Unruhe in New Yorks kubanischer Musikszene
Über 135.000 "Cuban Americans" leben in der Metropolregion New York. Ihre Musik hat eine lange Tradition in der Stadt, sie reicht bis in die 30er- und 40-Jahre zurück. Jetzt sorgt die mögliche Kuba-Politik des nächsten US-Präsidenten Donald Trump für Diskussionsstoff.
Ein Sonntagabend in Manhattan. Während Touristen durch Häuserschluchten zum Times Square drängen, sitzt Mario Zarate eine Querstraße vom Broadway entfernt an der Bar seines Restaurants Guantanamera und schenkt sich das zweite Glas Sekt ein. Jede Nacht treten auf der Bühne kubanische Musiker auf. Unter der Decke verwirbeln schwere Ventilatoren die stickige Luft. Die Wände sind mit karibisch-bunten Strandmotiven bemalt.
Das Guantanamera gilt als Treffpunkt der kubanischen Musikszene in New York. Der 71-jährige Zarate – senfgelbes Jackett, Nickelbrille, die weißen Haare in den Nacken gekämmt – ist wie immer vor Ort. Die Stammgäste werden vom Chef persönlich begrüßt.
"Ich kann dir verraten, wer hier alles schon im Publikum saß: Stars wie Eric Clapton, Roger Waters und Qunicy Jones! Sie kamen wegen der Musik. Weil die kubanischen Bands, die hier auftreten, einfach großartig sind. Das kannst du ja sehen!"
Über 135.000 "Cuban Americans" leben in der Metropolregion New York. Ihre Musik hat eine lange Tradition in der Stadt, sie reicht bis in die 30er- und 40-Jahre zurück.
Damals trafen die kubanischen Musiker Mario Bauzá und Chano Pozo auf den Jazztrompeter Dizzy Gillespie und entwickelten den Afro Cuban Jazz. Noch heute treten kubanische Musiker mehrmals die Woche in den großen Jazzclubs Manhattans auf.
Im Guantanamera spielt die Band an diesem Abend klassischen Son, eine ältere Form des Salsa. Die Stimmung unter den Gästen ist ausgelassen. Man bestellt Polo al coco, Hühnchen in Kokossauße, dazu kubanischen Rum mit Cola. An den Tischen wird Englisch und Spanisch gesprochen.
Wird Trump ein neues Embargo verhängen?
Zwei Themen dürften die Exilkubaner in New York derzeit am meisten beschäftigen. Zum einen die politische Annäherung ihrer seit mehr als 50 Jahren verfeindeten Heimatländer USA und Kuba unter dem scheidenden US-Präsidenten Barack Obama.
Zum anderen die Zukunft der politischen Beziehungen unter dem neuen Präsidenten Donald Trump. Zwei Tage nach dem Tod des kommunistischen Revolutionsführers Fidel Castro im November teilte Trump per Twitter mit, ein neues Embargo gegen Kuba zu verhängen, sobald er im Amt ist.
Im Guantaramera sei das aber kein großes Thema, meint Zarate.
"Kubaner sprechen nicht all zu viel über Politik. Sie haben schlechte Erfahrungen damit, sind vorsichtig. Aber sie erzählen über ihre Familien, wie es ihnen geht, wie sie über die Runden kommen. Das Leben in Kuba ist hart."
Die Musiker haben sich während der Pause um einen Tisch neben der Bühne gesetzt. Sie sind jetzt doch bereit zu reden – auch über Politik. Der 34-jährige Gitarrist Yuniel Jimenez war schon etablierter Musiker, als er Kuba 2004 verlassen hat. Er war auf Tournee durch Spanien, als er entschied, dortzubleiben. Später, im Jahr 2008, zog er weiter in die USA. Die Auflösung der US-Sanktionen gegen Kuba sieht er positiv.
"Es ist besser geworden für uns! Ich kann mit meiner Familie wieder engen Kontakt haben. Vorher war es wahnsinnig teuer, nach Kuba zu telefonieren – Gespräche haben einen Dollar pro Minute gekostet! Auch Flüge waren unglaublich teuer – 1000 Dollar pro Flug! Und nun? Telefonieren ist so günstig geworden, gestern habe ich die Flugpreise im Internet gecheckt. Eine Verbindung nach Kuba kostet 300 Dollar, inklusive Steuern. Ich dachte: Das gibt’s nicht!"
