"Dark Mirror - Lateinamerikanische Kunst seit 1968" im Kunstmuseum Wolfsburg vom 27.9.2015 - 31.1.2016
Kunst über Verbrechen und Grausamkeit
Ein Teppich aus Frauenhaaren und ein mit Rosen gefüllter Ford: Die Ausstellung "Dark Mirror" im Kunstmuseum Wolfsburg zeigt lateinamerikanische Kunst nach 1968. Die Werke erzählen von politischer Unterdrückung und sexueller Gewalt.
Das Auto steckte fest an der Grenze zu den Vereinigten Staaten. Dabei war der Ford Victoria, Baujahr 1955, für elektronische Manipulationen viel zu alt. Die mexikanische Künstlerin Betsabée Romero hat den Oldtimer mit Ayate bezogen, einem Gewebe aus Agavenfasern, sie hat den Stoff mit Blumen bemalt und das Wageninnere mit 10.000 getrockneten Rosen gefüllt. Diese Liebesgrüße aus Mexiko schickte sie an den Grenzzaun zu Nordamerika als Hinweis auf die Tragödien, die sich hier täglich abspielen. Ein Denkmal ...
"... für all die, die es eben nicht geschafft haben, über die Grenze. Und natürlich auch ein Hinweis darauf, dass viele Frauen darunter leiden, die dann eben zurück bleiben und die dann eben von den verhafteten oder getöteten Männern natürlich einfach wirklich nichts mehr haben, sondern auf sich allein gestellt sind, und es nur noch mit ihrer Religion zu tun haben."
Jetzt steht der Ford in Wolfsburg. Für Ralf Beil, den Direktor des Kunstmuseums, verkörpert er einen ersten Schritt zur Neuausrichtung des Hauses. Das Museum soll politischer, globaler und weiblicher werden. Die vitale Kunst Lateinamerikas macht es leicht, ein solches Versprechen einzulösen. Die Werke aus der Daros Latinamerica Collection bleiben dicht am Leben und damit bei Verbrechen, politischer Unterdrückung und sexueller Gewalt.
Politischer, globaler und weiblicher
Mit einer Metallstange schlägt ein Mann auf eine Puppe, erst versuchsweise und zaghaft, dann immer härter, bis er sich in einen Blutrausch prügelt. Am Ende baumelt nur noch der Kopf mit dem langen schwarzen Haar an der Decke. Teresa Serrano hat den Film mit einem Schauspieler inszeniert und den 340 Frauen gewidmet, die im mexikanischen Ciudad Juarez ermordet wurden. Im nächsten Raum hängt ihr Teppich aus langem Haar wie eine Schleppe bis zum Boden.
"Dieser Haarteppich, das ist wie aneinandergenähte, wenn man es drastisch ausdrücken will, Sculps. Die Haarpracht, die eben versammelt ist, in der Mitte finden Sie einen kleinen blonden Strang, aber die meisten sind natürlich schwarz, weil die Lateinamerikanerinnen schwarze Haare haben. Und es ist wie ein Mahnmal für die Weiblichkeit oder die zerstörte Weiblichkeit."
Die Kunst aus Lateinamerika, wie sie in Wolfsburg präsentiert wird, liebt auch in der Grausamkeit sinnliches, haptisches Material. Sie geht spielerisch mit dem traditionellen Bildinventar des Katholizismus um und formuliert ihr Aufbegehren gegen soziale Ungerechtigkeit sehr plakativ. Vor 16 Jahren hat Ruth Schmidheiny die Daros Latinamerica Collection in Ergänzung zur Sammlung ihres damaligen Ehemannes Stephan Schmidheiny begründet. Die Werke lagern in einem Depot in Zürich und gehen von dort auf Reisen.
"Für uns ist es einfach wichtig, dieser Kunst Gehör zu verschaffen. Und deshalb dieser geografische Fokus."
...sagt Katrin Steffen, die Kuratorin der Daros Latinamerica Collection.
"Es ist eine wahnsinnige Lust auch, wenn man immer schon meint, man wisse alles. Und dann kommt jemand und hat einen anderen Trick. Und leitet ein Auge woanders hin und dein Hirn auch, und das ist wunderbar und extrem lustvoll."
Lebensbedrohliche Unsicherheit des Kontinents
Allerdings scheint sich die Sammlung gerade zu verändern. Die Casa Daros, ein großes Ausstellungshaus in Rio de Janeiro, wird zum Jahresende geschlossen. Hans-Michael Herzog, künstlerischer Direktor seit Anbeginn, hört zum Ende des Monats auf. Die Kunst soll weiterhin im internationalen Zusammenhang gezeigt werden, betont die Zürcher Pressesprecherin Lisa Mayerhans und verneint Spekulationen über einen Verkauf.
Die Uhr tickt also nur in der Ausstellung. Liliana Porter hat einen Wecker aus Holz, Pappe und Schnur gebastelt, ohne Zeiger, ein anrührendes Bild für die Ungleichzeitigkeit der alten und neuen Heimat. Die Künstlerin ist 1964 nach New York ausgewandert. Die Werke aus Lateinamerika überwinden die Grenze zwischen Norden und Süden. Aber die labyrinthische Schau folgt doch ihrem roten Faden und kehrt immer wieder zu der lebensbedrohlichen Unsicherheit des Kontinents zurück. Rosemberg Sandoval etwa hat eine Landkarte mit Heftpflastern beklebt um die Wunden der Vergangenheit zu heilen.
Fernando Pareja und Leidy Chavez aus Kolumbien lassen in einer mit Stroboskoplicht beleuchtete Arena kleine Wachsfiguren zuckend auftreten und im Abgrund verschwinden.
"Und das ist eigentlich eine ganz extreme existenzielle Chiffre für das was leider Gottes immer noch passiert in ganz vielen Staaten Lateinamerikas, nämlich dass ganz viele Menschen verschwinden, daß sie verfolgt werden. Denken Sie an die Nachrichten, von den Studenten, das ist ein Beispiel, das weltweit durch die Presse geht. Politisch heißt auch existenziell in dem Sinne."
Dark Mirror – in Wolfsburg leuchtet die Kunst Lateinamerikas kraftvoll. Im dunklen Spiegel verwandelt sich die Bitterkeit der Armut in ein Auto voll mit roten Rosen.