Lange Nacht über Roald Dahl

Ein wenig Zauber reicht dir ewig

Porträt von Roald Dahl mit verschränkten Armen.
Nicht nur ein begabter Literat: Roald Dahl gehört zu den Erfindern des medizinischen Dahl-Wade-Till-Ventil. © Getty Images / Daily Express / Ronald Dumont
Von Sabine Fringes |
Mit den Kinderbüchern "Matilda" oder "Charlie und die Schokoladenfabrik" wurde der britische Schriftsteller Roald Dahl berühmt. Aber er verfasste auch frivole Erwachsenengeschichten. Sein Leben war dabei mindestens genauso spannend wie seine Bücher.
Roald Dahl hatte ein sehr abenteuerliches Leben: Im Zweiten Weltkrieg war er Fliegerheld und Spion seiner Majestät - bei der Gelegenheit lernte der den James-Bond-Erfinder Ian Fleming kennen und schrieb später das Drehbuch für den James-Bond-Film "Man lebt nur zweimal". Seine Kindheit hingegen verbrachte er in brutalen Internaten.

Die Kindheit Roald Dahls

Roald Dahl wurde als Sohn norwegischer Einwanderer am 13. September 1916 in Wales geboren. Sein Vater Harald Dahl war Inhaber eines erfolgreichen Schiffsausrüsterbüros in Cardiff. Die Familie lebte in einem viktorianischen Landhaus auf einem großen herrschaftlichen Anwesen mit Pferden und Dienstpersonal.
Die Mutter Sophie Magdalene Dahl lässt ihre Kinder herumtollen und liest ihnen norwegische Sagen von Trollen und anderen Mythenwesen vor. Eine glückliche Zeit, die jedoch nur von kurzer Dauer ist: Als Roald drei ist, stirbt seine fünf Jahre ältere Schwester Astri, nur wenige Monate später, von Trauer geschwächt, sein Vater. Dessen letztem Wunsch gemäß kommt Roald aufs Internat. Denn der Kaufmann hielt die britischen Internate für die besten Schulen der Welt.
"Der grausame Rohrstock beherrschte unser Leben. Wir wurden verprügelt, weil wir im Schlafsaal geredet hatten, nachdem das Licht aus war, weil wir in der Klasse schwatzten, weil wir faul waren, weil wir die Anfangsbuchstaben unseres Namens ins Pult schnitzten, weil wir über Mauern kletterten, weil wir nicht ordentlich angezogen waren, weil wir Papierschwalben fliegen ließen, weil wir am Abend vergaßen, unsere Hausschuhe anzuziehen, weil wir unser Turnzeug nicht ordentlich wegräumten - und vor allem dann, wenn wir einem unserer Master, sie wurden damals noch nicht Lehrer genannt, widersprochen hatten. Mit anderen Worten: Wir wurden für alles verdroschen, was kleine Jungen normalerweise tun."

Das Buch "Matilda"

Das Lesen war Dahls Rettung. Nichts war ihm später wichtiger, als mit seinen Büchern in Kindern die Liebe zum Lesen zu erwecken. Wie etwa mit "Matilda". Dahls beliebtestes Kinderbuch erschien 1989. Nach der klugen, belesenen und einfühlsamen Hauptfigur, die mithilfe telekinetischer Kräfte eine bösartige Lehrerin bezwingt, werden viele kleine Dahl-Leser später ihre eigenen Kinder benennen.

