Was nährt Verbindung und Verstehen? Wodurch fühlen sich Menschen verletzt und einsam? In den 1970er-Jahren entwickelte Marshall Rosenberg sein Modell der "Gewaltfreien Kommunikation" als eine Sprache der Verbindung. Dabei geht es darum, sich aufrichtig mitzuteilen und einander wirklich zuzuhören. Beide Seiten sollen Konflikte lösen, ohne dass es Gewinner und Verlierer gibt.
Vor 30 Jahren kam dieser Ansatz in den deutschsprachigen Raum, und er verbreitet sich hier seitdem wie nirgendwo sonst auf der Welt. Heute gilt "die GFK" als einer der meistgenutzten Trainingsansätze. Mindestens eine Million Menschen in Deutschland sind mit dieser Art der verbindlichen, empathischen Kommunikation vertraut und übten, diese Sprache des Herzens zu sprechen.
Aus einer Friedenssehnsucht heraus
Am Anfang stand ein dünnes Heft: "Nonviolent Communication". Ein Mitglied einer Gruppe friedensbewegter Frauen "Religionen für den Frieden" um Isolde Teschner aus München, der späteren Nestorin der gewaltfreien Kommunikation in Deutschland, hatte in den 80er Jahren diese Broschüre von einer Reise in die USA mitgebracht.
Die Frauen wollten vor allem Kinder im Geiste des Friedens bilden und erziehen und suchten nach geeigneter Literatur zu dem Thema. Dabei stießen sie zufällig auf Marshall Rosenberg und seine Methode der Gewaltfreien Kommunikation. Sie begannen den Ansatz zu studieren und luden Marshall Rosenberg nach Deutschland ein. Dadurch wurde die gewaltfreie Kommunikation nach und nach in Deutschland bekannt und populär.
Gudrun Haas, GFK-Trainerin aus München, später Freundin und Begleiterin von Isolde Teschner: "Ich saß in seinem Seminar und dachte: 'Dieser Mensch mit diesen Ideen läuft frei rum?' Da sitzt einer und sagt glatt, dass selbst Kriminelle gute Gründe haben, wie sie sich verhalten und das war für mich komplett neu. Das hat mich so weggebeamt, weil bis dahin hatte ich überhaupt gar kein Bedürfnisbewusstsein. Bis dahin hatte mich noch nie jemand gefragt, welches Bedürfnisse ich habe, geschweige denn ich mich selber. Was mir damals geholfen hat, war mich wieder zu verbinden mit meinen alten Werten, mit den Werten, dass es doch möglich sein muss, in Frieden zu leben und das hatte ich vergessen gehabt."
Klaus-Dieter Gens, Trainer aus Strohdehne: "Wir haben ja Marshall so insgesamt noch zehn Mal nach Berlin geholt. Wir haben immer größere Veranstaltungen mit ihm gemacht. Die letzte dann in Berlin 2007 in der Urania, wo über 1000 Leute da waren und die auf der Straße das noch hörten. Und ich glaube, ihn persönlich gesehen und gespürt zu haben, das hat die Leute unheimlich motiviert, weiter zu machen. Ihre Vision von anders miteinander Umgehen, ihre Hoffnung auf anders miteinander Reden, ihre Hoffnung in Verbundenheit."
Die Haltung der gewaltfreien Kommunikation
Isolde Teschner (1936- 2017) erklärte die Wirksamkeit der gewaltfreien Kommunikation in dieser Weise: Spirituelle Grundlage ist hier die Bewusstheit, dass alle Lebewesen eins, miteinander verbunden und wechselseitig voneinander abhängig sind.
Daraus erwächst ein innerer Auftrag...
Der Auftrag, das Getrenntsein zu überwinden und Verantwortung zu übernehmen sowie zu einer Kultur des Lebens in Gemeinschaft beizutragen.
... zur Arbeit am sozialen Wandel (social change) und ...
Wir handeln im praktischen Leben in den Bereichen Erziehung, Wirtschaft, Umwelt, Politik u. a. Wir tragen unser Engagement in die Gesellschaft. Es reicht nicht aus, wenn wir die GFK nur in unserem persönlichen Bereich anwenden und zu leben versuchen.
