Lange Nacht über den Kulturwissenschaftler Aby Warburg

"Jude von Geburt, Hamburger im Herzen, im Geiste Florentiner"

Von Manfred Bauschulte |
"Jude von Geburt, Hamburger im Herzen, im Geiste Florentiner" - ist das Leitmotiv eines Gelehrten, der durch das Studium von Bildern, Büchern und Symbolen den "Leidschatz der Menschheit" heben will. Wir werden Zeugen des bewegenden Schicksals von Aby Warburg, dessen Methoden wissenschaftliche Denkgewohnheiten sprengen.
Als Kulturhistoriker spannt er einen Bogen von Festen der Renaissance zu Tänzen der amerikanischen Indianer. Wir hören von Nymphen und Mänaden, Schlangen, Priestern und Tänzern, wie sie Angst und Erregung, Leidenschaft und Leiden einen Ausdruck verleihen. Mit Hilfe des Bankhauses seiner Familie baut er zu Beginn des 20. Jahrhundert eine Bibliothek zum Studium des kulturellen Gedächtnisses der Menschheit auf.
Nach dem Ersten Weltkrieg verbringt er Jahre in verschiedenen Heilanstalten. Im Sanatorium Bellevue von Ludwig Binswanger kann er genesen und danach den Neubau seiner Bibliothek realisieren. Vier Jahre nach seinem Tod (1929) retten seine Mitarbeiter Fritz Saxl und Gertrud Bing die Warburg-Bibliothek vor den Nazis und bringen sie nach London in Sicherheit.
Deutschlandradio 2015

