Lászlo Márton: "Die Überwindlichen"
Mit Holzschnitten von Christian Thanhäuser und einem Nachwort von Thomas Macho
Edition Thanhäuser, 2018
198 Seiten, 28 Euro
Von Höhenflügen und Abstürzen
Karl Kraus, der berühmte Publizist und Satiriker, litt unter einer unglücklichen Liebe zu einer ungarischen Baronin. László Márton hat aus dieser Geschichte einen sprachlich verspielten und fein komponierten Roman gemacht: "Die Überwindlichen".
Manchmal lässt sich eine Zeitenwende anhand einer Landschaft ablesen: "Die Überwindlichen", der sprachlich verspielte, literarisch fein komponierte und historisch ungemein kenntnisreiche Roman des ungarischen Autors László Márton beginnt mit dem Betreten eines idyllischen Schlossparks und endet inmitten eines steilen, dunklen Gebirgsmassivs. Dazwischen liegen zwanzig Jahre, etliche Höhenflüge, auch Abstürze, ein Weltkrieg und der Vormarsch des Faschismus in Europa. Und ja, eine Liebesgeschichte, die am Fin-de-siècle beginnt und in neuer Sachlichkeit endet.
Alte Bekannte aus der Literaturgeschichte
Hauptfiguren sind zwei, die man aus der Literaturgeschichte kennen kann: der Publizist und Satiriker Karl Kraus. Eine Legende bereits zu Lebzeiten, "die Inkarnation des Absoluten, Kompromisslosen", so der Verleger Kurt Wolff. Kraus, Herausgeber der Zeitschrift und Streitschrift "Die Fackel", war gefürchtet und verhasst, bewundert und verehrt, weil er mit seinen Schriften und Vorträgen einen erbarmungslosen Feldzug gegen Phrasendrescherei, Missbrauch der Sprache, Falschmeldungen und für geistige Unabhängigkeit führte.
Die zweite Hauptfigur ist Sidonie Nádherný von Borutin. Márton macht in seinem Roman nun seine Leser mit dem privaten, stillen, sich in Liebe nach Sidonie Nádherný von Borutin verzehrenden Karl Kraus bekannt. Er konnte nicht mit ihr, aber auch nicht ohne sie leben – auch noch als sie schon verheiratet war.
1913 begann die mehrfach unterbrochene Liebesbeziehung zwischen dem damals knapp vierzigjährigen Wiener Kulturkritiker und der elf Jahre jüngeren böhmischen Baronin. Sie endete erst mit Karl Kraus' Tod 1936.
Das Anwesen Sidonies, Schloss Janowitz, ist der Ort, an dem Karl Kraus viel Zeit verbringt. Er schreibt dort Gedichte und "Die letzten Tage der Menschheit". Erkundet mit seiner Geliebten den Park und die umliegende Landschaft, leitet sie an, sein Auto zu steuern und sie lehrt ihn, Pferden den Penis zu waschen.
Sinnliches Dasein in der Natur
László Márton beschreibt ein sinnliches Dasein in der Natur. Man badet unter Wasserfällen und trinkt mit Sidonies Freundin Mechtilde mittags mährischen Weißwein im Freien. Irgendwann landet auch die im Bett von Karl Kraus. Doch Karl K. könnte auch ein Verwandter von Kafkas Herrn K. sein: Ein Fremder in Zeit und Kultur. Der Bruder der Baronin weigert sich, ihn zu empfangen, der Dichterkollege Rilke warnt Sidonie vor ihm und verweist auf den "letzten unaustilgbaren Unterschied": Karl Kraus ist Jude.
Geschickt, mit Fabulierlust und ausgeprägtem Gefühl für die Zeit, die er beschreibt, verflicht László Márton Reales und Mögliches. Er stellt ein Panoptikum von Menschen, Tieren, Landschaften und Orten vor. Der Text ist gespickt mit literarischen Reverenzen, historischen Exkursen, Werbesprüchen und Zitaten. Am Ende geht es nicht mehr allein um verbürgte Tatsachen, sondern um die unterschiedlichen Schichten und Ansichten des Lebens selbst.