... die Bereitschaft, sich dafür einzusetzen durch ...
Voraussetzung ist eine verbindliche Absichtserklärung sich selbst gegenüber. Andere Strukturen erfordern auch ein anderes Menschsein. Das eine ist nicht ohne das andere zu haben.
... die Methode der vier Komponenten.
Die Methode im Alltag in Verbundenheit mit sich selbst (Selbstmitteilung und Selbstempathie) und anderen (Empathie) umzusetzen gelingt durch eine Sensibilisierung für die Sprache. Die Methode wird als hilfreiches Werkzeug angewandt.
"Es gibt keine Methode, es gibt nur Achtsamkeit." (Krishnamurti)
Wenn Achtsamkeit als Prinzip verinnerlicht wurde, wird die Methode zweitrangig. Paulo Freire sagt: "Die Methode ist in Wirklichkeit die äußere Form des Bewusstseins, das sich in Handlungen ausdrückt.
Im Wesentlichen ist es die "innere Einstellung", die meine Wahrnehmung, mein Denken und Reagieren sowie mein Handeln bestimmt. Andere Begriffe für "innere Einstellung": Bewusstsein, Bewusstheit, Haltung, die von mir gepflegte Kultur.
Simran Kaur, Kommunikationstrainerin und Yoga-Lehrerin in Hamburg: "Es ist auf jeden Fall ein Weg – es wird immer so schön genannt – von Herz zu Herz zu kommunizieren. Und was damit gemeint ist, ist wegzukommen von Urteilen und Erwartungen und Vorstellungen, wie alles zu sein hat, wie der andere sich zu benehmen hat, was man selber tun muss, weg zu kommen von einem Handeln aus Pflicht und so einem Muss-Denken: 'Das gehört sich so!' Sondern hinkommen zu 'Ich möchte das tun!' In Verbindung zu sein mit dem, was dir wichtig ist und von dort aus dich zu entscheiden, was du tun willst." Simran Kaur gehört dem
GFK-Netzwerk Hamburg an.
Die gewaltfreie Kommunikation ist ein Prozess
Dieser Prozess sensibilisiert zunächst dafür, was Worte anrichten können. Worte können Fenster sein, durch die sich Menschen füreinander öffnen. Und sie können Mauern errichten, können wehtun oder trennen. Ein einfacher Satz kann dazu führen, dass Beziehungen belastet oder sogar beendet werden.
Und mit einem Satz kann man einem anderen Menschen die Hände reichen, als eine Geste: 'Ich verstehe dich. Ich sehe dich.'
Diese beiden verschiedenen Varianten von Kommunikation und Beziehungsgestaltung symbolisierte Marshall Rosenberg in seinem Seminaren häufig mit zwei Handpuppen: Wolf und Giraffe. Der Wolf symbolisierte für ihn ein gewaltvolles, aggressives Auftreten, das dafür sorgt, dass sich Menschen als getrennt wahrnehmen.
Die Giraffe steht für ein freundliches, mitfühlendes, dennoch kraftvolles und klares Verhalten, das die Verbindung spüren lässt. Auf der Bühne in seinem Workshops ahmt Marshall Rosenberg nach, wie sich eine Giraffe und wie sich ein Wolf in der Kommunikation verhalten.
Einige Quellen des Ansatzes
Marshall Rosenberg (1934- 2015) studierte und promovierte in klinischer Psychologie, wurde Therapeut. In einer Gruppe um seinen Lehrer, den Psychologen und Psychotherapeuten Carl Rogers, erforschte er, was Empathie ist und wie sie wirkt. Bereits Carl Rogers maß mit seinem Ansatz der klientenzentrierten Gesprächstherapie den Gefühlen eine wichtige Bedeutung bei. Er betonte, wie wichtig die Authentizität und Kongruenz auch des Therapeuten für die Beziehung sei und ging bereits davon aus, dass jegliches menschliche Handeln der Erfüllung von wichtigen Bedürfnissen diene. Diesen Ansatz entwickelte Marshall Rosenberg weiter.
