Latinos in Kalifornien - Zünglein an der Waage bei den Wahlen in den USA
Bei der Kongresswahl am 2. November spielt die hispanische Bevölkerung der USA eine wichtige Rolle. Trotz Unzufriedenheit über US-Präsident Obama unterstützt die Mehrheit der Latinos weiterhin die Demokraten. Es winkt eine Reform der Einwanderungspolitik.
Ein warmer Sonntag-Nachmittag in Los Angeles. Auf der schattenlosen ausgetrockneten Wiese eines kleinen Parks am Ostrand von Los Angeles, zwischen Stadtautobahn und Lagerhallen, sind eine Bühne und kleine weiße Holzbuden aufgebaut. Ihr Angebot: Wahlinformationen, Jahrmarkt-Spiele oder mexikanischer Imbiss. Die meisten haben dunkle Haut und schwarzes Haar. Sie sprechen spanisch und sind Einwanderer aus Mittelamerika. Am Bühnenrand spricht ein stämmiger Mexikaner um die vierzig mit kurz geschorenem Haar und Schnauzer eindringlich in ein Mikrofon. Abwechselnd in spanisch und englisch ruft er seinem unaufmerksamen Publikum immer wieder zu "Geht wählen! Eure Stimme zählt!"
Antonio Gonzales ist Vorsitzender des Southwest Voter Registration Education Projects, einer Organisation, die seit 1974 für mehr Einfluss der Latino-Bevölkerung auf die US-Politik kämpft. Gonzales appelliert an alle in seiner Hörweite, bei der US-Kongresswahl für Politiker zu stimmen, die sich für die Legalisierung von Einwanderern ohne Papiere einsetzen. Der Motivationsschub ist notwendig. In mehr als 40 Wahlkämpfen landesweit könnten Latino-Wähler über das Ergebnis entscheiden. Laut Umfragen wollen aber nur ein Drittel der Wahlberechtigten mit lateinamerikanischem Hintergrund ihre Stimme abgeben.
"Ich erinnere Euch daran, dass ihr Euch verpflichten könnt, Pro-Immigrations-Wähler zu sein. Wir haben dafür Formulare. Das ist ein neues Projekt, das wir heute starten."
Gonzales arbeitet überparteilich und gibt keine Kandidaten-Empfehlungen ab. Der Aktivist kämpft jetzt in der heißen Wahlkampfphase darum, Latinos zu den Wahlurnen zu bringen.
"Diese Veranstaltung ist der Start unseres Endspurts. Wir gehen in Wahlbezirke und haben Telefonaktionen. Wir kontaktieren allein in Kalifornien rund dreitausend neue Wähler und erwarten, dass davon fünfzig- bis hunderttausend erstmals ihre Stimme bei einer Gouverneurswahl abgeben. In diesem knappen Rennen könnten Latino-Stimmen über das Ergebnis entscheiden."
An einer der Buden mit Wählerinformationen steht die 19-jährige Diana. Sie schiebt ihre Brille hoch auf die Nase, zupft an ihrem langen schwarzen Pferdeschwanz und lässt sich von einer jungen Frau in Jeans und T-Shirt mit der Aufschrift "Deine Stimme zählt" als Wählerin registrieren. Die zwei hinter ihr stehenden jungen Männer müssen nicht lange warten, denn Diana muss nur ihren Ausweis zeigen, ein kurzes Formular ausfüllen und unterschreiben. Ihre Eltern schauen der Soziologiestudentin stolz über die Schulter. Weil Diana in den USA geboren ist, hat sie die Staatsbürgerschaft und kann wählen. Diego und Lilian Perez kamen vor über 20 Jahren aus Mexiko in die USA und haben bis heute keine Papiere. Sie gehören zu den rund zwölf Millionen Latinos in den USA ohne Aufenthaltsgenehmigung, die nicht wählen und nur illegal arbeiten dürfen. Jeden Tag droht ihnen die Abschiebung. Diego drängt seine Tochter, nur Kandidaten ihre Stimme zu geben, die sich dafür einsetzen Einwanderer ohne Papiere zu legalisieren.
"Für mich ist das das wichtigste Thema. Wir brauchen eine Reform. Wir kommen alle in dieses Land, um hart zu arbeiten. Wenn ich die Chance hätte zu wählen, würde ich meine Stimme für eine Immigrationsreform abgeben."
