, Gemüse zum Beispiel, Obst zum Beispiel, da könnte ein Züchter direkt beim europäischen Amt anmelden, er käme dann direkt in die europäische Sortenliste und seine Sorte wäre als Vermehrungsmaterial direkt vertriebsfähig in allen 28 Mitgliedsstaaten."
Trotzdem würde auch Freudenstein an der einen oder anderen Stelle des Verordnungsentwurfs nachbessern.
Freudenstein: "Weil das neue Recht ein Kostendeckungsprinzip enthält, d.h. ein Antragssteller muss die bei der Prüfung einer Sorte entstehenden Kosten im Prinzip tragen - im Moment ist es so in Deutschland - dass das noch relativ stark subventioniert wird vom Steuerzahler, aber wenn das Kostendeckungsprinzip kommt, sollte man Möglichkeiten einräumen, dass zum Beispiel Pflanzenarten mit geringer wirtschaftlicher Bedeutung in irgendeiner Weise erleichterten Zugang zum Markt bekommen sollten."
Und nicht verschwinden, weil das Zulassungsverfahren schlicht zu teuer ist.
Stiewe: "So, wir gehen einfach Mal ins Gewächshaus, da können wir einfach mal zeigen, wie Pflanzenzüchtung anfängt, die ersten Generationen."
Gunter Stiewe eilt an einem alten Bauernhaus vorbei, lässt den ehemaligen Schweinestall rechts liegen. Borstenvieh grunzt dort schon lange nicht mehr. Seit mehr als drei Jahrzehnten entwickeln Züchter hier, in der Nähe von Bad Salzuflen, Saatgut für den weltweiten Wettbewerb: Getreide, Zuckerrüben, Mais und Raps. "Syngenta" steht auf den großen Säcken. Das Schweizer Unternehmen ist der drittgrößte Saatguthersteller der Welt.
Stiewe: "So wir sind jetzt hier im Gewächshaus, hier wird sehr viel Raps und auch Getreide angezogen, wie wir sagen 'off-season'. Normalerweise steht unser Winterraps oder unser Wintergetreide das ganze Jahr aufm Feld, das heißt ein Zyklus in der Züchtung dauert ein Jahr. Und hier können wir das Ganze halbieren."
In dem mit vier Grad Raumtemperatur dem Raps der Winter vorgegaukelt wird. Gunter Stiewe blickt zufrieden auf die kleinen Pflanzen. Er leitet das Züchtungsprogramm.
Stiewe: "Wir ernten hier Knospen von Rapspflanzen und von diesen Rapspflanzen gewinnen wir die unreifen Pollen. Für die, die in Biologie aufgepasst haben: Der Pollen ist habloid, enthält nur den halben Chromosomensatz. Und wenn wir diesen Pollen dann im Reagenzglas wachsen lassen, dann haben wir und wir verdoppeln den Chromosomensatz, dann haben wir urplötzlich eine Pflanze, die wieder eine reinerbige Pflanze ist."
Im Labor, einige Gebäude weiter, wird der Chromosomensatz verdoppelt: Mikroskope, Steril-Bänke, Kulturlösung in Petrischalen - das ist das Werkzeug der Wissenschaftler. Pflanzen biotechnologisch analysieren, Resistenzen protokollieren, Ertragseigenschaften bestimmen - dann das Pflanzenmaterial neu kombinieren. Das ist der Alltag der Pflanzenzüchter. Immer schneller gelingt es so, neues Saatgut auf den Markt zu bringen. Es ist fast ausnahmslos Hybridsaatgut, das liefert zuverlässig hohe Erträge, lässt sich aber nur einmal verwenden. Die Vorgaben für die Zuchtarbeit kommen dabei aus der Wirtschaftsabteilung des Weltkonzerns.
Stiewe: "Die sagen: Der Markt will das. Das Schwierige ist, die müssen sagen, was der Markt in zehn Jahren will. Das ist ne Einschätzung. Darum ist das eine stete Diskussion zwischen uns und der Marketingabteilung."
Drei Konzerne bestimmen den Weltmarkt
Das Labor wird zur Keimzelle der Industrialisierung auf dem Acker. Hier entscheidet sich, was konventionelle Landwirte in zehn Jahren in Europa anbauen. Drei globale Konzerne kämpfen heute weltweit um die Saatguthoheit auf den Feldern: Monsanto, DuPont und Syngenta. Noch mehr Ertrag, noch mehr Widerstandsfähigkeit gegen Krankheitserreger - das sind ihre Versprechen.