Carl Rogers, Begründer der klientenzentrierten Gesprächstherapie: "Menschen sind wie Sonnenuntergänge, wenn ich sie einfach so sein lassen kann, wie sie sind... Wenn ich einen Sonnenuntergang betrachte, sage ich ja auch nicht 'Bitte ein bisschen weniger Orange auf der rechten Seite'... Ich werde kaum versuchen, einem Sonnenuntergang meinen Willen aufzuzwingen, sondern ich betrachte sein Werden einfach mit ehrfurchtsvollem Staunen."
Gandhi auf dem All India Congress Committee Treffen in Bombay im Juli 1946.© picture-alliance / akg-images / Archiv Peter Ruehe
Marshall Rosenberg nannte seinen Ansatz "Gewaltfreie Kommunikation" mit Reverenz für Mahatma Gandhi (1869-1948). Der indische Rechtsanwalt, Widerstandskämpfer und Revolutionär entwickelte in den frühen Jahren des 20. Jahrhundert sein Prinzip von Satyagraha, der Gewaltlosigkeit, nicht als eine Waffe der Schwachen, sondern eine Waffe der geistigen Stärke:
"Die Grundbedeutung von Gewaltfreiheit ist Festhalten an der Wahrheit, Kraft der Wahrheit. Ich habe sie auch Liebes- oder Seelenkraft genannt. Bei der Anwendung von Gewaltfreiheit entdeckte ich schon sehr früh, dass die Wahrheitssuche es nicht erlaubt, dem Gegner Gewalt anzutun. Er muss vielmehr durch Geduld und Mitgefühl von seinem Irrtum abgebracht werden. Was aber dem einen als Wahrheit erscheint, mag dem anderen als Irrtum erscheinen. Geduld aber bedeutet Selbstleiden. Von da an bedeutete die Lehre von der Gewaltfreiheit, dass man die Wahrheit verteidigt, indem man nicht dem Gegner, sondern sich selbst Leiden zufügt." (aus: M.K. Gandhi: Satyagraha. Navajivan Press, Ahmedaba 14, 1991, S. 6f.)
Marshall Rosenberg – alles andere als ein Guru
Klaus-Dieter Gens, Strohdehne/Brandenburg: "Marshall war ja immer sehr sehr bescheiden. Er hatte eine Hose und einen Pullover an und hatte nichts Extravagantes. Er kam mit seinem Koffer an und lebte aus dem Koffer und er war eigentlich ein sehr sparsamer Mensch. Er hatte damals auch kein Verdienst gehabt. Er hat Taschengeld vom Zentrum bekommen. Er brauchte aber auch so gut wie gar kein Geld, weil überall, wo er hinkam, wurde er beherbergt, gefahren und wenn er irgendwelche Wünsche hatten, haben das auch die Veranstalter für ihn bezahlt."
Liv Larsson, GFK-Trainerin aus Schweden und Autorin mehrere Bücher über gewaltfreie Kommunikation, die auch in deutscher Sprache erschienen sind: "Als eine GFK-Trainerin erschrecke ich immer ein bisschen, wenn ich sage, Marshall hat gesagt oder hat vorgeschlagen. Weil das so klingt, als ob wir etwas tun sollten, weil er es gesagt hat. Oder dass es eine gute Sache sei, nur weil er davon sprach. Das kann nach einer Verpflichtung oder Festlegung klingen, unter dem Motto 'Marshall sagte, dass du das und das tun bzw. nicht tun solltest'. Deshalb schrecke ich manchmal davor zurück, solche Sätze zu benutzen.
Auf der anderen Seite verwand er sein ganzes Leben dazu, hinzuschauen, was Menschen verbindet und was sie trennt. Ich möchte wirklich die Zeit und die Anstrengung respektieren, die er darauf verwendete, das menschliche Verhalten zu ergründen und daraus ein System zu entwickeln, das wir heute anwenden können. Und ich möchte auch gleichzeitig die Dinge, die er uns übergab, nutzen und einen Schritt weiter tragen und die Quelle achten und neue Wege finden, sein Modell in die neue Zeit zu bringen, es zu entwickeln."
Netzwerke und Übungsgruppen im deutschsprachigen Raum
Kreis mit Bedürfniskarten© Deutschlandradio / Barbara Leitner
In mehr als 15 Städten und Regionen in Deutschland bestehen heute Netzwerke. Und zwischen Kiel und Konstanz erproben sich in jeder größeren Stadt Menschen in Seminaren und Übungsgruppen in dieser Kommunikationsweise. Weltweit existieren heute Zentren in 65 Ländern und fast 500 Trainer wurden unterdessen in der Tradition von Marshall Rosenberg ausgebildet.