Diana möchte sich besser informieren, bevor sie entscheidet, wen sie zum Nachfolger von Arnold Schwarzenegger wählt: die Republikanerin und Ex-eBay-Chefin Meg Whitman oder den 73jährigen politikerfahrenen Demokraten Jerry Brown. Für die Soziologiestudentin ist ihre Einwanderungspolitik entscheidend.
"Ich weiß nicht. Ich glaube, ich wähle Brown. Whitman hat ein paar Sachen gesagt in Bezug auf Latinos, mit denen ich nicht einverstanden bin. Außerdem sagt sie immer etwas anderes, je nachdem mit wem sie spricht und ich weiß nicht, was die Wahrheit ist. Brown scheint mir weniger widersprüchlich, deshalb werde ich wohl ihn wählen."
In den USA leben rund zwanzig Millionen Wahlberechtigte mit lateinamerikanischem Hintergrund. Fast drei Viertel von ihnen geben an, dass für sie Immigration das Wichtigste politische Thema ist. Weil die Demokraten keine Immigrationsreform durchgesetzt haben, sollten Latinos diese Wahl boykottieren, fordert ein hagerer Mann mit kurzen grauen Locken in sandfarbenem Hemd und Anzughose, der neben dem Stand für Wählerregistrierungen Flugblätter verteilt. "Keine Immigrationsreform - keine Stimme" steht in großen Buchstaben auf englisch und spanisch darauf. Der 62-jährige Nativo Lopez ist Nachfahre von Einwanderern aus El Salvador. Er war vor zwei Jahren im Wahlkampf für Barack Obama sehr aktiv und ist extrem enttäuscht darüber, dass unter dem neuen Präsidenten mehr Einwanderer aus den USA abgeschoben wurden als unter seinem Vorgänger George Bush. 2007 schickten die Einwanderungsbehörden nach eigenen Angaben rund 290 tausend Latinos über die Grenze nach Mexiko. Im Jahr 2009 waren es über hunderttausend mehr, darunter zahlreiche Straftäter, wie die Obama-Regierung betont.
"Warum sollten unsere Familien, die so viel getan haben, um diesen Menschen an die Macht zu helfen zum Bauernopfer werden? Nur um die politische Rechte zu beschwichtigen? Die Demokraten könnten stattdessen ihr Versprechen halten. Sie würden damit Latinos mobilisieren wie nie zuvor bei ihrem Kampf an der Macht zu bleiben."
Der Anteil der Latino-Wähler in Kalifornien ist in den vergangenen 20 Jahren von zehn auf über 20 Prozent gestiegen. Landesweit stieg sie im selben Zeitraum von fünf auf acht Prozent. Tendenz: weiter steigend. Denn in den USA geborene Kinder von Einwanderern werden volljährig und bekommen das Recht zu wählen. Mehr und mehr Immigranten werden eingebürgert. Wähler mit lateinamerikanischem Hintergrund könnten wegen ihres hohen Bevölkerungsanteils in zwölf Bundesstaaten über Wahlergebnisse entscheiden, darunter Neu Mexiko, Texas, Florida, Colorado, Arizona und Kalifornien. Im US-Westküstenstaat ist in dieser Hinsicht die Gouverneurswahl besonders interessant, erklärt Politikwissenschaftlerin Sherry Bebitch Jeffe von der University of Southern California in Los Angeles:
"In Kalifornien sind die Latinos eine der wichtigsten Wählergruppen. Besonders für Republikaner. In der Regel müssen sie 35 bis 40 Prozent der Latino-Wähler bekommen, um ein Rennen in Kalifornien zu gewinnen. Für die Demokraten sind sie von entscheidender Bedeutung, weil sie zur Basiswählerschaft gehören."
63 Prozent der registrierten Latino-Wähler in Kalifornien sind Demokraten, 19 Prozent Republikaner. Deren Vertreterin Meg Whitman begann die Eroberung der begehrten Wählergruppe deshalb früh. Im Juni, während der Fußballweltmeisterschaft, startete die 54-jährige studierte Physikerin mit einer Vorliebe für Hosenanzüge und Perlenketten eine über 100-Millionen-Dollar Medienkampagne um die Nachfolge Arnold Schwarzeneggers, wie sie Kalifornien noch nicht erlebt hatte.
