Lange Nacht über Wolfram Siebecks Gourmetreisen

Am liebsten Französisch

Der Gourmet Wolfram Siebeck beim Essen an einem gedeckten Tisch
Ein gefürchteter Restaurantkritiker: der Gourmet Wolfram Siebeck © picture alliance / United Archives
Von Ulrich Gerhardt |
Für seine bissigen Verrisse wurde er geliebt und gehasst: der Restaurantkritiker Wolfram Siebeck. In den 80er-Jahren sprach er Kritiken und Reisekommentare direkt auf Kassette – als Basis für seine Texte. Einige der Aufnahmen präsentieren wir hier.
Wolfram Siebeck polarisierte: Die einen liebten seine humorvollen Kritiken, den anderen waren seine bissigen Verrisse ein Affront. Der Feinschmecker und Frankreichliebhaber, der 2016 verstorben ist, schrieb unter anderem für die "Zeit", die "Süddeutsche" und den "Stern" und war Verfasser ungezählter Kochbücher.

Kulinarische Live-Kritiken

Eine Radiosendung hatte er nicht – aber viel hätte womöglich nicht dazu gefehlt: Denn offenbar hatte Siebeck durchaus ein Faible für das gesprochene Wort: 37 Audiokassetten hat der Gourmet in den 80er-Jahren, teils noch während der Mahlzeiten mit Restaurantkritiken und für Reisebeobachtungen besprochen. Die Aufnahmen muten an wie Live-Reportagen – obwohl Siebeck sie allein für den Privatgebrauch machte, zur Vorbereitung seiner Zeitungstexte.
Ein Jahr vor seinem Tod vermachte Siebeck diese Kassetten dem Autor und Regisseur Ulrich Gerhardt. Aus dem Material entstanden schließlich, begleitet durch die Dramaturgin Stefanie Hoster, vier Audio-Collagen für das Hörspiel im Deutschlandfunk Kultur. Drei dieser Collagen sind in dieser Langen Nacht zu hören.

Vorzügliche Verrisse

Die erste Stunde präsentiert – immer ein Vergnügen bei einem guten Kritiker – einige von Siebecks unterhaltsamen Verrissen. Etwa diesen Kommentar während des Besuchs eines Berliner Fischrestaurants:
"Man kann den Horror dieser Sauce nicht einfach beschreiben, indem man auf das Mehl hinweist, auf die Haut, die sich bildet, man muss auch sagen: Wieso? Wieso so was nicht gesalzt wird, wieso so was nicht gepfeffert wird? Wieso nicht vielleicht ein bisschen Zitronensaft dran ist, wieso nicht vielleicht ein wenig mit Wein gearbeitet wurde, was man rausschmecken müsste – nichts davon: Es ist eine Pampe, die… Na! Es ist erschütternd!"

Auch in die Popkultur hat es der Feinschmecker geschafft: 1982 widmete das Satire-Duo "Foyer des Arts" ihm den Song "Wolfgang Siebeck hat recht".

Barbara Siebeck mimte das Publikum

Zu den Höhepunkten der Verrisse zählt sicher auch diese Einschätzung eines überteuerten französischen Restaurants, dessen Küche seinem Urteil zufolge sogar "die Autobahnraststätten-Qualität" noch unterbiete:
"Solche Restaurants leben davon, dass die Touristen am Nebentisch, besonders die aus Amerika, vor dem Kellner die Augen verdrehen und sagen: Das war ja superbe, das hat ja wunderbar geschmeckt. Und der Teller ist leer, sie haben es auch runtergekriegt. Es ist ihnen nicht schlecht. Sie brechen nicht zusammen und sie sagen, wenn sie nach Hause kommen: Übrigens haben wir so toll gegessen."
Wolfram Siebeck mit seiner Ehefrau Barbara am Buffet (2012)
Wolfram Siebeck mit seiner Ehefrau Barbara, die ihn bei Restaurantbesuchen begleitete. © picture alliance / Breuel-Bild
In der zweiten Stunde dieser Langen Nacht begleiten wir Wolfram Siebeck und seine Frau auf das französische Bioweingut der Familie Maugey: Die beiden sitzen mit am Tisch, als der Geburtstag des Sohnes gefeiert wird. Siebeck protokolliert mit beinahe ethnographischer Genauigkeit den Ablauf des Festtages – und stellt dabei mit liebevoller Ironie die hartnäckige Wiederkehr eines bestimmten Gesprächsthemas fest:
"Nun ist man endlich wieder beim Thema Wein: Vom Korkenzieher kommt man dann übergangslos zu den Etiketten des Hausherren, … und nun wird auch nochmal eine Viertelstunde diskutiert, welche Etiketten besser sind. Ein Thema, das man in den Wochen zuvor schon unendlich viel beschrieben hat. … Und die Patronne kommt vom Herd, setzt sich hin und schneidet erst mal in aller Ruhe acht dicke Knoblauchzehen in kleine Stücke, damit wir gleich auch was zu rülpsen haben."