Die von Marshall Rosenberg gegründete, weltweit tätige Organisation heißt
CNVC: Hier finden Sie in Englisch Informationen rund um die gewaltfreie Kommunikation und Ankündigungen für Trainings weltweit.
Unterdessen erscheint auf Deutsch eine Zeitschrift zur gewaltfreie Kommunikation, die "Empathische Zeit". Jede Ausgabe hat ein anderes Hauptthema, z.B. GFK in Unternehmen, GFK und Familie, GFK und gesellschaftlicher Wandel. Die Artikel sind vielseitig und kommen aus der Gemeinschaft der Trainer*innen und Praktizierenden der gewaltfreien Kommunikation.
Gewaltfreie Kommunikation mit Kindern und in der Schule
Mit der Intention, Verbindung herzustellen, unterstützt die gewaltfreie Kommunikation Eltern, Erzieher*innen und Lehrer*innen darin, freundliche Beziehungen auf Augenhöhe mit Kindern einzugehen. Indem sich jeder gesehen und respektiert fühlt, kann mehr Freude in den Alltag einziehen und wird auch Lernen leichter.
Ein Kind schildert, was er in der Schule über GFK lernte: "Man fühlt sich in den anderen ein und sagt zu sich im Inneren stopp und sagt, ich komme gleich wieder und klärt den Streit auch, damit der andere auch weiß, er kommt wieder und nicht denkt, der haut jetzt ab. Und dann muss man auch zu sich sagen, was habe ich gemacht und nicht nur, was hat er gemacht. und dann auch mal denken, was man selber für Fehler gemacht hat und sich dafür irgendwie entschuldigen und das mit dem nicht mehr zu machen und hoffentlich gar keine Gewalt mehr einzusetzen."
Jochen Hiester, Koblenz, Trainer: "Schule hat sich sehr stark verändert und die Anforderungen an die LehrerInnen sind enorm gestiegen, was vielfach letztendlich politische Entscheidungen sind. Leider ist Inklusion in vielen Fällen erstmal ein Sparprogramm. Aber die Mittel, die man einspart, werden nicht direkt wieder in die Schüler reingesteckt und die LehrerInnen sind vielfach überfordert, mit den Anforderungen umzugehen, weil ihnen noch niemand gesagt hat, wie kann man das wirklich wuppen an der Stelle.
Es gibt einen immensen Fortbildungsbedarf, aber viel zu wenig Angebote, die auch wirklich praktikabel sind an der Stelle. Und da wäre mein Ansatz an dieser Stelle, dass LehrerInnen lernen, unter diesen veränderten Bedingungen einfühlsam mit sich selbst umzugehen. Wenn ich meine alten Ansprüche habe und unter den veränderten Bedingungen meinen alten Ansprüchen gerecht werden will, kann ich eigentlich nur scheitern. Da braucht ein Lehrer vor allem sehr viel Einfühlsamkeit für sich selbst."
Einige GFK-Trainer*innen spezialisierten sich auf die Arbeit mit Schüler*innen und Lehrer*innen. Mit ihrem Ansatz unterstützen sie das Lernen vor allem durch die Schaffung eines beziehungsförderendes Klima.
Barbara Leitner: "Ich liebe es, mit der Herzensenergie der GFK und ihrem verbindlichen und verbindenden Ansatz (Kita-) Teams in ihrer Kommunikation und Entwicklung zu begleiten und Pädagog*innen, Eltern und auch mich selbst, immer wieder an die positive Absicht vor allem von Kindern zu erinnern und diese zu entdecken – auch wenn alles (angeblich) gerade schwierig scheint."
Die "Conflict Hotline" …
… war eine monatliche Live-Fernsehsendung, in der Alltagsszenarien von Praktizierenden der gewaltfreien Kommunikation durchgespielt werden. Die Trainerin Miki Kashtan coacht und kommentiert. Neben drei Rollenspielen gibt es auch ein Interview mit Yannai (damals 12 Jahre), der in einer Familie mit einer integrierten Praxis der gewaltfreien Kommunikation aufwächst.
