Langatmiges Geburtstagsgeschenk
Wie erwartet: 130 Seiten Text ohne Absätze - selten Punkte - hat Elfriede Jelinek als Auftragswerk und gleichzeitig Geburtstagsgeschenk zum 100. Bestehen der Münchner Kammerspiele abgeliefert, ein Lokalstück zu München, genauer zur Maximilianstraße, in deren Straßenfront auch der Eingang zu den Münchner Kammerspielen integriert ist: "Die Straße. Die Stadt. Der Überfall."
"Überfall" das meint Ermordung und Begräbnis des Stadt-Originals Rudolph Moshammer, der in der Maximilianstraße eine Boutique besaß, ein "Gott" dieser Straße.
Bei den Münchner Kammerspielen sind die 130 Seiten Text auch in allerbesten Händen. Kein deutsches Theater hat sich so nachhaltig um die Nobelpreisträgerin Jelinek bemüht: Die wirkungsvolle Jelinek-Aufführung "Rechnitz (Der Würgeengel)" stammt von den Münchner Kammerspielen und ein Auftragswerk an sie, "Winterreise" - auch damals inszeniert von Intendant Johan Simons - ist in Mühlheim 2011 zum "Stück des Jahres" gekürt worden. Die Münchner Schauspieler verstehen eindrucksvoll und inzwischen routiniert vorzuführen, wie man aus Jelineks Endlostext mit seinen Assoziations- und Metaphernschleifen komödiantische Funken schlagen kann.
Aus dem legendären "Rechnitz"-Quartett sind Hans Kremer und Steven Scharf dabei, dazu Stephan Bissmeier und als jugendliches Doppel Marc Benjamin und Maximilian Simonischek - alle zunächst in verwegenen Frauenkostümen (Kostüme: Teresa Vergo). Unterwäsche, Pelzjacke, Glitzerkleid: "Doppelwesen", wie es Jelinek vorschlägt, alle "ein Mann, an den eine Frau angenäht ist" und die den ohne Figurenzuweisung ausgestatteten Text instrumentieren, in welchem "DIE Straße" oder "DIE Stadt" (als Mensch? als Gottheit? Als Theaterfigur also) das Wort ergreifen.
Zwei lange komödiantische Einzelnummern bestimmen die beiden Teile dieser Kammermusik, zunächst großartig: Sandra Hüller, die einzige Frau im Ensemble - an der Schwelle zum Kauf oder Nichtkauf eines Rockes. Mode als Identitätsfrage, als "Außer-sich-Sein" als "Anders-Sein". Eine simple Kritik an der Schicki-Micki-Gesellschaft bietet Jelinek nämlich gerade nicht, sondern die Vorlage für ein theatralische Performance mit sich immer weiterbohrenden Identitätsfragen. Im zweiten Teil ist es Benny Claessens, der als bereits ermordeter Rudolph Mohshammer immer und immer wieder weinerlich in "seine" Straße kommt.
Wenn man will, kann man "Die Straße. Die Stadt. Der Überfall" auch - wie bei Jelinek gewohnt - als Übermalung sehen, unter der die Struktur von Euripides "Bakchen" hervorgeschabt werden kann: Mode als "Außer-sich-Sein", das Vertauschen von Weiblichkeit und Männlichkeit, das Zerreißen von Pentheus wie der Mord des Strichjungen an Moshammer, dessen zerfetzter Körper schließlich als Trophäe in der Stadt herumgetragen wird. "Ich habe gehört, es gibt eine Satzung im Gesetz, dass man Orgien feiern muss", heißt zunächst etwas rätselhaft der erste Satz des Stücks.
"Die Straße. Die Stadt. Der Überfall" - ein bajuwarisches Heimatstück? Vielleicht erschließt sich manches nur für den Münchner oder Münchenkenner. Doch auch für Köln hatte Jelinek ein Lokalstück geschrieben "Ein Sturz", das vom Einsturz des Kölner Stadtarchivs ausgeht. Aber "Ein Sturz" trieb die Reflexion - was gehört noch dem Gemeinwesen an Heimaterde? - viel weiter und blieb gleichzeitig prägnanter! Denn vor allem hat - nicht nur weil Moshammer immer und immer wieder aus seinem Grab auftaucht - der Abend einige etwas ausufernde Längen. Intendant und Regisseur Johan Simons hat den Schauspielern noch ein Musikerquintett dazugesellt, das in einer Modevitrine sitzt. Auf die Bühne, auf der im Hintergrund auch ein Teil des Publikums Platz nehmen muss, schütten zu Beginn der Vorstellung Bühnenarbeiter Eis, aus dem sich während der langen Aufführung langsam Wasser-Pfützen bilden.