Ein legendärer Ruf geht dem Hamburger Kunsthistoriker Aby Warburg (1866-1929) voraus. Er gilt als einer der Begründer der modernen Kulturwissenschaften. Wir erzählen von seinen Begegnungen und Erlebnissen und bringen seine Aufgaben- und Problemstellungen zum Sprechen. Die erste Station führt uns nach Florenz, wo er die Kunst der Renaissance studiert. Wie Hamburg ist die Stadt am Arno eine Kaufmannsstadt, worin die soziale und wirtschaftliche Welt von Kunst und Kultur geprägt wird. Hier studiert er Nymphendarstellungen von Sandro Botticelli und unternimmt akribisch Gewand- und Windstudien, um Übergänge vom Leben zur Kunst zu erforschen. Auf der Suche nach psychologischen Gesetzen für die Darstellung von sinnlichen Eindrücken und Erregung stößt er auf das Festwesen der Renaissance. So gelangt er von der Kunstpsychologie ohne Umwege zur Völkerpsychologie, von der Völkerkunde kommt er zur Ethnologie.
Eine wegweisende Station seiner Biografie wird durch eine Reise markiert, die er 1895/96 in den Westen der USA zu den Indianern unternimmt. Sein Ziel sind zunächst die "Cliff dwellings" in der Mesa Verde von Colorado. Das sind Höhlenwohnungen und unterirdische Festplätze, sogenannte "Kivas". Diese Fahrt bezeichnet er als "Reise in das amerikanische Pompeji". Von Colorado geht es weiter nach Santa Fe und Albuquerque in New Mexico. Dort befinden sich Reservate der Pueblo-Indianer, wo er einigen ihrer Tänze beiwohnt. So kann er die Entstehung symbolischer Kunst in actu studieren und sich Zusammenhänge zwischen religiösen Vorstellungen und künstlerischer Tätigkeit erschließen. Nach und nach wird aus dem detailverliebten Bildhistoriker ein Anthropologe, der in Ritualen und Symbolen die Geschichte des Leidens wie der Leidenschaften verkörpert sieht.
Die zentrale Station seines Lebens ist die wissenschaftliche Bibliothek, die er zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Privatgelehrter mithilfe des Bankhauses seiner Familie bauen will. Sie soll dem Studium des kulturell-symbolischen Gedächtnisses der Menschheit gewidmet sein. Der Bau der Bibliothek erhält durch den Ersten Weltkrieg einen herben Rückschlag. Der Verlauf des Krieges führte den Zusammenbruch von Aby Warburg herbei. Der psychisch kranke Gelehrte muss nach 1918 einige Jahre in Heilanstalten verbringen. Im Sanatorium von Ludwig Binswanger in Kreuzlingen kann er soweit genesen, dass er im Spätsommer 1924 nach Hamburg zurückkehren darf.
Eine letzte Station rekapituliert die kurze Zeit von 1925 bis 1929, in der sein Lebenswerk entsteht: der Bau der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg in der Hamburger Heilwigstraße. Danach stellte er in ihren Räumen den Bilderatlas "Mnemosyne" zusammen. Personen treten in den Vordergrund, die seine Stützen werden: Fritz Saxl und Gertrud Bing. Nach Aby Warburgs Tod 1929 lenken die beiden das Geschick seines Instituts. Im Jahr 1933 gelingt es ihnen die Bibliothek mit all ihren Bildern, Büchern und Fotografien nach London zu überführen und vor den Nazis zu retten.
Die Lange Nacht erzählt von Aby Warburgs Umgang mit Bildern und Symbolen, von seinen Reisen und Forschungen, von Umständen seiner psychischen Krankheit und von ihrer Überwindung, schließlich vom Aufbau seiner Bibliothek und ihrem Exil. In die chronologische Erzählung ist die Warnung eingeschlossen, dass die Erinnerung und die Überlieferung uns nicht durch Information und im Spektakel zufließen. Die Inschrift "Mnemosyne", die im Türsturz der Bibliothek von Warburg angebracht wurde, enthält eine Mahnung. Sie bezeichnet einen "Akt der Erinnerung", in dem leidenschaftliche Gewalten einerseits geformt und dargestellt, andererseits 'entgiftet' und überwunden werden. Entsprechend zeigen die Biografie und die Bibliothek von Aby Warburg Wege auf, die vom Kampf mit Dämonen zur geistigen Befreiung führen.
Warburg-Haus. Interdisziplinäres Forum für Kunst- und Kulturwissenschaften
Auszug aus dem Manuskript
Auf Anraten von Dr. Heinrich Emden, des Hausarztes seiner Familie, wurde Aby Warburg zum ersten Mal im November 1918 in eine Hamburger Nervenheilanstalt eingewiesen. Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs brach die psychische Krankheit aus, die sich seit Jahren anbahnte. Das Sanatorium in Kreuzlingen ist nach einer psychiatrischen Klinik in Jena bereits die dritte Station auf seinem Leidensweg. Von April 1921 bis August 1924 bleibt er in Bellevue. In dieser Zeit vermag er soweit zu genesen, dass er in der Lage ist, sein Lebenswerk fortzusetzen: den Ausbau seiner Kulturwissenschaftlichen Bibliothek. Die Protestnote gegen die Leitung von Bellevue weist auf einen zentralen Aspekt seines Werks hin. Keinesfalls will er als Gefangener oder Häftling gelten. Energisch insistiert er, "Patient" zu sein. Er begreift sich als Gelehrter, der trotz seiner Kritik an den Religionen in der jüdischen Tradition steht.
Aby Warburg: "Wir sind zweitausend Jahre länger Patienten der Weltgeschichte gewesen".
Gertrud Bing, eine Schülerin, kommentiert die sprachlichen Zusammenhänge. Sie erinnert an das "Amor fati" von Friedrich Nietzsche, die "Liebe zum Unausweichlichen" und führt in seine Fragestellung ein.
"Wer Warburg kennt, für den ist es nicht schwer, in dieser Formulierung den sprachlichen Zusammenhang von 'Patient' und 'Passion' herauszuhören: Amor fati. Es ist kein Zufall, dass seiner Person etwas von einem alttestamentarischen Propheten anhaftete. Alle, die je die Fülle und Beredsamkeit seines Zornes an sich erfahren haben, müssen das so empfunden haben. Aber man denkt bei ihm auch an das Schlegel-Wort, dass der Historiker ein rückwärtsgewandter Prophet sei. Warburg hat seine wissenschaftliche Aufgabe als eine Sendung empfunden; er sprach vom 'Problem, das ihn kommandierte', - dem er leidend gehorchte, trotz der Anfälligkeit seines Körpers, trotz des Unverständnisses, dem er vielfach begegnete und trotz der eigenen Verzagtheit, der er nur zu häufig ausgesetzt war. Es sollte, wie er es einmal ausdrückte, seiner Forschung 'kein Hauch blasphemischer Wissenschaftlichkeit anhaften'."
Die Lange Nacht ist dem "rückwärtsgewandten Propheten" Aby Warburg gewidmet, der als einer der Begründer der modernen Kulturwissenschaften gilt. Wir stellen einen Kulturwissenschaftler vor, der demonstriert, wie Leiden und Leidenschaften in ein Bild- und Symbolvermögen, einen "Leidschatz der Menschheit" eingeflossen sind. Keine Kunstgeschichte oder Philosophie, keine Bild- oder Medienwissenschaft kann diesen Schatz allein heben.
Schriften von Aby Warburg
Aby M. Warburg
Ausgewählte Schriften und Würdigungen.
Hg. von Dieter Wuttke in Verbindung mit Carl Georg Heise.
Baden-Baden 1980.