Mehr als 50 Prozent des Weltmarktes hat sich das Trio so bisher gesichert. Und der Verdrängungswettbewerb geht weiter: Wenig ertragreiche Pflanzensorten verschwinden ebenso wie kleine Pflanzenzuchtbetriebe. Wie riskant der Einsatz im globalen Saatgutpoker sein kann, erlebte Syngenta letztes Jahr: Da floppte eine Maissorte in den USA, das Unternehmen musste einen dreistelligen Millionenbetrag abschreiben. In Deutschland läuft das Maisgeschäft dagegen besser, hofft Syngenta-Geschäftsführer Theo Jachmann:
"Wir hatten heute Morgen eine Gelegenheit mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern anzustoßen auf die Neuzulassung von sechs Maissorten. Sie waren beim Bundessortenamt. Wir haben von sieben angemeldeten neuen Sorten sechs registriert bekommen, das war ein supertoller Erfolg."
In Deutschland hat Syngenta einige hundert Sorten registriert, weltweit einige tausend. In den USA und Südamerika setzt das Unternehmen auf gentechnisch verändertes Saatgut. Davon lässt man derzeit in Europa lieber noch die Finger. Es fehlt die gesellschaftliche Akzeptanz, sagt Jachmann. Doch ob mit Gentechnik oder ohne - der Verkauf des Saatgut ist für Syngenta nur ein Teil des Geschäftsmodells
Jachmann: "Wir sind wahrscheinlich die einzige Firma, die nur Saatgut und nur Pflanzenschutz hat und auf den Ackerbau sich sozusagen mit dem beschäftigt. Das optimieren, beide Sache zusammenbringen ist etwas, das wir schon mal versuchen im Haus schon zu machen."
Rundumservice für Landwirte
Saatgut und Spritzmittel sind eng aufeinander abgestimmt. So werden die Landwirte mit einem Rundumservice umworben. Denn auf den meisten europäischen Äckern zählt heute nur eins, weiß Jachmann: Die Ertragssteigerung. Über Jahre mussten sich allerdings die Syngenta-Marketingexperten beim Saatgut- und Spritzmittel-Geschäft mit zwölf EU-Richtlinien und deren Auslegung in 28 EU-Ländern herumschlagen. Das soll mit der neuen EU-Verordnung endlich anders werden:
Jachmann: "Ich glaube schon, dass es ein Fortschritt wäre diese EU-einheitliche Verordnung zu haben, das würde uns das Leben einfacher machen."
Dann wäre der Weg frei für ein grenzenloses Saatgut-Geschäft in Europa. Für den Welt-Konzern eine verlockende Aussicht. Für Martin Häusling nicht. Der Biolandwirt sitzt für die Grünen im EU-Parlament und ist Mitglied im Agrarausschuss. Die große europäische Lösung, so Häusling, könnte den kleinen Saatgut-Produzenten teuer zu stehen kommen und das Aus bedeuten:
Häusling: "Und dann muss ich meine Sorten, die vielleicht in der Wetterau in Hessen hervorragend wachsen, die werden dann Südfrankreich getestet, in Südfrankreich kann diese Sorte ein ganz anderes Ergebnis bekommen. Dann heißt es plötzlich, ja, das streut so stark, weil die Sorte muss homogen sein nach jetzigen Kriterien der Europäischen Union und dann macht ein Züchter sich Jahre lang Arbeit, um eine neue Sorte auf den Markt zu bringen, die dann in der offiziellen Statistik rausfliegen, weil sie nicht genormt genug sind, um das mal so deutlich zu sagen."
So bedroht die neue EU-Saatgut-Verordnung nicht nur die Vielfalt auf Äckern und im Gartenbeet, so Häusling, sondern auch die Vielfalt der Saatzucht-Betriebe:
Häusling: "Wir haben in Europa noch eine relativ große Zahl kleiner Züchter, die muss man jetzt fördern, agrarische Biodiversität indem ich die jetzt nicht in den knallharten Wettbewerb mit den Multis schicke, da werden diese kleinen Unternehmen nicht gewinnen, sondern ich muss sie stärken, ich muss ihnen eigene Rechtsrahmen geben, dass diese Unternehmen sich frei entwickeln können."
