Lasha Bugadze: "Der Literaturexpress"
Aus dem Georgischen von Nino Haratischwili
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2016
314 Seiten, 24,00 Euro
Turbulente Poeten-Reise und die große Liebe
Ein 30-jähriger Literaturneuling in einem Zug voller hyperkreativer Poeten aus ganz Europa: Lasha Bugadzes Held würde aus diesem "Literaturexpress" am liebsten aussteigen, wäre da nicht die schöne Helena. Und so erfährt der Leser dann doch von den vielen Eitelkeiten der Mitreisenden. Ein Lesevergnügen mit Tiefgang!
Im Sommer des Jahres 2000 durchquerten 100 Autoren und Autorinnen aus 43 europäischen Ländern im Zug sechs Wochen lang den Kontinent. Von Süden aus folgten sie der Route des legendären Nord-Süd-Express, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts Lissabon mit Sankt Petersburg verband. Vernetzungen sollten geschaffen werden: unter den reisenden Schriftstellern und mit der lokalen Literaturszene an den 19 Stationen, die als Haltepunkte festgelegt worden waren. Im darauffolgenden Jahr erschien ein Band mit Texten aller Mitreisenden - sonst hörte man nichts mehr.
Dieses publicityträchtige, gesamteuropäische Reiseprojekt machte schon damals vor allem Grenzen erfahrbar - physische, mentale, geographische und kulturelle. Davon berichtet auch der georgische Roman-und Theaterautor Lasha Bugadze. 2009 erschien sein Buch "Der Literaturexpress", das nun in der Übersetzung von Nino Haratischwili auch auf Deutsch erscheint.
Lasha Bugadze zeigt gemeinsames Europa als Farce
Es ist eine fiktive Schilderung der Reise, gleichwohl viele Beobachtungen und Erfahrungen der - streckenweise auch grotesken - Realität entnommen sind.
Der 1977 geborene Autor hat Reiseroute und Reisezeit etwas verändert, das bekommt der Geschichte gut. Entscheidend ist dabei, dass Ich-Erzähler Zaza, ein noch nicht 30-jähriger Literaturdebütant, im Jahr 2008 den Zug besteigt, acht Jahre also nach dem tatsächlichen Termin. Mit diesem kleinen Kunstgriff vertieft Bugadze den Resonanzraum der Tour. Denn im Sommer 2008 war es zum Kaukasuskrieg gekommen, russische Truppen marschierten in Georgien ein, die russische Luftwaffe bombardierte Städte des Landes, ein gemeinsames Europa entpuppte sich deutlich als Farce.
Zaza hat die russischen Bomben überlebt. Kurz darauf trennt sich seine Freundin von ihm, dann wird er zur Teilnahme am Literaturexpress eingeladen - ohne dass der deutsche Veranstalter weiß, um wen es sich handelt:
"Ich bekam eine offiziell-freundschaftliche Email mit der Reiseplanung. Sie begann mit folgender Ansprache: Dear Mr. or Mrs. Zaza."
Schockstarre wegen der vielen Experten an Bord
Der junge Autor sagt zu, um dem Stress daheim zu entkommen. Die Aussicht, in einem mit Lyrikern und Prosaautoren vollbeladenen Zug durch zig Länder zu fahren, lässt ihn jedoch noch vor Antritt der Reise in eine Schockstarre fallen.
Die mitreisenden Georgier sind ihm auf Anhieb unsympathisch, Heinz, der Organisator, wirkt auf ihn wie ein verkniffener Roboter, die Bevormundung durch dessen Hilfspersonal wird ihm schnell lästig. In Paris regnet es, in Frankfurt schockiert ihn ein bisexueller Bibliophiler, die russischen Kollegen hasst er. Und weil alle andauernd ihre Notizbücher vollkritzeln, fällt ihm rein gar nichts ein, was er aufschreiben könnte.
Reiseziel: Helena ins Bett kriegen
Dass der junge Mann dennoch an Bord des Zuges bleibt und der Leser so erfährt, was sich an Eitelkeiten, Liebeleien, Besäufnissen, Größenwahn und Absurditäten während der Fahrt abspielt, verdankt er Helena, einer griechisch-deutschen Miteisenden, in die sich Zaza Hals über Kopf verliebt. Sein Ziel während der Reise ist nicht das Kennenlernen seiner europäischen Kollegen, sondern: Helena ins Bett zu bekommen.
Lasha Bugadze hat ein außerordentlich vergnügliches Buch geschrieben. Mit Tiefgang und dem Blick auf ein Europa, das im Literaturexpress wie eine Showveranstaltung wirkt. Jeder will dabei sein, pflegt aber nur seine (nationale) Eigenart. Der Autor beschreibt mit sanfter Ironie, dass Politik oder Poetik manchmal, die Liebe aber immer eine gute Geschichte hervorbringt.