"Du hirnrissiger Idiot", schrie die Knüppelkuh. "Du verschimmelter Pilz. Du stinkender Gummifurz! Und ob das das Einmaldrei ist!! Du hast drei Mengen von Früchten, und jede Menge besteht aus sieben Stück. Drei mal sieben ist einundzwanzig. Kannst du das nicht kapieren, du modriger Moormops? Ich werde dir noch eine allerletzte Chance geben. Ich habe acht Kokosnüsse, acht Erdnüsse und acht so taube Nüsse, wie du eine bist. Wie viele Nüsse habe ich insgesamt? Also – her mit der Antwort, aber Dalli."
Der arme Wilfred war vollkommen durcheinander: "Moment, winselte er. Bitte warten Sie! Ich muss also ach Kokosnüsse und acht Erdnüsse zusammenzählen..." Er fing an, das an seinen Fingern abzuzählen.
"Du pickelige Pestbeule", schrie die Knüppelkuh mit gellender Stimme, "Du mottennzerfressener Murks! Hier wird nicht zusammengezählt! Hier wird multipliziert! Also drei mal acht! Oder vielleicht acht mal drei! Was ist der Unterschied zwischen drei mal acht oder acht mal drei? Antworte mir, du spilleriger Wurzelzwerg, aber pass bloß auf!"
Genau in diesem Augenblick sprang Nigel am anderen Ende des Klassenzimmers auf die Füße, fing an, wie verrückt auf die Tafel zu deuten, und schrie: "Die Kreide! Die Kreide! Schaut euch doch die Kreide an! Sie bewegt sich von ganz allein."
Und wahrhaftig, dort schwebte ein funkelnagelneues Stück Kreide dicht vor der grauschwarze Schreibfläche der Tafel.
"Sie schreibt was", kreischte Nigel. "Die Kreide schreibt was."
"AGATHA."
"Was zum Donnerwetter soll das", heulte die Knüppelkuh. Sie hatten einen Schreck gekriegt, weil sie sah, wie ihr eigener Vorname von einer unsichtbaren Hand an die Tafel geschrieben wurde. "Wer macht das denn? Wer schreibt denn da?"
Die Kreide fuhr fort zu schreiben:
"Agatha, dies ist Magnus, dies ist Magnus."
Alle Kinder in der Klasse hörten das Keuchen, das aus der Kehle der Knüppelkuh drang.
"Nein", schrie sie. "Das kann nicht sein! Das kann nicht Magnus sein."
"Dies ist Magnus und du solltest das lieber glauben."
Matilda saß kerzengerade an seinem Pult, den Kopf hochgereckt, den Mund zusammengekniffen, die Augen so funkelnd wie Sterne.
"Gib meiner Florentine ihr Haus. Dann scher dich davon. Wen du das nicht tust, dann komme ich und werde dich erledigen. Ich werde kommen und dich erledigen, wie du mich erledigt hast. Ich lass dich nicht aus den Augen. AGATHA!"
Die Kreide hörte auf zu schreiben. Sie schwebte noch ein paar Augenblicke in der Luft, dann fiel sie plötzlich auf den Boden, klirrte und brach in zwei Stücke.
Wilfried, der es unterdessen geschafft hatte, sich wieder auf seinen Platz in der ersten Reihe zu setzen, schrie auf: "Frau Knüppelkuh ist umgefallen! Frau Knüppelkuh liegt auf dem Boden."
Das war die sensationellste Neuigkeit überhaupt, und die ganze Klasse sprang auf, um diesen Anblick voll und ganz zu genießen. Denn da lag sie, die gewaltige Gestalt der Schulleiterin, in voller Läge rücklings auf dem Fußboden gestreckt, erledigt und kampfunfähig.
Was Matilda anbelangte, sie blieb reglos an ihrem Pult sitzen. Sie fühlte sich merkwürdig leicht. Ihr kam es vor, als hätte sie etwas berührt, was nicht ganz von dieser Welt war, der höchsten Punkt des Himmels, den fernsten Stern. Sie hatte es fast wie ein Wunder gespürt, wie sich die Kraft hinter ihren Augen sammelte. Und es war aus ihren Augenhöhlen herausgeschossen, dass sich die Schulkreide ganz von allein gehoben und angefangen hatte zu schreiben. Ihr war so, als hätte sie selber kaum etwas getan, alles war ganz einfach gewesen.
(Roald Dahl: "Matilda", aus dem Englischen von Sybil Gräfin Schönfeld, Rowohlt Taschenbuch, Reinbek bei Hamburg)

Mit dem Schreiben begann Dahl erst, nachdem er 1940 den Absturz seines Kampfflugzeugs über der libyschen Wüste überlebt hatte. "Ein Schlag auf meine Birne hat mich zum Schriftsteller gemacht", pflegte der Meister des schwarzen Humors zu sagen.
Mit seinen makabren Short Storys wurde er nicht nur in England und den USA berühmt: "Küsschen, Küsschen!" hat auch in Deutschland Millionen Leser amüsiert und in Atem gehalten. Einige seiner Kurzgeschichten wurden auch verfilmt, unter anderem von Alfred Hitchcock. In England wurde in den 80er-Jahren mit "Tales of the Unexpected" sogar eine Mysterieserie mit Verfilmungen von Dahls Kurzgeschichten ausgestrahlt.

