Lange Nacht des Theaternachwuchses
Die Hamburger Autorentheatertage gaben in diesem Jahr einen Überblick über die neuesten Theatertexte im deutschsprachigen Raum. Höhepunkt und Abschluss des Festivals ist die lange Nacht der Autoren: Vier neue Stücke, vorgestellt in sogenannten Werkstattinszenierungen. Viele Karrieren von Theaterautoren nahmen hier ihren Anfang. Am Ende vergibt eine Jury einen Preis in Höhe von 10.000 Euro.
Was war das für eine Eröffnung. Mit "Wenn eine Dolores heißt, muss sie noch lange nicht schön sein". Rudi Haeusermann hatte seine Musik, auf der Bühne dargeboten von einem Streichquartett, kombiniert mit Texten von Peter Bichsel. Die minimale Bühnendarbietung widersprach allen Theatererfahrungen. Und die so ins Leere laufenden Zuschauerwartungen hätten Spannung und Komik erzeugen sollen, taten das auch in der kleinen Schiffbauhalle des Schauspielhauses Zürich, im großen Thalia versackte der Abend in Langeweile.
In Scharen verließen Zuschauer den Saal, einer rief aus dem Rang "Das ist eine Frechheit", andere pflichteten ihm bei mit Gelächter und Beifall. Und Intendant Ulrich Khuon fragte sich einen Moment lang, ob er die Hamburger in sieben Jahren Autorentheatertage wohl zu sehr darauf eingeschworen habe, dass aktuelle Dramen lustvoll und spannend sind, kurzum: dass Gegenwartstheater Spaß macht.
"Aber der Ruf, der koppelt sich dann so ein bisschen ab vom eigentlichen Gegenstand. Es ist nach wie vor Autorentheater, es sind nach wie vor zeitgenössische Stücke, die natürlich auch kompliziert und komplex sind. Also ich glaub, dass viele auch nicht so wussten, worauf sie sich da einlassen. Und theoretisch sind sie schon sehr offen, und in der Praxis haben sie dann 'nen Schock gekriegt. Und dann kommt auch noch so 'ne Portion Hochmut dazu. Dass man sagt: Was ich nicht gleich verstehe, ist deswegen schlecht."
Wie sehr es am Regisseur liegt, ob ein Stück auf Verständnis stößt, zeigte nichts besser als der Vergleich zwischen zwei Versionen von Elfriede Jelineks "Ulrike Maria Stuart". Die als Gastspiel geladene Inszenierung der Münchner Kammerspiele verlangte nach ehrfurchtsstarren Abonnenten, nach bürgerlichen Zuhör-Tugenden. Denn Regisseur Jossi Wieler hat brav Figuren konstruiert, die sich in minutenlangen Monologen mit dem Jelinek-Text abmühen.
Umso stärker werden die Qualitäten der zum Theatertreffen geladenen Uraufführung von Nicolas Stemann deutlich: Er hat den Text zersplittert, geloopt, die Schauspieler singen und rappen ihn und hämmern ihn damit ins Gedächtnis. Ob der die Sprache am besten transportiert, der sich ganz auf sie konzentriert, wurde so einmal mehr in Frage gestellt.
"Und jetzt? Ja, und was jetzt? Jetzt kann ich meine Sachen packen, der halbe Betrieb kann seine Sachen packen."
Noch einmal richtig zupacken und dann ab in die Sommerpause: Die Lange Nacht der Autoren ist traditionell die letzte große Kraftanstrengung der Thalia-Crew vor Ende der Spielzeit. Viele Karrieren haben in dieser Nacht ihren Anfang genommen: Die von Andri Beyeler, von Nuran David Calis, von Anja Hilling und Reto Finger. In diesem Jahr haben erneut die Schauspieler die vier Stücke für die Lange Nacht ausgewählt. Auch jenes von Catherine Aigner "Hinter Augen", in dem draußen ein Betrieb Arbeiter entlässt und drinnen eine Patchwork-Familie an den Spannungen zwischen Mutter, Sohn und Stiefvater zerbricht.
Stiefvater: "Du nennst mich keinen Idioten"
Sohn: "Loslassen! Lass mich los!"
Mutter: "Scheiße!"
Stiefvater: "Ich lass mich doch keinen Idioten schimpfen."
Mutter: "Er hat es doch nicht so gemeint."
