Angekommen in Deutschland
Eine engagierte Architektin unterstützt seit letztem November einen geflüchteten syrischen Zahntechniker beim Neustart in Berlin. Und auch Shukrullah aus Afghanistan, ein 17-jähriger Schüler, lebt seit über einem Jahr hier. Eine Langzeitbeobachtung.
Vor einigen Monaten steht Shukrullah Joya auf der Bühne in der Schulaula einer Berliner Gemeinschaftsschule. Er hält ein Mikrofon in der Hand. 100 Schüler der oberen Jahrgangsstufen haben sich versammelt.
Der 18-jährige aus Afghanistan macht ein ernstes Gesicht, er ist aufgeregt. Monatelang hat er mit anderen geflüchteten Jugendlichen an dem Dokumentarfilm "Ankommen in Deutschland" gearbeitet. Nun wird der Film nach der offiziellen Premiere zum ersten Mal in seiner Schule gezeigt.
Shukrullah erklärt in gebrochenem Deutsch, worum es geht. Flucht, Ankunft in Deutschland, Ängste und Träume.
"Es ist die Geschichte von sieben geflüchteten Jugendlichen und ich hoffe, dass es euch gefällt!"
Shukrullahs Heimat liegt in der Region Kundus. Im Film erzählt er, wie er nachts auf einen hohen schneebedeckten Berg klettern muss, wie die Schlepper die Gruppe immer wieder antreiben, wie er schließlich in Handschellen, irgendwo in Ungarn eingesperrt wird. Wieso, weiß er nicht, sechs Tage allein in einer Zelle. Sechs Tage, die sich anfühlen wie sechs lange Jahre.
Auch die Bilder von der Bootsfahrt Richtung Griechenland verfolgen ihn bis heute. Während der Dreharbeiten spricht er noch kein Deutsch, er erzählt auf Englisch.
"Es waren nur noch 200 Meter, da ging plötzlich der Motor aus. Alle fingen an zu weinen, ich dachte, oh Gott, was sollen wir nur machen!"
Später im Film begleitet die Kamera die Jugendlichen dabei, wie sie Berlin entdecken. Sie spielen Fußball, füttern Enten am Tegeler See. Ein halbes Jahr lang sind sie eine eingeschworene Gemeinschaft, machen sich gegenseitig Mut. Noch während der Dreharbeiten beginnt Shukrullah, Gitarre zu lernen.
"Wenn ich musiziere, dann vergesse ich alles um mich herum. Dann bin ich in einer anderen Welt, völlig entspannt, bis der Song zu Ende ist."
Über die Ereignisse vor seiner Flucht schweigt er bis heute. Doch die Angst vor den Taliban muss so dramatisch gewesen sein, dass die Eltern nur einen Ausweg sehen. Sie schicken den damals 15-Jährigen alleine los. Schlepper schleusen ihn über Ungarn nach Deutschland bis nach Berlin. Nach dem Film, stellen die Mitschüler Fragen.
Shukrullah gibt alles - und hat den Sprung in die Neunte geschafft
Shukrullah erzählt, dass er nun nicht mehr mit erwachsenen Männern in einem Heim wohnen muss, sondern bei einer Familie lebt, dass er in Deutschland bleiben und hier studieren möchte. Der Junge auf der Bühne spricht deutsch, zwar gebrochen, aber verständlich. Er ist stolz, dass der Film gut ankommt.
"Ganz toll, es war richtig toll und ich freue mich sehr."
Während alle die Stühle in der Aula zusammenschieben, legt ein Mitschüler Shukrullah freundschaftlich die Hand auf die Schulter.
"Ich glaube, man braucht Kraft und Selbstbewusstsein, um das zu schaffen, wie weit bist du gereist?"
"Weiß ich nicht, von Afghanistan bis Deutschland."
"Das könnte ich mir nicht vorstellen, das selber zu machen. Du weißt nicht, was passiert im nächsten Moment und du bist ganz alleine."
"Weiß ich nicht, von Afghanistan bis Deutschland."
"Das könnte ich mir nicht vorstellen, das selber zu machen. Du weißt nicht, was passiert im nächsten Moment und du bist ganz alleine."
Etwa 20 Jugendliche, die aus ihren Heimatländern fliehen mussten, drücken die Schulbank in der Willkommensklasse der Gemeinschaftsschule. Shukrullah nicht, er ist eine Ausnahme. Er gibt alles und will immer mehr als andere. Es ist sein Glück, dass er Menschen trifft, die sich für ihn einsetzen. So konnte er im vergangenen Jahr in der achten Klasse einsteigen. Inzwischen hat er den Sprung in die neunte geschafft.