In spanischsprachigen Radio- und Fernsehprogrammen warb Whitman während der Spielübertragungen mit ihrer Erfahrung als Unternehmerin. Seit Juni verspricht sie in ihren allgegenwärtigen TV- und Radio-Werbespots mehr Arbeitsplätze und bessere Schulen. Sie distanziert sich von verschärften Gesetzen zur Bekämpfung illegaler Einwanderung sowie von Versuchen, staatliche Mittel für Immigranten ohne Papiere zu streichen. Whitman gibt Interviews in spanischsprachigen Medien und öffnete ein Wahlkampfbüro im am dichtesten besiedelten Latino-Viertel von Los Angeles Boyle Heights, östlich der Wolkenkratzer von Downtown.
Whitmans demokratischer Gegner Jerry Brown reagierte schnell mit eigenen spanischen Wahlkampfspots.
Die erinnern Latino-Wähler an eine andere Meg Whitman. An die, die sich im Vorwahlkampf mit konservativ-populistischen Positionen darum bewarb, von den Republikanern als Kandidatin für das Gouverneursamt nominiert zu werden. Die Unternehmerin versprach, knallhart gegen illegale Einwanderung vorzugehen.
"Meine Position ist glasklar: Illegale Einwanderer sind nur das: illegal. Ich bin hundertprozentig gegen Amnestie."
Doch Whitmans Strategie, nach der Vorwahl den Latinos in Kalifornien flächendeckend Jobs und bessere Schulen zu versprechen schien aufzugehen. Sie überzeugte laut Umfragen mehr als 30 Prozent der Latino-Wähler. Doch dann wurde sie von der Vergangenheit eingeholt - mit einem Thema, das die Einwanderer Bevölkerung Kaliforniens mitten ins Herz traf:
Tränenüberströmt erzählte vor Dutzenden von Mikrofonen und Kameras eine Haushälterin, dass sie neun Jahre lang ohne Papiere für Meg Whitman arbeitete. Bis sie vor zwei Jahren den politischen Ambitionen der Republikanerin im Weg stand.
"Sie sagte: Ich kann dir nicht helfen. Von diesem Moment an kennst du mich nicht und ich kenne dich nicht. Du hast mich nie gesehen. Ich habe dich nie gesehen. Verstanden?"
Meg Whitman konterte mit einer eigenen Darstellung der Ereignisse und verdoppelte die Zahl ihrer spanischen Werbespots. Doch viele Einwanderer identifizieren sich mit der Haushälterin. Die Folgen dieser politischen Seifenoper könnten für die Republikanerin fatal sein, erklärt Politikwissenschaftlerin Sherry Bebitch Jeffe:
"Was jetzt passieren könnte ist, dass von den Latinos, die gesagt haben, sie wählen gar nicht, weil sie von Demokraten in Sachen Immigrationspolitik enttäuscht und von Jerry Brown nicht sehr begeistert sind, nun zwei bis drei Prozent aus Wut doch wählen. Und bei einem so knappen Rennen kann das extrem bedeutsam sein, es könnte entscheiden über Sieg und Niederlage."
Mitte September schaltete sich Präsident Barack Obama aus Washington mit einem direkten Appell an die Latino-Wählergruppe in den US-Wahlkampf ein. Obama in einer Rede vor den Gästen einer Preisverleihungs-Gala des Latino-Ausschusses im US-Kongress:
"Vergesst nicht, wer an eurer Seite steht und wer gegen euch ist! Vergesst nicht, wer Krankenversorgung für Kinder gesichert und Steuern für Arbeiterfamilien gesenkt hat. Vergesst nicht, wer eure Freunde sind!"
Bei der Veranstaltung zur Wählermobilisierung im Stadtpark von Los Angeles hat die 19-jährige Soziologiestudentin Diana beschlossen, bei der Gouverneurswahl den Demokraten Jerry Brown zu wählen. Wegen Whitmans Position zu Einwanderern.
"Das ist sehr persönlich für mich. Viele meiner Verwandten kommen aus Mexiko. Freunde ohne Papiere, die studiert haben, bekommen keinen Job. Sie will daran nichts ändern. Es ist sehr wichtig für mich. Es muss sich etwas ändern."
Neben dem Stand mit Informationen für Erstwähler fordert der Aktivist mit Wurzeln in El Salvador, Nativo Lopez, noch immer einen landesweiten Wahlboykott:
"Ohne Legalisierung keine Wiederwahl. Einwanderer hätten dieses Jahr legalisiert werden müssen. Es ist nicht passiert, also gibt es keinen Grund, zur Wahl zu gehen. Diese Leute verdienen es nicht, gewählt zu werden."