Dass das Stück - trotz der eindrucksvollen Modekaufpassagen - so wie vor zwei Jahren Jelineks "Winterreise" seinen Weg von der Maximilianstraße weg auch an viele andere deutsche Bühnen nehmen wird, ist unwahrscheinlich: Aus der Jelinek-Kollektion also ein eher schlichtes, vermutlich schwer verkäufliches Einzelstück.
Bei den Münchner Kammerspielen sind die 130 Seiten Text auch in allerbesten Händen. Kein deutsches Theater hat sich so nachhaltig um die Nobelpreisträgerin Jelinek bemüht: Die wirkungsvolle Jelinek-Aufführung "Rechnitz (Der Würgeengel)" stammt von den Münchner Kammerspielen und ein Auftragswerk an sie, "Winterreise" - auch damals inszeniert von Intendant Johan Simons - ist in Mühlheim 2011 zum "Stück des Jahres" gekürt worden. Die Münchner Schauspieler verstehen eindrucksvoll und inzwischen routiniert vorzuführen, wie man aus Jelineks Endlostext mit seinen Assoziations- und Metaphernschleifen komödiantische Funken schlagen kann.
Aus dem legendären "Rechnitz"-Quartett sind Hans Kremer und Steven Scharf dabei, dazu Stephan Bissmeier und als jugendliches Doppel Marc Benjamin und Maximilian Simonischek - alle zunächst in verwegenen Frauenkostümen (Kostüme: Teresa Vergo). Unterwäsche, Pelzjacke, Glitzerkleid: "Doppelwesen", wie es Jelinek vorschlägt, alle "ein Mann, an den eine Frau angenäht ist" und die den ohne Figurenzuweisung ausgestatteten Text instrumentieren, in welchem "DIE Straße" oder "DIE Stadt" (als Mensch? als Gottheit? Als Theaterfigur also) das Wort ergreifen.
Zwei lange komödiantische Einzelnummern bestimmen die beiden Teile dieser Kammermusik, zunächst großartig: Sandra Hüller, die einzige Frau im Ensemble - an der Schwelle zum Kauf oder Nichtkauf eines Rockes. Mode als Identitätsfrage, als "Außer-sich-Sein" als "Anders-Sein". Eine simple Kritik an der Schicki-Micki-Gesellschaft bietet Jelinek nämlich gerade nicht, sondern die Vorlage für ein theatralische Performance mit sich immer weiterbohrenden Identitätsfragen. Im zweiten Teil ist es Benny Claessens, der als bereits ermordeter Rudolph Mohshammer immer und immer wieder weinerlich in "seine" Straße kommt.
Wenn man will, kann man "Die Straße. Die Stadt. Der Überfall" auch - wie bei Jelinek gewohnt - als Übermalung sehen, unter der die Struktur von Euripides "Bakchen" hervorgeschabt werden kann: Mode als "Außer-sich-Sein", das Vertauschen von Weiblichkeit und Männlichkeit, das Zerreißen von Pentheus wie der Mord des Strichjungen an Moshammer, dessen zerfetzter Körper schließlich als Trophäe in der Stadt herumgetragen wird. "Ich habe gehört, es gibt eine Satzung im Gesetz, dass man Orgien feiern muss", heißt zunächst etwas rätselhaft der erste Satz des Stücks.
"Die Straße. Die Stadt. Der Überfall" - ein bajuwarisches Heimatstück? Vielleicht erschließt sich manches nur für den Münchner oder Münchenkenner. Doch auch für Köln hatte Jelinek ein Lokalstück geschrieben "Ein Sturz", das vom Einsturz des Kölner Stadtarchivs ausgeht. Aber "Ein Sturz" trieb die Reflexion - was gehört noch dem Gemeinwesen an Heimaterde? - viel weiter und blieb gleichzeitig prägnanter! Denn vor allem hat - nicht nur weil Moshammer immer und immer wieder aus seinem Grab auftaucht - der Abend einige etwas ausufernde Längen. Intendant und Regisseur Johan Simons hat den Schauspielern noch ein Musikerquintett dazugesellt, das in einer Modevitrine sitzt. Auf die Bühne, auf der im Hintergrund auch ein Teil des Publikums Platz nehmen muss, schütten zu Beginn der Vorstellung Bühnenarbeiter Eis, aus dem sich während der langen Aufführung langsam Wasser-Pfützen bilden.
Dass das Stück - trotz der eindrucksvollen Modekaufpassagen - so wie vor zwei Jahren Jelineks "Winterreise" seinen Weg von der Maximilianstraße weg auch an viele andere deutsche Bühnen nehmen wird, ist unwahrscheinlich: Aus der Jelinek-Kollektion also ein eher schlichtes, vermutlich schwer verkäufliches Einzelstück.