Stiefvater: "Wie hat er's denn gemeint?"
Gelesen wirkt "Hinter Augen" eher wie überspannter, verblasener Bockmist. Doch Regieprofi Andreas Kriegenburg macht daraus ein deutsches Familiendrama, beispielhaft, zeichenhaft schon im Bühnenbild: Hunderte Male ist das Wort "Tapete" in schwarz, rot und gold auf Holzwände gekritzelt. Schon vor zwei Jahren, als in der Langen Nacht noch gar kein Preis vergeben wurde, erhob Kriegenburg Anja Hillings "Protection" zum heimlichen Sieger.
Im übrigen setzen die Stücke dieses Jahr auf Sex. So heißt auch das Stück von Justine del Corte. Ein Reigen von Pärchen, die anders als bei Schnitzler nicht durch alle sozialen Schichten, sondern durch alle Altersstufen kopulieren. Ebenso geht es in Dorothee Brix "Entwurzelt" in harten Stößen zur Sache:
"Tom liegt auf der Kathrin drauf, und ihr Arsch sieht wirklich ziemlich unvorteilhaft aus, muss ich schon sagen. Das sieht wirklich bescheuert aus!"
"Nun sag doch was!"
"Ich bin noch nicht fertig."
Die junge Lara wird zur Kindsmörderin, weil sie durch Schwangerschaft Bindung herstellen will. Nur leider zum Falschen, zum Vorstadtcasanova Tom. In Satyan Rameshs Komödie "Die ganzen Wahrheiten" sprechen die Figuren ihre geheimen Gedanken aus: Sexuelle Fantasien in allen Variationen. Es ist, als entdeckten die Autoren die Sexualität als letzte Bastion, als einzigen Bereich, in dem der deutsche Wohlstandsbürger noch ECHTE Probleme hat, also: Drama sich entfalten kann.
Intendant Ulrich Khuon wird die Autorentheatertage, die er von Hannover nach Hamburg gebracht hat, 2009 ans Deutsche Theater Berlin mitnehmen. Doch in Hinblick auf seinen Nachfolger am Thalia, den zur Zeit an der Wiener Burg wirkenden Joachim Lux, macht Khuon den Hamburgern Hoffnung.
"Vielleicht bringt er die Wiener Werkstatttage mit. Wo zusammen mit Autoren an unfertigen Stücken gearbeitet wird. Das ist auch ein hochinteressantes Forum."
Sofern Hamburg es sich leisten kann und Joachim Lux es leisten will: Die Autorentheatertage bekommen keine Zuschüsse von der Stadt, sind also abhängig von Sponsorengeldern und vom guten Willen der Mitarbeiter, vor der Sommerpause noch einmal kraftvoll zuzupacken.
In Scharen verließen Zuschauer den Saal, einer rief aus dem Rang "Das ist eine Frechheit", andere pflichteten ihm bei mit Gelächter und Beifall. Und Intendant Ulrich Khuon fragte sich einen Moment lang, ob er die Hamburger in sieben Jahren Autorentheatertage wohl zu sehr darauf eingeschworen habe, dass aktuelle Dramen lustvoll und spannend sind, kurzum: dass Gegenwartstheater Spaß macht.
"Aber der Ruf, der koppelt sich dann so ein bisschen ab vom eigentlichen Gegenstand. Es ist nach wie vor Autorentheater, es sind nach wie vor zeitgenössische Stücke, die natürlich auch kompliziert und komplex sind. Also ich glaub, dass viele auch nicht so wussten, worauf sie sich da einlassen. Und theoretisch sind sie schon sehr offen, und in der Praxis haben sie dann 'nen Schock gekriegt. Und dann kommt auch noch so 'ne Portion Hochmut dazu. Dass man sagt: Was ich nicht gleich verstehe, ist deswegen schlecht."
Wie sehr es am Regisseur liegt, ob ein Stück auf Verständnis stößt, zeigte nichts besser als der Vergleich zwischen zwei Versionen von Elfriede Jelineks "Ulrike Maria Stuart". Die als Gastspiel geladene Inszenierung der Münchner Kammerspiele verlangte nach ehrfurchtsstarren Abonnenten, nach bürgerlichen Zuhör-Tugenden. Denn Regisseur Jossi Wieler hat brav Figuren konstruiert, die sich in minutenlangen Monologen mit dem Jelinek-Text abmühen.