Organisator Antonio Gonzales von der Latino-Wählermobilisierung hört ihm zu, schüttelt wortlos seinen Kopf, dreht sich um und steigt wieder auf die Bühne.
Gonzales appelliert noch einmal an die Besucher des Festivals, zur Kongresswahl zu gehen. Er zeigt auf T-Shirts mit der Aufschrift "Ich bin pro-Immigration" und CDs mit Songs gegen verschärfte Einwanderungsgesetze. Weil jede Stimme zählt, ruft er ein letztes Mal: "Bitte macht mit!"
Antonio Gonzales ist Vorsitzender des Southwest Voter Registration Education Projects, einer Organisation, die seit 1974 für mehr Einfluss der Latino-Bevölkerung auf die US-Politik kämpft. Gonzales appelliert an alle in seiner Hörweite, bei der US-Kongresswahl für Politiker zu stimmen, die sich für die Legalisierung von Einwanderern ohne Papiere einsetzen. Der Motivationsschub ist notwendig. In mehr als 40 Wahlkämpfen landesweit könnten Latino-Wähler über das Ergebnis entscheiden. Laut Umfragen wollen aber nur ein Drittel der Wahlberechtigten mit lateinamerikanischem Hintergrund ihre Stimme abgeben.
"Ich erinnere Euch daran, dass ihr Euch verpflichten könnt, Pro-Immigrations-Wähler zu sein. Wir haben dafür Formulare. Das ist ein neues Projekt, das wir heute starten."
Gonzales arbeitet überparteilich und gibt keine Kandidaten-Empfehlungen ab. Der Aktivist kämpft jetzt in der heißen Wahlkampfphase darum, Latinos zu den Wahlurnen zu bringen.
"Diese Veranstaltung ist der Start unseres Endspurts. Wir gehen in Wahlbezirke und haben Telefonaktionen. Wir kontaktieren allein in Kalifornien rund dreitausend neue Wähler und erwarten, dass davon fünfzig- bis hunderttausend erstmals ihre Stimme bei einer Gouverneurswahl abgeben. In diesem knappen Rennen könnten Latino-Stimmen über das Ergebnis entscheiden."
An einer der Buden mit Wählerinformationen steht die 19-jährige Diana. Sie schiebt ihre Brille hoch auf die Nase, zupft an ihrem langen schwarzen Pferdeschwanz und lässt sich von einer jungen Frau in Jeans und T-Shirt mit der Aufschrift "Deine Stimme zählt" als Wählerin registrieren. Die zwei hinter ihr stehenden jungen Männer müssen nicht lange warten, denn Diana muss nur ihren Ausweis zeigen, ein kurzes Formular ausfüllen und unterschreiben. Ihre Eltern schauen der Soziologiestudentin stolz über die Schulter. Weil Diana in den USA geboren ist, hat sie die Staatsbürgerschaft und kann wählen. Diego und Lilian Perez kamen vor über 20 Jahren aus Mexiko in die USA und haben bis heute keine Papiere. Sie gehören zu den rund zwölf Millionen Latinos in den USA ohne Aufenthaltsgenehmigung, die nicht wählen und nur illegal arbeiten dürfen. Jeden Tag droht ihnen die Abschiebung. Diego drängt seine Tochter, nur Kandidaten ihre Stimme zu geben, die sich dafür einsetzen Einwanderer ohne Papiere zu legalisieren.
"Für mich ist das das wichtigste Thema. Wir brauchen eine Reform. Wir kommen alle in dieses Land, um hart zu arbeiten. Wenn ich die Chance hätte zu wählen, würde ich meine Stimme für eine Immigrationsreform abgeben."
Diana möchte sich besser informieren, bevor sie entscheidet, wen sie zum Nachfolger von Arnold Schwarzenegger wählt: die Republikanerin und Ex-eBay-Chefin Meg Whitman oder den 73jährigen politikerfahrenen Demokraten Jerry Brown. Für die Soziologiestudentin ist ihre Einwanderungspolitik entscheidend.
"Ich weiß nicht. Ich glaube, ich wähle Brown. Whitman hat ein paar Sachen gesagt in Bezug auf Latinos, mit denen ich nicht einverstanden bin. Außerdem sagt sie immer etwas anderes, je nachdem mit wem sie spricht und ich weiß nicht, was die Wahrheit ist. Brown scheint mir weniger widersprüchlich, deshalb werde ich wohl ihn wählen."
