Walter Laqueur: Putinismus. Wohin treibt Russland?
Propyläen Verlag, Berlin 2015
300 Seiten, 22 Euro
Keine Chance für Demokratie
Die Prognose des amerikanisch-deutschen Historikers Walter Laqueur zur russischen Politik ist pessmistisch: Einen demokratischen Wandel sieht er nicht. Putins Autoritarismus werde wohl noch lange vor der Bevölkerung unterstützt werden. Spannend scheint ihm einzig Unruhe, die aus den Regionen kommt.
Er will helfen, Russland zu verstehen. Und dafür bietet Walter Laqueur reichlich Material. Seine Analyse allerdings ernüchtert von Kapitel zu Kapitel mehr und mehr.
Was der Kreml und die ihm nahestehende Intelligenz zu bieten haben, um die neue russische Politik zu erläutern, hält der amerikanisch-deutsche Historiker aus Washington für wirr und widersprüchlich. Und schlicht falsch sei die Prognose des Westens gewesen, aus der kommunistischen Sowjetunion werde ein demokratisches Russland hervorgehen. Den Regierungsstil Moskaus und die Großmachtrolle nimmt er dagegen sehr ernst. Es sei zu erwarten gewesen, dass Russland wieder auf die internationale Bühne zurückkehre, um verlorenen Einfluss wieder zu erlangen. Das boomende Öl- und Gasgeschäft habe dies schließlich ermöglicht.
An Vladimir Putin findet er bemerkenswert, dass er ein Judoka ist, also kämpferisch, berechnend, auch pragmatisch. Aber dessen politische Arbeit beurteilt er recht zurückhaltend. Für ihn gibt Putin nur den Namen her, um einen Regierungsstil zu beschreiben, der so oder so entwickelt worden wäre und voraussichtlich auch vom jedem Nachfolger fortgesetzt werde.
Setzen auf Realpolitik
"Putinismus" ist ein autoritäres, nicht rechtsstaatliches System, in dem Opposition und Medien stark kontrolliert seien, das aber den Interessen einflussreicher Eliten, dem "neuen Adel" aus Geheimdiensten, Milliardären und Kirchenleuten zu dienen habe, demnach auch offen für Korruption sei. Und weil das reine Selbstbedienen nicht ausreiche, müsse es in eine neue Ideologie gekleidet werden, die sich aus konservativem, religiös-orthodoxem, ja rechtem Denken speise, einer spannungsreichen Mischung, der das Missionarische, das Antiwestliche und Antikapitalistische gemeinsam sei.
Walter Laqueur wirft Moskau vor, in der Propaganda Feinde aufzubauen, die nicht existieren, dafür in Europa und im Westen potentielle Partner zu verprellen - und vor allem nirgendwo Freunde zu finden, die russische Großmachtsucht akzeptieren wollten, auch nicht in Asien und schon gar nicht in China. Unausgesprochen setzt er auf Realpolitik, auf Fakten, denn der postsowjetischen Ideologie vermag er wenig abzugewinnen, außer dass sie gefährlich werden könnte, wo sie sich mit Europas Rechten verbündet.
Keinerlei Hoffnung
Er prüft sie an europäisch-russischer Ideengeschichte, an politischer und historischer Erfahrung und fügt eher beiläufig persönliche Kritik hinzu, die umso glaubhafter wirkt, weil man weiß, dass er aus beruflichem und familiärem Interesse seit den 40er-Jahren regelmäßig nach Russland gereist ist.
Seine Prognose ist verhalten, eher pessimistisch: Demokratie und Reformen gibt er im Schatten des Öl- und Gasgeschäftes keine Chance. Spannend scheinen ihm Impulse oder gar Unruhe, die aus den Regionen kommen könnten, gerade von dort, wo nicht orthodoxe, nicht russische Minderheiten zu Mehrheiten werden.
Er geht nicht so weit wie sein Potsdamer Kollege Mischa Gabowitsch, der vor zwei Jahren das Netzwerk von Russlands neuer Protestkultur nachzeichnete und auf viele lokale, unterschiedlich motivierte Initiativen hinwies. Heute mag der Protest verstummt sein, aber Gabowitsch kam es darauf an, auf das Potential aufmerksam zu machen, aus dem eine Bürgergesellschaft sich formieren könnte. Walter Laqueur schließt das nicht aus, aber er macht keinerlei Hoffnung. Der autoritäre "Putinismus" werde wohl noch lange von einer breiten Bevölkerungsmehrheit unterstützt werden.