Seine Klassenlehrerin Karoline Paschke erlebt ihn als aufgeschlossene Persönlichkeit.
"Für mich ist es ein großes Geschenk, dass er da ist. Es ist natürlich auch herausfordernd. Ich muss gucken, wie grenze ich mich ab, was kann ich für ihn tun, was ist meine Aufgabe. Also, er ist hier an der Schule. Wir wollen schauen, dass er sich wohl fühlt und ihn zum Schulabschluss begleiten."
Der Dokumentarfilm öffnet dem Jungen aus Afghanistan viele Türen. Ehrenamtlichem Engagement verdankt er den Platz in seiner Klasse, die Hilfe einer pensionierten Deutschlehrerin, das Zimmer bei einer aufgeschlossenen Familie, die sich kümmert.
Marc Wrasse und seine Frau leben in einer großen Altbauwohnung im Prenzlauer Berg. Beide sind beruflich viel unterwegs. Beide sind engagiert, haben ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte anderer. Marc Wrasse sitzt im großen Wohnzimmer auf dem Sofa.
"Sowohl das Zusammenleben mit Shukrullah, als auch die Entscheidung, überhaupt jemanden in unsere Wohnung aufzunehmen, hat sehr persönliche Gründe. Ja, das passt und wenn wir nicht das Gefühl hätten, dass es passen würde, dann würden wir das auch ändern."
Bekommt er eine längerfristige Aufenthaltsgenehmigung?
Seit der eigene Sohn ausgezogen ist, ist das ein oder andere Zimmer immer mal wieder vergeben. Freunde, Studenten, Austauschschüler, wenn es passt, sind die Türen offen. "Wir sind aber keine WG", betont Marc Wrasse, den Shukrullah beim Vornamen nennt. Gemeinsam kochen und Abendessen, hin und wieder ein Ausflug, ein Museumsbesuch, ein Gespräch, all das gehört zum Familienleben.
Marc Wrasse ist nachdenklich. Das neue Zuhause, meint er, sei nur ein Mosaiksteinchen in Shukrullahs neuem Leben.
"Also im Moment ist dieser Schock, dieser Bruch schon sehr präsent von einer Gesellschaft in eine ganz andere wechseln zu müssen. Familie zu vermissen, die Selbstverständlichkeit des täglichen Umgangs zu vermissen mit sehr viel gutem Willen, sich zu integrieren. Aber es ist noch nicht absehbar, ob er die Matrix dieser Gesellschaft so intuitiv versteht, dass er für sich ein Plätzchen finden kann."
Schafft der Junge aus Afghanistan den Anschluss in der Schule? Bekommt er eine längerfristige Aufenthaltsgenehmigung? Noch hat er lediglich eine "Aufenthaltsgestattung". Shukrullah wartet täglich auf die Einladung zum Vorstellungsgespräch beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Eine Ablehnung seines Asylverfahrens würde alle seine Bemühungen auf einen Schlag zunichtemachen.
Einfach mal die Tür zumachen können
Um seinen Aufenthaltsstatus muss sich der Syrer Abdulmonem Al Shami erstmal keine Gedanken machen. Er hat ganz andere Sorgen. Auch ihn habe ich mehrere Monate lang begleitet. Als Syrer hat er zunächst eine dreijährige Aufenthaltserlaubnis.
Der 29-Jährige stammt aus Damaskus. Im heißen Sommer des vergangenen Jahres steht er mit Hunderten anderen in der Schlange vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo). Die erbärmlichen Zustände machen deutschlandweit Schlagzeilen. Viele Flüchtlinge warten Tage, nur um registriert zu werden, wissen nicht, wo sie unterkommen sollen, campieren unter freiem Himmel. Die Behörden versagen – Hunderte Ehrenamtliche engagieren sich.
Es sind Menschen wie Veronika Brugger. Sie gibt Deutschkurse in einer Notunterkunft, dort trifft sie auf Abdulmonem Al Shami. Sie lädt ihn ein zu sich nach Hause.
"Dann kam er hier zu Besuch und sagte, er würde gerne mal alleine in einem Zimmer sein. Da wäre ich gar nicht drauf gekommen, einfach mal die Tür hinter sich zu machen, einfach mal alleine sein und so fing das eigentlich an."
