Lars Eidinger zum "Jedermann"

Abgesang auf unsere Gesellschaft

08:16 Minuten
Szene aus der Jedermann-Aufführung bei den Salzburger Festspielen 2021.
Der Schauspieler Lars Eidinger spielt den "Jedermann" in der Neuinszenierung bei den Salzburger Festspielen, hier an der Seite von Edith Clever als der Tod. © SF / Matthias Horn
Lars Eidinger im Gespräch mit Ute Welty  · 17.07.2021
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Die Zuschauer schauten dem reichen Mann beim Sterben zu, so interpretiert der Hauptdarsteller Lars Eidinger die Neuinszenierung des "Jedermann". Hugo von Hofmannthals Stück wird seit über 100 Jahren bei den Salzburger Festspielen aufgeführt.
Bei dem Theaterstück "Jedermann" von Hugo von Hofmannsthal geht es dem Hauptdarsteller Lars Eidinger weniger um das Spektakel als um den Abgesang auf eine Gesellschaftsform. "Das Stück ist ein Abgesang auf unsere Gesellschaft", sagt Eidinger vor der Premiere der Neuinszenierung bei den Salzburger Festspielen.

Begegnung mit dem Tod

Die Zuschauer schauten dem reichen Mann beim Sterben zu. "Ich kann es wirklich nicht begreifen, warum der Mensch nicht versteht, dass wir die Reichen sind", sagt der Schauspieler. Dabei werde in dem Stück gezeigt, wie wir alle enden würden. "Uns wird der Spiegel vorgehalten." Es gehe um Selbsterkenntnis.
Wenn er im Supermarkt stehe, wundere er sich, wie viele Zeitschriftentitel sich damit beschäftigten, dass man nicht zu dick werde. "Das ist völlig absurd, dass man in einer Gesellschaft lebt, wo das größte Problem ist, dass wir nicht zu fett werden", sagt Eidinger. Wenn man durch die Straßen gehe, seien die meisten Leute übergewichtig. Deshalb trage er auch in seiner Rolle so ein dickes Wams.
"Wir leben einfach im absoluten Überfluss und das finde ich ein wichtiges Bild der direkten Begegnung mit dem armen Nachbarn", zieht er die Parallele zum Stück.

Um Bertolt Brecht ergänzt

Er habe deshalb auch einen Text mit hinein genommen, der eigentlich aus der "Heiligen Johanna der Schlachthöfe" von Bertolt Brecht stamme. Dort schildere die Heilige Johanna das "System". Dazu Eidinger: "Das System ist ein Schaukelbrett mit zwei Händen, die voneinander abhängen und oben sind wenige, das sind wir die Reichen – und unten sind viele, und das sind die Armen."

Unser Kritiker Sven Ricklefs zeigt sich in seiner ersten Einschätzung in der Sendung "Fazit" [AUDIO] begeistert vom "Jedermann", den Michael Sturminger 2021 in Szene gesetzt hat. Lars Eidinger als Jedermann und Verena Altenberger als Buhlschaft entlockten den Stück ganz neue Nuancen. "Ziemlich großartig", so das Fazit von Ricklefs.

Lars Eidinger als Jedermann links und Verena Altenberger als Buhlschaft berühreren sich und schauen einander in die Augen. Eidinger hat längere Haare, Altenberger sehr kurze.
© imago / Manfred Siebinger
Die Reichen riefen zu den Armen: "Kommt doch rauf, damit wir alle oben sind." Da es aber eine Wippe sei, könnten diese gar nicht raufkommen. "Denn, wenn die raufkommen, dann gehen wir runter." Das sei "die elementare Erkenntnis unserer Gesellschaft", sagt Eidinger.
"Wir haben immer den Eindruck, wir könnten die Armen auf unser Niveau hieven und das funktioniert nicht." Um eine Gleichberechtigung herzustellen, müssten die Reichen absteigen. Aber dazu sei keiner bereit. "Deshalb wird sich auch nichts ändern." Corona habe seinen Blick auf diese Wippe nicht verändert, diese Sicht habe er schon immer gehabt. "Dafür brauch ich nicht Corona."
Eidinger zeigte sich erstaunt, dass dennoch mehr über das Kleid der Buhlschaft geschrieben werde oder über die kurzen Haare seiner Kollegin Verena Altenberger. Dabei seien sie Darsteller allegorische Figuren, bei denen eben "Jedermann" gemeint sei.
"Wir sind damit gemeint, wir müssen uns da in Frage stellen." Es gehe in dem Stück um die Frage, was passiere, wenn man auf sein Leben zurückblicke und mit dem Tod konfrontiert werde.

"Jedermann" in Deutschland weniger bekannt

Während seine Salzburger Kollegin Altenberger schon als Kind davon geträumt habe, die weibliche Hauptrolle der Buhlschaft zu spielen, sei das bei ihm anders gewesen: Man kenne das Stück in Deutschland anders als in Österreich wenig.
"Ich bin relativ spät auf den Jedermann erst aufmerksam geworden", sagt Eidinger. Er habe immer vermutet, dass in dem Stück etwas verborgen sei, dass einen weiterbringe.
(gem)
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