Während die Erträge auf den Äckern über die letzten Jahre kontinuierlich stiegen, schrumpfte die Zahl der Saatgutproduzenten. Ein bis zwei Unternehmen geben pro Jahr in Deutschland auf. Heute sind noch 130 - vor allem mittelständische - Unternehmen im Bundesverband der Pflanzenzüchter organisiert. Hinzu kommen unzählige Kleine- und Kleinst-Züchter sowie Vereine, die sich der Erhaltung und Vermehrung alter und seltener Kultursorten verschrieben haben.
Häusling: "Natürlich brauchen wir auch diese alten Sorten, um wieder einzukreuzen in Hochleistungssorten, weil das Genmaterial, was alte Sorten haben, ist für manche Züchter unwahrscheinlich wichtig, weil Resistenzen gegen bestimmte Krankheiten in den alten Sorten mehr vorkommen als in den neuen Sorten. Deshalb ist das kein Spaß von einigen wenigen, die einem nostalgischen Hobby nachgehen, sondern das hat was mit Bewahrung der Schöpfung zu tun und das muss eigentlich viel stärker in den öffentlichen Fokus rein."
"Küttiger Rübli" und "Dresdener Graugelber"
Das brandenburgische Dörfchen Vichel im Sommer letzten Jahres. In festen Schuhen stapft eine 20-köpfige Gruppe durchs kniehohe Gras. Vorbei an einem verfallenen Stallgebäude mit leeren Fensterhöhlen. Eve Bubenik geht voran, schiebt den Riegel eines hölzernen Gartentores auf. Seit acht Jahren betreibt Bubenik hier den Öko-Saatgut-Betrieb "Keimzelle". Gemeinsam mit ihrem Kollegen Winni Brand vermehrt sie alte und seltene Gemüse- und Blumen-Sorten. Die beiden betreiben einen Schaugarten und bieten Saatgut-Kurse an.
Bio-Gärtnerin Julia, Landbau-Praktikantin-Vanessa, Hobby-Gärtner Robert und die anderen Kursteilnehmer blicken neugierig auf die langen Pflanzreihen. Mehr als 150 Sorten werden bei Keimzelle vermehrt, davon allein 80 Gemüsesorten. Etwa die weiße Möhre "Küttiger Rübli", der Mairettich "Dresdener Graugelber", Hörnchenkürbis oder Ananaskirsche. Tomatensorten wie Ochsenherz, Berner Rose oder Schwarze Russische.
"Da haben wir die nächsten."
Eve Bubenik schreitet die Pflanzreihen entlang. Am Anfang jeder Reihe steckt ein Holzschildchen. "Butterkohl Goldberg" steht auf einem. Daneben "Paprika Bulgarische" oder "Tomate Siberia". Eine Reihe schulterhoher Pflanzen sind an Pflöcke gebunden, damit sie nicht umfallen. Eve Bubenik nickt zufrieden. Die kräftigsten Mangold-Pflanzen des vorherigen Jahres hat sie im Keller überwintern lassen. Und im Frühjahr wieder ausgepflanzt. Nun ist der Mangold geschossen. Fängt an zu blühen und Samen zu bilden. Bubenik steckt ihren Kopf zwischen die grünen Blätter. Die Blüte kann man nicht sehen, erklärt sie.
Bubenik: "Man könnte es riechen. Doch! Er fängt schon an zu duften. Komischerweise, duftet es nach Honig. Da riecht der ganze Garten. Das haben auch nur Samenbauer dies Vergnügen."
Eve Bubenik führt weiter durch den Garten. Vorbei an unzähligen alten Kräuter-Sorten. Wildes Basilikum, Poleiminze, Gewürz-Tagetes, Wilde Karde, Knoblauchrauke - Gewürze, die kaum noch jemand kennt. Bubenik pflückt ein Blatt von einer kleinen buschigen Pflanze: Löffelkraut. Es schmeckt scharf wie Kresse mit einem bitteren Beigeschmack. Deshalb sollte man es nur sparsam im Salat verwenden.
Bubenik: "Zwei, drei Blätter, da hast du Vitamin C als wenn Du zwei Zitronen isst."
"Keimzelle" hat sich mit anderen kleinen Samenbauern aus Ostdeutschland zusammengetan. Gemeinsam vertreiben sie alte oder seltene Kultursorten, etwa über einen Internet-Shop.