Schnell ist klar, beide sind sich sympathisch, so kommt eins zum anderen. Die 54-jährige Freiberuflerin begleitet den jungen Mann aus Syrien bei Behördengängen. Sie spürt, dass es ihm nicht gut geht. Er leidet in der Notunterkunft, sorgt sich um die Eltern und die sieben Geschwister in Damaskus, fühlt sich fremd in der Großstadt Berlin. Abdulmonem träumt von den eigenen vier Wänden, einer Tür, die er hinter sich zu machen kann.
Zu viele Mitbewerber auf dem Wohnungsmarkt
Besichtigungstermin in einer Erdgeschosswohnung in Berlin-Moabit. Rundherum mehrstöckige Altbauten, ein kleiner Park, Geschäfte und U-Bahn um die Ecke. Schön wär's, meint Veronika Brugger. 50 Quadratmeter sollen 300 Euro kosten, eine Miete, die das Jobcenter übernehmen würde.
Mindestens 20 Wohnungssuchende drängen sich in den hohen hellen Räumen. Es riecht nach frischer Farbe, der Dielenboden knarzt. Abdulmonem sieht sich alles ganz genau an, die freistehende Wanne im Bad, die Spüle in der Küche, das große Fenster direkt zum Innenhof.
"Das ist schwierig zu bekommen, ja, gefällt mir, aber ich glaube, weg!"
Mindestens 15 Wohnungen hat er mit Veronika Brugger bereits besichtigt.
"Wir gucken ja nur Wohnungen an, wenn die Besitzer oder Hausverwalter vorher gesagt haben, dass Leute vom Jobcenter überhaupt in Frage kommen. Deswegen sind 15 nicht viele, weil wir Hunderte gecheckt haben, ob da was möglich ist. Eigentlich wäre das gut hier, hier das Wohnzimmer, da die Bibliothek und die Küche ist sehr groß. Aber nur träumen! Nur träumen, nee, irgendwann klappt es. Abdulmonem ist ja jetzt bei mir eingezogen, insofern ist erstmal ein bisschen Beruhigung eingetreten. 'Sie sind weiter auf der Suche?' Ja, klar, das ist eine Übergangslösung."
Seit Februar wohnt Abdulmonem al Shami bei ihr in einer großen Altbauwohnung in Berlin-Schöneberg. Der erwachsene Sohn ist längst ausgezogen, dazu die vielen Wohnungsabsagen. Veronika Brugger hat sich schließlich entschieden, dem Syrer wenigstens auf Zeit, ein Zimmer zu vermieten. Sie ahnt, dass auch diese Besichtigung kein Erfolg wird, es sind einfach zu viele Mitbewerber.
"Auch wenn es Menschen mit Migrationshintergrund waren, sie hatten feste Jobs und waren irgendwie junge Ehepaare, die schon eine Weile in Deutschland leben und fließend Deutsch sprechen, da rechne ich uns jetzt grad nicht so große Chancen aus."
Seit Monaten investiert sie viel Zeit, um den 29-Jährigen bei Behördengängen, beim Ausfüllen von Formularen und der Wohnungssuche zu unterstützen. Allein die Telefonate mit Hausverwaltungen sind jedes Mal aufwendig.
"Da bin ich jeden Tag eine Stunde mit beschäftigt und dann nochmal hinterher telefonieren oder eine Wohnung angucken. Das mache ich jetzt seit November, da verliert man dann schon ein bisschen den Sportsgeist."
Jedes Gespräch ist eine kleine Herausforderung
Tage später in ihrer Altbauwohnung in Berlin-Schöneberg. Wer zu Besuch kommt, stellt die Schuhe in die Garderobe. Alles ist aufgeräumt und ordentlich, darauf achtet die 54-Jährige penibel und auch der syrische Mitbewohner hält sich daran. Dabei prallen hier zwei verschiedene Kulturen aufeinander.
"Also ich bin ja ziemlich ordentlich, meine Freunde haben sich echt gewundert, dass ich da jemanden in meine Ordnung rein lasse, aber das klappt total gut. Abdulmonem ist auch ordentlich und manche Sachen macht er anders, dann denke ich, aha, dann machen wir das jetzt anders und manche Sachen, wenn mir was auf die Nerven geht, dann sage ich das auch. Also in meinem Kühlschrank finde ich nix mehr…"
Wer putzt was, wer kauft ein, wie sieht eine saubere Küche, wie ein sauberes Bad aus? All das klären die beiden in den ersten Februarwochen. Jedes Gespräch ist eine kleine Herausforderung. Veronika Brugger spricht und versteht ein paar Brocken arabisch.
