"Lastenausgleich" statt "Enteignung"
Sechs Billionen Euro sind nötig, um die Verschuldung der europäischen Staaten auf eine erträgliche Dimension zurückzuführen – aufzubringen wäre diese Summe durch eine Abgabe in Höhe von 30 Prozent auf Geldvermögen und Immobilien.
Durch die Rettungsschirme und Stabilitätsfonds, die jetzt konstruiert werden, selbst durch Eurobonds, erhalten die europäischen Staaten ihre Handlungsfähigkeit nicht zurück. Die Streckung der Schulden ist immer noch der Illusion verhaftet, die am Anfang der ganzen Schuldenmacherei stand: der Illusion des unendlichen Wachstums. Die goldenen Jahrzehnte des Nachkriegsbooms mit hohen Zuwachsraten aber sind schon lange dahin. Seit den 70er-Jahren wurde die Wachstumskurve kontinuierlich flacher, die Arbeitslosigkeit chronisch. Die Antwort der Politik über die Jahrzehnte: Wachstumsstimulierung durch Steuersenkungen und die Kreditfinanzierung des sozialen Friedens.
Dieser Weg, so zeigt sich nun, war eine Sackgasse. Er hat die Macht der Finanzmärkte wachsen lassen und die europäischen Staaten in die Finanz-, Kredit- und Eurokrise geführt. Auch wenn Deutschland noch gut dasteht, auf Kosten der Nationen mit niedrigerer Produktivität: Auch bei uns ist kein Geld mehr da für Investitionen in Bildung, Gesundheit und Infrastruktur.
Eine Bilanzbereinigung tut not. Aber wie? Von einem partiellen Schuldenerlass für die höchstverschuldeten Länder wird nicht viel geredet. Die Gläubiger spielen nicht mehr mit, und die Gefahr ist zu groß, dass die Banken der reichen Länder in die Bredouille gerieten und vom Staat – oder der Eurostaatengemeinschaft – gerettet werden müssten, damit Lebensversicherungen nicht implodieren und der nötige Kreditfluss nicht zusammenbricht.
Nein, es gibt nur einen Ausweg aus dem Casino: Schuldentilgung. So sagen es auch die deutschen Wirtschaftsweisen, und sie schlagen einen europäische Tilgungsfonds vor, der durch Einsparungen der Staatsausgaben gefüllt werden soll. Aber desaströse Sparprogramme, die durch Euro-Kommissare verordnet und durch Gerichtsbeschlüsse erzwungen werden, würden die wirtschaftlichen und sozialen Ungleichgewichte zwischen den Champions der Eurozone und dem Rest Europas noch verschärfen. Und mit ihnen stünden Rebellionen größeren Ausmaßes bevor.
Damit steht die alte Aschermittwochsfrage im Raum: Wer soll das bezahlen? Wer hat soviel Geld? Die volkstümlichste Antwort lautet: Diejenigen, die in der Vergangenheit am meisten profitiert haben: die Reichen. Die Nettogeldvermögen der Deutschen sind in den letzten 20 Jahren um 100 Prozent gewachsen – um ziemlich genau soviel, wie die Staatsverschuldung beträgt. Zwei Drittel dieses Wohlstands gehören den reichsten zehn Prozent der Bürger. In Griechenland sieht es noch krasser aus: Dort sind 80 Prozent der Vermögen in den Händen von 2000 Familien.
Um die Verschuldung der europäischen Staaten auf eine erträgliche Dimension zurückzuführen, bedürfte es einer Summe von sechs Billionen Euro – aufzubringen wären sie durch eine europaweite, einmalige Vermögensabgabe auf Geldvermögen und Immobilien, etwa in der Höhe von 30 Prozent, nach Abzug eines Freibetrags.
Das klingt nach Enteignung, fast nach Revolution. Und in der Tat: Der Vorschlag erscheint so abwegig, dass ihn in dieser Schärfe nicht einmal die Linkspartei macht. Sondern: zwei Direktoren der Boston Consult Group, der größten Unternehmensberatungsfirma der Welt. Eine 30-prozentige einmalige Abgabe auf Vermögen, so haben sie berechnet, würde die Schulden aller Euro-Staaten zwar nicht tilgen, aber auf ein handhabbares Maß zurückschrauben, vorausgesetzt, die reichen Länder würden proportional zu ihrer Wirtschaftskraft mehr in einen europäischen Fonds zum Abbau der Schulden beitragen als die Krisenstaaten.
Die Alternative, so die scharfen Rechner von Boston Consult, wäre die Auflösung der Eurozone, die Verewigung des Schuldenchaos, wachsende wirtschaftliche Ungleichgewichte, Inflation, verarmende Staaten und soziale Unruhen. Aber, so schließen sie ihre Analyse: Wahrscheinlich wird eine solche, beherzte Politik erst möglich werden, wenn das soziale Umfeld ungefähr so aussieht wie 1930.
Einmalsteuer, Reichensteuer, Vermögensabgabe – das klingt bedrohlich und sehr links. Aber in Deutschland haben wir zum Glück eben ein altes, schönes Wort dafür: Lastenausgleich. Der kam nach der Katastrophe. Aber immerhin, wir könnten sagen: Wir haben es schon einmal gemacht. Wir machen’s noch einmal, und diesmal sogar europäisch. Vor der Katastrophe.
