Langatmige Aufarbeitung der Pinochet-Diktatur

Von Ulrich Fischer |
Drei Frauen diskutieren, was aus der Villa Grimaldi werden soll, einem ehemaligen Folterzentrum der Pinochet-Diktatur in Chile. Guillermo Calderón lässt bei dieser Diskussion aber genauso Fragen offen wie im "Discurso", einer fiktiven Abschiedsrede von Chiles erster Präsidentin Michelle Bachelet.
Guillermo Calderón ist ein chilenischer Dramatiker, er wurde 1971 geboren. Er versteht sich, von der Diktatur Augusto Pinochets und seiner Junta geprägt, als politischer Autor. Mit "Villa" ist die Villa Grimaldi gemeint, während der Diktatur ein Folterzentrum, in dem Gegner des Regimes gequält und umgebracht wurden.

Drei Frauen diskutieren, lang nach dem Ende der Diktatur, was aus der Villa werden sollte - ein Museum? Oder sollte sie so bleiben wie sie ist, ein Ort der Erinnerung? Die Meinungen gehen auseinander, alle drei vertreten leidenschaftlich ihre Argumente - bis das Stück kurz vor dem Ende eine seltsame Wendung bekommt.

In der Villa sind Frauen systematisch vergewaltigt worden. Die Peiniger zeugten mit ihnen Kinder, damit die Frauen sie, ihre "Herren", nie vergäßen - eine besonders infame Art, den politischen Gegner zu demütigen. Alle drei Frauen erklären nun, sie seien solche Kinder, ihre Mütter wären Opfer der Diktatur, ihre Väter Täter.

Was bedeutet das? Die Frage lässt Calderón offen - es ist die Frage, wie man nach der Diktatur leben soll mit all den Wunden und Narben die sie hinterlassen hat.

Der zweite Teil, "Discurso", Gespräch oder Ansprache, ist zwar ein eigenständiges Stück, steht aber doch in einem inneren Zusammenhang mit der "Villa". Es ist eine Ansprache, die nie gehalten wurde. Calderón stellt sich vor was Michelle Bachelet, die erste Frau, die in Chile Präsidentin wurde, gesagt haben könnte, wenn sie frei hätte sprechen können. Natürlich erlaubt es das Amt nicht - aber wenn ...

In der fiktiven Abschiedsrede von Calderón spricht die scheidende Präsidentin über politische Fehler, dass sie für die Armen zu wenig getan hat. Sie spricht über das richtige Leben - und vor allem spricht sie über das Verzeihen. Obwohl ihr Vater gefoltert wurde und an den Folgen der Folter starb, plädiert sie für Vergebung - der Autor scheint ihr Recht zu geben.

Das wirkt ein wenig naiv. Calderón unterschätzt, ja verharmlost die Gefahr, die von Generalen wie Pinochet und ihren Gesinnungsgenossen ausgeht; die Frage, was zu tun sei, damit solch eine Diktatur nie wieder ihr Haupt erheben kann, vernachlässigt der Dramatiker fast schon sträflich.

Aber die Grundfragen der beiden Stücke sind interessant, politisch bedeutsam. Allerdings ist die Umsetzung anfechtbar. Die Dialoge haben einen Zug zur Geschwätzigkeit - das hat Folgen für die Regie - und Calderón inszeniert auch. Die Schauspielerinnen haben eine derartige Textfülle zu bewältigen, dass sie darüber hin(weg)jagen. Dem Zuschauer bleibt zu wenig Zeit nachzudenken. Kaum ist ein Gedanke zu Ende, ist der nächste schon halb formuliert. Hier müsste gestrichen werden, zusammengefasst, konzentriert, das Tempo gemindert.

Die Schauspielerinnen neigen dazu, was sie sagen, zu verdoppeln - sei es gestisch, sei es mimisch. Ein südamerikanischer Abend mit Schwächen. Das überrascht. Denn Calderón hat an der Weiterbildung des Royal Court teilgenommen, der Kaderschmiede englischsprachiger Dramatiker in London - und dort wird Disziplin gepaukt. Ein wenig mehr Disziplin, in jeder Beziehung, täten Calderóns Stücken gut - und seinen Inszenierungen auch.
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