Aby M. Warburg
Werke in einem Band.
Hg. und kommentiert von Martin Treml, Sigrid Weigel und Perdita Ludwig.
Berlin 2010.

Aby M. Warburg.
Schlangenritual.
Ein Reisebericht.
Mit einem Nachwort von Ulrich Raulf.
Berlin 2011
Die Neuausgabe der kanonisierten und bebilderten Fassung des "Schlangenrituals": Einer der zentralen Texte Aby Warburgs, der einen Schlüssel zum komplexen Denken des berühmten Kunsthistorikers bietet.

Aby Warburg
Der Bilderatlas Mnemosyne.
Hg. von Martin Warnke unter Mitarbeit von Claudia Brink.
Berlin 2000.
Der Bilderatlas ist eine Zusammenstellung von etwa 2000 Bildern aus Kunst- und Kulturgeschichte in etwa sechzig Tafeln, mit denen Warburg sein Lebenswerk zusammenfassen und krönen wollte. Die Erarbeitung hat die letzten Jahre seines Lebens in Anspruch genommen, ist jedoch bei seinem Tode Fragment geblieben. Die Edition in der Studienausgabe möchte nicht, wie es geschehen ist, mit eigener Fantasie und Assoziation das Werk und die Bildtafeln um allerlei Texte ergänzen, sondern gibt das gewaltige Fragment in der Form wieder, in der Warburg es hinterlassen hat. Obwohl schon die Zeitgenossen große Hoffnung in dieses Werk gesetzt hatten und obwohl die Mitarbeiter der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg auch noch nach der Übersiedlung nach London den "Atlas" zu edieren versuchten, ist es nie zu einer angemessenen Veröffentlichung des Materials gekommen.

Aby Warburg / Ludwig Binswanger.
Die unendliche Heilung.
Aby Warburgs Krankengeschichte.
Hg. von Chantal Marazia und Davide Stimili.
Berlin-Zürich 2007.
Zwischen April 1921 und August 1924 war Aby Warburg, der geniale Kunsthistoriker und Kulturwissenschaftler, Insasse im Sanatorium Bellevue in Kreuzlingen, wohin er nach einem schweren psychotischen Zusammenbruch eingewiesen worden war er hatte gedroht, sich und seine Familie umzubringen. Leiter der psychiatrischen Heilanstalt war Ludwig Binswanger, seinerseits bedeutender Psychiater, dessen Erkenntnisse den Zugang zur Geisteskrankheit tiefgreifend verändern sollten. Bislang war aus dieser Zeit nicht viel mehr allgemein bekannt, als dass Warburg vor seinen Mitpatienten den berühmten Vortrag über das Schlangenritual der Hopi-Indianer hielt. Tatsächlich hatte er während seiner Krankheit immer wieder Phasen von geistiger Klarheit und schöpferischer Produktivität. Binswangers Krankenberichte dokumentieren Wahnvorstellungen, Aggressivität gegen das Personal, Phobien und zwanghafte Hygienerituale. Warburg, der sich selbst als "unheilbar schizoid" einschätzte, wurde erst 1924 "zur Normalität beurlaubt". Die hochgelobte Edition der im Universitätsarchiv Tübingen verwahrten Krankengeschichte Aby Warburgs durch den italienischen Germanisten Davide Stimilli erfüllt ein lange gehegtes Desiderat der Warburg-Forschung. Mit der nun auch auf Deutsch vorliegenden, gegenüber der italienischen um wichtige Dokumente erweiterten Ausgabe kann endlich darangegangen werden, die "Leerstelle" zwischen Werk und Psyche Warburgs zu schließen, die von seinen Biografen wie etwa Ernst Gombrich geflissentlich verschwiegen wurde. Der Band umfasst neben den Krankenakten von der Hand Ludwig Binswangers auch die autobiografischen Aufzeichnungen Warburgs aus jener Zeit, den Briefwechsel zwischen den beiden Persönlichkeiten, Wärterprotokolle sowie Aufzeichnungen und Briefe von Warburgs Assistenten Fritz Saxl