Neben den Reisebeschränkungen wurden auch Wirtschaftssanktionen auf kubanischen Rum und Zigarren gelockert. Die Menschenrechtslage in Kuba bleibt dennoch dramatisch. Laut Amnesty International sind die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungsfreiheit und Freizügigkeit noch immer stark eingeschränkt. Tausende Fälle wurden gemeldet, in denen Regierungsgegner drangsaliert, willkürlich festgenommen und inhaftiert wurden.
Der 37-jährige Percussionist Manuel Alejandro ist skeptisch, ob sich für die Menschen auf Kuba durch Obamas Vorstoß etwas ändern wird. Überhaupt glaube er nicht mehr an die Politik, sagt er. Seit er Kind ist, hat sie sein Leben bestimmt.
"Ich kam 2003 als politischer Flüchtling in die USA. Mein Vater ist Arzt. Er wurde während der Regierungszeit der linksgerichteten Sandinisten in den 80ern nach Nicaragua geschickt. Damals hat er am Telefon davon gesprochen, in die USA zu gehen. Der kubanische Geheimdienst hat das mitbekommen. Sie haben ihn nach Kuba gebracht und zwei Jahre lang eingesperrt. Nur wegen eines Telefonats!"
Seit Jahren ist die kubanische Community in New York uneins über ihr Verhältnis zur alten Heimat. Während die einen Kontakt halten, wollen andere nichts mehr von Kuba wissen. Auch in der Kunst- und Musikszene gibt es Spannungen. So wird der Geschäftsführerin des New Yorker Kulturinstituts Center for Cuban Studies von Exilanten vorgeworfen, dass sie Verbindungen zur Kulturszene in Havanna pflegt und ein Archiv mit Bildern aus der Zeit der Revolution unterhält, darunter Porträts von Che Guevara und Fidel Castro. Hinter dem Centro Cultural Cubano versammeln sich regimekritische Exilkünstler wie Paquito D’Rivera. Der 68-Jährige gilt als einer der berühmtesten kubanischen Jazzmusiker in den USA.
Viele Kubaner sind weitergezogen nach Miami
Paquito D’Rivera verwebt in seinen Stücken Jazz und Rock mit traditioneller kubanischer Musik. Bereits als Fünfjähriger bekam er Saxophonunterricht, später studierte er am Konservatorium von Havanna Klarinette und Komposition. 1973 gründete er die Band Irakere, mit der er durch die Welt tourte und auf den Jazzfestivals in Montreux und Newport Aufsehen erregte. Als erste kubanische Band gewann Irakere 1979 einen Grammy Award. Zwei Jahre später, 1981, beantragte D’Rivera während einer Spanien-Tournee Asyl in der US-Botschaft und zog nach New York. Da war er Anfang 30.
D’Rivera lebt heute in North Bergen, eine Stadt außerhalb New Yorks. Früher wohnten in seinem Viertel viele Kubaner. Die meisten von ihnen sind mittlerweile weitergezogen, nach Miami. D’Rivera aber ist geblieben.
Sein Wohnhaus, ein zweigeschossiger roter Backsteinbau mit grünem Dach, liegt idyllisch am Hudson River, mit Blick auf die Skyline von Manhattan. Das One World Trade Center ist in Nebel gehüllt. Paquitos Frau Brenda öffnet die Tür.
Von der Küche aus führt der Weg durch den Flur ins Wohnzimmer, wo Paquito D’Rivera seinen Gast empfängt. Es sieht aus wie in einem Museum: Überall stehen antike Trompeten, Posaunen und Hörner, außerdem ein Schlagzeug und ein Konzertflügel. Die Wände sind mit Fotografien prominenter New Yorker Musiker behängt. Obwohl er Kubaner ist, habe die Stadt sein gesamtes Leben geprägt, sagt D’Rivera.
"Mein Vater war klassischer Saxophonspieler. Eines Tages, ich war noch ein kleiner Junge, kam er nach Hause mit einer Schallplatte von Benny Goodman. Es war ein Live-Mitschnitt aus der Carnegie Hall von 1938. Ich habe die Musik gehört und gefragt: Was zur Hölle ist das? Er meinte, das ist Swing, aus der Carnegie Hall! Aus der Stadt New York!"
