Lars Distelhorst: „Kulturelle Aneignung“

Die schwierige Suche nach einer Definition

05:59 Minuten
Das Cover von Lars Distelhorsts Buch „Kulturelle Aneignung” vor Deutschlandfunk Kultur Hintergrund.
Eher Fragen anstatt konkreter Antworten: Die braucht es für Lars Distelhorsts Versuch, kulturelle Aneignung zu definieren. © Nautilus / Deutschlandradio
Von Ramona Westhof |
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Ein Kind geht als „Indianerin“ zum Fasching, in deutschen Museen wird koloniale Raubkunst ausgestellt: Der Sozialwissenschaftler Lars Distelhorst zeigt, wie kulturelle Aneignung rassistische Strukturen verfestigt, und versucht, den Begriff zu klären.
2019 bat eine Hamburger Kita in einem vorsichtig formulierten Elternbrief, auf Karnevalskostüme wie "Indianer" oder "Scheich" doch eher zu verzichten. Kein Verbot, sondern eine Empfehlung. Die Kostüme seien nicht nur potenziell beleidigend, sondern würden den Kindern auch diskriminierende Stereotype beibringen.
Der Aufschrei, vor allem in konservativen Medien und der Boulevardpresse, war erwartungsgemäß groß. Man wolle sich das Winnetou-Kostüm nicht verbieten lassen, der Elternbrief der Kita sei eine Frechheit.
Der Sozialwissenschaftler Lars Distelhorst beschreibt in seinem Buch an diesem und einigen weiteren Beispielen, wieso solche Fälle von kultureller Aneignung problematisch sind und auch, warum sich die weiße Mehrheitsgesellschaft häufig schwertut, diese Ausdrücke von strukturellem Rassismus als solche zu erkennen.

Die Suche nach einer Definition

Er wolle, so schreibt er, eine Definition für kulturelle Aneignung finden, die den gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskurs erleichtere und dadurch helfe, die zugrunde liegenden Mechanismen zu benennen und ihnen entgegenzuwirken.
Eine erste Arbeitsdefinition liefert die afroamerikanische Autorin Maisha Z. Johnson: Der Begriff kulturelle Aneignung, nehme "Bezug auf eine bestimmte Machtdynamik, in der die Mitglieder einer dominanten Kultur sich Elemente einer Kultur nehmen, deren Angehörige durch die dominante Gruppe systematisch unterdrückt wurden". Dominanz spielt also eine wichtige Rolle.

Raubkunst, "geraubte Repräsentation" und Konsum

Distelhorst arbeitet im Laufe des Buches weitere Aspekte heraus, überlegt etwa, wie man "Kultur" definieren könne, ohne dabei wiederum Stereotype zu bedienen und ohne dem rechten Narrativ des "Ethnopluralismus" zu verfallen – wonach jeder Mensch unveränderbar einer festen Kultur angehöre und eine Vermischung dringend zu verhindern sei.
Der Autor nennt verschiedene Dimensionen kultureller Aneignung. Das Ausstellen kolonialer Beutekunst in europäischen Museen gehöre genauso dazu wie das das "Rauben von Repräsentation": Wenn etwa in der Debatte um das Tragen von Kopftüchern in den Medien über muslimische Frauen gesprochen werde statt mit ihnen.

Nicht immer konkret genug

Am häufigsten gehe es bei Diskussionen um kulturelle Aneignung aber um Mode und Konsum. Und das, so Distelhorst, liege an der engen Verzahnung von Kapitalismus und Rassismus. Kultur müsse im Kapitalismus stets verwertbar und konsumierbar sein. Als "exotisch" vermarktete Symbole ließen sich gut verkaufen, die Vermarktung verwässere sie aber und mache sie für politische Zwecke unbrauchbar. Zudem kommen die erzielten Profite selten in den Ursprungscommunitys an.
Das Buch liefert einen guten Überblick über die aktuelle wissenschaftliche Debatte, regt einige wichtige Fragen an und bietet auch Lösungsansätze. Die Abschnitte, in denen der Autor dabei mit Beispielen aus Medien und Kultur arbeitet, sind für viele Leserinnen und Leser sicher deutlich aufschlussreicher als die mitunter sehr langen theoretischen Auslassungen.
Das mag der Tatsache geschuldet sein, dass der Autor – wie er schon in der Einleitung thematisiert – selbst weiß ist und dementsprechend nur anhand von Zitaten und Beispielen sprechen kann, ohne anmaßend zu sein. Und sicher spielt hier auch die Prämisse des Buchs eine Rolle: Es versucht, kulturelle Aneignung zu definieren und dafür braucht es nun mal eher gezielte Fragen statt konkreter Antworten.

Lars Distelhorst: "Kulturelle Aneignung"
Nautilus Verlag, Hamburg 2021
248 Seiten, 18 Euro

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