Marktbesuch mit dem Lieblingskoch

Außerdem sind wir mit dabei, wenn Siebeck mit seinem Lieblingskoch in Lyon auf den Markt geht und fasziniert beschreibt, wie penibel dieser vor dem Kauf die Qualität prüft: "Da wird ausgetrunken und gerochen und geschnüffelt, wie als hätte er einen uralten Wein im Glas – so ungefähr probiert er die Austern."
Der Gastronomiekritiker und Autor Wolfram Siebeck am Hard mit einer Pfanne in der Hand
Wolfram Siebeck hatte eine Tendenz zum harschen Urteil.© picture alliance/ dpa / Britta Pedersen
Die Tendenz zum harschen Urteil scheint der Koch mit Siebeck zu teilen: "Es wird gedrückt und gepresst und angefasst. Und er greift wieder in so eine Pilzkiste rein, nimmt einen Pilz raus, hält ihn dem Besitzer vor die Nase und sagt: Scheiße!"
Selbstverständlich folgt darauf ein Besuch im Lokal des Lieblingskochs, bei dem Siebeck sogar mit in die Küche darf und überwältigt beobachtet, wie mit nur minimaler Vorbereitung innerhalb kürzester Zeit ein köstliches Mahl zubereitet wird.

Ob Siebeck selbst mal ein ungenießbares Mahl zubereitet hat, erzählte er Jörg Thadeusz 2008 im RBB.

Exotisches England

Die dritte Stunde führt uns mit Wolfram Siebeck nach England – nicht gerade bekannt für seine Gourmetküche. Siebeck findet trotzdem Gefallen an Land und Leuten – und manchmal sogar an Speisen. Obwohl, oder gerade weil ihm das Land, auf seinen Spaziergängen durch London und bei seinen Reisen über die Insel, ganz und gar fremd erscheint:
"England ist vielleicht so ähnlich exotisch für uns wie Japan. Die Menschen sehen bloß so ähnlich aus, aber alles andere hat wenig mit unserer Lebensart und auch mit unserer ganzen Zivilisation zu tun."
Ulrich Gerhardt, den Autor dieser Langen Nacht, faszinierte bei der Sichtung der Tonbänder Wolfgang Siebecks allem "die Eloquenz, die Geschliffenheit seiner Sprache". Für ihn sind die Aufnahmen "ein kleines kulturhistorisches Monument der 80er-Jahre aus der großen Welt der Kulinarik".
(ch)

Produktion dieser Langen Nacht:
Autor und Regisseur: Ulrich Gerhardt
Mit: Wolfram Siebeck, Barbara Siebeck, Ulrich Gerhardt
Ton: Peter Kainz
Redaktion: Monika Künzel
Webbearbeitung: Constantin Hühn

Über den Autor und Regisseur:
Ulrich Gerhardt, geboren 1934, arbeitet seit über 50 Jahren für das Radio. Er war Hausregisseur bei RIAS Berlin, Hörspielchef beim Sender Freies Berlin und Mitbegründer der Kunstkopfstereophonie. Er ist Mitglied der Akademie der Künste Berlin, der er im Jahr 2016 sein Archiv übergeben hat. Lebt in Berlin. Über 200 Inszenierungen und Literaturbearbeitungen, mehrfach ausgezeichnet u.a. mit dem Hörspielpreis der Akademie der Künste, "Hörspiel des Monats" und "Hörspiel des Jahres".

Mehr aus Wolfram Siebecks Nachlass:

Wolfram Siebeck: "Über den Tellerrand hinaus. Essenzen eines Jahrhundertgourmets"
Ludwig-Verlag 2018
240 Seiten, 20 Euro

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