Lateinamerikanisches Theaterfestival "¡Adelante!"

Zwischen Sozialprotest und Kulturkampf

07:18 Minuten
Podiumsdiskussion über "Sozialproteste und Kulturkämpfe" in Lateinamerika mit der bolivianischen Regisseurin Claudia Eidt, dem brasilianischen Soziologen Jessé de Souza, dem chilenischen Regisseur Marco Layera und Moderatorin Susanne Burkhardt
Podiumsdiskussion über "Sozialproteste und Kulturkämpfe" in Lateinamerika mit Claudia Eidt, Jessé de Souza, Marco Layera und Moderatorin Susanne Burkhardt. © Susanne Reichardt, Festival Adelante
Susanne Burkhardt im Gespräch mit Gabi Wuttke |
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Korruption, Armut, Gewalt beherrschen viele Länder Iberoamerikas. Das spiegelt sich in den aktuellen Theaterproduktionen, die in Heidelberg beim Festival "¡Adelante!" zu sehen waren. Bei einer Diskussion hinterfragten Theatermacher auch ihre eigene Rolle.
In vielen Ländern Lateinamerikas wird demonstriert – gegen Korruption, Ungerechtigkeit und Gewalt. Immer öfter mischt sich das Militär in politische Auseinandersetzungen ein – wie in Peru, Venezuela, Ecuador, Chile oder Bolivien. Viel Stoff also für die Theatermacher, um aus ihren Alltag künstlerisch zu berichten.

Außergewöhnliche Gastspiele des Subkontinents und aus Spanien waren nun in Heidelberg beim Festival Adelante zu sehen. Dabei standen politische Themen im Vordergrund, insbesondere aus Perspektive der Frauen: Zu sehen waren Frauen, die sich auflehnen – gegen Rollenzuschreibungen in einer machistischen Gesellschaft und gegen Gewalt durch Männer.

¡Adelante! – Zwischenbericht vom iberoamerikanischen Theaterfestival in Heidelberg von Michael Laages, Fazit vom 5.2. 2020.Audio Player

Highlight des Festivals war die Arbeit des chilenischen Regisseurs Marco Layera "Paisajes para no colorear", was so viel heißt wie "Nicht auszumalende Landschaften". Neun Mädchen zwischen neun und siebzehn Jahren gehen mit großem Selbstbewusstsein auf die Bühne und klagen ein System an, das ihnen nicht zuhört, in dem sie vergewaltigt werden, in dem sie Kinder bekommen müssen, obwohl sie vergewaltigt wurden.
Für dieses Stück - eine Hymne der Solidarität - gab es Standing Ovations in Heidelberg.

Der "gute Geschmack" als Feind der armen Bevölkerung

Eine Einordnung der künstlerischen und politischen Rolle der Theatermacher stand am Schluss des Festivals. "Sozialproteste und Kulturkämpfe – welche Gegenbewegung hat Zukunft?" - darum ging es in einer Podiumsdiskussion mit Claudia Eidt aus Bolivien, dem chilenischen Theatermacher Marco Layera und dem brasilianischen Soziologen Jesse de Souza.

De Souza ist derzeit Gastprofessor an Pariser Sorbonne. Er nahm die Angriffe des ultrarechten brasilianischen Präsidenten Bolsonaro gegen Kunst und Künstler in den Blick.

"Bolsonaro attackiert jetzt die Kunst, die Universitäten, die Wissenschaft, das Theater, das Kino. Und das Volk, das ihn gewählt hat, das arme Volk, unterstützt das", stellte er fest. Zu oft hätten die Leute, die Wissenschaft und guten Geschmack in Brasilien repräsentierten, aber auch auf die armen Menschen herabgeschaut, meinte de Souza. Auch das sei zu bedenken.

"Das zeitgenössische Theater ist ein Theater der Elite"

Regisseur Marco Layera saß mit eingegipstem Arm in der Runde. Die chilenische Polizei hatte ihm den Arm bei einer Demonstration in Santiago gebrochen. Layera dachte darüber nach, dass das Theater seines Landes kaum Breitenwirkung habe.

"In Chile – genau wie in Europa – geht nur eine Elite ins Theater. Das zeitgenössische Theater ist ein Theater der Elite", sagte er. "Die Frage für uns ist: Wie können wir die Zugänge demokratisieren, damit wir nicht nur die Privilegierten, die Künstler und die Intellektuellen erreichen?"

Die Kulturinstitutionen müssten rausgehen – dorthin, wo die Leute sind, die sich keine Theaterkarte leisten können, zu den Leuten, die sonst mit Theater nicht in Kontakt kämen, betonte Layera.
Dass die Frage nach Nutzen und Wirkung des zeitgenössischen Theaters so drängend erscheint, hängt mit der dramatischen Situation in den meisten lateinamerikanischen Ländern zusammen, meint die Moderatorin und Theaterredakteurin Susanne Burkhardt. Ein soziales, politisches Theater erscheine da einfach naheliegend und selbstverständlicher als ein "nur" ästhetisches.
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