In den USA leben rund zwanzig Millionen Wahlberechtigte mit lateinamerikanischem Hintergrund. Fast drei Viertel von ihnen geben an, dass für sie Immigration das Wichtigste politische Thema ist. Weil die Demokraten keine Immigrationsreform durchgesetzt haben, sollten Latinos diese Wahl boykottieren, fordert ein hagerer Mann mit kurzen grauen Locken in sandfarbenem Hemd und Anzughose, der neben dem Stand für Wählerregistrierungen Flugblätter verteilt. "Keine Immigrationsreform - keine Stimme" steht in großen Buchstaben auf englisch und spanisch darauf. Der 62-jährige Nativo Lopez ist Nachfahre von Einwanderern aus El Salvador. Er war vor zwei Jahren im Wahlkampf für Barack Obama sehr aktiv und ist extrem enttäuscht darüber, dass unter dem neuen Präsidenten mehr Einwanderer aus den USA abgeschoben wurden als unter seinem Vorgänger George Bush. 2007 schickten die Einwanderungsbehörden nach eigenen Angaben rund 290 tausend Latinos über die Grenze nach Mexiko. Im Jahr 2009 waren es über hunderttausend mehr, darunter zahlreiche Straftäter, wie die Obama-Regierung betont.
"Warum sollten unsere Familien, die so viel getan haben, um diesen Menschen an die Macht zu helfen zum Bauernopfer werden? Nur um die politische Rechte zu beschwichtigen? Die Demokraten könnten stattdessen ihr Versprechen halten. Sie würden damit Latinos mobilisieren wie nie zuvor bei ihrem Kampf an der Macht zu bleiben."
Der Anteil der Latino-Wähler in Kalifornien ist in den vergangenen 20 Jahren von zehn auf über 20 Prozent gestiegen. Landesweit stieg sie im selben Zeitraum von fünf auf acht Prozent. Tendenz: weiter steigend. Denn in den USA geborene Kinder von Einwanderern werden volljährig und bekommen das Recht zu wählen. Mehr und mehr Immigranten werden eingebürgert. Wähler mit lateinamerikanischem Hintergrund könnten wegen ihres hohen Bevölkerungsanteils in zwölf Bundesstaaten über Wahlergebnisse entscheiden, darunter Neu Mexiko, Texas, Florida, Colorado, Arizona und Kalifornien. Im US-Westküstenstaat ist in dieser Hinsicht die Gouverneurswahl besonders interessant, erklärt Politikwissenschaftlerin Sherry Bebitch Jeffe von der University of Southern California in Los Angeles:
"In Kalifornien sind die Latinos eine der wichtigsten Wählergruppen. Besonders für Republikaner. In der Regel müssen sie 35 bis 40 Prozent der Latino-Wähler bekommen, um ein Rennen in Kalifornien zu gewinnen. Für die Demokraten sind sie von entscheidender Bedeutung, weil sie zur Basiswählerschaft gehören."
63 Prozent der registrierten Latino-Wähler in Kalifornien sind Demokraten, 19 Prozent Republikaner. Deren Vertreterin Meg Whitman begann die Eroberung der begehrten Wählergruppe deshalb früh. Im Juni, während der Fußballweltmeisterschaft, startete die 54-jährige studierte Physikerin mit einer Vorliebe für Hosenanzüge und Perlenketten eine über 100-Millionen-Dollar Medienkampagne um die Nachfolge Arnold Schwarzeneggers, wie sie Kalifornien noch nicht erlebt hatte.
In spanischsprachigen Radio- und Fernsehprogrammen warb Whitman während der Spielübertragungen mit ihrer Erfahrung als Unternehmerin. Seit Juni verspricht sie in ihren allgegenwärtigen TV- und Radio-Werbespots mehr Arbeitsplätze und bessere Schulen. Sie distanziert sich von verschärften Gesetzen zur Bekämpfung illegaler Einwanderung sowie von Versuchen, staatliche Mittel für Immigranten ohne Papiere zu streichen. Whitman gibt Interviews in spanischsprachigen Medien und öffnete ein Wahlkampfbüro im am dichtesten besiedelten Latino-Viertel von Los Angeles Boyle Heights, östlich der Wolkenkratzer von Downtown.
Whitmans demokratischer Gegner Jerry Brown reagierte schnell mit eigenen spanischen Wahlkampfspots.