Ihr syrischer Mitbewohner besucht seit seiner Ankunft in Deutschland Sprachkurse für Flüchtlinge. Was er versteht, was nicht, bleibt für Außenstehende ein Geheimnis. Barfuß in Jeans sitzt er auf dem Sofa und lächelt höflich. Veronika Brugger nickt ihm aufmuntert zu.
"Manchmal versteht er mich nicht und dann mache ich einen Witz zum Test und wenn er dann nicht lacht, dann weiß ich, er hat jetzt gar nicht verstanden, was ich gesagt habe."
"Ich finde schwierig, Veronika zu verstehen. Immer Veronika isst halbe Worte..."
"Ich bin eher eine Schnellsprecherin und Abou muss immer sagen: langsam! Unsere Gespräche dauern einfach lange."
"Ich finde schwierig, Veronika zu verstehen. Immer Veronika isst halbe Worte..."
"Ich bin eher eine Schnellsprecherin und Abou muss immer sagen: langsam! Unsere Gespräche dauern einfach lange."
Jeden Tag notieren beide neue Vokabeln auf Zetteln, suchen nach der Bedeutung in der jeweils anderen Sprache. Veronika Brugger fällt noch etwas ein. Das kurze Gespräch zwischen Tür und Angel sei aus ihrem Alltag verschwunden. Sie erlebt die neu gewonnene Entschleunigung wie ein Geschenk.
"Man kann einfach da sitzen bleiben, das kann auch länger dauern, das ist gar nicht schlimm. Auch wie Abou mit der Zeit umgeht, das ist irgendwie anders als bei uns. Also wenn wir uns verabreden, dann ist er pünktlich. Aber bei anderen Sachen, da mach ich so Zack, Zack, Zack, da macht er so, jetzt ein bisschen und später ein bisschen, das ist manchmal ganz schön."
Die syrischen Eltern hören nur von den guten Erlebnissen
Der gelernte Zahntechniker aus Damaskus ist gläubiger Moslem. Die vorgeschriebenen Gebete, der Besuch in der Moschee in einem Wohnhaus gleich um die Ecke strukturieren seinen Alltag. Außerdem sitzt der 29-Jährige mindestens vier Stunden täglich in einer Sprachschule am Berliner Nollendorfplatz. Mit Hin- und Rückweg per U-Bahn ist er den halben Tag unterwegs.
Zurück in seinem Zimmer paukt er Vokabeln. Telefonate mit der Familie, den Eltern, den sieben Geschwistern sind eine Ausnahme. Zu teuer und meistens kein Internet in Damaskus, meint er. Dass er als arabischer Mann einfach so bei einer alleinstehenden erwachsenen Frau wohnt, könnte er seinen Eltern am Telefon niemals erklären. Wenn er mit ihnen spricht, dann redet er nur über das, was sie verstehen, über gute Erlebnisse. Seinen Tag beschreibt er so:
"Ich mag früh aufstehen, ich lerne früh und danach gehe ich zur Hartnackschule. Um 13 Uhr komme ich zurück nach Hause und danach essen wir zusammen und sprechen über meinen Tag in der Hartnackschule. Natürlich spülen, Küche!"
"Wir haben so eine Regelung, der eine kocht, der andere spült und weil ich meistens koche, muss Abdoul meistens abspülen."
"Wir haben so eine Regelung, der eine kocht, der andere spült und weil ich meistens koche, muss Abdoul meistens abspülen."
Die Sorge um die Familie überschattet seinen Alltag, mal mehr, mal weniger. Politik ist in der Schöneberger Altbauwohnung durchaus ein Thema. Doch seit Veronika Brugger ihre Wohnung geöffnet hat, sind "Tagesschau" und "Heute Journal" tabu. Zu belastend, was aus Syrien berichtet wird.
"Wenn man jemanden kennt, der das erlebt hat und dessen Familie da noch ist, das ist ganz schön schwer und wir reden oft darüber, was wir im Internet gelesen haben. Wir gucken aber nicht zusammen Nachrichten."
Nach den ersten Wochen unter einem gemeinsamen Dach haben sich der Mann aus Damaskus und die Berlinerin scheinbar gut arrangiert.
"Ich habe das für mich gemacht, weil ich das schön fand und das ist auch schön und lustig. Ich habe das jetzt nicht aus so einer Helfersymptomatik heraus entschieden, das hat einfach gut gepasst."