Aby Warburg.
Mit Bing in Rom, Neapel, Capri und Italien.
Karen Michels auf den Spuren einer ungewöhnlichen Reise.
Hamburg 2010.
Eine nicht ganz gewöhnliche Reise zwischen Furunkel, Alltag und der Kunst.
Warburg und Bing in Italien - wahrlich kein harmloser Strandurlaub mit wohldosierten Bildungseinsprengseln. Der Hamburger Kulturwissenschaftler und seine junge Assistentin reisten nach einem selbst entworfenen "Feldzugsplan", ihr Hauptthema war nichts geringeres als "der Aufstiegsraum der Seele."
Folgt man den Entdeckerspuren dieses ungleichen Paares von Bologna nach Rom, von Neapel nach Florenz und anderswo, erlebt man ein anderes Italien: voller geheimnisvoller Kultbauten, unbekannter Maler, heiliger Gräber, heidnischer Gottheiten und flatternder Gewänder - und erlebt ein Land, in dem die faschistische Partei Mussolinis kontinuierlich mehr Anhänger gewann: "Italien", so Aby Warburg, "als gnadenlose Kulisse für geistige Silhouette."

Horst Bredekamp, Claudia Wedepohl
Warburg, Cassirer und Einstein im Gespräch
Wagenbach 2015
Die Kunsthistoriker Horst Bredekamp (Berlin, Humboldt-Universität) und Claudia Wedepohl (London, Warburg Institute) reisen mit Aby Warburg von Kreuzlingen nach Scharbeutz. Sie beschreiben den Austausch dreier maßgeblicher Denker ihrer Zeit über Johannes Kepler und was dieser für Warburgs Kulturtheorie bedeutete.

Kreuzlingen am Schweizer Ufer des Bodensees und Scharbeutz an der Ostsee geben diesem Buch nicht nur einen geografischen, sondern auch einen kulturgeschichtlichen Ort. Der Kunst- und Kulturhistoriker Aby Warburg, Begründer einer bildwissenschaftlichen Ikonologie, führte dort wegweisende Gespräche mit zwei herausragenden Zeitgenossen: in Kreuzlingen im Jahr 1924 mit dem Philosophen Ernst Cassirer und gut vier Jahre später in Scharbeutz mit dem Physiker Albert Einstein. Warburg, soeben von langwieriger Krankheit genesen, suchte den Austausch mit Gleichgesinnten, nachdem er zurückgezogen im Sanatorium über verschiedene kulturgeschichtliche Themen nachgedacht hatte. Ihn beschäftigten vor allem der Astronom Johannes Kepler und die Frage nach dem Aufbau des Kosmos. Wie entstand das moderne Weltbild? In den Begegnungen Warburgs mit Cassirer und Einstein kommen Kunstgeschichte, Philosophie und Naturwissenschaften zusammen und erhellen sich wechselseitig, mit großem Gewinn für den Leser. Ein besonders sprechendes Zeugnis des Treffens in Scharbeutz ist eine soeben gefundene Skizze Einsteins, mit deren Hilfe er Keplers Berechnungen für Warburg erläuterte.
Auszug aus dem Manuskript
Schon beim Erwerb der Liegenschaft (1909) wollte Warburg auf dem schmalen Grundstück neben seinem Wohnhaus in der Heilwigstraße (116) ein Bibliotheksgebäude errichten. Im Sommer nach der Rückkehr aus Kreuzlingen (1925) erfolgt die Grundsteinlegung. Ein Jahr später wird der Bau fertiggestellt. Über das Gebäude, das so Platz sparend wie ein Schiff gebaut und mit allerneuesten technischen Standards ausgerüstet ist, heißt es im Bericht der hanseatischen Baubehörde:
"Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg, Hamburg, Heilwigstraße 116. Errichtet 1926 im Auftrage von Professor Aby Warburg, Hamburg. Architekt Gerhard Langmaack. Bibliothek, Lese- und Vortragssaal, in den vier Stockwerken Büchermagazine, außerdem eine Reihe von Verwaltungs- und Einzelarbeitszimmern, umfangreicher technischer Apparat zur Abwicklung des organisatorischen Teiles, Personenaufzug, zwei Bücheraufzüge, wovon einer mittels Laufband Saal und Magazine verbindet. Rohrpostanlage, Haustelephonanlage, Feuerlöschanlage, Vakuumanlage, Verdunkelungsanlage für den Saal, Lüftungsanlage, großes Epidiaskop für Vergleichsbilder, Tresor usw. Das Haus steht auf etwa 80 Eisenbetonpfählen, in Eisenbeton fundiert, aus Kalksandstein errichtet. Außenflächen: Klinkerverblendung. Dach: graue holländische Pfannen. Baukosten einschließlich technische Einrichtungen: 396.000 Reichsmark".
Drei Lettern ragen aus der Klinkerfassade zur Straße heraus: "KBW". Sie stehen für "Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg". Das große B prangt über der Haustür. Im Eingangsbereich ist ein Türsturz aus Stein mit der griechischen Inschrift "MNEMOSYNE" eingelassen. Die Tür ins Haus ist der Göttin der Erinnerung, der Mutter der neun Musen, geweiht. Die Inschrift zeigt an, dass Besucher ein Feld der Verinnerlichung und energetischen Orientierung betreten. Nach Durchschreiten der Tür stehen sie in der Eingangshalle und befinden sich einem Hörsaal gegenüber. Über dessen Tür hängt die Fotografie eines Freskos. Es zeigt einen Mann, der die Stricke zerreißt, die ihn fesseln. Der ovale Lese- und Vortragssaal bildet das Zentrum des Hauses. In ihm ist das Symbol der Planetenbewegung, die Ellipse Raum geworden. Warburg erklärt die Funktion der Symbole für die Bibliothek:
"Das Staunen vor dem Wunder der Denkraumschöpfung hat das Thema der Forschungen, denen die Bibliothek dienen soll, über die Phänomenologie der Wiederbelebung des Altertums zur Frage nach der Funktion des Symbols im kulturgeschichtlichen Rhythmus erweitert. Darf man nicht das, was wir Symbol nennen, als Funktion des sozialen Gedächtnisses begreifen, weil hier das hemmende oder treibende - umschaltende - Organ entsteht, das zwischen triebhaft-leidenschaftlicher Kinesis und ordnender kosmologischer Theorie das Bewusstsein und den Willen zu ausgleichender Besonnenheit als höchste Kulturmacht schafft?"
Biografisches Material zu Aby Warburg
Ron Chernow
Die Warburgs.
Odyssee einer Familie.
Berlin 1994.