Mathias Greffrath, Soziologe und Journalist, Jahrgang 1945, arbeitet für die "Zeit", die "taz" und ARD-Anstalten über die kulturellen und sozialen Folgen der Globalisierung, die Zukunft der Aufklärung und über Theater. Letzte Veröffentlichungen u.a.: "Montaigne - Leben in Zwischenzeiten" und das Theaterstück "Windows - oder müssen wir uns Bill Gates als einen glücklichen Menschen vorstellen?"
Dieser Weg, so zeigt sich nun, war eine Sackgasse. Er hat die Macht der Finanzmärkte wachsen lassen und die europäischen Staaten in die Finanz-, Kredit- und Eurokrise geführt. Auch wenn Deutschland noch gut dasteht, auf Kosten der Nationen mit niedrigerer Produktivität: Auch bei uns ist kein Geld mehr da für Investitionen in Bildung, Gesundheit und Infrastruktur.
Eine Bilanzbereinigung tut not. Aber wie? Von einem partiellen Schuldenerlass für die höchstverschuldeten Länder wird nicht viel geredet. Die Gläubiger spielen nicht mehr mit, und die Gefahr ist zu groß, dass die Banken der reichen Länder in die Bredouille gerieten und vom Staat – oder der Eurostaatengemeinschaft – gerettet werden müssten, damit Lebensversicherungen nicht implodieren und der nötige Kreditfluss nicht zusammenbricht.
Nein, es gibt nur einen Ausweg aus dem Casino: Schuldentilgung. So sagen es auch die deutschen Wirtschaftsweisen, und sie schlagen einen europäische Tilgungsfonds vor, der durch Einsparungen der Staatsausgaben gefüllt werden soll. Aber desaströse Sparprogramme, die durch Euro-Kommissare verordnet und durch Gerichtsbeschlüsse erzwungen werden, würden die wirtschaftlichen und sozialen Ungleichgewichte zwischen den Champions der Eurozone und dem Rest Europas noch verschärfen. Und mit ihnen stünden Rebellionen größeren Ausmaßes bevor.
Damit steht die alte Aschermittwochsfrage im Raum: Wer soll das bezahlen? Wer hat soviel Geld? Die volkstümlichste Antwort lautet: Diejenigen, die in der Vergangenheit am meisten profitiert haben: die Reichen. Die Nettogeldvermögen der Deutschen sind in den letzten 20 Jahren um 100 Prozent gewachsen – um ziemlich genau soviel, wie die Staatsverschuldung beträgt. Zwei Drittel dieses Wohlstands gehören den reichsten zehn Prozent der Bürger. In Griechenland sieht es noch krasser aus: Dort sind 80 Prozent der Vermögen in den Händen von 2000 Familien.
Um die Verschuldung der europäischen Staaten auf eine erträgliche Dimension zurückzuführen, bedürfte es einer Summe von sechs Billionen Euro – aufzubringen wären sie durch eine europaweite, einmalige Vermögensabgabe auf Geldvermögen und Immobilien, etwa in der Höhe von 30 Prozent, nach Abzug eines Freibetrags.
Das klingt nach Enteignung, fast nach Revolution. Und in der Tat: Der Vorschlag erscheint so abwegig, dass ihn in dieser Schärfe nicht einmal die Linkspartei macht. Sondern: zwei Direktoren der Boston Consult Group, der größten Unternehmensberatungsfirma der Welt. Eine 30-prozentige einmalige Abgabe auf Vermögen, so haben sie berechnet, würde die Schulden aller Euro-Staaten zwar nicht tilgen, aber auf ein handhabbares Maß zurückschrauben, vorausgesetzt, die reichen Länder würden proportional zu ihrer Wirtschaftskraft mehr in einen europäischen Fonds zum Abbau der Schulden beitragen als die Krisenstaaten.
Die Alternative, so die scharfen Rechner von Boston Consult, wäre die Auflösung der Eurozone, die Verewigung des Schuldenchaos, wachsende wirtschaftliche Ungleichgewichte, Inflation, verarmende Staaten und soziale Unruhen. Aber, so schließen sie ihre Analyse: Wahrscheinlich wird eine solche, beherzte Politik erst möglich werden, wenn das soziale Umfeld ungefähr so aussieht wie 1930.
Einmalsteuer, Reichensteuer, Vermögensabgabe – das klingt bedrohlich und sehr links. Aber in Deutschland haben wir zum Glück eben ein altes, schönes Wort dafür: Lastenausgleich. Der kam nach der Katastrophe. Aber immerhin, wir könnten sagen: Wir haben es schon einmal gemacht. Wir machen’s noch einmal, und diesmal sogar europäisch. Vor der Katastrophe.
Mathias Greffrath, Soziologe und Journalist, Jahrgang 1945, arbeitet für die "Zeit", die "taz" und ARD-Anstalten über die kulturellen und sozialen Folgen der Globalisierung, die Zukunft der Aufklärung und über Theater. Letzte Veröffentlichungen u.a.: "Montaigne - Leben in Zwischenzeiten" und das Theaterstück "Windows - oder müssen wir uns Bill Gates als einen glücklichen Menschen vorstellen?"