Abdulmonem al Shami hat zu Beginn des Jahres nur ein Ziel, er will noch besser Deutsch lernen und…
"Ich wünsche schneller Arbeit bekommen in Berlin."
Abdulmonem Al Shamiträumt von einer Arbeit als Zahntechniker. Der 18-jährige Shukrullah Joya aus Afghanistan träumt vom Mittleren Schulabschluss nach der zehnten Klasse. Bis dahin muss er jede Menge Schulstoff nacharbeiten. Für ihn beginnt der Unterricht im Oktober 2015 in einer achten Klasse. Er ist viel älter als die anderen, aber er muss alles neu lernen, vor allem Mathe und Deutsch. Die pensionierte Deutschlehrerin Sabine Frank hilft ihm dabei.
Regelmäßig treffen sie sich in der Wohnung von Shukrullahs Gasteltern am Prenzlauer Berg. Die fast 70-jährige Pensionärin wohnt weit weg, im Berliner Süden, sie wirkt abgehetzt. Doch der schulische Erfolg ihres Schützlings ist ihr jede Mühe wert.
"Wir haben halt gemerkt, dass wir ein sehr gutes Team sind. Der Horizont hat sich erweitert. Es ist spannend, Menschen aus anderen Kulturkreisen kennenzulernen, es ist schön zu merken, wenn man miteinander was arbeitet, das bringt was. Das macht einfach Freude, Erfolg macht sowieso Spaß, das sind die Gründe, wieso ich es gerne mache."
Intelligent, fleißig, ehrgeizig
Sie sorgt sich um die Zukunft. Shukrullah Joya, geboren in Afghanistan, hat lediglich eine Aufenthaltsgestattung. Irgendwann muss er beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorsprechen. Dann werden Menschen, die ihn nicht kennen, über seine Zukunft in Deutschland entscheiden.
Shukrullah weiß, dass seine Chance zu bleiben steigt, wenn aus ihm ein guter Schüler, vielleicht sogar ein guter Auszubildender wird. Kein Gespräch, in dem die pensionierte Lehrerin Sabine Frank , den schmächtigen Teenager nicht lobt. Sie bescheinigt dem 18-Jährigen mit den kurz geschnittenen schwarzen Haaren Intelligenz, Fleiß und Ehrgeiz.
"Manchmal mache ich auch mit meiner Lehrerin Deutsch oder Mathe durchs Telefon. Meine Lehrerin ist so weit weg von mir und wir schaffen es nicht. Sie kommt zu mir und ich gehe zu sie und wir brauchen so viel Zeit, deswegen machen wir das einfach so am Telefon."
Bis zu zwei Stunden dauern solche "Telefonkonferenzen". Dann korrigiert Sabine Frank Shukrullahs Arbeit, gibt ihm neue interaktive Lernaufgaben. Schließlich muss der Junge aus Afghanistan nicht nur den Stoff der achten Klasse nachholen, sondern auch für die nächste, die neunte Klasse vorarbeiten. Volles Programm für die beiden in den Osterferien.
Doch Shukrullah wirkt gut gelaunt wie immer, seine braunen Augen sind wach. Wenn ihm alles zu viel wird, geht er raus, trifft Freunde, spricht mit den Gasteltern, guckt Fernsehen. Nur das Heimweh, die Sehnsucht nach der eigenen Familie verschwindet nie.
"Sie sind ganz wichtig für mich und auch meine Mutter. Wenn ich denke am Tag, dann kommt einfach der Traum so, ist nicht einfach, richtig."
Ortswechsel – Hartnackschule. Fast alle Füchtlinge, die in Berlin registriert werden, müssen einen "Integrationskurs" machen. Die Neuankömmlinge sollen in acht Monaten sprachlich so fit gemacht werden, dass sie ohne Hilfe zurechtkommen. Erst in den letzten Wochen des Integrationskurses geht es um Kultur, Geschichte und Politik.
Doch soweit ist der Syrer Abdulmonem Al Shami noch lange nicht. Er will lernen, unbedingt. Den Platz am Fenster in der ersten Reihe hat er sich selbst ausgesucht. Im Raum, 20 erwachsene Männer, alle sprechen arabisch. Corinna Raschke, ausgebildete Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache, schreibt die Fälle an die Tafel.
"Wo ist die Zeitung? In der Tasche, was ist das? Dativ! Warum ist das Dativ? Genau, wo ist die Zeitung, in der Tasche. Welche Farbe hat die Tasche? Weiß, ok, dann nochmal den Satz mit dem Adjektiv. Die weiße Zeitung ist in der Tasche."