Kampfpilot, Spion, Schokoladenforscher

Dahls größte Angst war, den Leser zu langweilen. Es scheint, als habe der Autor nicht nur seine Geschichten so geschrieben, dass der Leser bei der Stange bleibt, sondern auch sein Leben so gelebt, dass es spannend bleibt: Dahl war Kampfpilot, Spion und Schokoladenforscher, Möbelexperte, Wilderer, Spieler, Ehemann einer Hollywood-Schauspielerin und Vater von fünf Kindern.
Und er war medizinischer Erfinder: Im Dezember 1960 wird der Kinderwagen seines Sohns von einem Taxi erfasst. Theo erleidet schwere Kopfverletzungen. Mit einem Schlauch muss die nächsten drei Jahre lang überschüssige Flüssigkeit aus dem Kopf abgeführt werden. Dahl erfindet mit Hilfe eines Arztes und eines Modellflugzeugingenieurs das Dahl-Wade-Till-Ventil. Es kommt bei tausenden von Kindern auf der ganzen Welt zum Einsatz.
Dann, zu Beginn des Jahre 1965, die nächste Katastrophe: Während der Dreharbeiten zu John Fords Film "Sieben Frauen" in Los Angeles erleidet seine Frau Patricia Neal einen schweren Schlaganfall. Mühsam lernt sie wieder sprechen, lesen und schreiben - mithilfe von Dahls "Amateur-Stroke-Therapy": Gemeinsam mit Freunden und Bekannten ermöglicht er es, ihr jeden Tag sechs Stunden Sprach- und Bewegungstraining zu geben.
Seine Intensivtherapie mit Amateuren zeigte erstaunliche Erfolge: Keine drei Jahre später konnte Pat wieder arbeiten und wurde sogar für einen zweiten Oscar nominiert. 1981 wurde dieser Abschnitt ihres Lebens als "The Patricia Neal Story" mit Glenda Jackson verfilmt.
Die meiste Zeit seines Lebens verbrachte Roald Dahl in Great Missenden, einem kleinen Ort gelegen zwischen London und Oxford. Seine Geschichten pflegte Dahl, in seiner Gartenhütte zu schreiben. 1982 besuchte ihn dort ein Filmteam. Das Schreiben fiel Dahl nicht leicht. In seiner Autobiographie "Im Alleingang" erzählt er davon:
"Verglichen mit dem Leben eines Büroangestellten ist das Leben eines Schriftstellers die reinste Hölle. Der Schriftsteller muss sich ja selbst zur Arbeit zwingen. Er legt seine Arbeitszeit selbst fest. Und wenn er sich mal nicht an seinen Schreibtisch setzt, dann kümmert das auch keinen Menschen. Schreibt er obendrein noch Romane und ausgedachte Geschichten, dann lebt er ständig in Ängsten und Sorgen. Jeden Tag müssen ihm neue Einfälle kommen."

Leukämie diagnostiziert

Dahl gewinnt hohe Literaturpreise und Auszeichnungen in England, Deutschland und den USA. Ende der 80er-Jahre wird bei ihm Leukämie diagnostiziert. In seinem letzten Kinderbuch "The minpins" (deutsch: "Das Konrädchen bei den Klitzekleinen") wirkt der Flug eines Schwanes, der Konrädchen besucht, wie eine Vorahnung auf den Tod:
"Einmal flog der Schwan stundenlang, so schien es, durch die Nacht, bis sie endlich zu einer riesigen Öffnung in der Erdoberfläche kamen, einem gewaltigen, gähnenden Abgrund. Der Schwan kreiste lange über dem Kraterrand, ehe er mitten hinein nach unten stürzte. Tiefer und immer tiefer sanken sie in das schwarze Loch hinab. Dann plötzlich wurde es unter ihnen hell wie von Sonnenlicht."
Roald Dahl stirbt am 23. November 1990 in Alter von 74 Jahren an Leukämie.

Das komplette Manuskript zum Download: als PDF / als TXT-Datei.

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