Die Sendung ist komplett in Englisch und leider ohne deutsche Untertitel. Die einzelnen Episoden können hier geschaut werden:
Einige Themen der Sendungen:
• Wut
• Mütter
• Liebesbeziehungen
• Arbeitsplatz
• Gesellschaftlicher Wandel
Restorive Justice - Wiederherstellende Gerechtigkeit
Diese Bezeichnung hat sich für eine Form der Wiedergutmachung auch im deutschsprachigen Raum durchgesetzt. Dabei sitzen alle direkt Beteiligten, die Streitenden oder die Geschädigten und Beschuldigten miteinander im Kreis und suchen in der Gemeinschaft gemeinsam nach einer Lösung. Dieses Methode kann auch als Alternative zum gerichtlichen Strafverfahren eingesetzt werden und dient zur friedlichen Konfliktlösung.
Annett Zupke, Trainerin in Berlin über eine Vermittlung bei einer Auseinandersetzung in einem Gemeinschaftsprojekt: "Beim ersten Treffen war schon sehr viel spürbar von dem, von der Verhärtung, ich gehe jetzt für meine Position und ich muss mich da stark machen und beim zweiten Treffen war das schon sehr aufgeweicht und gipfelte darin, dass der eine von dem einen, ich sagt jetzt mal 'Lager', völlig verblüfft sagte, ich glaube, wir haben ein Dilemma. Wenn ich das kriege, was ich möchte, bist du unzufrieden und unglücklich und wenn du das kriegst, was du möchtest, geht es mir nicht gut. Was machen wir da?
Ich fand das einen riesigen Schritt von der Eskalation, Frontenkrieg hin zu einem, was machen wir da? Und dann haben zwei der Vertreter der unterschiedlichen Strömungen am Ende einen Weg für sich gefunden, wie sie zusammen in die Tierzucht gegangen sind und das fand ich schon phänomenal. ... und in eine Kooperation, das war vorher nicht denkbar. Sie haben sich nicht einmal mehr begrüßt.
Und nach zwei Treffen, jedes Treffen hat so zwei Stunden gedauert, an einen Punkt zu kommen, dass genau die beiden, wo sich der Konflikt am deutlichsten zeigte, genau die beiden entscheiden, einen Weg zu finden und zu kooperieren und Sachen ausprobieren – das finde ich unglaublich."
"Das Zaubermittel ist ganz häufig, dass durch die Reflexion dessen, was angekommen ist, klar wird, das ist gar nicht das, was ich gesagt habe. Und statt dem, was im Alltag häufig passiert, dass wir noch ärgerlicher werden, ach, wie muss ich es denn noch anfangen, dass mein Gegenüber mich versteht, ist es hier ganz klar, da fängt man nochmal an und versucht es nochmal mit anderen Worten und es wird so lange wiedergegeben, bis die Person, die gesprochen hat, sagt, genau, das ist eigentlich das, was ich sagen wollte.
Und diese Möglichkeit hat jeder im Kreis und es kann aufeinander Bezug genommen werden und was da häufig klar wird, wie viele Missverständnisse es gibt und wie wenig man eigentlich rund um die sehr stark eingenommene Position man voneinander weiß und da entsteht einfach ein Raum des Vertrauens und der Neugier. Das habe ich immer wieder gesehen in den Kreisen, die ich begleitet habe, wo die Menschen auch mehr von sich zeigen, als sie sonst teilen würden und genau dieses mehr von sich zeigen und mitteilen trägt oft dazu bei, das eine Entspannung in diesem Gemeinschaftsraum entstehen kann."
Gewaltfreie Kommunikation und Mediation in Krisengebieten
Marshall Rosenberg gab in über 60 Ländern der Welt Workshops. Immer wieder wurde er auch in Kriegs- und Krisengebieten mit der Bitte um Vermittlung gerufen. U.a. war er im Nahen Osten, Irland, Ex-Jugoslawien und Ruanda tätig. In seinem Geiste unterstützen auch heute Trainer*innen aus Deutschland die friedliche Lösung von Konflikten in der Welt.
