Lange Nacht der Autoren in Berlin

Raus aus der Theaterbetriebsnische

"Gespräch wegen der Kürbisse" von Jakob Nolte ist ein klassisches Dialogdrama, in dem zwei Freundinnen sich in einen immer absurderen Streit verwickeln.
"Gespräch wegen der Kürbisse" von Jakob Nolte ist ein klassisches Dialogdrama, in dem zwei Freundinnen sich in einen immer absurderen Streit verwickeln. © Foto: Arno Declair/Deutsches Theater Berlin
Von André Mumot |
Bei der Langen Nacht der Autoren präsentiert das Deutsche Theater Berlin die drei Gewinnerstücke seiner Autorentheatertage. Sie sind überraschend unaufgeregt und mischen sich kaum in aktuelle Diskurse ein. Theater will hier Lebenserzählung sein.
Keine schnellen Werkstattaufführungen mehr – dieses Credo gilt seit letztem Jahr bei den Autorentheatertagen am Deutschen Theater Berlin. Die drei Stücke, die die Jury auszeichnet, sollen ihren Weg in die tatsächlichen Spielpläne großer Häuser finden, nicht bloß in der Langen Nacht der Autoren aufleuchten und wieder verglühen. Ein Plan, der aber vor allem eins wichtig werden lässt: Spielbar müssen die neuen Texte sein und hinausweisen über die allzu enge Selbstbespiegelung junger Autorinnen und Autoren in der Theaterbetriebsnische.

Private Selbstfindungsprozesse im Mittelpunkt

Und so merkt man deutlich, dass die drei Gewinnerstücke in diesem Jahr größtenteils auf abstraktere Textflächenarrangements verzichten – auch auf allzu deutliche Zeitgenossenschaft. Die Flüchtlingskrise etwa taucht nur im Hintergrund auf auf. Stattdessen stehen private Selbstfindungsprozesse im Mittelpunkt und klassische Figurenkonstellationen. Das bricht sich vielleicht am krassesten im "Gespräch wegen der Kürbisse" von Jakob Nolte, einem klassischen Dialogdrama, in dem zwei Freundinnen sich in einen immer absurderen Streit verwickeln. Es kommen auch Leichen vor, die an den Urlaubsstrand gespült werden, aber alles geht unter in einem tragikomischen Wust aus Lügen, Verschwörungstheorien und verletzendem weil verletztem Geschwätz.
Inszeniert hat die Uraufführung Tom Kühnel fürs Deutsche Theater, und in den Gift-und-Galle-Ring treten Maren Eggert und Natali Seelig. Leider aber verliert sich das aberwitzige Understatement des absichtlich bescheidenen Textes in der aufdringlichen Konfrontation, in der die beiden hochkarätigen Darstellerinnen konsequent aneinander vorbei spielen: die Eggert mit subtiler Nervosität, die Seelig mit dick aufgetragener, überzogen burschikoser Wurschtigkeit.

Ein allzu überschaubarer Flickenteppich

Auch "Über meine Leiche" von Stefan Hornbach kann in seiner Burgtheaterproduktion nicht voll überzeugen, bleibt ein allzu überschaubarer Flickenteppich. Nicolas Charauxs Inszenierung versteht sich eher als Performance über den Text, löst die Rollen auf, zieht Konflikte bündig zusammen, berührt aber doch: Es ist die Geschichte der Krebserkrankung eines jungen Mannes, ein sehr persönlicher Leidensbericht, der zum Ausbruch wilder Lebenssehnsucht wird. Dafür nutzt der Regisseur viel Komik, Musik, Slapstick und wirft die Metastasen als bunte Bälle auf die Bühne. Traurig ist das sehr, aber trotz überdimensionalem Kuschelmonster doch vielleicht zu klein, zu niedlich und momenthaft in seiner Wirkung.
Umso intensiver, umso erfolgreicher: Lily Sykes inszeniert fürs Schauspielhaus Zürich Dominik Buschs "Das Gelübde". Im literarisch leicht überambitionierten, aber hoch interessanten Stück des Schweizer Autors entscheidet sich ein junger Arzt, nachdem er einen Flugzeugabsturz überlebt hat, nach Afrika zu gehen, seine heimatlichen Bindungen abzubrechen, den Bedürftigen zu helfen. Seine quasi religiöse Erweckung bleibt schemenhaft, umso deutlicher stechen aber die Reaktionen seiner Bezugspersonen hervor – in zielgenauen, sehr erhellenden Dialogen. Ein fabelhaftes Ensemble verhandelt auf einer Flugzeugtragefläche, welche Liebes-, welche Glücksbedingungen unser (bürgerlich westliches?) Sicherheitsleben überhaupt ermöglichen, was der Kitt ist, der uns dabei hilft, zusammenzubleiben.

Theater als Lebenserzählung

Nachdenklich, spröde und ohne Klischees geht damit auch die Lange Nacht der Autoren zu Ende – und die Präsentation dreier Siegerstücke, die alle überraschend unaufgeregt sind, ja, unspektakulär, die keine laute Zeitgenossenschaft einfordern, keine entschiedene Teilnahme an aktuellen Diskursen offenbaren. Theater will hier Lebenserzählung sein, wirkt mitunter etwas mau und mutlos dabei, schafft es dann aber doch mit Humor und Gedankenschärfe menschliche Grundgefühle zu offenbaren. Fest steht in jedem Fall: Es lohnt sich, die Werkstattaufführungen zu vermeiden und aufs Ganze zu gehen, Gegenwartstheater nicht nur in Eventnächten zu verbraten, sondern konsequent auf die Spielpläne zu heben.
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