Dorothea McEwan
Fritz Saxl
Eine Biographie.
Aby Warburgs Bibliothekar und erster Direktor des Londoner Warburg-Institutes.
Wien / Köln / Weimar 2012.
Fritz Saxl studierte Kunstgeschichte an der Universität Wien, habilitierte sich in Hamburg und ein zweites Mal in London. Im Zuge seiner Anstellung bei dem Kunsthistoriker und Kulturtheoretiker Aby Warburg spezialisierte er sich auf den Gebieten der Kunst Rembrandts und seiner Zeit, mittelalterlicher Astrologiegeschichte und spätantiker Religions- und Kunstgeschichte. Gezwungen durch die politischen Umwälzungen in Europa ging er nach London, wo er 1934 das Warburg Institute gründete.
Fritz Saxl zeichnet sich durch seine wissenschaftlichen ebenso wie durch seine organisatorischen Leistungen aus. Sein Oeuvre umfasst die wissenschaftliche Behandlung von Mithrasdarstellungen bis zu illuminierten mittelalterlichen Handschriften über Magie, Astrologie, Heilkraft und Heilkunde, aber auch organisatorische Bemühungen um Warburgs Bibliothek und die Vortrags- und Schriftenreihen in Hamburg und schließlich die Gründung des Londoner Institutes, das bis heute entscheidende Impulse zur geistesgeschichtlichen Forschung setzt.

Carl Georg Heise
Persönliche Erinnerungen an Aby Warburg.
Hamburg 1959.

Ernst H. Gombrich
Aby Warburg.
Eine intellektuelle Biographie.
Frankfurt/M. 1981.
Der Kunsthistoriker und Kulturwissenschaftler Aby Warburg (1866-1929), "Hamburger im Herzen, Jude von Geburt, im Geiste Florentiner" (Warburg über Warburg), war einer der vielseitigsten, über disziplinäre Grenzen hinaus denkenden Intellektuellen des 20. Jahrhunderts. Kein Wunder, dass sein Werk, aber auch seine Forscher-Biografie Anlass zu immer neuen Wiederentdeckungen bieten, zuletzt im Zuge des sogenannten "iconic turn", durch die Arbeiten des französischen Theoretikers Georges Didi-Huberman und nicht zuletzt durch die Nähe der Warburgschen Bildforschung zu aktuellen künstlerischen Arbeitsformen. "Weniger die Geschichte seines Lebens, mehr eine intellektuelle Biografie" wollte Ernst H. Gombrich liefern, als er 1970 sein großes, in zahlreiche Sprachen übersetztes Warburg-Buch veröffentlichte - und damit nicht nur den ersten biografischen Versuch vorlegte, sondern weite Teile von Warburgs nachgelassenen Schriften und Entwürfen erstmals erschloss und in Auszügen dokumentierte. Gombrichs Biografie war von Anfang an umstritten - "Fehlurteile erheblichen Ausmaßes" monierte etwa Gombrichs Kollege Edgar Wind -, doch sie muss bis heute nicht nur als entscheidender Beitrag zur Warburg-Rezeption gelten, sondern auch als Modell einer Biografik, die ihren Helden nicht einem hergebrachten Erzählschema ausliefert, sondern aus dem Werk, zumal aber dem Nachlass dessen mäandernde, widersprüchliche Denkbewegungen nachzeichnet.