Seit einigen Jahren unterstützt z.B. Irmtraud Kauschat eine Friedensinitiative in Kenia bei der Ausbildung in Kommunikation und Dialogfähigkeit, so wie es einst auch Marshall Rosenberg tat. Und sie macht sehr ähnliche Erfahrungen, wie einst ihr Lehrer:
"Ich habe das gemerkt in Kenia, wo ich mit zwei Ethnien gearbeitet habe, die sich seit über 20 Jahren bekämpft haben, einander umgebracht haben, Vieh weggenommen. Und die kamen dann zu einer Mediation, einer Art Versöhnungstreffen und als die gemerkt haben, dass es für beide Gruppen darum geht, dass sei beide ausreichend Nahrungsmittel haben wollen, dass es um die Schulbildung der Kinder geht, dass es um Gesundheitsvorsorge geht und da haben sie sich anguckt: Ihr auch. Wieso bekämpfen wir uns dann? Und im Großen und im Kleinen passiert es immer wieder..."
Ursache für viele Konflikte ist der Mangel an Respekt, den sich die einzelnen ethnischen Gruppen entgegenbringen, indem sie einander als minderwertig betrachten. Mit Hilfe der gewaltfreie Kommunikation lernen sie Techniken, die das Eskalationsrisiko zwischen den Ethnien deutlich verringern. Vor allem erhalten die verschiedenen Gruppen die Möglichkeit, einander als Menschen kennen zu lernen.
Mehr Informationen
Einsatz für den sozialen Wandel in der Welt
Marshall Rosenberg: "Frieden beginnt in uns selbst. Damit meine ich nicht, dass wir uns zuerst von all unseren inneren gewaltvollen Erfahrungen befreien müssen, bevor wir nach außen auf die Welt schauen oder auf einer höheren Ebene am sozialen Wandel mitwirken können. Was ich meine ist, das wir diese Dinge gleichzeitig tun müssen."
Marshall Rosenberg wollte zunächst ein Modell in die Welt bringen, "um das verdammte System zu ändern". Er hatte viel Wut, verbarg dahinter seine Angst und war deshalb auch häufig aggressiv. Irgendwann wurde ihm bewusst: Mit solch einer Haltung kann man gegen Gewalt hervorbringende Strukturen nichts ausrichten. Vielmehr braucht es ein Verständnis auch für die anderen, ein Bewusstsein für deren Bedürfnisse und die immer bestehende Verbundenheit.
Marshall Rosenberg mühte sich um, wie er es nannte, den "Giraffentanz" mit den Repräsentanten des Systems. Er trat im Interesse der jeweiligen Sache in Verbindung mit Menschen, die beispielsweise über Geld oder Gesetze entschieden. Er nahm Kontakt mit ihnen auf Augenhöhe auf. In diesem Sinne engagieren sich Trainer*innen der gewaltfreien Kommunikation auf vielfältige Weise für den sozialen Wandel in der Welt, hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit und Frieden für alle Menschen.
Gudrun Haas gehört z.B. in München einer Projektgruppe "Münchner Sicherheitskonferenz verändern" an. Jedes Jahr im Februar diskutieren nunmehr seit fünf Jahrzehnten über 450 Entscheidungsträger aus aller Welt, geschützt von einem enormen Polizeiaufgebot, auf der Münchner Sicherheitskonferenz aktuelle und zukünftige sicherheitspolitischen Themen. Das Anliegen von Menschen wie Gudrun Haas würde diesem Forum ein vollkommen neues Gepräge geben.
"Das Sicherheitsverständnis, von dem die Leute in der Sicherheitskonferenz ausgehen, das ist vorwiegend ein Sicherheitsverständnis gegen andere oder Sicherheit vor anderen und anderem. Wir sagen, gemeinsam mit Horst Eberhard Richter, wahre Sicherheit kann nie gegen andere, sondern nur miteinander erreicht werden. Wenn man nur den Begriff Bedrohung durch Herausforderung ersetzt, dann öffnet das ganz andere Dimensionen und Ansätze und neue Ideen sind dann eher möglich. Wenn man Konflikte nicht als zerstörerisch und negativ empfindet, sondern eben Konflikte als Chancen erkennt, das ist eben das, wo wir drauf raus wollen." (Mehr Informationen zur
Projektgruppe "Münchner Sicherheitskonferenz verändern")
"Grundsätzlich gilt für mich, wenn die Moral und Kultur in einer Gesellschaft von Trennung statt Kooperation ausgeht, dann geht es nie um die Menschen, sondern um Geld und ähnliches. Und woran es fehlt, ist moralische Phantasie. Moralische Phantasie, dieser Begriff, den ich bei Harald Welzer gelesen habe und dazu braucht man einfach Fähigkeiten, wenn man seine moralische Phantasie ausbilden will und diese Fähigkeiten, die kann man mit GFK erlernen.