Umso stärker werden die Qualitäten der zum Theatertreffen geladenen Uraufführung von Nicolas Stemann deutlich: Er hat den Text zersplittert, geloopt, die Schauspieler singen und rappen ihn und hämmern ihn damit ins Gedächtnis. Ob der die Sprache am besten transportiert, der sich ganz auf sie konzentriert, wurde so einmal mehr in Frage gestellt.
"Und jetzt? Ja, und was jetzt? Jetzt kann ich meine Sachen packen, der halbe Betrieb kann seine Sachen packen."
Noch einmal richtig zupacken und dann ab in die Sommerpause: Die Lange Nacht der Autoren ist traditionell die letzte große Kraftanstrengung der Thalia-Crew vor Ende der Spielzeit. Viele Karrieren haben in dieser Nacht ihren Anfang genommen: Die von Andri Beyeler, von Nuran David Calis, von Anja Hilling und Reto Finger. In diesem Jahr haben erneut die Schauspieler die vier Stücke für die Lange Nacht ausgewählt. Auch jenes von Catherine Aigner "Hinter Augen", in dem draußen ein Betrieb Arbeiter entlässt und drinnen eine Patchwork-Familie an den Spannungen zwischen Mutter, Sohn und Stiefvater zerbricht.
Stiefvater: "Du nennst mich keinen Idioten"
Sohn: "Loslassen! Lass mich los!"
Mutter: "Scheiße!"
Stiefvater: "Ich lass mich doch keinen Idioten schimpfen."
Mutter: "Er hat es doch nicht so gemeint."
Stiefvater: "Wie hat er's denn gemeint?"
Gelesen wirkt "Hinter Augen" eher wie überspannter, verblasener Bockmist. Doch Regieprofi Andreas Kriegenburg macht daraus ein deutsches Familiendrama, beispielhaft, zeichenhaft schon im Bühnenbild: Hunderte Male ist das Wort "Tapete" in schwarz, rot und gold auf Holzwände gekritzelt. Schon vor zwei Jahren, als in der Langen Nacht noch gar kein Preis vergeben wurde, erhob Kriegenburg Anja Hillings "Protection" zum heimlichen Sieger.
Im übrigen setzen die Stücke dieses Jahr auf Sex. So heißt auch das Stück von Justine del Corte. Ein Reigen von Pärchen, die anders als bei Schnitzler nicht durch alle sozialen Schichten, sondern durch alle Altersstufen kopulieren. Ebenso geht es in Dorothee Brix "Entwurzelt" in harten Stößen zur Sache:
"Tom liegt auf der Kathrin drauf, und ihr Arsch sieht wirklich ziemlich unvorteilhaft aus, muss ich schon sagen. Das sieht wirklich bescheuert aus!"
"Nun sag doch was!"
"Ich bin noch nicht fertig."
Die junge Lara wird zur Kindsmörderin, weil sie durch Schwangerschaft Bindung herstellen will. Nur leider zum Falschen, zum Vorstadtcasanova Tom. In Satyan Rameshs Komödie "Die ganzen Wahrheiten" sprechen die Figuren ihre geheimen Gedanken aus: Sexuelle Fantasien in allen Variationen. Es ist, als entdeckten die Autoren die Sexualität als letzte Bastion, als einzigen Bereich, in dem der deutsche Wohlstandsbürger noch ECHTE Probleme hat, also: Drama sich entfalten kann.
Intendant Ulrich Khuon wird die Autorentheatertage, die er von Hannover nach Hamburg gebracht hat, 2009 ans Deutsche Theater Berlin mitnehmen. Doch in Hinblick auf seinen Nachfolger am Thalia, den zur Zeit an der Wiener Burg wirkenden Joachim Lux, macht Khuon den Hamburgern Hoffnung.
"Vielleicht bringt er die Wiener Werkstatttage mit. Wo zusammen mit Autoren an unfertigen Stücken gearbeitet wird. Das ist auch ein hochinteressantes Forum."
Sofern Hamburg es sich leisten kann und Joachim Lux es leisten will: Die Autorentheatertage bekommen keine Zuschüsse von der Stadt, sind also abhängig von Sponsorengeldern und vom guten Willen der Mitarbeiter, vor der Sommerpause noch einmal kraftvoll zuzupacken.