Karen Michels
Aby Warburg.
Im Bannkreis der Ideen.
München 2007.
Aby Warburg - das exzentrische Genie der Kulturwissenschaften
Der Kunsthistoriker Aby Warburg (1866 - 1929) ist in den letzten Jahrzehnten zur Ikone der Kulturwissenschaften geworden. Mehr denn je lassen sich diese heute von seinen Ideen leiten und inspirieren. Karen Michels anschauliches Porträt zeichnet sein von persönlichen, religiösen und politischen Spannungen geprägtes Leben nach und gibt einen Überblick über sein vielseitiges Werk.
Als ältester Sohn einer jüdischen Hamburger Bankiersfamilie trat Warburg schon mit dreizehn Jahren sein Erbe an seinen Bruder ab. Seine einzige Bedingung war, dass die Familie ihm sein Leben lang alle Bücher bezahlen würde, die er brauchte. Bereits als Student, dann als Privatgelehrter entwickelte er ein völlig neuartiges Programm für die Kulturwissenschaften. Diesem folgte auch der mit fanatischer Energie betriebene Aufbau seiner bis heute einzigartigen Forschungsbibliothek. Sie wurde in der Weimarer Republik zum Treffpunkt für Intellektuelle der verschiedensten Disziplinen und entfaltete ihre Wirkung weit über Deutschlands Grenzen hinaus. Die souverän und lebendig geschriebene Einführung lässt den fesselnden, exzentrischen Charakter Warburgs hervortreten, der in Florenz die Kunst der Renaissance und im westlichen Amerika den Schlangentanz der Indianer studierte. Neben dem Wissenschaftler Warburg tritt ferner der sensible politische Beobachter in Erscheinung. Zusammen mit den zahlreichen Abbildungen lässt der Text deutlich werden, wieso die Kulturwissenschaften bis heute in Warburgs Bannkreis stehen.


Bernd Roeck
Der junge Aby Warburg.
München 1997.
Auszug aus dem Manuskript
Wir haben in dieser Sendung von Aby Warburgs leidenschaftlichen Umgang mit Bildern und Büchern, vom Aufbau einer Bibliothek und ihrem Exil gehört. In diese Erzählung ist die Warnung eingeschlossen, dass lebendige Überlieferung uns nicht als Information und im Spektakel zufließt, wie es im digitalen Zeitalter suggeriert wird. Die Arbeit der Erinnerung kann leid- und schmerzvoll sein und Menschen nicht abgenommen werden. Die Inschrift "Mnemosyne" im Türsturz der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek weist auf diese Warnung hin. Zwei Wochen nach Aby Warburgs Tod hat Fritz Saxl im Nachruf für die "Frankfurter Zeitung" denkwürdige Worte für sie gefunden:
"Warburg, der die Kindesängste im späteren Leben so intensiv erinnert und neu erlebt hat, dem sie dämonische Gestalt gewonnen hatten, durchläuft in seiner Entwicklung die Stadien der Entwicklung der Menschheit. Warburg befreit sich aus jenen primitiv-gewaltsamen Ausdrucksformen durch die Mittel der theoretischen Einsicht. Über die Türe seiner Bibliothek hat er das Wort 'Mnemosyne' gesetzt. Er hat sein Leben darangegeben, den Akt zu erfassen, in dem die pathetischen Gewalten geformt, dargestellt und damit 'entgiftet' werden. Warburg hat die Bibliothek errichtet, um allen Gefährten in diesem Befreiungskampf des menschlichen Bewusstseins, ein treuer Freund und Helfer zu bleiben".
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