Die moralische Phantasie bedeutet, ich weiß, welche Konsequenzen mein Handeln hat und auch mein Nichthandeln. Für mich ist es schon auch eine Pflicht, unsere Vorteile dahingehend zu nutzen, dass wir für die anderen sorgen, denen es nicht so gut geht. Das fällt mir sofort ein, wenn es um Pflicht geht. Ich habe innerlich ganz tief diese Verpflichtung, dass ich meine Privilegien nutzen kann, dass ich relativ sicher sagen darf, was bei uns falsch läuft und wo es Ungerechtigkeiten in der Welt gibt und ich kann meine Privilegien nutzen, Solidarität zu zeigen und bei uns ist es nicht gefährlich so wie in anderen Teilen der Welt..."
Die Parabel von den zwei Wölfen:
Ein alter Indianer saß mit seinem Enkelsohn am Lagerfeuer. Es war schon dunkel geworden und das Feuer knackte, während die Flammen in den Himmel züngelten. Der Alte sagte nach einer Weile des Schweigens: "Weißt du, wie ich mich manchmal fühle? Es ist, als ob da zwei Wölfe in meinem Herzen miteinander kämpfen würden. Einer der beiden lebt in einer Welt, wo es rachsüchtig, aggressiv zugeht und will zerstören. Der andere hingegen ist in einer Welt, in der es liebevoll, sanft zugeht und nimmt Anteil am Leben anderer." Der Junge sitzt eine Weile ruhig da. "Welcher der beiden wird den Kampf um dein Herz gewinnen?" will er wissen. "Der Wolf" – der alte Indianer macht eine Pause – "den ich füttere".
Autorin der Langen Nacht: Barbara Leitner, Regie: Rita Höhne, Redaktion: Dr. Monika Künzel. Es sprachen: Marina Behnke, Ilka Teichmüller, Joachim Schönfeld. Musikauswahl: Tom Daun
Wiederholung vom 27.5.2017 auf vielfachen Hörerwunsch. Das Skript zur Sendung finden Sie hier.
Auswahl an Büchern zum tieferen Verstehen der Anregungen der gewaltfreien Kommunikation:
Marshall B. Rosenberg: Gewaltfreie Kommunikation. Eine Sprache des Lebens. Junfermann Verlag, Paderborn
Marshall B. Rosenberg: Konflikte lösen durch Gewaltfreie Kommunikation. Ein Gespräch mit Gabriele Seils. Herder Spektrum. Verlag Herder, Freiburg. – Gabriele Seils interviewt Marshall B. Rosenberg zu dem von ihm entwickelten Ansatz. Herausgekommen ist ein lesenswertes Buch, mit sehr bewegenden Dialogen.
Frank und Gundi Gaschler: Ich will verstehen, was du wirklich brauchst. Gewaltfreie Kommunikation mit Kindern. Kösel Verlag. – In diesem Buch wird der Ansatz in einer sehr schönen Sprache beschrieben und auf den Alltag einer Familie übersetzt.
Geiger/Baumgartner (Hrsg): Empathie als Schlüssel. Gewaltfreie Kommunikation in psychologischen Berufen. Beltz Verlag. – Eine Sammlung von sehr profunden Aufsätzen auch von international bekannten Trainer*innen über die Besondere Wirkung der GFK z.B. in Therapie und Schule.
Kelly Bryson: Sei nicht nett, sei echt! Handbuch für Gewaltfreie Kommunikation. Junfermann Verlag, Paderborn – Eine Einladung, sich auch in schwierigen Situationen authentisch mitzuteilen und gerade dadurch Verbindung zu bekommen.