Schon während seiner ersten Jahre als Musiker habe er die Genres miteinander vermischt, sagt Paquito D’Rivera. Er glaubt, dass genau diese Experimentierfreude den Erfolg kubanischer Musiker in New York ausmacht.
"Die Salsa Orchester klingen alle gut, aber sie klingen gleich. Kubanische Musiker haben einen eigenen Sound. Manche glauben, dass Kuba der Schlüssel zum Golf von Mexiko ist. Die Seefahrer legten früher in Havanna an, bevor sie weiterreisten – und brachten fremde Einflüsse nach Kuba, die unsere Kultur bereichert haben. Das könnte eine Erklärung sein."
Auch wenn die kubanische Musik ihn berühmt gemacht hat – nach Kuba reist Paquito D’Rivera nicht mehr. Der Kontakt zur Familie ist frostig. Seine Verwandten bitten ihn regelmäßig um Geld, haben aber immer noch ein Bild von Che Guevara im Wohnzimmer hängen, erzählt D’Rivera. Er sendet ihnen keinen Cent. Jeder Dollar stützt in den Augen des Musikers das System des amtierenden Präsidenten Raul Castro. Die Politik der Annäherung von Präsident Barack Obama hält er für einen Fehler.
"Natürlich ist es das falsche Signal. Obama legitimiert durch seine Politik der Annährung die Diktatur in Havanna. Es ist richtig, dass er verhandeln will. Aber er hat keine Gegenleistung von der kommunistischen Führung für die Aufhebung von Wirtschaftssanktionen verlangt. Was für eine Art von Verhandlung, was für ein Deal soll das sein?"
"Gegen die Diktatur unternimmt niemand etwas!"
Paquito D’Rivera unterstützt die Haltung des zukünftigen Präsidenten Donald Trump, der mit einem neuen Embargo "einen besseren Deal für die Menschen auf Kuba" heraushandeln will, wie er per Twitter mitteilte. Hinter den Forderungen steht offenbar Reince Priebus, Trumps zukünftiger Stabschef im Weißen Haus. Er plädierte bereits öffentlich einen härteren Kurs gegenüber der kommunistischen Staatsführung. Ob es dazu kommt, halten politische Analysten allerdings für fraglich. Der Wirtschaftsflügel der Republikaner ist an Geschäftsbeziehungen mit Kuba äußerst interessiert. Paquito D’Rivera sieht die Verantwortung für die politische Zukunft Landes bei den Kubanern selbst.
"Wir müssen verstehen, dass wir Kubaner für die Probleme in unserem Land verantwortlich sind. Aus dem Ausland hat uns die letzten 58 Jahre niemand geholfen – und der jetzige Weg bringt lediglich mehr Tourismus, an dem in einer sozialistischen Planwirtschaft nur die Staatsführung in Havanna verdient. Gegen die Diktatur unternimmt niemand etwas! Wir sollten uns an den Venezuelern ein Beispiel nehmen, die gegen ihre Regierung auf die Straße gehen. Die Kubaner aber haben nicht die Eier dafür!"
Im südamerikanischen Venezuela gingen vergangenes Jahr Zehntausende in der Hauptstadt Caracas gegen den sozialistischen Präsidenten Nicolás Maduro auf die Straße. Wegen des niedrigen Ölpreises und jahrelanger Misswirtschaft fehlt es im krisengeschüttelten Land an Lebensmitteln und Medikamenten. Paquito D’Rivera möchte zwar einen solchen Widerstand auch in Kuba sehen. In Havanna protestieren will er aber nicht, sagt er. Schließlich will er nicht im Gefängnis landen. Den Mut, den D’Rivera von seinen Landsleuten einfordert – er hat ihn wohl selbst nicht.
Der kubanische Musiker Roberto Poveda dagegen will selbst aktiv werden. Der 50-Jährige kam 1997 über Kolumbien nach Miami, 2006 zog er nach New York. In seinen Songs kombiniert er traditionelle kubanische Musik mit Jazz und Elementen aus Hip-Hop und afrikanischen Rhythmen. Poveda lebt in Brooklyn, einem multikulturell geprägten New Yorker Stadtteil östlich von Manhattan.