Vom syrischen Flüchtling zum Mitbewohner
Dann soll jeder sein Zimmer beschreiben. Zehn Minuten Bedenkzeit. Lehrerin Corinna Raschke spricht voller Respekt über ihre Schüler. Sie erzählt, dass einige in Notunterkünften wohnen, manche in Sporthallen mit vielen hundert anderen, nur wenige wohnen privat. Sie kommen aus der ganzen Stadt, die meisten haben eine weite Anreise.
"Sie müssen ihre Wohnsituation klären, teilweise auch die familiäre Situation. Von vielen Männern sind die Frauen in Syrien, die Kinder in Syrien, man weiß nicht, wie es da weiter geht. Dann finde ich es sehr verständlich, dass man sich nicht unbedingt jeden Tag drei Stunden lang auf die deutsche Grammatik konzentrieren kann."
Zehn Minuten sind um, Abdulmonem hebt den Arm. Der Syrer in der ersten Reihe meldet sich bei fast jeder Aufgabe. Corinna Raschke kennt den ehrgeizigen jungen Mann im türkisfarbenen Sweatshirt gut. Sie weiß, dass er am liebsten Einzelunterricht hätte, um noch schneller voranzukommen. Sie nickt ihm aufmunternd zu.
"Ich habe ein Zimmer, ist so klein, aber kein Problem. An der linken Wand neben die Tür, ach nee, falsch. An der linken Tür neben der Wand steht das Bett. Das Tisch steht neben dem Bett. Die Teppich, der Teppich liegt auf dem Boden, an der linken Wand neben der Tür steht mein Bett."
Der Unterricht endet am späten Nachmittag.
Als Abdulmonem nach Hause kommt, setzt er sich zu Veronika Brugger ins Wohnzimmer. Durch das offene Fenster dringt Vogelgezwitscher. Seit fünf Monaten wohnen der Syrer und die Berlinerin unter einem Dach. Ihre Freunde, meint die Berlinerin, würden ihr Engagement wohlwollend respektieren, aktive Unterstützung erlebt sie nicht. Sie selbst ist zufrieden.
"Also wir haben an unserem Zusammenwohnen weiter gebastelt und am Anfang, da habe ich bei Freunden gesagt, bei mir wohnt ein Flüchtling oder ein Syrer und jetzt sage ich immer nur mein Mitbewohner oder Abdulmonem. Also darüber bin ich sehr froh, dass Abdulmonem sich sehr selbstverständlich und natürlich in der Wohnung bewegt."
Hauptrolle in "Romeo und Julia"
Abdulmonem Al Shami selbst gibt sich an diesem Tag wortkarg. Er möchte unbedingt in seinem gelernten Beruf als Zahntechniker in Deutschland arbeiten. Er hängt an diesem Traum, doch nach einem Jahr in Deutschland weiß er, dass vor ihm noch ein langer Weg liegt.
"Vor der Arbeit muss ich gut Deutsch lernen."
Und Shukrullah, der Teenager aus Afghanistan? Er steht in seinem Zimmer in der Altbauwohnung seiner Gasteltern. Vor ihm liegt das Drehbuch zum Schulmusical "Romeo und Julia". Shukrullah blättert und flüstert, ganz so, als könnte er es nicht fassen. "Ich werde den Romeo spielen." Den Text hat er schon auswendig gelernt.
"Du denkst, ich habe dich beleidigt? Im Gegenteil, ich kann dich besser leiden als du es ahnst, du weißt nur nicht warum!"
Musiklehrerin Leonie Hentschel steht am Klavier, gibt Regieanweisungen. Einzelprobe für Shukrullah als Romeo und vier weitere Hauptdarstellerinnen aus seiner Klasse. Wie soll die entscheidende Liebesszene aussehen? Sollen Romeo und Julia sich direkt in die Augen sehen?
"Runter oder guckst du zu mir? Frau Hentschel, guckt sie einfach runter oder guckt sie zu mir? Probier' nochmal, ok, das ist der Schluss!"
Die Premiere wird ein Erfolg. Die besondere Geschichte des Flüchtlings aus Afghanistan scheint niemandem erwähnenswert. Nach zwei Jahren in Berlin ist Romeo, alias Shukrullah Joya, für alle nur ein ganz normaler Schüler der neunten Klasse und ein guter Schauspieler. Er ist angekommen in Deutschland.