Bubenik: "Wir verkaufen dies als kleine Tüten, als Saatguttüten, wie man so kennt, in Ständern in Bioläden, weil es ist ja Bio und Demeter, auch im Gartencenter, so gesagt, auserwählten und auf Höfen, Hofläden."
Keine Konkurrenz für die Großen
Es ist ein mühsames Geschäft. Bubenik arbeitet wochenweise in Berlin, um finanziell über die Runden zu kommen. Dass ihr Kleinstbetrieb jetzt unter die gleiche EU-Verordnung fällt wie die internationalen Saatgut-Multis, ist für sie nicht zu verstehen. Sind sie doch keine ernsthafte Konkurrenz für die Großen. Denn alte, seltene Sorten haben lange Ernteperioden, reifen langsamer ab, sind wenig transportfähig. Kurz: Sie kommen für einen Erwerbsanbau im Großmaßstab nicht in Frage. Sie sind vor allem etwas für Gärtner und Kleinbauern, die selbst vermarkten und erklären können, warum jede Sorte anders aussieht und schmeckt.
Diese geschmackliche und die biologische Vielfalt zu erhalten, ist das Ziel von "Keimzelle". Eine Genbank, in der alte Sorten quasi in Reagenzgläsern und Kühlräumen die Jahrzehnte überdauern, kann das nicht leisten.
Bubenik: "Da wird die Sorte angebaut, wenn sie fällig ist, wenn die Keimfähigkeit runtergeht und das ist bei manchen sogar 10 Jahre oder 30 Jahre, bei Getreide-Sorten oder so, aber in 30 Jahren ist viel passiert und so konnte die Sorte nicht mitgehen, mit den ganzen klimatischen Veränderungen, die immer auf diesem Planeten passieren und auch passieren werden und das ist halt auch wichtig."
Nische contra Turbo-Sorte
Doch seit die EU mit ihrer Saatgutverordnung auf den Plan getreten ist, sieht Eve Bubenik ihre Arbeit bedroht. Durch ein mehr an Bürokratie und eine Regelungsflut, die nur die Großen der Branche bewältigen können. Artikel 36 der geplanten Saatgutverordnung sieht vor, dass Unternehmen, die weniger als zwei Millionen Euro Umsatz machen und maximal zehn Mitarbeiter beschäftigen, von den bürokratischen Registrierungs-Anforderungen vorerst ausgenommen werden. Sie müssen ihr Material mit dem Hinweis "für Nischenmärkte bestimmt" versehen. Dem grünen EU-Abgeordneten Martin Häusling reicht das nicht.
Häusling: "Nun kann man sagen: Ja, die Nische war schon einmal ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, dass man sagt, wir brauchen für diesen Bereich andere Regeln als für die Turbo-Sorten großer Unternehmen. Aber gleichzeitig drängt man natürlich den ganzen Bereich in die Nische. Das ist dann auch eine Ansage nach dem Motto: Das ist so Kleingedöns, da brauchen wir uns nicht wirklich drum zu kümmern. Dabei ist klar: Die Zielsetzung hätte eigentlich eine ganz andere sein müssen, nämlich gerade die Nische zu fördern."
Wie genau in Zukunft das Saatgut der kleinen Betriebe gehandelt werden darf, das will die Kommission später regeln. In einem sogenannten "delegierten Akt". Über diesen entscheidet die Kommission allerdings allein, ohne Mitbestimmung des Parlaments. Mehr als 30 solcher "Blanko-Vollmachten" finden sich in der Verordnung:
Häusling: "Und das lässt der Kommission, also sprich: dem Gesetzgeber sehr viel Spielraum und da wissen wir eigentlich nicht, in welche Richtung geht es. Unsere Angst ist dabei natürlich ganz klar, die Kommission mit der Vorlage dieses Gesetzentwurfes geht eher in die Richtung der großen Saatgutzüchter, der Industrie-Verbände und nicht so sehr in Richtung einer Förderung der Biodiversität."
Genormtes Gemüse
Ein Werbespot aus Österreich: Ein kleines Mädchen betritt mit ihrer Oma einen kunterbunten Gemüseladen, staunt über das Angebot, über kleine und große, rote und gelbe Tomaten:
Verkäufer: "Ich habe viele Tomaten, da habe ich eine längliche, die ist ganz dunkelrot, da habe ich eine riesige, ein Ochsenherz. Und dann habe ich sogar eine gelbe Tomate."