Seinen Proberaum hat Poveda in Williamsburg, einem Bezirk, der von Bars, Clubs und einer lebendigen Musikszene geprägt ist.
Der Weg zum Probenraum führt durch die Galerie Ad Hoc Art in der Frost Street. Sie liegt in einer ehemaligen Garage. An weißen Wänden hängen Leinwände mit neonfarbenen Graffitis. Einer der Mitarbeiter verpackt einen Street-Art-Kunstdruck, den er gerade verkauft hat.
"Ich habe Kuba verlassen, weil ich mich dort ohnmächtig fühlte"
Roberto Poveda wartet an der Hintertür, die zu einem abgedunkelten Raum führt, vollgestellt mit Mikrofonen, Keyboards, E-Gitarren, Verstärkern und einem Schlagzeug. Früher hat Poveda mit seiner Band in einem Container proben müssen. Besonders im Winter war es dort eisig kalt – ungewohnt für einen Kubaner. Dass er seine Heimat verlassen hat, bereut der Musiker dennoch nicht.
"Ich habe Kuba verlassen, weil ich mich dort ohnmächtig fühlte. Die Gesellschaft ist sehr repressiv. Es ist nicht nur so, dass die Regierung die Menschen nur unterdrückt. Sie geben dir auch keine Chance, dein Leben zu verbessern – und zum Beispiel zu reisen."
Musiker müssen reisen, um zu wachsen, sich zu entwickeln, sagt Poveda. Als er in den 80er-Jahren mit seiner damaligen Freundin erstmals nach Kolumbien kam, hat er die Vielfalt der lateinamerikanischen Musik kennengelernt. Der Umzug nach New York habe ihn verändert, sagt er.
"Als Musiker in New York musst du die ganzen Eindrücke filtern, die du hier bekommst. Das verändert deine Arbeit. Es ist zwar nicht so, dass ich plötzlich ganz andere Songs spiele, nur weil ich in einem arabisch geprägten Viertel wohne. Aber wenn du den ganzen Tag arabische Musik um dich hast, bleibt davon etwas hängen. Es ist die Stimmung, die meinen Gesang und meine Melodien beeinflusst."
Die Annäherung zwischen den USA und Kuba hat das Leben von Roberto Poveda nun zum zweiten Mal verändert. Poveda hat sich der Instar-Bewegung von Tania Bruguera angeschlossen. Die kubanische Künstlerin wird seit Ende 2014 von der Regierung verfolgt. Damals plante sie eine Performance auf dem Plaza de la Revolución in Havanna.
"Es ist okay, der Staatsführung zu widersprechen"
Dort, wo Fidel Castro früher seine politischen Kundgebungen abhielt, sollten Bürger öffentlich und durch ein Mikrofon sagen, wie sie sich die Zukunft Kubas vorstellen. Mit der Aktion wollte sie ein Zeichen für die Meinungsfreiheit setzen – die von der kubanischen Regierung unterdrückt wird.
"Die Instar-Bewegung geht uns alle etwas an, ob Musiker oder Zuhörer. Wir müssen den Menschen in Kuba klar machen, dass sie das Recht haben, anders zu denken. Dass es auch okay ist, der Staatsführung zu widersprechen – und sich ohne Angst frei zu äußern. Wir müssen den Menschen erklären, dass sich niemand für dafür schämen muss, und dass niemand gegen sein Land ist, nur weil er eine andere Meinung vertritt. Denn genauso wurden wir erzogen: Wenn du anders denkst als die Mehrheit, bist du ein Feind!"
Tania Bruguera, die mittlerweile in die USA ausgereist ist, habe ihn zum Aktivisten gemacht, sagt Poveda. Er möchte in Zukunft selbst nach Kuba reisen und sich engagieren. Und nicht mehr nur als Musiker für ein New Yorker Publikum spielen, das sich für die politischen Verhältnisse in seiner Heimat kaum interessiert.
"Ich will nicht mehr sehen, wie sich Amerikaner auf ihre erste Kubareise freuen und sagen: 'Ich will Kuba sehen, bevor es sich ändert'. Was soll das heißen? Wenn sich das Land verändert – gut so! Lasst uns Kuba verändern! Die Menschen auf Kuba warten darauf seit über 50 Jahren!"