Vielleicht doch kein Atomkraftwerk in Polen?
50.000 Unterschriften aus Deutschland gegen die Pläne für das erste Atomkraftwerk in Polen gingen 2012 bei der EU-Kommission ein. Es soll kaum 300 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt gebaut werden. Doch die polnische Regierung scheint keine Antworten auf die offenen Fragen zu haben.
Wahlkampf 2015 – Es geht vor allem um die Rente und das Kindergeld. Ein eigentlich in Polen lange heiß diskutiertes Thema taucht allerdings nicht auf: Atomenergie. Schon lange gibt es Pläne für ein polnisches Atomkraftwerk. Am Ende gewinnt die rechtskonservative Partei PiS die Wahl. Ihre Spitzenkandidatin, die heutige Ministerpräsidentin Beata Szydlo, streifte das Thema Atomkraft in ihren Wahlreden nur am Rande.
"Die Regierung erklärt heute, der Bergbau soll am wichtigsten sein - dass die Atomenergie sie nicht interessiert. Das Problem ist nur, dass die Regierung für dieses Programm schon 300 Millionen Zloty ausgegeben hat. Sie hat dafür extra eine Gesellschaft geschaffen und einen Politiker zum Chef gemacht, der ein enormes Gehalt bekommen hat."
Für Kritik an der Vorgängerregierung ist die Atomkraft also gut, aber eigene Pläne hat die Regierungspartei PiS bisher nicht vorgestellt. Stattdessen gibt es weiter nur Gerüchte, wie lange sich der Bau des ersten polnischen Kernkraftwerks verzögern wird. Ursprünglich war das Jahr 2020 angepeilt, heute ist schon von 2030 die Rede. Selbst einige Befürworter der Atomkraft verlieren langsam die Hoffnung, so der Physiker Lukasz Turski:
"Unbedingt sollten wir ein Atomkraftwerk bauen, es wird aber nicht dazu kommen. Unsere Regierungen, eine nach der anderen, sind einfach zu gleichgültig, sie nehmen die Sache nicht ernst."
Atomlobby will nicht aufgeben
Der einflussreicher PiS-Politiker Henryk Kowalczyk, heute Minister ohne Geschäftsbereich, deutete den Grund schon im vergangenen Herbst an: Polen hat keinen Plan, wie es das Atomkraftwerk sinnvoll finanzieren soll. Ein solches Kraftwerk wäre nicht rentabel, erklärte Kowalczyk.
Zumal die PiS-Regierung die Staatsfinanzen ohnehin gewaltig strapaziert. Sie hat ein neues Kindergeld eingeführt und will das Renteneintrittsalter wieder absenken. Diese Projekte sind deutlich populärer als die Entwicklung der Atomenergie, die in Polen etwas mehr als die Hälfte der Menschen befürworten. Energieminister Krzysztof Tchorzewski sagte im April:
"Wir ziehen uns nicht aus dem Atomprogramm zurück. Aber wir haben Zweifel an der Finanzierung, die bisher geplant wurde. So wird das Kraftwerk zu teuer. Wir wollen das alles genau überprüfen."
Eine felsenfeste Zusage an die Atomlobby in Polen klingt anders. Diese will dennoch noch längst nicht aufgeben. So Grzegorz Wrochna, Mitglied der Staatlichen Atom-Agentur:
"Die Experten arbeiten ruhig und kompetent weiter. Dieses Projekt braucht Ruhe, über mehre Regierungsperioden hinweg."
Zwischen- und Endlagerung der Abfälle noch kaum diskutiert
Für viele Beobachter klingt das nach einer Durchhalteparole, zumal aus der staatlichen Atomgesellschaft PGE EJ1 nur spärlich Nachrichten dringen. Anfang des Monats verkündete sie, dass einer von drei möglichen Standorten aus dem Rennen sei.
Die Befürworter der Atomenergie in Polen führen ins Feld, dass diese Energiequelle billiger sei als andere. Die Frage nach der Zwischen- und Endlagerung der Abfälle jedoch - und eine Berechnung der Kosten - ist in Polen noch kaum diskutiert worden. Ein anderes wichtiges Argument: Polen wolle nicht auf Gaskraftwerke setzen, um sich nicht noch abhängiger von Russland zu machen.
Polnische Atomgegner halten beide Argumente für falsch. Polen könne sich viel billiger unabhängig von Russland machen, meint Iwo Los von Greenpeace:
"Wir sollten unsere Energieversorgung sichern, indem wir auf erneuerbare Energiequellen setzen. Außerdem hat Polen ein riesiges Potential an Energie, die es noch einsparen kann. Die Atomenergie ist ein nicht durchdachtes politisches Projekt, das sich auf keine sinnvolle wirtschaftliche Analyse stützt."
Tatsächlich liegt an der Anteil der Energie aus erneuerbaren Quellen in Polen bei nur knapp über zehn Prozent. Wenn sich daran nichts ändert und auch die Atompläne nicht vorankommen, wird Polen seinen Strom noch viele Jahre so wie heute vor allem aus Kohle produzieren.