Mädchen: "Eine gelbe Tomate!"
Die nächste Szene zeigt, wie eine Zukunft ohne Vielfalt aussähe. Oma und Enkelin stehen vor einer polierten Glastheke. Mit ordentlich gestapeltem, genormten Gemüse. Der Verkäufer, im dunklen Anzug trägt Krawatte. "Seedy Inc." wirbt ein Schriftzug im klinisch weißen Hintergrund.
Verkäufer: "Guten Tag, was kann ich für sie tun?"
Mädchen: "Hast Du eine gelbe Tomate?"
Verkäufer: "Aber Kindchen, es gibt doch keine gelben Tomaten."
Protest aus der Küche
Seit Monaten wirbt die österreichische Umweltorganisation Global 2000 mit diesem Spot um Unterschriften für die Kampagne "Freiheit für die Vielfalt". Unterstützt von Spitzenköchen aus der Alpenrepublik. Die warnen mit Tischkarten in ihren Restaurants vor dem drohenden Verlust der Sorten- und Geschmacksvielfalt. Eine Allianz von Umwelt- und Kulinarikfreunden macht so quer durch Europa gegen die EU-Verordnung mobil. Auch in Italien kam der populärste Protest aus der Küche, weiß Benedikt Härlin. Vom Begründer der Slow-Food Bewegung.
Härlin: "Und mein Freund Carlo Petrini hat dann noch in La Republica inItalien einen Artikel zu diesem Thema veröffentlicht. Und am nächsten Tag hat ihn der sozialistische Ausschussvorsitzende des Agrar-Ausschusses persönlich angerufen und hat gesagt. Carlo, Du kannst Dich drauf verlassen, dieser Entwurf kommt nicht durch."
Ein Verlust an politischer Eigenständigkeit, an bäuerlicher Unabhängigkeit, die Angst vor einem kulinarischem Einheitsbrei - kurzum die Befürchtung einer Brüsseler Hoheit über die Äcker - das alles sorgte im Europäischen Parlament bei allen Fraktionen für Unmut: Mehr als 1400 Änderungsanträge wurden schließlich zur Beratung eingereicht. Mit Blick auf die Europawahlen im Mai entdeckten dann auch noch Parteien das Thema, die sonst nur äußerst selten "Vielfalt" beschwören:
Saatgut als Wahlkampfthema
Härlin: "Es wurde eine ganze rechte antieuropäische Sumpfbewegung in Wallung gebracht. Für die ist Heimat und Saatgut auch etwas, wo sie dahinterstehen, Frau Le Pen und diese Halbfaschisten aus Ungarn finden, das ist ein prima Thema. Und da haben, angesichts der drohenden Europawahlen, auch Konservative, die sagen, rechts von der CSU darf es keine Partei geben, da ziehen wir lieber die Notbremse, das wollen wir nicht als Wahlkampfthema haben."
Mit 37 zu 2 Stimmen lehnte Mitte Februar der Agrarausschuss des Europäischen Parlaments den Entwurf überraschend deutlich ab. In Kürze wird das Parlament mit großer Wahrscheinlichkeit den Entwurf an die Kommission zurückverweisen. Zur Überarbeitung. Für Benedikt Härlin ist das ein Etappensieg. Über den er sich aber nicht so richtig freuen kann. Denn, dass ein neuer Entwurf kommen wird, steht für ihn fest.
Härlin: "Also von daher besteht für meine Begriffe durchaus ein Regelungsbedarf, der sagt: Jaa, die Vielfalt ist gerade in Zeiten des Klimawandels, in Zeiten von einer vollkommen überzogenen Monokultur auf den Äckern etwas, wo die öffentliche Hand sich engagieren muss, das sie erhalten wird. Wo wir uns überlegen müssen, wenn 50 Prozent des gesamten Saatguts von drei Firmen gehandelt wird, was unternehmen wir, dass dieser Markt wieder ein normaler Markt, ein vielfältiger Markt wird. Also wir haben Veränderungsbedarf aber genau in die anderer Richtung, als das was uns als Harmonisierung, klingt ja immer so schön, man könnte auch sagen, Vereinheitlichung verkauft wird."