Die erinnern Latino-Wähler an eine andere Meg Whitman. An die, die sich im Vorwahlkampf mit konservativ-populistischen Positionen darum bewarb, von den Republikanern als Kandidatin für das Gouverneursamt nominiert zu werden. Die Unternehmerin versprach, knallhart gegen illegale Einwanderung vorzugehen.
"Meine Position ist glasklar: Illegale Einwanderer sind nur das: illegal. Ich bin hundertprozentig gegen Amnestie."
Doch Whitmans Strategie, nach der Vorwahl den Latinos in Kalifornien flächendeckend Jobs und bessere Schulen zu versprechen schien aufzugehen. Sie überzeugte laut Umfragen mehr als 30 Prozent der Latino-Wähler. Doch dann wurde sie von der Vergangenheit eingeholt - mit einem Thema, das die Einwanderer Bevölkerung Kaliforniens mitten ins Herz traf:
Tränenüberströmt erzählte vor Dutzenden von Mikrofonen und Kameras eine Haushälterin, dass sie neun Jahre lang ohne Papiere für Meg Whitman arbeitete. Bis sie vor zwei Jahren den politischen Ambitionen der Republikanerin im Weg stand.
"Sie sagte: Ich kann dir nicht helfen. Von diesem Moment an kennst du mich nicht und ich kenne dich nicht. Du hast mich nie gesehen. Ich habe dich nie gesehen. Verstanden?"
Meg Whitman konterte mit einer eigenen Darstellung der Ereignisse und verdoppelte die Zahl ihrer spanischen Werbespots. Doch viele Einwanderer identifizieren sich mit der Haushälterin. Die Folgen dieser politischen Seifenoper könnten für die Republikanerin fatal sein, erklärt Politikwissenschaftlerin Sherry Bebitch Jeffe:
"Was jetzt passieren könnte ist, dass von den Latinos, die gesagt haben, sie wählen gar nicht, weil sie von Demokraten in Sachen Immigrationspolitik enttäuscht und von Jerry Brown nicht sehr begeistert sind, nun zwei bis drei Prozent aus Wut doch wählen. Und bei einem so knappen Rennen kann das extrem bedeutsam sein, es könnte entscheiden über Sieg und Niederlage."
Mitte September schaltete sich Präsident Barack Obama aus Washington mit einem direkten Appell an die Latino-Wählergruppe in den US-Wahlkampf ein. Obama in einer Rede vor den Gästen einer Preisverleihungs-Gala des Latino-Ausschusses im US-Kongress:
"Vergesst nicht, wer an eurer Seite steht und wer gegen euch ist! Vergesst nicht, wer Krankenversorgung für Kinder gesichert und Steuern für Arbeiterfamilien gesenkt hat. Vergesst nicht, wer eure Freunde sind!"
Bei der Veranstaltung zur Wählermobilisierung im Stadtpark von Los Angeles hat die 19-jährige Soziologiestudentin Diana beschlossen, bei der Gouverneurswahl den Demokraten Jerry Brown zu wählen. Wegen Whitmans Position zu Einwanderern.
"Das ist sehr persönlich für mich. Viele meiner Verwandten kommen aus Mexiko. Freunde ohne Papiere, die studiert haben, bekommen keinen Job. Sie will daran nichts ändern. Es ist sehr wichtig für mich. Es muss sich etwas ändern."
Neben dem Stand mit Informationen für Erstwähler fordert der Aktivist mit Wurzeln in El Salvador, Nativo Lopez, noch immer einen landesweiten Wahlboykott:
"Ohne Legalisierung keine Wiederwahl. Einwanderer hätten dieses Jahr legalisiert werden müssen. Es ist nicht passiert, also gibt es keinen Grund, zur Wahl zu gehen. Diese Leute verdienen es nicht, gewählt zu werden."
Organisator Antonio Gonzales von der Latino-Wählermobilisierung hört ihm zu, schüttelt wortlos seinen Kopf, dreht sich um und steigt wieder auf die Bühne.
Gonzales appelliert noch einmal an die Besucher des Festivals, zur Kongresswahl zu gehen. Er zeigt auf T-Shirts mit der Aufschrift "Ich bin pro-Immigration" und CDs mit Songs gegen verschärfte Einwanderungsgesetze. Weil jede Stimme zählt, ruft er ein letztes Mal: "Bitte macht mit!"